Jagd auf Umweltverbrecher

Weltweit zerstören Konzerne und Regierungen die Natur. Auch kriminelle Gruppierungen begehen illegalen Holzschlag, Rohstoffausbeutung oder Wildtierhandel. Diese Verbrechen sichtbar zu machen, ist so wichtig wie nie – und kann lebensgefährlich sein. Text: Sonja Peteranderl, Illustration: Silke Werzinger

05.09.2024

10 Tage lang suchten indigene Schutztruppen im schwer zugänglichen Javari-Tal in Brasilien nach den verschwundenen Männern. Der britische Journalist Dom Phillips und sein Freund Bruno Pereira, ein brasilianischer Umweltschützer, waren bei einer Reise durch das Amazonasgebiet im Jahr 2022 verschwunden. Sie hatten zu Umweltverbrechen recherchiert – und waren von Kriminellen, die illegalen Fischfang betrieben, ermordet worden.

„Alle waren überrascht, als es passierte. Dom hatte viel Erfahrung, war vorsichtig und verantwortungsbewusst”, sagt die brasilianische Investigativjournalistin Elisângela Mendonça, die Phillips kannte. Der Journalist, der für den Guardian und die Washington Post gearbeitet und an einem Buch über das Amazonasgebiet geschrieben hatte, habe sich immer gut vorbereitet, kannte sich dort aus. Der Mord an den beiden Männern habe umso mehr ein Schlaglicht auf das Risiko geworfen, das Umweltschützer*innen und Journalist*innen eingehen, die Umweltzerstörung dokumentieren – und dabei Regierungen, Konzernen, Großbauern, Militärs oder kriminellen Gruppierungen in die Quere kommen.

Neue Studien zeigen, wie gefährlich Recherchen zu Klima und Umwelt sind

Einer neuen Studie des Internews Earth Journalism Network (EJN) zufolge nimmt die Umwelt- und Klimaberichterstattung in den meisten Regionen der Welt zu. Gleichzeitig ringen Journalist*innen mit schrumpfenden Redaktionen, der Einschränkung der Medienfreiheit in einigen Ländern, zunehmender Fehl- und Desinformation sowie Einschüchterungen und Attacken. Etwa vier von zehn Journalist*innen, die über Klimakrise und Umweltthemen berichten, wurden demnach bereits bedroht. Zehn Prozent der Betroffenen erlebten physische Gewalt. „Viele Journalist*innen haben das Gefühl, sie müssten sich selbst zensieren, um sicher zu sein”, schreiben die Verfasser*innen der Studie.

Auch Reporter ohne Grenzen zufolge wurden in den vergangenen zehn Jahren weltweit rund 200 Journalist*innen, die über Umwelt berichten, bedroht, physisch angegriffen oder umgebracht – Asien und Lateinamerika waren die gefährlichsten Regionen. Dort wurden 24 Journalist*innen innerhalb einer Dekade ermordet. Von insgesamt 28 in Indien ermordeten Journalist*innen arbeitete die Hälfte an Umweltthemen. Der Umwelt- und Klimajournalismus ist längst ein Überlebenskampf – für die Natur, die von ihm abhängt, aber auch für Reporter*innen. Wer kann sie schützen, und wie?

Der Amazonas braucht den Journalismus zum Überleben

Der Amazonas ist der größte Regenwald der Welt, er erstreckt sich über mehrere Staaten, darunter Brasilien, Ecuador und Kolumbien. Etwa 60 Prozent des Waldes liegen auf brasilianischem Staatsgebiet. Während der Amtszeit des rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro zwischen 2019 bis 2022 explodierte die Rodung. Er stärkte Großbauern und Konzernen den Rücken, gab indigene Schutzgebiete zur Plünderung durch Bergbauunternehmen, Holz- und Agrarindustrie frei. Auch von Menschen verursachte Brände und Dürren zerstörten große Flächen des Regenwaldes.

Immerhin versuche die aktuelle Regierung unter dem linksgerichteten Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva der Journalistin Mendonça zufolge, die Abholzung besser zu kontrollieren – doch das helfe nur bedingt. „Der Wald kann sich nur bis zu einem gewissen Punkt erholen. Wir befinden uns am Rande eines Kipppunkts, an dem der Wald zur Savanne werden kann, wenn wir die Abholzung nicht aufhalten”, warnt Mendonça. „Die Wälder sind der Schlüssel zur Erhaltung des globalen Gleichgewichts und zur Verhinderung einer noch schwerwiegenderen Klimakrise.”

„Jedes Mal weiß jemand genau, wo ich bin – und ich rufe zweimal am Tag an, um zu versichern, dass ich noch lebe.” Elisângela Mendonça, Investigativjournalistin

„Wir müssen bessere Wege finden, um die Zerstörung zu überwachen und sicherzustellen, dass wir die heute bestehende Straffreiheit beenden,” sagt Mendonça. „Und wir müssen Unternehmen und Regierungen für schlechte Praktiken zur Verantwortung ziehen.” All das kann nur passieren, wenn die Verbrechen sichtbar werden – durch die Arbeit von Naturschützer*innen und Journalist*innen.

Mendonça selbst arbeitete lange als Umweltjournalistin für das Londoner Bureau of Investigative Journalism. Sie deckt Umweltverbrechen großer Agrarkonzerne auf und versucht komplexe internationale Logistikketten nachzuvollziehen – vom Regenwald bis in die Supermärkte des Globalen Nordens. Gerade baut sie als Senior Forests Investigator bei der gemeinnützigen Organisation Global Witness den neuen Forests Newsroom auf – ein Investigativteam, das die Rolle von Banken und Vermögensverwaltungen bei der Finanzierung der Abholzung auf der ganzen Welt untersucht. Die Mission: Investitionen in Entwaldung einen ebenso schlechten Ruf verschaffen wie Investitionen in fossile Brennstoffe.

Klimajournalismus wird größer – jetzt erst recht

Bereits vor dem Mord an Dom Phillips hatte der Guardian begonnen, die Berichterstattung über Klima und Umwelt auszubauen. Nach seinem Tod schworen sich Kolleg*innen, noch mehr als zuvor über die Ausbeutung des Amazonas-Gebietes zu berichten. Erst vor kurzem recherchierten sie wieder im Javari-Tal. Auch ein internationales, von der Rechercheinitiative Forbidden Stories koordiniertes Team aus mehr als 50 Journalist*innen aus 16 Medien recherchierte ein Jahr lang die Hintergründe der Morde – um sicherzustellen, dass die Arbeit der beiden Rechercheure nicht mit ihnen stirbt.

Umwelt- und Klimajournalismus haben in den vergangenen Jahren weltweit zugenommen – auch, weil die Folgen des internationalen Raubbaus an der Natur und des Klimawandels kaum mehr zu ignorieren sind. Neue Rollen, Ressorts und Formate sind entstanden, die Washington Post hat die grüne Berichterstattung mit mehr als 30 Journalist*innen ausgeweitet, etwa mit der Datenjournalismus-Rubrik Climate Lab oder dem Climate Coach-Newsletter. 

Der Guardian hat spezialisierte Rollen wie climate justice reporter geschaffen: 2019 fing Nina Lakhani dort als erste Reporterin für Klimagerechtigkeit an. Sie hatte zuvor aus vom Klimawandel betroffenen Regionen in Lateinamerika berichtet und ein Buch über die 2016 ermordete honduranische Umweltaktivistin Berta Cáceres geschrieben. Anfangs war die Stelle auf ein Jahr befristet, heute ist Lakhani fest im Team verankert. Sie fokussiert sich auf die Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels sowie Lösungsansätze – mit Blick auf Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. 

Sie analysiert, wie Folgen des Klimawandels sich mit Rassismus, Frauenfeindlichkeit und ungleichem Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung überschneiden.

Die Lage des Klimajournalismus in Deutschland

Auch in Deutschland beobachtet die auf Klima spezialisierte freie Journalistin Leonie Sontheimer einen starken Zuwachs an Umwelt- und Klimaformaten. Die ARD bündelt Themenfelder seit kurzem in senderübergreifenden Teams: HR, MDR und SWR steuern das neue Kompetenzcenter Klima. Alle Sender der ARD können die überregionalen Inhalte und Formate dann nutzen. Doku-Serien wie Eco Crimes beleuchten ausschließlich Verbrechen an der Umwelt.

Doch wie nachhaltig ist diese grüne Welle? „Medien haben neue Stellen geschaffen, Ressorts neu sortiert und spezielle Teams aufgebaut. Aber gerade stagniert der Trend, neue Klimaformate zu schaffen”, sagt Sontheimer. „Wenn es jetzt gelingt, die Klimaberichterstattung in alle Ressorts zu tragen, ist das eine gute Entwicklung. Aber ob das tatsächlich passiert oder ob Umwelt und Klima in der Aufmerksamkeitskonkurrenz mit Themen wie Inflation oder Migration untergehen, ist noch unklar.” Sie hofft, dass Redaktionen künftig Klima struktureller verankern, dass jedes Ressort das Thema beleuchtet.

Derzeit fehle deutschen Journalist*innen oft das Wissen, um Klimapolitik einordnen zu können, sagt Sontheimer. Zum Beispiel würden Aussagen von Politiker*innen nicht an wissenschaftlichen Erkenntnissen gemessen. „Daran müssen wir arbeiten, indem wir Fortbildungen machen und salonunfähiger machen, dass man sich nicht auskennt”, sagt sie. „Und es ist wichtig, auf Führungsebene mehr für die Dringlichkeit der Klimakrise zu sensibilisieren.”

„Das Gesetz schafft Verantwortung für Unternehmen, ihre gesamte Lieferkette auf Arbeitsrechte und Umweltstandards zu prüfen.” Miriam Saage-Maaß, Juristin und Legal Director beim ECCHR

Das britische Reuters Institute for the Study of Journalism unterhält seit 2021 das Oxford Climate Journalism Network (OCJN). Es ist ein Programm, das Redakteur*innen und Führungskräften ein besseres Verständnis von Klimafragen vermitteln will, etwa mit digitalen Weiterbildungen. Die Nachfrage ist groß: Zwischen 2022 und 2023 haben rund 400 Journalist*innen und 44 Führungskräfte aus 106 Ländern an den Trainings teilgenommen. Dem OCJN zufolge hätten sich auf jeden Platz durchschnittlich sechs Personen beworben. 

In Deutschland hat Sontheimer 2021 das Netzwerk Klimajournalismus mitgegründet. Mehr als 250 Journalist*innen kamen zum ersten Onlinemeeting – für Sontheimer „ein Zeichen, dass wir so ein Netzwerk brauchen“. Mittlerweile ist daraus ein gemeinnütziger Verein mit einem fünfzehnköpfigen Kernteam entstanden. Im Slack-Kanal sind rund 600 Journalist*innen vernetzt, der Newsletter Onboarding Klimajournalismus hat knapp 3.000 Abonnent*innen.

Sie befassen sich beispielsweise mit Greenwashing-Strategien von Konzernen. „Bisher fehlt es an Formaten“, sagt Sontheimer, in denen „systemisch aufgeklärt wird, warum Unternehmen Greenwashing betreiben, in welchem Stil sie das tun und wer am Ende von der fossilen Industrie profitiert“.

Überwachung aus dem All – und andere Tools

Um Missstände und Verbrechen aufzudecken, ist ein Mix verschiedener Rechercheansätze sinnvoll. Oft sind auch frei zugängliche Open-Source-Intelligence -Werkzeuge (OSINT) nützlich. Elisângela Mendonça wertet Firmen-, Bank- und Pressemitteilungen, Abholzungsraten, Exportregister oder Satellitenaufnahmen aus, die die Entwaldung eines Gebietes im Zeitverlauf zeigen. Dabei hilft ihr die kostenlose Anwendung Google Earth Pro; sie bietet auch historische Satellitenaufnahmen. Falls Mendonça mehr Details braucht, fordert sie bei dem kommerziellen Anbieter Planet besser aufgelöste Satellitenaufnahmen an.

Viele kommerzielle Firmen kooperieren auf Anfrage mit Journalist*innen. Satellitenaufnahmen halfen kürzlich auch einem ZDF-Team, einen Skandal im Rahmen des vermeintlichen CO2-Ausgleichs aufzudecken: Die deutsche Mineralölwirtschaft erfüllt Klimaschutzvorgaben mit Fake-Umweltprojekten in China. Auf Satellitenaufnahmen waren nur Hallen oder traditionelle Industrieanlagen zu sehen.

Über die Plattform FragDenStaat können Journalist*innen Daten und Dokumente bei Behörden anfragen. Dort gibt es einen Klima Helpdesk, der Interessierten dabei hilft, Umweltinformationen wie Feinstaubgutachten oder Klimaschutzpläne „zu befreien“. Denn bisher würden zu viele relevante Umweltinformationen ein Dasein in verstaubten Akten und verschlossenen Behördenschränken fristen.

Bereits 2005 trat das Umweltinformationsgesetz (UIG) des Bundes in Kraft, auch jedes Bundesland erließ ein eigenes UIG. „Das Umweltinformationsgesetz ist ein gutes Tool, um an Daten und Dokumente zu kommen – aber fast niemand kennt es“, sagt der Investigativjournalist Aiko Kempen, der im Recherche-Team von FragDenStaat arbeitet. Ein Vorteil des UIG sei auch, dass es hier eine Frist von einem Monat gibt, in der Behörden die Informationen bereitstellen müssen. Zudem kann es breit ausgelegt werden: Niedersachsen beispielsweise hat kein Informationsfreiheitsgesetz, dafür aber ein Umweltinformationsgesetz. Dort konnte FragDenStaat Coronaverordnungen in Gerichten freiklagen – „mit der Begründung, dass die Luft Teil der Umwelt ist”, so Kempen.

Doch es funktioniert nicht immer, sich auf das UIG zu berufen. Bayern verweigerte bei der Anfrage eines WDR-Journalisten die Herausgabe von Dokumenten zu Atomkraftwerken – sie hätten angeblich nichts mit der Umwelt zu tun. Auch Privatunternehmen, die öffentliche Aufgaben ausführen, sowie kommunale Unternehmen wie Stadt- und Gemeindewerke sind verpflichtet, Informationen herauszugeben – doch oft müssten Journalist*innen sie erst darüber aufklären, sagt Kempen.

Seit Einrichtung des Klima Helpdesk 2022 haben sich einige Initiativen aus der Klimabewegung an das Team gewandt. Im vergangenen Jahr haben sie vermehrt Anfragen zum Braunkohleausstieg gestellt und teils erfolgreich geklagt. FragDenStaat bietet auch rechtliche Beratung und kann bei Klagen finanziell unterstützen – wenn das Anliegen gemeinnützig und relevant und die Klage aussichtsreich ist. Journalist*innen nutzen den Klima Helpdesk bisher „nur in Einzelfällen”, sagt Kempen.

Die Beispiele zeigen: Umwelt- und Klimajournalist*innen sind nicht machtlos. Mithilfe von Institutionen und Netzwerken können sie sich austauschen, Zugang zu Informationen ermöglichen, sich neue Techniken erschließen.

Recherchen vor Ort bleiben teuer und gefährlich – aber es gibt Unterstützung

 „Man versucht, aus der Ferne einen Haufen verschiedener Datensätze miteinander zu vergleichen, um mehr Klarheit zu bekommen, was vor Ort passiert”, sagt Elisângela Mendonça. Es sei aber wichtig, all diese Daten mit Berichterstattung vor Ort zu kombinieren. „Man muss Geschäftsleute, Schlachthöfe oder Lebensmittelfabriken besuchen und mit den Menschen im Amazonasgebiet über die Verstöße sprechen, die sie erleben”, sagt sie.

Solche Reisen an die Tatorte von Umweltverbrechen sind meist langwierig, gefährlich und teuer. Netzwerk Recherche bietet jährlich mehrere Stipendien für Umwelt- und Klimarecherchen in Höhe von jeweils bis zu 5.000 Euro an: das Olin- und das Ecosia-Stipendium. Die Olin-Stipendiat*innen Sophia Pickles, Jack Wolf und Janvier Murairi haben im vergangenen Jahr etwa im Kongo zu Lithium recherchiert. Ein begehrter Rohstoff, weil die Automobilindustrie ihn für Akkus in Elektroautobatterien braucht. Die Journalist*innen fanden dank der Stipendien heraus, was die Energiewende für die Fördergebiete bedeutet.

Auch das US-amerikanische Pulitzer Center hat umweltbezogene Förderprogramme wie das Ocean and Fisheries Reporting Grant oder das Rainforest Investigations Network (RIN), das die Aufdeckung von Missständen in den drei größten Regenwaldgebieten der Welt unterstützt – im Amazonasgebiet, im Kongobecken und in Südostasien. Das Programm fördert internationale Teams, die gemeinsam recherchieren. Das RIN hat in den vergangenen fünf Jahren mehr als 300 Projekte und 600 Journalist*innen unterstützt. Sie konnten die Überarbeitung eines staatlichen Landwirtschaftsprogramms in Indonesien und Sanktionen gegen Bergbauunternehmen erzwingen. 

„Ob Umwelt und Klima in der Aufmerksamkeits- konkurrenz mit anderen Themen wie Inflation oder Migration untergehen, ist noch unklar.” Leonie Sontheimer, Klimajournalistin

Auch Elisângela Mendonça war Stipendiatin. Im Amazonas musste ihr Team einmal in indigenen Gemeinschaften von Tür zu Tür gehen – obwohl kriminelle Gruppierungen die Region kontrollieren. „Solche Recherchen sollte man nicht allein machen”, sagt sie. Während ihres zweijährigen Pulitzer-Stipendiums entwickelte Mendonça mit Kolleg*innen Risikobewertungsstrategien für Umwelt-Recherchen. „Vor Ort haben wir einen Sicherheitsplan und versuchen alternative Routen und Wege zu finden, um uns zu schützen”, sagt die Journalistin. Wichtig sei auch, an die Sicherheit der Quellen zu denken: „Wir fliegen wieder nach Hause, aber die indigenen Gemeinschaften leben dort und sind ungeschützt.”

Auch Kommunikationsprotokolle seien essentiell. „Jedes Mal weiß jemand genau, wo ich bin – ich rufe zweimal am Tag an, um zu versichern, dass ich noch lebe.” Tracker können den aktuellen Standort der Reporter dokumentieren. Mendonça nutzt ein Garmin-Navigationsgerät für ihre Reisen, das klein und leistungsfähig ist. Mithilfe des Satelliten-Kommunikationsgeräts kann sie Textnachrichten absetzen. Über eine SOS-Taste kann sie einen Notfallkontakt alarmieren – „Die Polizei zu rufen war keine Option.”

In Lateinamerika sind Sicherheitskräfte in Umweltverbrechen involviert. Auch Konzerne kooperieren mit Polizei, Militär oder kriminellen Gruppen, um Widerstand aus dem Weg zu räumen. Der US-Bananenkonzern Chiquita wurde 2024 wegen Verbindungen zu Paramilitärs in Kolumbien zu einer Schadenersatzzahlung von 38,3 Millionen US-Dollar verurteilt – an die Familien von acht Opfern, die AUC-Paramilitärs ermordet hatten.

Kriminelle Gruppen entdecken Natur als Geschäft

In vielen Regionen werden Naturschutzgebiete von kriminellen Gruppierungen kontrolliert. Einerseits schädigen klassische Geschäftsfelder wie Drogenanbau- und Produktion die Natur. In Ländern wie Kolumbien, dem Top-Koka-Produzent, aber auch Peru und Bolivien werden für riesige Koka-Plantagen Zehntausende Hektar Wald gerodet. Bei der Herstellung von Kokain entsteht giftiger Abfall, der Böden und Wasser verschmutzt.

Außerdem sind Umweltverbrechen für die Organisierte Kriminalität ein lukratives Geschäft. Traditionelle kriminelle Gruppierungen wie mexikanische Kartelle oder Mafia-Clans in Italien haben ihr Geschäft in den vergangenen Jahren auf illegale Müllentsorgung, illegalen Holzschlag, Wildtierhandel oder die Kontrolle von Wasser und anderen Rohstoffen ausgedehnt. In Mexiko stammen rund 70 Prozent des legal verkauften Holzes aus illegalen Quellen. Umweltschützer*innen kämpfen gegen mächtige Gegner: Mexikanische Kartelle bilden ihre Mitglieder in Militärcamps aus. Sie verfügen über Kriegswaffen, setzen Landminen und Drohnen für Sprengstoff-Anschläge ein.

In Europa ist es die Mafia, die der Umwelt schadet und Journalist*innen gefährlich wird. Sandro Mattioli ist Journalist, Autor des Buches „Germafia: Wie die Mafia Deutschland übernimmt” und Vorsitzender des Vereins mafianeindanke. Ihm zufolge gehört in Europa die italienische Mafia zu den Vorreitern des Ecocrime. „International hat die Entsorgung von giftigen und radioaktiven Abfällen in Italien für Aufmerksamkeit gesorgt“, sagt Mattioli. „Radioaktive Stoffe wurden in Höhlen und unter Straßen vergraben, chemische Stoffe auf Feldern verklappt und gefährliche Abfälle offen verbrannt. Radioaktive Stoffe wurden auf Schiffe geladen und mitsamt den Schiffen im Meer versenkt.” Zudem würden Mafia-Clans illegal nach Rohstoffen graben, mit geschützten Arten handeln oder Häuser und Gewerbegebäude in geschützten Gebieten bauen. Auch in Italien kämpfen Menschen dagegen an: Die italienische Umweltorganisation Legambiente erfasst solche Umweltverbrechen systematisch, zeigt sie an und hat den Begriff der „Ökomafia” geprägt.

Im besten Fall zwingen die Recherchen von Journalist*innen und Umweltschützer*innen die Regierungen dazu, stärker gegen Ökoverbrecher vorzugehen. Oder sie zwingen Konzerne, ihr Vorgehen zu verändern. In Deutschland trat 2023 das Lieferkettengesetz in Kraft, das Journalist*innen beispielsweise als Hebel nutzen können. Es verpflichtet Unternehmen, ihre Lieferketten jährlich einer menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risikoanalyse zu unterziehen. „Das Gesetz schafft eine Verantwortung von Unternehmen, ihre gesamte Lieferkette darauf zu prüfen, ob Arbeitsrechte sowie Umweltstandards eingehalten werden”, sagt Miriam Saage-Maaß, Juristin und Legal Director beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Konzerne müssten Luftverschmutzung, Wasserverschmutzung oder illegale Landnahme verhindern, auch im Ausland. Saage-Maaß sagt: „Gute Recherchen können Unternehmen dazu bringen, nachzuforschen und zu handeln.”Die Arbeit von Journalist*innen bleibt essenziell fürs Klima – sie setzt Bewegungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Gang, ohne die es auf der Welt noch düsterer aussähe als ohnehin schon.

Sonja Peteranderl berichtet für Medien wie SWR Vollbild, Der Spiegel oder Zeit Online über Kriminalität, Gewalt und Technologie. Als Researcher und Journalist in Residence an der Humboldt-Universität Berlin/BioMaterialities forscht sie zu Ecocrime und der Rolle von Technologie in Mexiko.