Wirtschaften im Kreislauf

Die Menge der Medienbeiträge zum Thema Kreislaufwirtschaft ist in den letzten Jahren gewachsen. (Foto: MvonS mit Adobe Firefly)

Fragt man Forscher nach Wegen aus der Klimakrise, lautet eine Antwort: Kreislaufwirtschaft. Medien reduzieren sie oft auf Abfall, doch es geht um viel mehr – darüber zu berichten, wäre eine große Chance für den Klimajournalismus. Text: Kathi Preppner

13.09.2024

Was passiert mit den alten Turnschuhen von Linda Zervakis, die sie in Hamburg-St. Pauli in den Altkleidercontainer wirft? Um das zu erfahren, haben Journalisten von Zeit, NDR und dem Recherche-Start-up Flip die Sneaker der Fernsehmoderatorin mit GPS-Trackern verwanzt. Und nicht nur ihre, sondern insgesamt elf Paar alte Turnschuhe von Prominenten. Einigen Schuhen sind die Journalisten anschließend hinterhergereist. Zervakis’ Sneakern folgten sie bis nach Kenia, wo sie vermutlich auf einem Markt weiterverkauft wurden. Für Carolin Kebekus‘ Schuhe endete die Reise in Belgien. Dort schredderte sie der Hersteller.

Aus der Sneakerjagd von 2021 sind nicht nur mehrere Texte entstanden, sondern auch Fernsehbeiträge, ein Podcast, eine interaktive Karte. Die Jagd über Ländergrenzen hinweg hat viele Menschen interessiert. Vermutlich nicht nur, weil Kebekus, Zervakis und Jan Delay ihre alten Turnschuhe dafür hergegeben haben. Sondern auch, weil es um ein Produkt ging, das jeder kennt und das viele Menschen besitzen. So wie bei einem Test der Süddeutschen Zeitung, wie es um die Pflicht zum Angebot von Mehrwegverpackungen für To-Go-Essen und -Getränke steht. Das Ergebnis war: schlecht. Wenige Restaurants machen wirklich mit. „Genau das sind Recyclingthemen, die viel gelesen werden“, sagt Lisa Nienhaus, Leiterin des Wirtschaftsressorts der SZ.

Für Umwelttechniker Jörg Woidasky, der seit 30 Jahren zum Thema forscht, fassen viele hierzulande Kreislaufwirtschaft zu eng. Häufig beziehe sich der Begriff auf Abfallwirtschaft. Woidasky gefällt die englische Bezeichnung Circular Economy besser, weil damit der gesamte Lebenszyklus eines Produkts gemeint ist. Woidasky hat neben Produktgestaltung, Produktionsprozess und Umweltauswirkungen immer auch Geschäftsmodelle und Wirtschaftlichkeit im Blick. „Kreislaufwirtschaft ist kein Selbstzweck“, sagt er. „Sie muss immer das Ziel haben, umweltfreundlicher zu wirtschaften.“ Erst, wenn Woidasky sich Produkt und Geschäftsmodell angeschaut hat, kann er bewerten, ob es einen Nutzen für Umwelt und Klima gibt.

„Da passiert ganz viel – Unternehmen ist bewusst, dass sie sich verändern müssen.“ Lisa Nienhaus, Leiterin des SZ-Wirtschaftsressorts

Kreislaufwirtschaft bedeutet mehr als Müll, Entsorgung und Recycling – das wollten auch die Macher der Sneakerjagd zeigen. Denn das Team von Flip will, wie es sagt, nicht nur kritisch, sondern auch konstruktiv sein. Es nahm seine Recherche zum Anlass, im journalistischen Selbstversuch ein eigenes Produkt zu entwickeln: den Sneaker Marabu, dessen Mittelsohle aus dem Granulat geschredderter Turnschuhe besteht. Mit dem nachhaltigen Schuhhersteller Monaco Ducks gründeten sie die Grnd GmbH, klar getrennt von Flip. Sie produzierten 1.500 Paare des Marabu-Sneakers. Der CO2-Fußabdruck des Recycling-Schuhs ist nur rund ein Drittel so groß wie der eines herkömmlichen Turnschuhs.

Auch für Manuel Bickel liegt in der Debatte um Kreislaufwirtschaft der Fokus zu sehr auf Verpackungen und Kunststoff. Bickel ist Co-Leiter des Forschungsbereichs Produkt- und Konsumsysteme am Wuppertal Institut. Dabei sei die Auswirkung von Verpackungen auf das Klima vergleichsweise gering. Aus Kommunikationssicht seien Verpackungen zwar ein guter Einstieg, weil jeder damit zu tun habe. Nur dürfe man da nicht stehen bleiben. „Das Thema wird dann natürlich komplizierter und komplexer, man muss viele Zusammenhänge erklären“, sagt Bickel. Das größere Potenzial für den Klimaschutz haben zum Beispiel Massenmaterialien wie Beton und Stahl. Bei letzterem ist die Recyclingrate schon hoch.

Die Zahl der Medienbeiträge über Kreislaufwirtschaft ist in den vergangenen Jahren gewachsen. Für den Zeitraum von 2015 bis 2019 gibt es Zahlen, die der PR-Dienstleister Cision erhoben hat: In dieser Zeit hat sich die Menge der Beiträge über das Thema mehr als verdreifacht. Ein weiteres Ergebnis: Der Ton ist überwiegend positiv, nämlich in knapp zwei Dritteln der Beiträge. Ein Viertel der Beiträge bleibt neutral und sachlich, nur in 13 Prozent fallen die Artikel negativ oder ambivalent aus. Die PR-Experten von Cision schlussfolgern: „Das Thema Kreislaufwirtschaft birgt enorme Kommunikations-Potenziale für Unternehmen.“ Schließlich heben Journalisten vor allem die ökologischen Vorteile wie die Ressourcenschonung hervor.

Umwelttechniker Jörg Woidasky stört der empörte Unterton, den er in den Medien wahrnimmt.

Trotzdem findet Petra Pinzler das Thema Kreislaufwirtschaft im Journalismus noch „erschreckend klein“ im Verhältnis zu den Möglichkeiten, die es bietet. Als Hauptstadtkorrespondentin der Zeit berichtet sie vor allem über Wirtschaft, Umwelt- und Klimaschutz. Sie sieht aus journalistischer Sicht großes Potenzial. „Das Problem ist ja, dass wir im Journalismus immer etwas Neues brauchen“, sagt sie. Viele Klimathemen sind aus ihrer Sicht auserzählt – die Kreislaufwirtschaft hingegen noch lange nicht. „Kreislaufwirtschaft wirkt erst einmal relativ kompliziert“, sagt Pinzler, „aber es gibt so viele Lösungen im Kleinen, über die wir berichten können.“

Einige davon kommen in Pinzlers neuem Buch vor, das im September erscheint. Es geht darin um die Frage, was Fortschritt bedeutet. Pinzler wägt Ideen aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Wissenschaft ab. Zum Beispiel schreibt sie über einen Reinigungsmittelhersteller, der für seine Flaschen nur recyceltes Plastik nutzt. Oder über die Circular Valley Stiftung in Wuppertal, die ein Unternehmensberater gegründet hat, um Start-ups und große Unternehmen für das Thema Kreislaufwirtschaft zu versammeln. Pinzler will den Blick auf Lösungswege richten. „Wir Journalistinnen und Journalisten müssen beschreiben, was geht“, sagt sie. „Und es geht sehr viel.“ Ihrer Meinung nach könnte es in den Medien viel mehr um Menschen und Unternehmen gehen, die sich auf den Weg gemacht haben. Dass Journalisten dabei Greenwashing aufsitzen könnten, macht ihr keine Sorgen. Es sei schließlich ihr Job, genau hinzuschauen und im Zweifelsfall eine Rechercherunde mehr zu drehen.

Für Pinzler ist die Kreislaufwirtschaft auch deshalb ein spannendes Thema, weil sie dem Klimajournalismus neue Perspektiven eröffnet. Manchmal versucht sie, über das Klima zu schreiben, ohne das Wort Klima zu benutzen. „Der klassische Klimajournalismus läuft sich tot“, sagt Pinzler. „Wir müssen hin zu einem planetaren Journalismus, der das Verhältnis von Mensch und Natur in den Blick nimmt.“ Schließlich verbrauchen Menschen zu viele Rohstoffe, produzieren zu viel Müll, zerstören zu viele Lebensräume. Mit dem Fokus darauf könne man Klimathemen aus politischer, wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Perspektive erzählen.

„Der klassische Klimajournalismus läuft sich tot – wir müssen hin zu einem planetaren Journalismus.“ Petra Pinzler, Hauptstadtkorrespondentin der Zeit

Kreislaufwirtschaft wird auch die Unternehmen – und damit auch Leserinnen und Leser von Wirtschaftsmedien – weiter beschäftigen. „Heute verfolgen fast alle Unternehmen Nachhaltigkeitsziele. Allen ist Klimaschutz wichtig“, sagt Umwelttechniker Jörg Woidasky. Auch, wenn viele Unternehmen mit ihren Bemühungen noch am Anfang stehen – der Diskurs sei heute stark auf die Nachhaltigkeit ausgerichtet. SZ-Journalistin Nienhaus beobachtet, dass das Interesse an Klimathemen etwas zurückgegangen ist. Kriege und andere Krisen seien in den Vordergrund gerückt. Trotzdem teilt sie Woidaskys Ansicht: „Aber das bedeutet ja nicht, dass da nicht trotzdem viel passiert. Unternehmen planen schließlich langfristig und ihnen ist bewusst, dass sie sich verändern müssen.“

Die Bemühungen der Wirtschaft in Sachen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft kommen natürlich nicht von ungefähr. In der Politik gibt es Pläne, die Kreislaufwirtschaft zu fördern, sowohl auf Bundes- als auch auf europäischer Ebene. Das Bundesumweltministerium hat im Juni den Entwurf für eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie vorgelegt, in dem es die Handlungsfelder von Fahrzeugen bis hin zum Bau- und Gebäudebereich definiert. Die EU hat im Februar 2021 einen zweiten Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft verabschiedet. Ein wichtiges Ziel ist es, Produkte von Vornherein so zu gestalten, dass sie länger halten und Konsumenten sie wiederverwerten können. Zudem soll der Markt für die daraus gewonnenen sekundären Rohstoffe gestärkt werden. Zum einen durch Vorgaben, wie hoch die Recyclingquote beispielsweise bei Kunststoff sein muss, zum anderen über festgelegte Quoten für den Anteil recycelten Materials in neuen Produkten.

An einigen Stellen kommt die Kreislaufwirtschaft aber an ihre Grenzen. Zum Beispiel kann es besser fürs Klima sein, Produkte intensiv zu nutzen. Etwa beim Car-Sharing ein Auto mit anderen Menschen zu teilen – als die Fahrzeuge wiederzuverwerten. In der Klimaforschung ist darum immer wieder von den 3Rs die Rede: reduce, reuse, recycle. Das heißt auf Deutsch: reduzieren, wiederbenutzen und recyceln. Bevor Unternehmen also ein Produkt herstellen, sollten sie sich fragen: Wer braucht das Produkt überhaupt? Und würde nicht auch weniger davon genügen?

Auch die Forschung hat noch viele offene Fragen. Nachhaltigkeitsforscher Bickel fände es gut, wenn Medien genau das zum Thema machen würden. „Es ist in Ordnung, nicht auf alles eine Antwort zu haben“, sagt er. „Eine Kreislaufwirtschaft aufzubauen ist ja eine Aufgabe, die wir als Gesellschaft gemeinsam angehen müssen.“

Umwelttechniker Woidasky würde sich von Journalisten wünschen, dass sie objektiver und weniger gefühlsorientiert berichten. „Als Zuschauer oder Leser möchte ich die Fakten haben, auf denen ich meine persönliche Entscheidung begründen kann“, sagt er. Ihn stört der manchmal erstaunte, empörte Unterton, den er in manchen Medienbeiträgen wahrnimmt. „Natürlich agieren unsere Unternehmen so, wie sie es im Rahmen des kapitalistischen Wirtschaftssystems müssen.“ Die Herausforderung für Journalisten sei es, miteinander vernetzte Sachverhalte so darzustellen, dass der Zusammenhang deutlich wird – anstatt sich nur zu wundern, wo der ganze Müll herkommt.

Das Team von Flip sagt, es habe die Komplexität, nachhaltige Turnschuhe zu produzieren, unterschätzt. Von den Marabu-Sneakern wird es keine weitere Charge geben. Zu den gesetzlichen Auflagen für den Import geschredderter Schuhe und Probleme bei Produktion und Logistik kamen zu hohe Kosten. Die GmbH, die sie extra dafür gegründet hatten, hat rund 26.000 Euro Verlust gemacht. „Waren wir ein bisschen naiv?“, fragt sich das Flip-Team später. Und antwortet selbst: „Vielleicht. Trotzdem wollen wir uns den Spirit, einfach mal zu machen statt zu mosern, auch in Zukunft nicht nehmen lassen.“

Kathi Preppner ist Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion Wortwert in Köln.