‚‚Wir sind die Fliege an der Wand in den Machtzentren"
Gordon Repinski ist Chefredakteur des deutschen Ablegers von Politico. (Foto: Holger Talinski für journalist)
Ex-Pioneer-Journalist Gordon Repinski (47) soll Axel Springers Politico zur führenden Nachrichtenmarke im politischen Berlin machen. Im Interview spricht der Chefredakteur über seine Pläne und darüber, was sich mit der Bundestagswahl ändern wird.
19.01.2025
Es sind bewegte Zeiten in den USA, wo Politico seinen Ursprung hat, und mit der anstehenden Wahl auch in Berlin. Doch Gordon Repinski ist optimistisch: „Merkel und Scholz haben eher zurückhaltend und extrem kontrolliert agiert und damit auch uncharismatisch“, sagt er. „Friedrich Merz ist impulsiver und biographisch wie rhetorisch die Antithese zu Merkel oder Scholz. Es dürfte also wieder lebhaft werden in Berlin.“
journalist: Herr Repinski, interessant, dass ausgerechnet die jungen Digitalportale Business Insider und Politico im biederen Altbau von Axel Springer sitzen statt im fancy Neubau gegenüber.
Gordon Repinski: Der Altbau ist doch nicht bieder – sondern voller lebendiger Geschichte. Beide Häuser haben unterschiedlichen Charme, der sich jeweils total erschließt. Mir gefällt, dass unser Büro hier so unspektakulär ist.
Weil Sie sich auf die Arbeit fokussieren können?
Genau. Entscheidend ist, dass unser Team aus aktuell rund 15 Journalistinnen und Journalisten an einem Ort wachsen konnte und kann.
Berichtet das Team auch für die internationale Ausgabe von Politico?
Wir haben mehrere Säulen. Die erste bilden die deutschsprachigen Produkte: Berlin Playbook und der dazugehörige Podcast. Mit den Decoded-Newslettern für Europa und die USA und den Pro-Verticals vertiefen wir gerade die Säule mit kostenpflichtigen journalistischen Inhalten. Auf der dritten Säule berichten wir für die globale Marke aus Deutschland. Dafür arbeitet hier ein kleines, eigenes Team. Dazu weitere Politico-Korrespondenten, die in Berlin leben und international recherchieren. Wir arbeiten also national, europäisch und global.
Dieses Interview erscheint, wenn Donald Trump in Washington vereidigt wird. Da dürfte vor allem Ihr internationales Team viel Arbeit haben.
Am 20. Januar? Gutes Timing.
Wissen Sie schon, wo Sie an diesem Tag sein werden?
Mutmaßlich mitten im Bundestagswahlkampf. Das ist dann unser absoluter Fokus. Aber als transatlantisches Medium werden wir Donald Trumps Amtseinführung trotzdem eng begleiten. Ein Teil meines Teams berichtet auch am 20. Januar aus dem Washingtoner Newsroom und somit aus erster Hand für das Berlin Playbook. Kann ja sein, dass Trump nach der Inauguration sofort Putin anruft und sich die Ukraine-Politik grundlegend ändert.
Es kann aber auch sein, dass er sich wie angekündigt wie ein Diktator aufführt.
Interessant wird es in jedem Fall. Mindestens so interessant wie bei seiner ersten Inauguration vor acht Jahren, bei der ich selbst als Korrespondent für den Spiegel aus Washington berichtet habe. Damals war Washington wochenlang im Ausnahmezustand. Überall wurde demonstriert, die Stimmung war sehr emotionalisiert. Das dürfte im Januar dank einer gewissen Normalisierung von Trumps Präsidentschaft anders sein.
Wie geht Politico mit jemandem um, der die öffentliche Aufmerksamkeit braucht, mehr noch, der von ihr lebt?
So, wie mit jedem anderen Politiker auch: Wir müssen uns ansehen, was er macht und sortieren, was davon Relevanz hat. Das wird nicht jedes provokative Statement umfassen. Wir als Politico sind non partisan, stehen also auf keiner Seite. Deshalb blicken wir genauso kritisch auf Donald Trump, wie wir auf Kamala Harris geblickt hätten. Wir sind die Fliege an der Wand in den Machtzentren. Wir beobachten und analysieren in erster Linie, statt zu kommentieren.
Wird es gar keine Kommentare geben?
Wir sind natürlich bereit, Prozesse zu bewerten, tun dies aber mit keiner Agenda. Bei uns bekommt es jeder einmal ab. Und das im Zweifel eher mit gehobener Augenbraue als mit geschwollenem Hals.
Freuen Sie sich als Gesicht eines transatlantischen Mediums darauf, dass es in der Politik ab 20. Januar noch aufregender wird als ohnehin?
Als Journalist? Eindeutig ja!
Weil Krisen für Journalisten die spannenderen Zeiten sind?
Alle Zeiten sind spannend, aber Krisenzeiten fordern uns als Journalisten. Wo die Demokratie angegriffen wird, wird auch der Journalismus angegriffen. Was das Transatlantische an Politico betrifft, glaube ich, dass das Interesse und die Faszination in Deutschland ungebrochen sind. Gerade hier in Berlin, das dank der Luftbrücke besonders tief mit Amerika verbunden ist. Die kulturelle und politische Verbindung zu den USA ist unvergleichlich. Schon deshalb haben wir mit DC Decoded einen Newsletter, der sich explizit mit Washington beschäftigt.
Was erwarten Sie hier vom Bundestagswahlkampf?
Dass es darum gehen wird, wer das Land am besten aus der Krise führen kann. Es geht um Glaubwürdigkeit, einen Plan für die Wirtschaft und um Weitsicht.
Das klingt jetzt fast ein bisschen nüchtern dafür, dass viele sagen, die Stimmung im Land sei hasserfüllt.
Nach dem Stillstand großer Koalitionen war die Ampel für viele eine Hoffnung, die sich aber zerschlagen hat. Aktuell fehlt die klare Perspektive einer Regierung, die in schwieriger Zeit wieder für Optimismus sorgen kann. Deshalb wird es ein komplizierter, kurzer, unvorhersagbarer Wahlkampf.
Friedrich Merz scheint als Sieger festzustehen. Was bedeutet ein Kanzler mit ordnungspolitischer Agenda für den Journalismus?
Man wird sehen, wie ordnungspolitisch er wirklich agiert, sollte er gewinnen. Vorhersehbarer erscheint mir in dem Fall definitiv ein kommunikativer Bruch. Angela Merkel und Olaf Scholz haben eher zurückhaltend und extrem kontrolliert agiert und damit auch uncharismatisch. Friedrich Merz ist impulsiver und damit biographisch wie rhetorisch die Antithese zu Merkel oder Scholz. Es dürfte also wieder lebhaft werden in Berlin.
Ist Friedrich Merz eher der Typ Gerhard Schröder?
Niemanden gibt es zweimal, und die Zeiten sind auch andere, aber während seine unmittelbaren Vorgänger darauf achten mussten, irgendwann mal zu sagen, was sie denken, wird Merz drauf achten müssen, nicht immer alles zu sagen, was er denkt. Paschas, Sozialtourismus – da entstehen gern mal Debatten, die man als Kanzler nicht gebrauchen kann. Das wird die Kommunikation und damit auch Publizistik beeinflussen. Nach Schröder hatte man vom Gebollere erstmal genug. Nach 16 Jahren Merkel hatte man von deren Kommunikation auch genug, bekam aber dasselbe nochmal mit Scholz. Jetzt steht das Regierungsviertel wieder vor einer kommunikativen Zeitenwende.
Zugleich wird es publizistisch unkalkulierbarer.
Wenn jemand redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist? Absolut. Aber es ist spürbar, wie sehr er sich sprachlich zusammenreißt, und zwar so sehr, dass man zuweilen denken könnte, er ist fast zu vorsichtig für einen Wahlkampf. Aber Merz weiß, dass er neues Gelände betritt – er wäre der erste Bundeskanzler ohne Regierungserfahrung. Von Adenauer bis Scholz waren alle zuvor Oberbürgermeister, Landeschefs oder Minister. Merz dagegen hatte auf keiner Ebene je exekutive Verantwortung und muss sich erst zurechtfinden. Aber es stecken auch große Chancen darin. Denn da würde jemand erstmals von innen auf einen Regierungsapparat blicken, der auch wahrlich eine Erneuerung vertragen kann. Es wird spannend, sollte er gewinnen. Und wir werden das begleiten.
Wie funktioniert die internationale Zusammenarbeit bei Politico?
Meine Kolleginnen und Kollegen im Berliner Newsroom müssen nicht umfassende Expertise aller politischen Vorgänge weltweit haben, aber Berlin besser verstehen als andere Newsrooms. Und genauso ist es in den anderen Regionen. In Brüssel zum Beispiel sitzen nicht ein oder zwei, sondern 100 Korrespondenten, in Paris 30, in Washington 300. Wir vernetzen also Insiderwissen und machen daraus die besten Geschichten, statt auf Einzelkämpfer zu setzen. Das ist ein riesiger Vorteil. Nehmen Sie zum Beispiel den Fall Keir Starmer.
Aktuell schwer umstrittener Premierminister in London.
Als der nach Berlin kam, gab es allerlei Berichte über die neue Freundschaft unserer Sozialdemokraten zu Labour. Wir haben hingegen einen Kollegen aus der UK in Starmers Maschine sitzen und wissen deshalb aus erster Hand, dass Starmer in Berlin am Beispiel von Scholz vor allem lernen wollte, wie man es als Sozialdemokrat nicht machen sollte. Es ist die tiefere, also bessere Geschichte. Dennoch wollen wir nicht alles berichten, was in der UK oder Brüssel geschieht, sondern alles auf deutsche Wissensbedürfnisse zuschneiden. Sobald irgendwo in den USA oder Europa das Wort Deutschland fällt, kriegen wir es mit.
Mit wem konkurrieren Sie dabei auf dem deutschen Markt?
Das kommt drauf an, ob wir national oder international berichten. Wenn es um letzteres geht, würde ich uns eher mit dem Economist oder der Financial Times auf einer Ebene sehen. Da macht uns in Deutschland niemand etwas vor. Wenn es um die Berliner Politikthemen geht, konkurrieren wir mit den Redaktionen klassischer Medien. Wir sind neuer, frischer, digitaler – und wir haben einen klaren Führungsanspruch.
Sind Ihre Wettbewerber Süddeutsche Zeitung und Tagesspiegel oder eher deren Newsletter Platz der Republik beziehungsweise Background?
Mit den Erfolgen des ersten Jahres, der großen Wahrnehmung von Berlin Playbook und dem Podcast sind wir auf beiden Ebenen vorne dran. Weil wir so präsent sind, vergisst mancher, dass es uns noch nicht einmal ein Jahr gibt und dass unser Weg erst begonnen hat. Aber gerade, was die vertikale Vertiefung betrifft, hilft uns die internationale Expertise enorm. Wir können so viel Wissen zusammentragen und aufbereiten, dass wir selbstbewusst sein dürfen.
Ihr Newsletter fungiert eher als Teaser, um nicht zu sagen: Köder für den kostenpflichtigen Content.
Da unterteilen wir in Politics und Policy. Das Berlin Playbook beschreibt Politics: Also alles, was wirklich zählt an dem Tag und welche Prozesse sich weshalb auf den Fluren des Regierungsviertels ereignen. Wenn es um Gesetzgebung geht, geht es um Policy. Hier bieten wir einzigartiges Fachwissen für ein professionelles Publikum, das dann auch seinen Preis hat. Das vollzieht sich aktuell in den zwei Decoded Newslettern, die Politik anders aufarbeiten als das Playbook. Und in den Pros geht es ab 2025 nochmal tiefer. Erst dann kann man uns endgültig mit bestehenden Verticals vergleichen.
Und den Vergleich scheuen Sie nicht?
Nein, warum auch? Dieses Konzept hat bislang auf jedem einzelnen Markt funktioniert, seit es vor 18 Jahren in Washington begonnen hat. Jetzt kommt es über London und Brüssel nach Berlin.
In Berlin starten Sie reichlich spät. Vielleicht, weil deutsche Medienkonsumentinnen und -konsumenten selbst in Führungspositionen die hohen Preise vertikaler Angebote scheuen? Table Media nimmt 149 Euro monatlich für Newsletter, die teils nur wöchentlich erscheinen.
Wir sind vor elf Monaten mit dem Berlin Playbook gestartet und vor neun mit dem ersten Decoded Newsletter, vor acht mit dem Podcast und vor vier mit dem zweiten Decoded Newsletter. Ich sehe da eher eine extrem hohe Geschwindigkeit, mit der wir uns sehr wohl fühlen. Wir sprechen eine professionelle, zahlungsfähige Klientel an, die genau das braucht, was wir liefern. Das hat seinen Preis.
Platzhirsch Table Media behauptet von sich, „Deutschlands Briefing-Publisher Nr. 1“ zu sein. Ist das Ihre Zielmarke?
Ich befasse mich mit Inhaltsfragen, nicht mit Werbung dafür. Ich kenne Sebastian Turner und finde, er macht einen tollen Job. Der Politico-Journalismus hat sich von Sacramento bis Berlin durch seine Qualität durchgesetzt und durch nichts anderes. Dabei wird es bleiben. Wir sind strukturell so gut verdrahtet wie sonst niemand. Aber wir müssen auch darüber hinaus innovativ bleiben, also auch thematisch weiter variieren.
Zum Beispiel?
Alles, was mit digitaler Modernisierung zu tun hat, ist agil und öffnet neue Felder. Tech und Gesundheit, Tech und Energie, Tech und Defense. Das ist eine Denkrichtung.
Alles harte Themen mit wirtschaftspolitischem Background. Lassen sich langfristig weiche Themen wie Feuilleton oder Sport monetarisieren?
Für uns glaube ich das nicht. Wir brauchen als Kundschaft Führungskräfte, deren wirtschaftliche Existenz vom profunden Wissen ihrer Branchen abhängt, was naturgemäß oft industrieller Natur ist. Das Berliner Ensemble wüsste sicher auch gern, welche Fördermaßnahmen womöglich wegfallen, wird dafür aber vermutlich kaum in ein Pro von Politico investieren. Für die Autoindustrie ist es hingegen essentiell zu wissen, welche Regulierungen von Brüssel oder Berlin aus zu erwarten sind.
Inwieweit wird diese Art der Berichterstattung den Journalismus insgesamt verändern?
Klassische Redaktionen befinden sich ohnehin in einem Veränderungsprozess. Was wir aber sehen: Die Markteintrittsschwelle für neue journalistische Projekte ist zuletzt massiv gesunken. Deshalb erleben wir seit fünf, sechs Jahren endlich innovative Neugründungen, die es zuvor nicht gab. Bei einer davon war ich selbst jahrelang Teil der Chefredaktion.
The Pioneer von Gabor Steingart.
Wir merken also, dass es einfacher wird, Newsletter oder Podcasts zu produzieren, auf kleiner Ebene also sein eigenes Medienunternehmen zu werden. Und je mehr Wissen man mitbringt, desto größer die Chancen, es auch zu monetarisieren. Dieser Innovationsschub befindet sich in Deutschland noch ganz am Anfang, tut dem Journalismus aber sehr, sehr gut. Vor zehn Jahren dachten noch alle, Klicks seien die Hauptwährung. In der digitalen Welt von heute wurden Klicks durch Zahlungsbereitschaft abgelöst. Aus einem prekären Berufsfeld ist eine Zukunftsbranche geworden, man muss es nur sehen wollen.
Haben Sie persönlich den Journalismus als prekäres Berufsfeld wahrgenommen?
Als ich Journalist wurde, war ich davon ausgegangen, dass ich eine wirtschaftlich gesicherte Existenz zum Preis meiner Leidenschaft für die Arbeit eintausche. Das hat sich im Laufe der Jahre komplett gedreht. Dank neuer Geschäftsmodelle sind agile Nachwuchskräfte derzeit gefragt wie lange nicht. Wir haben einen echten Fachkräftemangel im Journalismus, und zwar gerade in dem Feld, in dem wir bei Politico arbeiten: im Verstehen von Politik. Besonders gefragt sind diejenigen, die bereit sind, sich besonders tief in Materie einzugraben. Wissen zählt wieder etwas. Und die Fähigkeit, es zu vermitteln, auch. Wenn ich vor Journalistenschülerinnen und -schülern stehe, sage ich ihnen, welche enormen Möglichkeiten sie haben. Das ist eine großartige Entwicklung.
Kostengünstiger Journalismus bleibt prekär, weil schwer finanzierbar, während andere Verlage mit der Elitenversorgung gut verdienen. Entwickelt sich da eine journalistische Mehrklassengesellschaft?
Diese Gefahr sehe ich nicht. Abo-Modelle auf B2C-Ebene wird es weiterhin geben. Auch die nachrichtliche Podcast-Welt ist immer noch weitestgehend kostenfrei zugänglich.
Bei Politico zum Beispiel.
Genau. Den Berlin Playbook Podcast gibt es jeden Morgen for free. Das ist doch etwas.
Also keine Kannibalisierung, sondern Ergänzung?
Meiner Meinung nach ja. Solange die Nachfrage nach Publikumsjournalismus besteht, wird es Angebote geben, die dann auch für Werbung attraktiv bleiben.
An Ihrem Ex-Arbeitgeber The Pioneer hält Axel Springer aktuell 36 Prozent und sieht sich als strategischer Partner. Fischen Sie mit Politico im gleichen Gewässer wie Gabor Steingart?
Es gibt im Hause Axel Springer viele verschiedene Marken. Pioneer ist ein anderes Produkt mit anderem Ansatz, mit dem wir sehr kooperativ umgehen. Politico hat aber ohnehin kein Konkurrenzdenken, weil wir wichtige Geschichten anderer Medien auch bei uns verbreiten, sofern sie fürs Publikum von Bedeutung sind. Zumal ich unabhängig von Steingarts Pioneer der Meinung bin, dass genug Platz für mehr als eine Handvoll deutscher Newsletter und Podcasts ist. Ich bin da völlig frei von Eitelkeiten und sehe das eher sportlich.
Haben Sie Gabor Steingart seinerzeit verlassen oder sind Sie eher zu etwas Neuem gegangen?
100 Prozent letzteres. Ich empfinde Politico von Beginn an als eine der faszinierendsten Marken im politischen Journalismus und verfolge sie, seit ich 2011 in den USA bei der San Diego Union-Tribune gearbeitet habe. Die digitale, tiefgehende unparteiische Berichterstattung war für mich immer das Nonplusultra, an dem sich viele orientiert haben.
Seit 2021 gehört Politico komplett, also alle Ausgaben weltweit, zu Axel Springer. Es firmiert dort gemeinsam mit Business Insider und Welt unter der Dachmarke Premium-Gruppe. Was ändert das für Sie und Ihr Team?
Wir bündeln Kräfte in einem der größten Verlagshäuser Europas und arbeiten zusammen, um noch stärker zu werden. Das ist im Grunde die Fortführung dessen, was wir seit langem bei Politico betreiben. Mit den Kollegen der Welt rücken wir enger zusammen und werden noch stärker – und mit Klaus Geiger leitet diesen Prozess ein Kollege, den ich schätze und dem ich sehr vertraue. Wir freuen uns auf 2025 und haben viel vor.
Die Premium-Gruppe ist also nicht nur eine Organisationsstruktur, sondern inhaltlich und personell verzahnt?
Politico wird darin die Marke hochwertiger Politikberichterstattung und auch die Welt wird gestärkt, beschleunigt, verbessert.
Eins wurde dabei offenbar vergessen: weibliches Führungspersonal. In der Gründungsmitteilung vom 26. November finden sich exakt 0,0 Prozent Frauen. Das klingt eher nach analoger Vergangenheit als digitalem Aufbruch.
Das finde ich nicht. Hier sind mit Jennifer Wilton und Alexandra Würzbach zwei Frauen in der Gründungsmitteilung genannt. Und in den Geschäftsführungen von Axel Springer gibt es viele Frauen – auch die weiblichen CEOs von Politico, Business Insider, BILD. Dazu gibt es viele leitende Redakteurinnen und Chefredakteurinnen – nicht zuletzt bei BILD mit Marion Horn. Dass das Prinzip Diversität zentral ist, sehen Sie hier im Büro, wo ebenso viele Frauen wie Männer arbeiten und vom ersten Tag an Verantwortung übernehmen.
Was sagen Sie zur Personalrochade, bei der der neoliberale Porsche-Fan Ulf Poschardt als Welt-Chefredakteur ausgerechnet durch Jan Philipp Burgard ersetzt wird, der beim WDR in einen #MeToo-Fall verwickelt war – ist das nach dem Skandal um Julian Reichelt das richtige Signal?
Bitte sehen Sie es mir nach, dass ich mich dazu nicht äußern möchte.
Was man Axel Springer seit jeher nicht vorwerfen kann, ist auch nur die geringste Scheu vor der Digitalisierung.
Und die Tatsache, dass Politico zu Axel Springer gehört, ist ja bereits Ausdruck dieser modernen digitalen Denkweise. Dass wir KI hier grundsätzlich als Chance statt Problem begreifen, ist auch Teil dieser Logik.
Trotzdem: Könnte KI Arbeitsplätze kosten?
Natürlich gibt es Herausforderungen. Auf der redaktionellen Seite sehe ich allerdings definitiv mehr Chancen, besonders im Bereich der Recherche und Dokumentation. Vieles, was wir bislang händisch lösen müssen, lässt sich mit KI enorm vereinfachen. Was Politiker etwa in Fernsehinterviews sagen, lässt sich viel leichter von einer KI zusammenfassen.
Ihr Newsletter fasst das Nachrichtengeschehen in mundgerechte Häppchen zu vier, fünf Zeilen zusammen. Das könnte ChatGPT auch hinkriegen.
Auch da gilt: Wenn KI helfen kann, einige unserer einfachen Recherchen oder Zusammenfassungen zu erledigen, verschafft es uns Zeit und Raum für tiefere Recherchen. Die Spätschicht jedenfalls dürfte sich freuen, wenn ihr am Abend Arbeit erspart bleibt, die sie morgens für Recherchen ausgeschlafener nutzen kann. Wir arbeiten hier alle viel und erreichen damit viel, aber noch längst nicht alles, was wir uns vornehmen. Deshalb bin ich ehrlich voller Hoffnung, dass KI uns nützt. Ich bin fest entschlossen, dass Politico hier voran gehen sollte und ein sogenannter Use Case sein kann.
Wie wird Politico in fünf Jahren aussehen?
Aus meiner Sicht wird Politico schon vor dieser Zeitspanne eines der, wenn nicht das politische Leitmedium in Deutschland sein – so, wie es auch in Brüssel oder Washington schnell der Fall war. Wir werden Innovationstreiber, damit disruptiv bleiben, noch vernetzter sein als heute und deshalb noch besser über nationale und globale Geschichten berichten.
Werden Sie langfristig an der Spitze bleiben?
Das internationale hat mich immer gereizt. So wie ich für das stehe, was Politico mit seiner unvergleichlichen journalistischen DNA ist, würde ich diesen Prozess gern noch lange gestalten, begleiten und prägen.
Jan Freitag ist freier Journalist in Hamburg.
Holger Talinski arbeitet als Fotograf in Berlin und Köln.
Korrektur In einer früheren Version des Interviews hieß es, Jan Philipp Burgard sei beim WDR „rausgeworfen“ worden. Das ist falsch. Tatsächlich hat Burgard das Arbeitsverhältnis selbst beendet. Wir haben die Stelle entsprechend geändert und bitten für den Fehler um Entschuldigung.