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Wie Journalisten zweiter Klasse

Viele freie Journalisten fühlen sich mit Redakteuren nicht auf Augenhöhe, wenn es um das Redigieren ihrer Texte geht.

Redaktionen verändern häufig die Texte, die ihnen von Autoren geliefert werden. Manchmal sind es kleine Änderungen, manchmal werden starke Eingriffe vorgenommen. Nicht selten fühlen sich freie Journalisten in diesem Redigierprozess nicht auf Augenhöhe mit dem Redakteur oder der Redakteurin. Von Catalina Schröder

25.06.2019


Am meisten geärgert, sagt Sina Müller, habe sie sich über die redaktionellen Änderungen eines Stücks, das ihr sehr am Herzen lag. Müller, die eigentlich anders heißt, hatte für ein Magazin einen Text geschrieben, in dem die Geschichte ihrer eigenen Familie erzählt wird. „Die Redaktion hat ihn auf eine Art und Weise umgeschrieben, wie er mir überhaupt nicht gefiel. Er entsprach gar nicht mehr meinem Stil“, erzählt sie. Erschienen sei der Text trotz ihres Protests so, wie die Redaktion es wollte. Müller hat dem Magazin nie wieder eine Geschichte angeboten.

Wenn freie Journalisten und Redaktionen zusammenarbeiten, läuft das in vielen Fällen sicher reibungslos. Auf einen Aufruf des journalists in verschiedenen Freien-Foren meldeten sich aber auch frustrierte Autoren: Manche erzählten von unzähligen Redigierschleifen, die nicht nachhonoriert wurden. Andere berichteten, dass ihre Texte maßgeblich verändert und ihnen vor der Veröffentlichung auch nicht mehr vorgelegt wurden. Und wieder andere hatten das Gefühl: Egal, wie klug mein Einwand ist – am Ende zählt immer die Meinung des Redakteurs.

Alle Autoren, mit denen der journalist gesprochen hat, haben vorab um Anonymität gebeten: „Wenn ein Auftraggeber mich wiedererkennt, ist das geschäftsschädigend“, fürchtet eine Autorin. Eine andere möchte nicht als „Problemfall“ gelten. Und eine Dritte sagt: „Bevor ich mir einen Folgeauftrag durch die Lappen gehen lasse, schlucke ich meinen Ärger lieber runter. In unserer Branche kann man sich die Auftraggeber eben nicht immer aussuchen.“

Nach diesem Prinzip hat auch Nadja Seifert schon oft gehandelt. Einmal machte sie allerdings eine Ausnahme: Etwa ein halbes Jahr arbeitete Seifert, die ebenfalls anders heißt, als Pauschalistin in einer Redaktion. „Schon in den Themenkonferenzen – also vor der eigentlichen Recherche – wurde oft festgelegt, was in einem Artikel stehen sollte“, erzählt Seifert. „Wenn ich mich daran nicht gehalten habe, weil die Recherche etwas anderes ergeben hat, wurden meine Texte stark verändert und anschließend ohne Rücksprache unter meinem Namen veröffentlicht. Wichtig war immer, dass eine Überschrift drüber geschrieben werden konnten, die im Netz gut geklickt wurde.“

"Das schadet mir auf Dauer"

Seifert erzählt, dass sie sich immer wieder mit der Ressortleitung über dieses Vorgehen gestritten habe – vergeblich. Nach wenigen Monaten kündigte sie. „Wenn unter meinem Namen Texte im Netz kursieren, die nicht mehr das beinhalten, was mir Experten gesagt haben, schadet mir das auf Dauer mehr, als das Honorar mir kurzfristig nützt“, sagt Seifert.

Was viele Journalisten nicht wissen: Laut Urheberrecht darf eine Redaktion die Fremdtexte gar nicht ohne Absprache verändern. „Rein rechtlich sind Änderungen nur möglich, wenn beispielsweise durch einen Rahmenvertrag festgelegt wurde, dass eine Redaktion sie überhaupt vornehmen darf“, sagt Anja Westheuser, Justiziarin beim Hamburger Landesverband des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV). Doch auch wenn es einen Rahmenvertrag gibt, darf eine Redaktion nicht einfach alles umschreiben: „Die Änderungen müssen im Rahmen bleiben“, erklärt Westheuser. Was das bedeutet, ließe sich im Streitfall nur von einem Gericht festlegen. Ansonsten gilt: Der Autor muss jeder Änderung, die die Redaktion vornimmt, zustimmen. „Passiert das nicht, kann der Autor theoretisch auf Unterlassen klagen“, sagt Westheuser. „Bei Texten, die im Netz stehen, kann ein Gericht dann anordnen, dass sie zurückgeändert werden.“

In der Praxis ziehen Autoren aber fast nie vor Gericht. Bekannt geworden ist in den vergangenen Jahren lediglich ein Fall: 2010 klagte der Journalist Christian Jungblut vor dem Landgericht Hamburg gegen Geo – wegen Entstellung seines Beitrags. Das Magazin hatte einen Text von Jungblut veröffentlicht, in dem es um die Folgen des Klimawandels für die Niederlande ging. Eine wichtige Rolle spielte darin ein Hydrologe. Nach Jungbluts Ansicht hatte die Redaktion seinen Text zu stark verändert. Im Original lautete beispielsweise eine Passage: „[der Hydrologe zeigt] keine Spur von Unbehagen. Er jammert nicht. Er lächelt.“ In der redigierten Fassung wurde daraus: „Doch von Panik keine Spur, eher zeigt sich eine Art ingenieursseeliger Vorfreude.“ Außerdem bezeichnete die Redaktion den Hydrologen eigenmächtig als „Katastrophen-Seher“.

Der Text erschien trotzdem

Obwohl Jungblut die Veröffentlichung in der redigierten Fassung untersagt hatte, erschien der Text. Das Landgericht Hamburg entschied im Oktober 2010 zunächst, dass die Redaktion bei Jungbluts Text ihr „Bearbeitungsrecht überschritten“ und sein Urheberpersönlichkeitsrecht verletzt habe. Der Verlag Gruner+Jahr ging jedoch in Berufung und zog vor das Hamburger Oberlandesgericht. Dort endete der Streit 2013 mit einem Vergleich: Gruner+Jahr verpflichtete sich, Jungbluts Text in der redigierten Fassung nicht weiter zu verbreiten und 60 Prozent der Prozesskosten zu tragen. Die restlichen Kosten musste Jungblut übernehmen.

An einen ähnlich handfesten Streit zwischen Redaktion und Autor kann sich Tanja Stelzer, Ressortleiterin beim Dossier der Zeit, nicht erinnern. Trotzdem wirbt sie für ein besseres Miteinander von Redaktion und Autor: „Bei uns in der Redaktion sind wir wahnsinnig redigierfreudig, und manch freier Autor ist darüber erstmal sehr erschrocken. Aber wir machen das nicht, um Autoren zu quälen, sondern um gemeinsam mit ihnen gute Texte zu produzieren.“ Stelzer ist überzeugt, dass es in der Kommunikation mit dem Autor auch eines guten Fingerspitzengefühls bedarf.

Es sei ganz normal, dass Texte mehrfach zwischen Redaktion und Autor hin und her gingen, sagt Stelzer: „Wir kämpfen um eine möglichst ausgefeilte Dramaturgie und Sprache, und das lohnt sich am Ende immer.“ Absprachen mit Autoren hält Stelzer für sich kurz schriftlich fest. Sie sagt: „Kein Text wird gedruckt, ohne dass der Autor die Schlussfassung nochmal gesehen hat.“ In Ausnahmefällen und bei Extra-Aufwand biete sie auch mal eine Erhöhung des Honorars an.

Über ein solches Angebot hätte sich auch Laura Hahn gefreut. Auch sie heißt eigentlich anders. Für ein Magazin sollte Hahn einen Stadtrundgang durch Straßburg beschreiben. Ziel ihrer Recherche war es, familientaugliche Unterkünfte und Ausflugsziele zusammenzutragen. „Aus Kostengründen wollte die Redaktion mich aber nicht nach Straßburg schicken“, erinnert sich Hahn. Die E-Mail-Kommunikation zwischen Hahn und der Redaktion liegt dem journalist vor.

Also recherchierte sie vom Schreibtisch in Deutschland aus Cafés, Museen und Hotels, fragte eine Zwillingsmutter in Straßburg nach ihren Tipps und schickte den Text an die Redaktion. „Zurück kamen unzählige Detailfragen, und es begann ein wochenlanges Hin und Her“, erinnert sich Hahn. Unter anderem sollte sie den genauen Ausblick aus einem Café beschreiben, das im Text vorkam. An anderer Stelle wollte die Redaktion genau wissen, wie es auf einem bestimmten Markt aussah und Hahn sollte ganz konkret das Flair und die Besonderheiten eines Flohmarkts beschreiben. Fragen, die sie vom Schreibtisch aus kaum beantworten konnte. „Letztlich habe ich in der Redigaturphase, also als das Stück von meiner Seite aus schon fertig war, immer wieder mehrere Stunden mit der Nach-Recherche zugebracht – für ein Honorar von gerade einmal 400 Euro.“ Ob es journalistisch korrekt ist, den Leser glauben zu lassen, der Autor wäre vor Ort gewesen, obwohl er nur zu Hause am Schreibtisch recherchiert hat, ist dann nochmal eine ganz andere Frage.

Von Redakteur A zu B zu C

Die Redaktion von Benjamin Piel schickt ihre freien Autoren immer persönlich zu Terminen. Der Chefredakteur des Mindener Tageblatts beschäftigt gleich eine ganze Reihe von Freien: Rund 50 Autoren schreiben für die Tageszeitung, etwa die Hälfte von ihnen regelmäßig.

Wie bei anderen Lokalzeitungen sind viele von Piels freien Autoren keine professionellen Journalisten: „Aus diesem Grund gibt es bei uns ein bis zwei Mal im Jahr einen Workshop, in dem wir grundlegende Fragen besprechen: Wie findet man einen Protagonisten und erzählt eine Geschichte an einer Person entlang? Oder: Wie sieht eine ausgewogene Berichterstattung aus?“ Da die Freien häufig auch Fotos mitliefern, organisiert die Redaktion auch regelmäßige Workshops mit einem Fotografen.

Zusätzlich kümmert sich die Lokalchefin um einzelne freie Autoren, wenn es beispielsweise immer wieder grundlegende Probleme mit der Textstruktur gibt. „Ich sehe da erstmal die Verantwortung bei uns, den Leuten das richtige Rüstzeug für ihre Arbeit zu geben“, sagt Benjamin Piel. Seiner Erfahrung nach sind viele Autoren des Mindener Tageblatts dankbar, wenn ihre Texte von einem erfahrenen Journalisten redigiert werden. „Ärger zwischen Redaktion und freien Autoren gab es bei uns wegen Redigaturen noch nicht“, sagt Piel. Von seiner Redaktion erwartet der Chefredakteur gute Absprachen, denn häufig gibt ein Redakteur den Auftrag raus und ein anderer nimmt später den fertigen Text entgegen. „Es sollte deshalb für alle Beteiligten vorab klar sein, worum es in der Geschichte gehen soll“, sagt Piel.

Fehlende oder mangelhafte Absprachen unter Redakteuren kennt Sina Müller nur zu gut. Sie erinnert sich an einen konkreten Fall, in dem sie einer Redaktion einen Text lieferte: „Redakteur A fand ihn super. Mitgehen sollte der Text aber, als Redakteur B im Dienst war. Der wollte, dass ich das Stück komplett umarbeite. Später kam dann noch Redakteur C dazu, der das meiste wieder in die Ursprungsfassung zurückgedreht haben wollte.“

Müller fühlt sich in solchen Situationen oft wie eine Journalistin zweiter Klasse: „Als Freie bin ich meist schwächer als der Redakteur. Nur weil jemand fest angestellt ist, heißt das nicht, dass er alles besser weiß. Trotzdem zählt sein Wort immer mehr als meins.“ Früher habe sie oft gedacht, dass sie einen Fehler gemacht habe, wenn eine Redaktion etwas ändern wollte. „Heute sehe ich das anders. Wenn jemand mit seiner Redigatur meinen Text verbessert, freue ich mich.“ Aber das sei längst nicht immer der Fall. Ein Honorar hat Müller noch nie nachverhandelt, und ihr wurde auch von einer Redaktion noch nie ein höheres Honorar angeboten.

Ob ein Freier nun schlecht gearbeitet hat, wenn eine Redaktion kleinere oder größere Nacharbeiten fordert, oder ob die Redaktion dem Autor damit mehr abfordert, als eigentlich zulässig ist, lässt sich schwer festlegen. „Juristisch gilt: Was ein Autor liefert, muss mittlerer Art und Güte sein“, so DJV-Justiziarin Anja Westheuser. „Was das aber im Einzelfall bedeutet, mögen Autor und Redaktion natürlich sehr unterschiedlich sehen. Letztlich kann das wieder nur ein Gericht klären, wenn sich die Parteien nicht einigen.“

Horst Thoren ist stellvertretender Chefredakteur der Rheinischen Post und vertritt bei potenziellen Streitereien zwischen Redaktion und Autor einen pragmatischen Standpunkt: „Schreibt jemand unter seinem Namen eine Analyse oder einen Kommentar, darf meiner Meinung nach nicht in den Text eingegriffen werden. Bei eher nachrichtlichen Stücken liefern bei uns häufig mehrere Autoren zu und einer schreibt alles zusammen. Natürlich müssen dann die Fakten weiterhin stimmen, aber es lässt sich gar nicht verhindern, dass sprachlich etwas verändert wird, damit sich alles wie aus einem Guss liest.“ Nicht immer sei danach Zeit, allen zuliefernden Autoren noch einmal das komplette Stück vorzulegen. „Natürlich sollte im Idealfall nochmal mit dem Autor darüber gesprochen werden, aber wir sind eine Tageszeitung und stehen oft unter Produktionsdruck“, sagt Thoren. „Manchmal müssen wir da einfach pragmatisch sein.“

Worauf sollten freie Autoren achten?
Drei Tipps für den Alltag:

1.
Wenn verschiedene Redakteure Ihren Text lesen und bearbeiten, bitten Sie um gebündeltes Feedback. Das spart Zeit und Ärger.

2. Fragen Sie, ob Sie ihren Text vor dem Druck noch einmal lesen können. In Lokalredaktionen kann das aus zeitlichen Gründen schwierig werden, ansonsten sollte dafür Zeit sein. Gerade wenn ein Text durch mehrere Hände gegangen ist, lassen sich so noch einmal mögliche Fehler oder unerwünschte Zuspitzungen korrigieren.

3. Bei aufwendigeren Recherchen kann es sich lohnen, dem verantwortlichen Redakteur noch einmal kurz per Mail zu bestätigen, was man besprochen hat. Im Streitfall kann man sich darauf berufen.

Mehr zu dem Thema: Das DJV-Referat "Freie Journalisten" (Fairhaltenskodex) und Freischreiber (Code of Fairness) haben Verhaltensregeln für den Umgang zwischen Autoren und Redaktionen entwickelt.

Catalina Schröder arbeitet als Wirtschaftsjournalistin in Hamburg.

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