Stirbt der Lokaljournalismus schon wieder?
Das Magazin karla aus Konstanz wollte den Lokaljournalismus besser machen. Dann scheiterte es. Woran hat es gelegen? Wir haben mit Gründer und Redaktionsleiter Michael Lünstroth gesprochen. Text: Maximilian Münster
18.03.2024
Es schneit selten in Konstanz, sagt Michael Lünstroth, an diesem Tag im Januar aber doch. Der Motor seines Autos sei heute Morgen nicht angesprungen. Auch das noch.
Der Winter war doch bisher schon frostig genug. Vor kurzem musste er karla beerdigen, das Lokalmagazin, in das er als Mitgründer und Redaktionsleiter so viel Herzblut gesteckt hat und Journalist:innen in Deutschland große Hoffnung. Heute erzählt er dem journalist bei einem Videogespräch davon. Er unterbricht, als das Telefon klingelt. Der ADAC ist dran, wegen des Autos.
Das gibt Zeit, den Schaden am Lokaljournalismus genauer zu betrachten. Was kaputt ist, wissen alle: Es gibt kaum noch kritische Berichterstattung, Hintergrundberichte und investigative Recherchen. Lokalblättern fehlen die Seiten und das Personal dafür, die Verlage sparen es ein. Seit Jahren fährt der Karren nur noch auf zwei Zylindern.
Da erregt ein Magazin wie karla Aufsehen, das entrosten und reparieren will. Ging es in Konstanz um den städtischen Haushalt, veröffentlichte karla eine Datenrecherche dazu. Stand die Urlaubszeit bevor, fragte karla, wie die Tourist:innen über den Bodensee kommen, ohne CO2 in die Luft zu blasen. karla prüfte auch, ob es in den Kitas genug Obst und Gemüse für die Kleinen gibt. Kurz: karla lieferte Hintergründe und ließ sich nie zur schnellen Nachricht hinreißen.
Das machte auch deshalb Mut, weil karla einige Brüder und Schwestern hat. In Münster gibt es Rums, in Mannheim das Magazin bloq, in Mecklenburg-Vorpommern sind die Lokalreporter:innen von Katapult unterwegs. Die Liste ließe sich fortführen. Sie verzichten auf Werbung, lieber lassen sie sich von Spender:innen und Abonennt:innen tragen. Guter Journalismus vor Profit.
Da sind wir beim Problem: Guter Journalismus ist teuer. Wenn das Budget knapp ist, muss man entweder am Inhalt sparen oder sich selbst ausbeuten. karla wollte beides nicht und so wurde es schließlich von großen Idealen erdrückt. Als Stiftungen sich gegen die Unterstützung aussprachen, ging das Geld aus. Nach gut einem Jahr. Die Geschichte von karla ist kurz, doch sie zeigt, warum es der neue Lokaljournalismus so schwer hat.
Sie beginnt beim Blick in den Südkurier, die Konstanzer Lokalzeitung. Lünstroth hat Jahre zuvor selbst für das Blatt gearbeitet, bis es ihm 2016 mal ein Schreibverbot erteilt hat, wohl, weil er den Oberbürgermeister etwas zu scharf kritisierte. Ein mittelschwerer Medienskandal. Lange ist’s her. Heute erzählt Lünstroth von anderen Gründen. Er habe sich gedacht, es wäre schön, wenn die Medienvielfalt am Bodensee etwas größer wäre. Das dachte er sich zum Beispiel bei der Oberbürgermeisterwahl 2020. Da habe sich das Lokalblatt relativ klar für den Amtsinhaber positioniert, der schließlich auch Amtsinhaber blieb. Das hat sicher nicht der Südkurier allein zu verantworten, dazu beigetragen hat er aber doch, glaubt Lünstroth. Und dann war da noch die Sache mit der AfD-Beilage. Dem Südkurier lag 2021 mal ein Wahlblättchen der rechten Partei bei. Vor dem Gesetz sind solchen Werbeanzeigen kein Problem, für viele Leser:innen aber schon.
Lünstroth tat sich mit anderen Unzufriedenen zusammen: Journalist:innen, Unternehmer, ein Physiker war dabei, auch ein Geograf und eine Übersetzerin. Die späteren karla-Gesellschafter. Sie starteten ein Crowdfunding, an dem fast 1.100 Menschen teilnahmen. Auch eine Stiftung schoss noch etwas zu und so wuchs das Startkapital auf 100.000 Euro. Die Idee gefiel den Konstanzer:innen.
Man könnte nun unterstellen, karla sollte eine Kampfansage an den Südkurier sein, aber nein. Es sei nie die Idee gewesen, der Tageszeitung Konkurrenz zu machen. Man wollte eher die Lücke ausfüllen, die die Lokalpresse klaffen lässt. So suchte sich karla einige Schwerpunkte heraus: Schulen, Kinderbetreuung oder die Nachbarschaft zur Schweiz. karla schrieb nicht nur darüber, es lud auch mal in eine Galerie ein oder in ein altes Kino, um dort mit den Expert:innen aus den Artikeln und den Leser:innen zu diskutieren. Da hätten alle gern mitgemacht, sagt Lünstroth. Karla war irgendwann ein bekannter Name am Bodensee.
Frei, unabhängig, arm
karla, das bedeutet die Freie, denn so wolle man ja arbeiten: frei und unabhängig von Werbung. karla finanzierte sich über Abos. Als Gemeinnütziges Unternehmen rechnete es aber auch mit den Spenden derer, denen Journalismus am Herzen liegt. Leser:innen, aber vor allem gut bestückte Stiftungen. Das Problem: Von 25.000 Stiftungen in Deutschland stecken nur eine Handvoll ihr Geld in Journalismus. Die meisten haben ihn als Betätigungsfeld noch nicht entdeckt, weil es nur wenige gemeinnützige Redaktionen gibt, die sie unterstützen könnten.
„Was kaputt ist, wissen alle: Es gibt kaum noch kritische Berichterstattung, Hintergrundberichte und investigative Recherchen.“
Das hat damit zu tun, dass Gemeinnützigkeit und Journalismus in Deutschland noch nicht so recht zusammenpassen. Das Gesetz listet eine Reihe Gründe auf, warum eine Körperschaft als gemeinnützig gelten könnte. Jugendhilfe, Wissenschaft oder Demokratieförderung. Auch Schach oder Karneval. Journalismus steht nicht dabei. Deshalb ist es einem Finanzbeamten nicht weiter zu verübeln, wenn er den Antrag einer Redaktion ablehnt, und deshalb gibt es so wenige karlas in Deutschland.
Die Bundesregierung hat sich das Problem im Koalitionsvertrag notiert: „Wir schaffen Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus und machen E-Sport gemeinnützig“, heißt es da. Nun dauert die Regierungsperiode schon eine Weile. Die Rechtssicherheit von Journalismus lässt noch immer auf sich warten, und die Gemeinnützigkeit von Counterstrike auch.
Unterricht statt Recherche
Um die Chancen auf den Status der Gemeinnützigkeit zu vergrößern, engagieren sich Redaktionen noch anderweitig. Sie gehen an Schulen und erklären, wie sich Fake-News entlarven lassen. An der Uni unterrichten sie journalistischen Nachwuchs. Gesellschaftliches Engagement, das aber von der journalistischen Arbeit ablenkt. Wer vor der Schulklasse steht, schreibt keinen Aufmacher.
Lünstroth hatte auf die Rechtssicherheit gehofft: „Dann hätten auch andere Stiftungen gesehen: Okay, in Journalismus können wir investieren. Das hätte noch ganz andere Spendentöpfe eröffnet. Vielleicht hätte es karla gerettet.
karla war auf Kante genäht. Lünstroth sagt immer, Journalismus muss ohne Selbstausbeutung funktionieren. Deshalb zahlte karla um die 3.200 Euro brutto, sagt Lünstroth. Soviel, wie auch ein Zeitungsredakteur im ersten Jahr verdienen würde. Das Magazin konnte sich etwas mehr als drei Stellen leisten, auf die Redaktion entfielen anderthalb. Die teilte sich Lünstroth mit der Co-Chefin. Große Sprünge macht man da nicht. Drei, vier Texte in der Woche. „Zu oft konnten wir aufwendigere Recherchen nicht angehen, weil Ressourcen fehlten“ sagt Lünstroth.
karla hatte sich im vergangenen Jahr bei einer Reihe Stiftungen ins Spiel gebracht. Manche hatten sich schon bereiterklärt, aber nur, wenn auch andere mitmachen. Das war die Voraussetzung. Wenn es klappte, hätte karla genug Geld, um sein Angebot etwas auszubauen und weiterzumachen. Und 2025, rechnet Lünstroth, hätte karla genug Abonnenten gehabt, um sich zu finanzieren. Ganz ohne Stiftungsgelder.
Lünstroth wartete auf den Oktober, da standen die Entscheidungen an. Das Geld wurde knapper. Das Team verzichtete zeitweise auf die Gehälter, nun war man doch im Prekariat angekommen, das Lünstroth doch unbedingt vermeiden wollte. karla startete einen Spendenaufruf und sammelte nochmal 25.000 Euro ein. Soviel war es den Konstanzer:innen wert, dass es weitergeht mit ihrer karla.
Dann kamen die Absagen. Die Hertie-Stiftung, die mit dem meisten Geld, war nicht überzeugt, dass karla über Konstanz hinauswachsen und anderswo funktionieren könnte, wie es Lünstroth erklärt. Deshalb entschied sie sich gegen die Förderung. 100.000 Euro wären das gewesen. Auch die anderen sprangen ab. Im November musste Lünstroth dann eine Mail an die Abonennt:innen tippen und karlas Ende verkünden.
„Im Nachhinein kann man fragen: Hätten wir einen Plan B gebraucht? Vielleicht haben wir uns zu sehr auf die Stiftungen verlassen“, sagt Lünstroth und seufzt. Dann sagt er: „Auf der anderen Seite haben wir viele positive Signale und Rückmeldungen bekommen.“
karla eiferte großen Vorbildern nach: Correctiv zum Beispiel oder Kontext, der Stuttgarter Wochenzeitung, die den Mächtigen schon seit 2011 auf die Nerven geht. Gemeinnützigkeit und Journalismus kann also funktionieren. Wie denn?
„Zu oft konnten wir aufwendigere Recherchen nicht angehen, weil Ressourcen fehlten.“ – Michael Lünstroth, Gründer und Redaktionsleiter karla
Anruf bei Susanne Stiefel, Mitgründerin von Kontext in Stuttgart und Vorreiterin für den gemeinnützigen Journalismus in Deutschland. Lünstroth kennt sie gut, er schrieb immer mal wieder für Kontext, und Kontext schrieb über ihn, als er Schreibverbot bekam und karla gründete.
Man fühlt sich in vielem verbunden, in der Kritik an der Medienlandschaft vor der Haustüre zum Beispiel, für die man ja selbst mal gearbeitet hat. Irgendwann habe sich bei der Stuttgarter Presse abgezeichnet, dass am Inhalt gespart werde und dann war da natürlich Stuttgart 21, das Loch am Bahnhof, an dem die Zeitungen eine Zeit lang mitgebaggert haben, anstatt kritisch zu berichten, kritisiert Stiefel. Also ein eigenes Blatt gründen. Das war 2011.
Auch Kontext hatte ein verflixtes erstes Jahr, erinnert sich Stiefel, da habe man alle Fehler gemacht, die man nur machen konnte. Es haperte an der Verwaltung. Spenden, die zugesagt wurden, habe Kontext nicht abgebucht.
Damals wie heute sei die beste Werbung der Inhalt, sagt Stiefel. Damals hat Kontext den Karren rumgerissen. Die sowieso schon knappe Bezahlung wurde nochmal halbiert, da habe jeder vielleicht noch 1.000 Euro gehabt, erinnert sich Stiefel. Dann sei man in die Berichterstattung zu fünft voll reingegangen, und das was man geschrieben hat, konnte Online jede und jeder lesen.
Susanne Stiefel erzählt das auch, weil sie das mit karla natürlich verfolgt hat und bedauert. Sie glaubt, einige Fehler ausmachen zu können. Der Michael, sagt sie, der habe tolle Sachen gemacht. Aber zwei Leute in der Redaktion seien vielleicht etwas zu knapp bemessen gewesen, um voll in die kommunale Berichterstattung einzusteigen. Von der Bezahlschranke hätte sie abgeraten, wie gesagt: der Inhalt ist Werbung. Die Schulprojekte seien wichtig, aber anstrengend, wenn man sie neben dem Journalismus stemmen müsse.
Stiefel ist Vorsitzende des Forums gemeinnütziger Journalismus, einem Zusammenschluss von Projekten. Sie kämpft dort für die Rechtssicherheit der Projekte, wie sie im Koalitionsvertrag angekündigt ist. Wenn die erstmal kommt, würde sich der gemeinnützige Journalismus etablieren, das ist die Hoffnung. Überall dort, wo die Lokalzeitung tot ist, könnten kleine Medienhäuser an ihre Stelle treten. Der Lokaljournalismus würde aufblühen, anstatt zu Wüsten zu verdorren.
Stiefel hat einen Anruf verpasst, eine Stiftungsfrau habe es versucht, sagt sie. Da ruft man besser schnell zurück.
Leyla Dogruel zweifelt, ob die Gemeinnützigkeit allein den Lokaljournalismus retten wird. Sie ist Professorin für Kommunikationswissenschaften an der Uni Erfurt. Klar, die Stiftungslandschaft habe viel Geld, sagt sie, und Journalismus dürfte als Fördermöglichkeit für sie interessant sein. Aber das Problem bleibt doch, dass Stiftungen ihre Gelder an Projekte knüpfen werden. An eine investigative Recherche oder so etwas. Dogruel sieht aber mehr Bedarf beim Alltagsjournalismus. Auch Lünstroth sagt das: „Was der Stiftungslandschaft bislang fehlt, sind Programme für die langfristige Redaktionsarbeit – dass man Geld bekommt und mal drei Jahre Zeit hat, sich zu etablieren, ohne sich ständig neue Kampagnen und Projekte ausdenken zu müssen.“
Kann die Presseförderung helfen?
Gut möglich, dass es irgendwann mehr solcher Programme geben wird. Dogruel hat aber auch noch eine andere Lösung. Vor vier Jahren hat sie an einem Gutachten mitgearbeitet, das Möglichkeiten einer Presseförderung durchspielt. Staatliches Geld für den Lokaljournalismus. Für viele Journalist:innen ist die Vorstellung so unangenehm, wie 100 Zeilen über die Jahreshauptversammlung der Schützen. Die Befürchtung: Presseförderung macht abhängig. Im schlimmsten Fall will der Staat mitreden und wenn ihm nicht passt, was geschrieben wird, streicht er die Gelder einfach weg.
Doch man müsse nur ins Ausland schauen, sagt Dogruel. In Dänemark zum Beispiel, da gebe es doch auch eine Förderung. Der Trick ist, Gelder nicht dafür auszuzahlen, was geschrieben wird, sondern dafür, dass geschrieben wird. Redaktionen kriegen Geld dafür, dass sie existieren. In Dogruels Gutachten stehen Kriterien dafür. Gelder könnten an die Bedingung geknüpft werden, dass Journalist:innen selbst recherchieren und nicht einfach die Agenturmeldung abschreiben. Das würde die Qualität fördern. Man könnte Zahlungen auch davon abhängig machen, dass Redaktionskosten anfallen – dass also bezahlte Redakteure tätig sind. So würde der Staat vermeiden, dass jedes private Newsportal Geld einstreicht. Und man könnte Zahlungen an ein Mindestpublikum binden. Ein paar Leute sollten ein Medium schon lesen, damit es Relevanz hat. Eine Zahl von 1.500 Leser:innen wäre denkbar, sagt Dogruel.
Dogruel glaubt, die Sache mit dem Lokaljournalismus ließe sich in den Griff kriegen, mit einer Kombination aus staatlicher Förderung, der Rechtssicherheit gemeinnütziger Projekte und Menschen, die Abos abschließen. Jetzt wäre kein schlechter Zeitpunkt, dass sich was tut. Correctiv brachte Hunderttausende auf die Straße und überzeugte Deutschland vom Wert guten Journalismus‘. Doch da klafft eine Haushaltslücke und solange das so ist, seien zumindest die Chancen auf eine Förderung schlecht. Medienpolitik werde erfahrungsgemäß sowieso eher hinten angestellt, sagt Dogruel.
„Viele Menschen fühlen sich vom Journalismus, wie er gerade ist, nicht abgeholt“, sagt Lünstroth. Ohne, dass der Staat etwas tut, wird sich daran nichts ändern.
Mittlerweile war der ADAC-Mann da. Das Auto ist wieder angesprungen.
Manchmal braucht es etwas Hilfe von Außen, damit es wieder läuft.
Maximilian Münster arbeitet als Journalist in Berlin.