"Noch gibt es die Chance, geschlossen Nein zu sagen"
DJV-Justiziarin Hanna Möllers: "Wie soll ein Autor seinen Widerspruch erklären, wenn die Anstalt, für die er Inhalte produziert, nicht mitmacht?" (Foto: Marissa Kimmel)
Generative KI-Modelle brauchen für ihr Training massenhaft Daten. Sie beantworten Fragen schließlich mithilfe der Inhalte, mit denen sie gefüttert wurden – und die oft auch aus der Arbeit von Journalist:innen stammen. Doch die KI-Hersteller:innen zahlen keinen Cent für die bislang frei zugänglichen Trainingsdaten. Dabei bietet das Urheberrecht die Möglichkeit, dem Nutzen der Inhalte zu widersprechen. Der DJV fordert Rundfunk und Verlage auf, dies geschlossen zu tun. Doch bislang beißt der Verband damit auf Granit, wie ein aktuelles Antwortschreiben der Intendant:innen durch ARD-Chef Kai Gniffke zeigt, das dem journalist vorliegt. Text: Mia Pankoke
22.11.2024
Wie eine Dampfwalze haben generative KI-Modelle Redaktionen überrollt. Erst war da die große Angst vor Jobverlusten, dann der Hype über all die Effizienzgewinne, inzwischen haben sich viele Redaktionen mit Verhaltenskodizes und sogar eigenen Modellen einigermaßen eingerichtet. Damit scheint die Diskussion beruhigt. Dabei gilt weiterhin: KI wird journalistisches Arbeiten grundlegend verändern. „Wenn wir nicht aufpassen, trainieren Journalist:innen gerade die KIs, die sie später ersetzen“, warnt Hanna Möllers, Justiziarin beim DJV. Der Verband fordert daher Rundfunkanstalten und Verlage auf, sich den Tech-Giganten, die mit ihren Inhalten Profite machen, entgegenzustellen. Möllers hat in einem Brief alle Rundfunkanstalten unter anderem gefragt, ob sie Gebrauch vom maschinenlesbaren Vorbehalt für das Training von KI-Modellen machen. Die Antworten der Intendant:innen bezeichnet sie als erschreckend. Mit Ausnahme der Deutschen Welle erklären alle Intendant:innen, keinen Widerspruch gegen das sogenannte Text und Data Mining eingelegt zu haben. Sie betonen aber auch, dass dies lediglich eine derzeitige Haltung ist, die sie regelmäßig evaluieren.
Die Widerspruchsmöglichkeit
Journalistische Texte und Inhalte sind in Deutschland urheberrechtlich geschützt. Unter gewissen Umständen dürfen laut Paragraph 44b des Urhebergesetzes Dritte allerdings gewisse Informationen daraus gewinnen. Doch die Urheber können dem Text und Data Mining widersprechen. Nur, was simpel klingt, ist technisch für den Einzelnen ziemlich kompliziert. „Wie soll ein Autor seinen Widerspruch erklären, wenn die Anstalt, für die er Inhalte produziert, nicht mitmacht? Das ist dann beinahe unmöglich“, sagt Hanna Möllers. Dabei wäre dies dem DJV zufolge dringend notwendig. „Wir müssen schließlich von unseren Recherchen leben können.“
Mit Ausnahme der Deutschen Welle erklären alle Intendant:innen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, keinen Widerspruch gegen das sogenannte Text und Data Mining eingelegt zu haben.
In seinem Antwortschreiben vom 26. September erklärt der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke aber anhand mehrerer Aspekte, wieso es bei den Anstalten keinen solchen Widerspruch gibt und auch keiner geplant ist. Er verweist im Namen aller Intendant:innen unter anderem auf die Ausgewogenheit der von KI produzierten Antworten. „Mit Blick auf den Auftrag und die Finanzierung durch die Allgemeinheit ist es aus Sicht der ARD gerade im Zeitalter von Fake News und Hate Speech wichtig, dass auch die öffentlich-rechtlichen Inhalte zu den Trainingsdaten gehören“, schreibt Gniffke. Die Intendant:innen argumentieren also mit dem Informationsauftrag – und zweifelsohne informieren sich immer mehr Menschen anhand von KI-Anwendungen.
Möllers lässt dieses Argument trotzdem nicht gelten: „Wir können ohnehin nicht kontrollieren, welche Inhalte wo und in welchem Zusammenhang auf welche Frage erscheinen“, sagt sie. Zudem betrachte diese Argumentation das Thema nur kurzfristig. „Was, wenn die KI, die wir selbst trainieren, dann zu großen Finanzierungsproblemen bei den privaten und Rechtfertigungsproblemen bei den öffentlichen Medien führt?“ Dann falle eine riesige Zahl Journalist:innen weg, und man könne der Informationspflicht überhaupt nicht mehr nachkommen, warnt sie. Schließlich sinkt mit der Zahl der Jounalist:innen langfristig auch die Zahl verlässlicher Quellen und derjenigen, die sich Entwicklungen neu anschauen. KI kann nur reproduzieren und nicht eigenständig auf gesellschaftliche Missstände hinweisen. Zudem verstärken KI-generierte Texte Möllers zufolge bestehende gesellschaftliche Vorurteile.
DJV für Nutzungsvorbehalt
Ein Argument der Intendant:innen alarmiert die Justiziarin aber besonders: die Auffindbarkeit. Im Schreiben von Gniffke heißt es dazu unter anderem, die Auffindbarkeit von öffentlich-rechtlichen Inhalten sei für die Legitimation sowie den demokratischen Diskurs von hoher Bedeutung. Der ARD-Vorsitzende argumentiert in diesem Zusammenhang mit dem Wegfallen der Suchmaschinen: „Vor diesem Hintergrund nimmt die ARD ihre Inhalte nicht vom Training aus und ermöglicht so das Backlinking zu ihren Inhalten, wenn diese als Quelle für KI-Antworten genutzt werden“, schreibt er.
Kai Gniffke: „Wichtig, dass auch öffentlich-rechtliche Inhalte zu den Trainingsdaten gehören.“
Möllers glaubt hingegen, dass Rezipienten künftig trotzdem immer weniger wissen, wer die Informationen ursprünglich recherchiert und bereitgestellt hat. Schließlich stellen die Modelle die Informationen bereit. Niemand muss dafür auf die Links klicken. Mit Blick auf die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sei dies brandgefährlich. „Wir sehen ohnehin ein Rechtfertigungsproblem im Hinblick auf die Gebühren in Teilen der Gesellschaft“, sagt sie. „Wenn niemand mehr sieht, dass die konsumierten Informationen vom BR, ZDF oder Deutschlandradio stammen, wird dieser Trend zunehmen.“ Auch deswegen macht der DJV sich für den allgemeingültigen Nutzungsvorbehalt stark, der der Verwendung zum KI-Training widerspricht.
„Diese Angst davor, nicht mehr auffindbar zu sein, zeigt doch in dramatischer Weise, wie groß die Marktmacht der KI-Anbieter schon ist“, betont Hanna Möllers. „Aus Angst alle Informationen frei hinzuwerfen, ist aber auch keine Lösung.“ Wenn die Rundfunkanstalten gemeinsam mit den Verlagen ihre Inhalte entziehen würden, wären die Tech-Firmen deutlich eher zu Verhandlungen bereit, glaubt sie. „Noch gibt es die Chance, geschlossen Nein zu sagen“, sagt sie. Die Firmen sollen gern die Inhalte nutzen und auch Profite damit machen, so die DJV-Justiziarin. „Sie müssen aber Journalisten ermöglichen, an den Profiten teilzuhaben.“ Wer aber massenhaft hochwertige Texte kostenlos hergebe, verschlechtere die Verhandlungsposition aller.