Mehr Vielfalt ins Lokale

Die Jugendredaktion Salon5 von Correctiv lebt von ihrer Diversität - doch die fehlt in vielen Lokalredaktionen noch. (Foto: Salon5; Holger Talinski)

Lokalredaktionen haben den Ruf, nicht besonders divers zu sein. Dabei wäre es leicht, Menschen und Themen zu finden, die ihre Berichterstattung vielfältiger machen. Text: Mia Pankoke

13.01.2025

Ein S-Bahn-Plan, Hinweise zu Supermärkten und Anlaufstellen, ein Text zur Stadtgeschichte und Ausflugstipps – alles auf Ukrainisch. 20 000 Exemplare eines solchen Magazins wurden im Frühjahr 2022 in Köln an Unterkünfte oder direkt an geflüchtete Menschen verteilt. Herausgegeben hat es der Kölner Stadt-Anzeiger nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges. Es sollte ukrainischen Geflüchteten, die neu in Köln ankamen, bei der Orientierung helfen. Über das einmalige Magazin hinaus hat die Lokalzeitung auch online ein gutes Jahr lang ausgewählte Beiträge für ukrainische Geflüchtete in der Region auf Deutsch, Ukrainisch und Russisch bereitgestellt.

„Wir möchten die Communitys mit ihren Themen, Bedürfnissen und Problemen im Blick haben.“

Solche Artikel waren nicht das erste Vorhaben dieser Art beim Kölner Stadt-Anzeiger. Vor einigen Jahren druckte die Zeitung türkischsprachige Beiträge im Rahmen des Kölner Kulturfests Birlikte ab. Dieses Gedenk- und Kulturfest erinnert einmal im Jahr an die NSU-Morde in der Kölner Keupstraße. Überhaupt macht man sich beim Kölner Stadt-Anzeiger viele Gedanken darüber, wie man zum Beispiel die türkischsprachige Community vor Ort erreicht. „Wir möchten sie mit ihren Themen, Bedürfnissen und Problemen im Blick haben“, betont Sarah Brasack, stellvertretende Chefredakteurin. Aus diesem Grund brach sie Mitte November auf eine Studienreise in die Türkei auf. „Zur Berichterstattung gehört es in meinen Augen auch, sich intensiv über die Geschichte der Türkei und etwa die Spannungen zwischen Türken und Kurden zu informieren“, sagt sie.

Zudem bemühe sich die Redaktion, viele Menschen mit Migrationsgeschichte zu Wort kommen zu lassen. Schließlich bieten Lokalmedien den Menschen dort, wo sie wohnen, soziale Orientierung – oder sollten es zumindest. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, müssen sie alle gesellschaftlichen Gruppen erreichen – auch ein jüngeres und vor allem diverses Publikum.

„Es reicht nicht, zu sagen: Kommt her und bewerbt euch“

„Diversität bedeutet nicht nur Sprache, Herkunft, Sexualität oder Alter – sie umfasst alle Aspekte des menschlichen Lebens“, sagt auch Hatice Kahraman, Redaktionsleiterin bei Salon5, der Jugendredaktion des Recherche-Kollektivs Correctiv. „Journalismus hat die Aufgabe, das abzubilden.“ Kahraman setzt sich schon seit langem für mehr Vielfalt in der Medienlandschaft ein, ist mit Blick auf den mangelnden Fortschritt der vergangenen Jahre aber manchmal frustriert. „Als jemand, die seit ihrer Teenagerzeit Journalistin werden wollte, muss ich leider sagen, dass ich in all den Jahren kaum Veränderung gesehen habe“, sagt sie. Sie könne die Podiumsdiskussionen, an denen sie zu dem Thema teilgenommen habe, schon gar nicht mehr zählen. „Und immer heißt es dort: Die Redaktionen müssen diverser werden. Wirklich gemacht wird aber nicht viel“, so Kahraman.

Wenn man die Hürden senken würde, sich journalistisch auszuprobieren und das Handwerk zu lernen, kämen Diversität und Inklusion automatisch mit einher – davon ist Kahraman überzeugt. „Es reicht nicht zu sagen: Kommt her und bewerbt euch“, sagt sie. „Solange wir als Journalistinnen und Journalisten in unseren Glastürmen sitzen und auf die Menschen hinabschauen, wird das nichts.“

Und man müsse auch die andere Seite mitdenken: Die Menschen, die man interviewt, selbst mehr erzählen zu lassen. „Ich habe Journalismus immer als einen Beruf verstanden, bei dem es darum geht, mit Menschen zu reden, ihnen zuzuhören. Aber dieses klassische Ich gehe ins Gespräch – das passiert immer weniger“, so Kahraman.

Wie es anders geht, zeigt die von ihr geleitete Jugendredaktion. Seit 2020 lernen junge Menschen zwischen 13 und 18 Jahren hier journalistisches Arbeiten. Sie schreiben, recherchieren, nehmen TikTok-Videos und Podcasts auf und wählen Musik für einen eigenen Web-Radiosender aus. „Die Jugendlichen lernen, dass ihre Probleme und Sorgen und das, was bei ihnen vor Ort los ist, oft in einem größeren Zusammenhang steht“, sagt Kahraman. Und: Die Jugendredaktion ist extrem divers. Ihre Mitglieder stammen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, gehören mehreren Religionen an und kommen aus allen Teilen des Ruhrgebiets.

Das liegt nicht etwa daran, dass Salon5 auf Quoten setzt. Es hängt damit zusammen, wie die Jugendlichen zur Redaktion kommen. Die meisten finden ihren Weg über Schulworkshops oder Social Media. „Bei unseren Workshops gehen wir gezielt an Schulen, die finanziell gesehen nicht viele Möglichkeiten haben – oft in Gebieten, wo Familien mit geringem Einkommen leben“, sagt Kahraman. Durch die gezielte Ansprache und enge Zusammenarbeit mit den Schulen hätten sie es geschafft, eine diverse Gruppe zusammenzubringen. „Dabei hilft unser niedrigschwelliger Ansatz“, sagt sie. „Keine langen Bewerbungsprozesse, keine hohen Hürden.“

Beste Voraussetzungen, um Vielfalt abzubilden

Auch Abby Baheerathan glaubt, dass Vielfalt im Lokaljournalismus eigentlich besonders einfach abzubilden ist. Baheerathan hat bei den Öffentlich-Rechtlichen volontiert, davor aber schon bei mehreren Lokalradios gearbeitet. „In lokalen Redaktionen hat man direkten Kontakt zu Entscheidungsträgern, Vereinen und der Gemeinschaft. Das eröffnet die Möglichkeit, vielfältige Geschichten zu erzählen und verschiedene Perspektiven einzubringen“, sagt Baheerathan.

They widerspricht vehement dem Klischee, Lokalredaktionen seien eher etwas verstaubt und konservativ – aus eigener Erfahrung. Baheerathan nutzt für sich selbst keine Pronomen und die Ansprache they/them. Bei einem lokalen Radiosender sei das kein Problem gewesen, sagt Baheerathan. „Ich habe gesagt, wie ich angesprochen werden möchte, und es gab keine Nachfragen, keine Diskussion.“ Das habe auch an den flachen Hierarchien und engen Beziehungen gelegen.
In einer anderen Redaktion hingegen sei es für Baheerathan ab und zu ein regelrechter Kampf gewesen. „Es gab viele Missverständnisse und unangenehme Situationen“, sagt Baheerathan. They stieß einen Workshop zu gendersensibler Sprache an. „Dort verlangte dann ein Mitarbeiter als Reaktion auf das they, ich solle ihn mit dem majestätischen Plural – also ‚Ihr‘ ansprechen.“ Baheerathan betont aber, dass dort auch sehr viele offenere Menschen arbeiteten.

Mehr Mut von Lokalredaktionen gefordert

Nach Abschluss des Volontariats legt Baheerathan eine Journalismus-Pause ein und gibt Medienkompetenz-Workshops für Kinder und Jugendliche. „Langfristig möchte ich wieder bei den Öffentlich-Rechtlichen arbeiten, aber erst schaue ich mich im Lokalen um.“ Denn gebe es mehr Raum, um vielfältige Stimmen einzufangen und die Sender zu einem echten Spiegel der Gesellschaft zu machen.

Vom Lokaljournalismus wünscht sich Baheerathan mehr Mut, neue Formate auszuprobieren, auf verschiedenen Plattformen präsent zu sein und offen zu sein für alle Perspektiven. Ähnlich, wie Kahraman von Salon5 setzt auch Baheerathan auf die Jugend, wenn es um eine diverse Zukunft im Lokalen geht. „Ehrlich gesagt habe ich den Glauben an die alte Generation teils verloren“, sagt Baheerathan.

Jugendredaktionen seien der beste Weg, um in ein paar Jahren eine Veränderung zu sehen. Redaktionen sollten dafür aktiv Werbung in Schulen, Vereinen und Jugendzentren machen. Gleichzeitig brauche es jetzt schon eine inklusive Arbeitsumgebung in Redaktionen. „Essenziell sind regelmäßige Workshops zu Unconscious Bias, also unbewussten Vorurteilen“, betont Baheerathan, „denn sie beeinflussen die journalistische Arbeit bei jedem.“ Außerdem müsse man das Team divers besetzen. „Es ist so simpel; Diversität in den Redaktionen führt zu einem breiteren Spektrum an Themen und Blickwinkeln“, so Baheerathan. „Und dabei geht es nicht nur um Queerness und Migration, sondern auch um andere Aspekte wie Armut oder Ableismus.“ 

Die Themen zu finden, ist ganz leicht

Auch bei Salon5 spiegeln die Inhalte die Diversität der Jugendredaktion wider. Die Redaktion will vielfältige Lebensrealitäten abbilden und inklusive Sprache nutzen, das bringen laut Kahraman viele der Jugendlichen von sich aus mit. „Einmal im Monat veranstalten wir eine Themenkonferenz, bei der die Jugendlichen selbst die Themen vorschlagen und entwickeln. Es gibt keine Vorgaben“, so die Redaktionsleiterin. In den Podcasts beispielsweise geht es mal um Frauenhass und Antifeminismus, mal um die Arbeit eines ehemaligen Bergmanns namens Jörg oder um die Jugendhilfe in Bottrop. Auf diese Weise entsteht eine große thematische Vielfalt, die laut Kahraman die tatsächlichen Interessen und Anliegen der jungen Zielgruppe abbildet.

Die Ausrede, man könne gerade im Lokaljournalismus nicht alles leisten, wie man gerne würde, lässt Nalan Sipar nicht gelten. „Die Frage nach der Machbarkeit ist Kern des Problems“, sagt sie. Sie kenne kein Medienhaus, das sich dem Thema Diversität mit ausreichend personellen und finanziellen Ressourcen stellt. Sipar arbeitete für verschiedene Formate des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, moderierte etwa die erste deutsch-türkische Radiosendung für Kinder. Heute betreibt sie mehrere eigene deutsch-türkische Formate, darunter einen YouTube-Kanal, und hat das Medienstartup Medyan gegründet. Es soll eine Art deutsch-türkisches Arte werden.

„Ich komme selbst aus der Community und weiß deshalb, was sie bewegt“, sagt Sipar. Viele Journalistinnen und Journalisten wissen das aber nicht. Daher findet Sipar es gut, wenn Redaktionen und auch Startups Design-Thinking-Prozesse durchlaufen, um die Interessen der Zielgruppen zu verstehen – „Inklusive Test-Phasen, in denen verschiedene Inhalte verglichen werden“, sagt sie. „Die Sprache bleibt dabei ein Schlüssel zu den Communitys. Dank KI ist es mittlerweile kinderleicht, Inhalte zu übersetzen.“ Die Methoden, um das Ziel zu erreichen, seien schon da. Man müsse sie nur anwenden.

Auch der Kölner Stadt-Anzeiger könnte sehr von KI profitieren. Denn verglichen mit dem nötigen Aufwand sei die Zielgruppe, die das lokale Medium mit seinen übersetzten Texten über die Region erreichen könne, dann doch klein, so sagt es die stellvertretende Chefredakteurin Brasack. Aber sie glaubt, dass technische Hilfsmittel das bald ändern könnten: „Wir hoffen, dass wir mit Hilfe von KI bald niedrigschwellige Angebote machen können“, sagt sie. Zum Beispiel könne man dann Texte bereits auf ksta.de direkt in die Muttersprache der Lesenden übersetzen lassen.

Mia Pankoke ist Redakteurin der Wirtschaftsredaktion Wortwert in Köln.