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Mangelwirtschaft

Während die Produktionskapazitäten für grafische Papiere europaweit stark rückläufig sind, boomt die Verpackungsindustrie.

Verlage bundesweit haben ein Problem: Sie brauchen dringend Papier – und tiefe Taschen. Denn die Preise haben sich mehr als verdoppelt. Wie es so weit kommen konnte und wie die Medienhäuser reagieren. Text: Anna Friedrich.

20.10.2022

Eigentlich sollte es diesen Brief nicht geben. So beginnt ein Verleger sein Erklärschreiben, in dem er den Abonnenten seines Magazins erläutert, warum der Verlag die Abopreise anzieht. Im September 2021 hatte sich der Verlag noch gegen eine Preiserhöhung entschieden. Doch nun rechnet er vor: Papierpreis plus 40 Prozent, Farbe und Druckplatten plus 30 Prozent, Stromkosten plus 400 Prozent. Der Verlag könne die Mehrkosten nicht mehr allein abfangen – die Leser müssen mithelfen.  

Fakt ist: Der Preis für Zeitungsdruckpapier hat sich zwischen Juli 2021 und Juli 2022 mehr als verdoppelt. Zum Vergleich: Andere grafische Papiere und Pappen haben sich nur um 56 Prozent verteuert. Druckereien berichten von 160 bis 170 Euro pro hundert Kilogramm Papier, statt 70 bis 80 Euro. Hinzu kommt eine "ungünstige Kombination" weiterer Faktoren, wie Produktionsleiter Hans Dreier von der DFV Mediengruppe erklärt: Zellstoff ist seit der Coronapandemie ein knappes Gut. Der Rohstoff steckt unter anderem in Hygieneartikeln wie Klopapier und Mundschutzmasken. Hinzu kommt, dass die Papiernachfrage auf dem gesamten Weltmarkt steigt, gleichzeitig haben viele Papierfabriken ihre Produktion auf Verpackungsmaterial umgestellt. Altpapier ist Mangelware. Anfällige Lieferketten lassen die Logistikkosten steigen, und auch Lieferfristen bis zu sechs Monaten gehören zum Alltag der deutschen Drucker. Mit dem Krieg in der Ukraine sind zudem nicht nur die Energiekosten gestiegen, sondern auch Rohstoffe aus der chemischen Industrie knapp, die für Druckplatten und Farben gebraucht werden.

"Diese Entwicklung ging und geht auch an uns als DFV Mediengruppe nicht spurlos vorbei", sagt Dreier. Zum Frankfurter Verlagshaus gehören dutzende Fachtitel, unter anderem Lebensmittel Zeitung, Textilwirtschaft und Horizont. Über alle gedruckten Verlagstitel hinweg sind die Papierkosten um 80 bis 100 Prozent gestiegen. Dreier rechnet im kommenden Jahr mit weiteren, noch nicht absehbaren Preissteigerungen aufgrund der immer noch steigenden Energiekosten. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet von ähnlichen Preissteigerungen: plus 65 Prozent innerhalb eines Jahres bei Magazinpapieren, mehr als 80 Prozent beim Zeitungspapier. Da die Energie im Winter knapp werden könnte – und damit womöglich die Herstellung von Zeitungspapier stockt – hat der Verlag seine Papierreserven aufgestockt.

"Wir bekommen nicht so viel Papier, wie wir bräuchten."

Sebastian Senff, Geschäftsführer Druckhaus Sportflieger

Die Verlage erleben eine Kostenexplosion, die sie irgendwie auffangen müssen. Carsten Lohmann, Geschäftsführer der J. C. C. Bruns Betriebs-GmbH, die unter anderem das Mindener Tageblatt verlegt, findet klare Worte: "Jede einzelne Entwicklung für sich ist schwierig, doch die Summe ist toxisch." Die Dimension dessen, was jetzt schon passiert und potenziell noch passieren wird, sei historisch, so der Verlagschef. Er rechnet vor: Wenn die Preise auf dem aktuellen Niveau bleiben und die Energiekosten weiter nach oben gehen, sei das durch keine Preiserhöhung mehr reinzuholen.  

Gefahr, dass die Leser abspringen

Nun heben einige Verlage in der Konsequenz beispielsweise ihre Beilegerpreise an, legen die gestiegenen Kosten zumindest teilweise auf die Werbetreibenden um. Denn die sind in der Regel weniger preissensibel. Exemplarisch lässt sich das an den Preisen für Beileger beim Spiegel erkennen: Die sind im Vergleich zum Vorjahr um rund vier Prozent gestiegen. Bei den Lesern funktioniert das nicht so leicht. Wer nämlich den Preis erhöht, läuft Gefahr, dass Leser abspringen. Bei Einzeltiteln scheint die Preissteigerung noch verkraftbar: Die Bild am Sonntag kostet seit Mai inzwischen 2,65 Euro (vorher 2,45 Euro), die Welt am Sonntag ebenfalls seit Mai 5 Euro (vorher 4,80 Euro), der Spiegel seit April 6,10 Euro (vorher 5,80 Euro). Die Abopreise haben sich dagegen gar nicht bis kaum verändert. Wer dennoch erhöht, muss sich seinen Lesern eben genau erklären – und hoffen, dass die Abonnenten mitgehen.

Wer die Preisnotbremse nicht ziehen will, muss an anderer Stelle reduzieren: etwa bei der Höhe der Auflage oder bei der Seitenzahl der Hefte. Gruner + Jahr reduziert "in Einzelfällen" Heftumfänge oder passt Formate an, um Papier zu sparen, heißt es vom Hamburger Baumwall. Die DuMont Mediengruppe, bei der unter anderem der Kölner Stadt-Anzeiger erscheint, legt die lokale und sublokale Berichterstattung zusammen. Die FAZ versucht die Kostensteigerungen durch Produktionsoptimierungen abzufangen. "So konnten wir es bislang vermeiden, dass die Papierpreissituation auch Auswirkungen für unsere Leserinnen und Leser hat", sagt Andreas Gierth, Leiter Herstellung und Strategischer Einkauf bei der FAZ. "Unsere Produkte erscheinen weiterhin im gewohnten Umfang und in gewohnter Frequenz."

Nicht wie gewohnt läuft allerdings die Planbarkeit. Hier sind Flexibilität und Geduld gefragt. "Der Markt ist viel schnelllebiger und unberechenbarer als noch vor ein bis zwei Jahren", sagt Gierth. "Insofern ist es deutlich schwieriger geworden, langfristig seriös zu planen – sowohl bei den Verfügbarkeiten als auch hinsichtlich der Kosten." Selbst bei konkreten Anfragen und Aufträgen erhalte die FAZ vorab keine verbindlichen Preise, sondern teilweise erst bei Anlieferung an die Druckerei. "Insgesamt müssen wir bei unserer Planung einen deutlich längeren Vorlauf einplanen als bisher", so Gierth. Und: auch mal auf andere Papiersorten ausweichen, vor allem bei Beilegern.  

"Drucken könnte zum Luxusgut werden."

Hanns-Reinhard Kopp, Geschäftsführer Druckerei Kopp

Auch Gruner + Jahr greift zu Alternativen, um seine Publikationen in gewohntem Umfang herausgeben zu können: "Unsere Papierabteilung stellt die Versorgung trotz der aktuell angespannten Lage des Papiermarkts sicher. Dabei kann es zu Veränderungen der gewohnten Papiersorten oder zur Reduzierung der Grammaturen kommen", heißt es vom Verlag.

Sebastian Senff, Geschäftsführer vom Druckhaus Sportflieger, hat 99 Papiersorten im Programm, doch momentan kann er nicht alle anbieten. "Wir bekommen nicht so viel Papier, wie wir bräuchten", sagt Senff. Er kauft Papier beim Großhandel oder direkt bei den Papierfabriken, und die setzen inzwischen weniger auf grafische Papiere, sondern vermehrt auf Kartonagen. Senff nennt das den "Amazon-Effekt": Als die Geschäfte wochenlang geschlossen hatten, bestellten die Deutschen so viele Waren online wie noch nie. Der Umsatz im E-Commerce hat hierzulande laut dem Institut der deutschen Wirtschaft im Jahr 2020 um 25,5 Prozent zugelegt, 2021 waren es noch mal 19 Prozent mehr. Das bedeutet: Der Bedarf von Händlern nach Kartons für den Warenversand stieg rapide – und traf auf Interesse der Papierhersteller. Die verdienen an Kartonagen nämlich mehr als an grafischem Papier.  

"Keiner weiß, ob er im Herbst oder Winter noch produzieren kann."

Winfried Schaur, Präsident Die Papierindustrie  

Hinzu kam das einbrechende Geschäft auf der anderen Seite: Unternehmen ließen nach Corona-Ausbruch keine Kataloge mehr drucken, denn Messen und Außentermine fanden nicht statt. Werbeflyer brauchte auch niemand, denn Veranstaltungen gab es keine. Viele Einzelhändler hatten zu, und damit lagen auch keine Prospekte aus. Also rüsteten viele Papierfabriken ihre Maschinen auf die Produktion von Kartonagen um – zehn Millionen Tonnen zusätzlich, rechnet Senff vor, die zu Lasten der grafischen Papiere gingen. "Das müssen wir jetzt ausbaden", sagt Holger Kern, der die Saarländer Druckerei Kern führt. 4.000 Tonnen Papier bedruckt er im Jahr, Jahresumsatz: 15 Millionen Euro.

Die Papierhersteller verdienen mit Kartonagen mehr als mit Papier. Wie viel mehr, will zwar niemand genau beziffern, aber: "Es muss sich lohnen, denn eine Papiermaschine umzurüsten, kostet Millionen Euro", sagt Senff. Während Kartonagen also lukrativ sind, ist bei grafischen Papieren eher das Gegenteil der Fall. Die Margen im Druckbereich sind vergleichsweise gering: Sie liegen zwischen drei und fünf Prozent. "Die Gewinnspanne ist so klein, dass wir die Papierpreise komplett an unsere Kunden weitergeben müssen", sagt Hanns-Reinhard Kopp, Chef der Druckerei Kopp in Köln.  

Jahrespreise gibt es schon lange nicht mehr, inzwischen zählt der Tagespreis. "Wenn ich mittags ein Angebot schreibe, der Kunde sich aber erst am nächsten Tag zurückmeldet, bekomme ich den Preis vom Vortag oft nicht mehr", sagt Kopp. Deshalb steht unter zahlreichen Angeboten eine einschränkende Klausel wie: Dieser Preis gilt nur bis heute, 18 Uhr. Oder: Dieser Preis gilt nur bei entsprechender Verfügbarkeit. Die Druckerei Kern gibt die Papierkosten komplett an die Kunden weiter. "Dafür halten wir unsere Produktionskosten konstant", sagt Holger Kern. Heißt: Gestiegene Energiepreise, Personalkosten, knappe Ersatzteile – die Mehrkosten dafür fängt Kern selbst ab. Zumindest bislang noch: "Unsere Produktionskosten sind um 15 bis 20 Prozent gestiegen. Das können wir mal eine Zeit lang verkraften, aber 2023 müssen wir sie wohl an die Kunden weitergeben."

Kommt die Gas-Triage?

Auch die langen Lieferzeiten machen Kern zu schaffen, auch wenn Papier im Sommer schneller verfügbar war als in der ersten Jahreshälfte. Die Druckerei verarbeitet viele Sonderformate. "Wenn wir das Sonderformat von der Fabrik nicht bekommen, müssen wir auf das nächstgrößere Format ausweichen – und das kostet dann natürlich mehr." Kern hat die Misere kommen sehen, wie er sagt, und vorsorglich im Frühjahr sein Lager gefüllt. Statt Papier auftragsbezogen einzukaufen, ging er ins Risiko und kaufte alles, was er kriegen konnte. "Jetzt habe ich massenhaft teures Papier im Lager. Wenn der Preis fallen sollte, ist mein Gold nichts mehr wert", sagt er.  

"Jede einzelne Entwicklung für sich ist schwierig, doch die Summe ist toxisch."

Carsten Lohmann, J.C.C. Bruns Betriebs-GmbH    

Als wären der Preisschock und die geringe Verfügbarkeit nicht schon Problem genug, droht nun weiteres Ungemach. Die Papierherstellung ist abhängig von Wärme und Gas. Um eine Tonne Papier herzustellen, braucht man rund 2.600 Kilowattstunden Energie. "Wenn die Gas-Triage kommt, wird es schwierig für uns", sagt Kern. Er prognostiziert ein düsteres Jahr: Erholung sei nicht in Sicht. Auch Druckerei-Chef Kopp blickt ähnlich pessimistisch nach vorne: "Drucken könnte zum Luxusgut werden", sagt er.  

Der Verband Die Papierindustrie schlägt ebenfalls Alarm. "Angesichts der drohenden Gasknappheit sind die Unternehmen zutiefst verunsichert. Keiner weiß, ob er im Herbst oder Winter noch produzieren kann", sagt Verbandspräsident Winfried Schaur. Ein Gas-Stopp würde die Papierproduktion praktisch zum Erliegen bringen. Zahlreiche lebenswichtige Produkte – etwa für die Lebensmittelversorgung und Hygiene – wären dann nicht mehr verfügbar. Auch gedruckte Medien wären von einem Produktionsstopp betroffen. Angesichts der angespannten Lage fordert der Bundesverband Druck und Medien (BVDM), wieder mehr Papier aus China zu importieren. Seit dem Jahr 2017 gelten Einfuhrzölle auf den Import von gestrichenen Feinpapieren, um einen Preisverfall auf dem deutschen Markt zu verhindern. Eigentlich sollten die Antidumpingmaßnahmen Anfang Juli auslaufen, doch die Europäische Kommission prüft nun den Antrag von fünf europäischen Papierherstellern, die an den Zöllen festhalten wollen. Der BVDM reagiert mit Kritik: "Was jetzt zählt, ist die ausreichende Versorgung mit bezahlbarem Papier, um weiterhin die Druckproduktion – und damit auch einen wichtigen Markt der Papierindustrie – aufrechtzuhalten", sagt BVDM-Hauptgeschäftsführer Paul Albert Deimel. "Wir appellieren an die EU-Kommission, die Einfuhrzölle auslaufen zu lassen."  

Ob Papierimporte aus Fernost das Problem lösen oder nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind, dürften die kommenden Monate zeigen.

Anna Friedrich ist Redakteurin in der Kölner Wirtschaftsredaktion Wortwert.  


 

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