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Geschichten gegen den Hass

Bastian Berbner sagt: "Radio war für mich immer schon das Medium, um fesselnde, tiefgründige und emotionale Geschichten zu erzählen."

Journalist Bastian Berbner hat einen Podcast über Vorurteile erstellt und wie man sie überwindet. Er ist zwar schon länger begeisterter Podcast-Hörer, aber hatte vorher noch nie fürs Radio gearbeitet. Damit zeigt Berbner: Einfach mal machen, sich etwas Neues trauen – das kann sich lohnen. Von Kristina Wollseifen

 

12.03.2020

Im Jahr 2016 stimmten die Briten zum ersten Mal über ihren Verbleib in der EU ab, Donald Trump wurde zum 45. Präsident der Vereinigten Staaten gewählt. Hierzulande gab das Bundeskriminalamt einen traurigen Rekord bekannt: Es hatte fast 1.000 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte gezählt. Daran erinnert sich Bastian Berbner, wenn er an das Jahr 2016 zurückdenkt. „Vielerorts zogen sich Risse durch die Gesellschaft“, sagt Berbner. „Ich war einer von vielen Menschen hier im Land, die angefangen haben, sich Sorgen zu machen.“ Er beschloss, sich auf die Suche nach Lösungen zu machen – und fand Hinweise dafür in kleinen Geschichten zwischen Menschen, die es geschafft haben, ihre Vorurteile abzulegen. Berbner hat die Geschichten in sieben Folgen seines Podcasts „180 Grad – Geschichten gegen den Hass“ vertont. In einer Folge tritt zum Beispiel der irische Briefträger Finbarr O’Brien auf, der über Politiker schimpft und eine tiefe Ablehnung gegen homosexuelle Männer hat. In einer anderen erzählt er von der Wanderung eines Neonazis und eines Punkers durch die Wüste Afrikas. Und in einer weiteren Folge geht es um Vorurteile im Journalismus. Dazu tauscht er sich mit dem Kieler Polizeisprecher Oliver Pohl aus, der miterleben musste, wie aus einer kleinen Meldung eine Welle der Hysterie und des Rassismus entstand. Bastian Berbner erzählt diese Geschichten auch in seinem gleichnamigen Buch, das mit Theorien und Studienergebnissen aus der Sozialpsychologie unterfüttert ist. „Das Buchprojekt war wichtig, um die vielen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Vorurteile und Hass detaillierter darzustellen“, sagt Berbner. „Im Podcast hingegen erzähle ich vor allem die Geschichten der Protagonisten.“ Leichter gesagt als getan – denn der 35-Jährige hat eine Printkarriere hingelegt: Nachdem er Politikwissenschaften und Geschichte in Heidelberg und Paris studiert hatte, ging er an die Deutsche Journalistenschule (DJS) nach München. Danach arbeitete er freiberuflich, als Fernsehreporter beim NDR und als Autor für die Zeit. Seine Texte wurden mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis, dem Deutschen Reporterpreis und dem Axel-Springer-Preis ausgezeichnet. Kurzum: O-Töne sammeln oder gar einen Audiobeitrag planen, einsprechen und bauen – all das war Berbner bis vor drei Jahren fremd. Weg vorm Formatradio
Er traute sich trotzdem an das Podcast-Projekt. Im Laden nebenan kaufte er sich ein Aufnahmegerät und zwei Mikrofone für 300 Euro. „Als Hörer war Radio für mich immer schon das geeignete Medium, um fesselnde, tiefgründige und emotionale Geschichten zu erzählen“, sagt Berbner. „Egal, wie packend eine Szene von einem Printjournalisten beschrieben wird – sie wird die Atmosphäre, Stimmung und Emotionen niemals so gut transportieren können wie eine Audioaufnahme des Menschen, der sie erlebt hat.“ Dabei hatte er einige Wünsche für seinen Podcast: Berbner wollte weg von stark formatierten Radio-Beiträgen, in denen Reporter mit autoritärer Haltung und förmlicher Sprache über politische Entwicklungen sprechen – hin zu Formaten, in denen Reporter Geschichten nah am Menschen erzählen. Berbner ist selbst schon seit vielen Jahren begeisterter Hörer von Podcasts. „Ich bin vor allem ein großer Fan der US-amerikanischen Storytelling-Kultur bei Podcasts“, sagt der 35-Jährige. Als bekanntestes Beispiel gilt der US-amerikanische Erfolgs-Podcast Serial, den die Redaktion der Radiosendung This American Life produziert. „Fast alles, was aus dieser Redaktion kommt, ist toll erzählt, tief, kompliziert, spannend“, erklärt Berbner. Manche Folgen fokussieren sich nur auf einen einzigen Protagonisten, manchmal senden sie minutenlange O-Töne. Ohne Geld und Expertise
Mit solch einem erfolgreichen Podcast im Hinterkopf, kamen Berbner Zweifel: Die Produzenten machten sich über jedes noch so kleine Detail Gedanken, nutzen immer die neueste Technik, mehr als zwei Dutzend Menschen arbeiten in der Redaktion. Kann ich so einen tollen Podcast auch machen, ohne solch einen Aufwand zu betreiben, fragte sich Berbner. Berbner holte zwei freie Journalisten als Mitstreiter ins Boot: Ole Pflüger, mittlerweile Podcast-Redakteur bei Zeit Online, und Alexandra Rojkov, mittlerweile Reporterin im Auslandsressort des Spiegels. Pflüger zerschnitt die Audio-Dateien in rund 8.500 Clips. „An jeder Folge haben wir mehrere Wochen gearbeitet“, erinnert sich Berbner. An der Gestaltung der ersten Folge experimentierten Berbner und Pflüger mehr als zwei Monate, da sie nicht wussten, wie sie die Geschichten überhaupt erzählen sollen. Als klassische Reportage, mit oder ohne Gesprächsanteile eines Moderators? Dabei hat Berbner vor allem eines gelernt: Wer einen Podcast machen will, kann auf keine Checkliste à la „In fünf Schritten zum erfolgreichen Podcast“ zurückgreifen. „Natürlich gibt es bereits viele erfolgreiche Audio-Formate“, erklärt Berbner. „Aber es gibt auch noch so viele Möglichkeiten links und rechts davon. Gerade das ist doch die Chance des aktuellen Podcast-Booms, dass sich Journalisten auf dem Gebiet ausprobieren können.“ Berbner und Pfüger entschieden sich schließlich, die Originaltöne der Protagonisten und Experten zu nutzen, aber selbst auch zu moderieren. Den Part übernahmen Berbner und Rojkov, die Aufnahmen dazu entstanden in professionellen Tonstudios in Berlin und Hamburg. Einiges entstand aber auch in Berbners Wohnung in Hamburg, mitunter am Wickeltisch. Seine wichtigste Erkenntnis: Wer einen Podcast machen will, sollte vom Inhalt her denken und sich überlegen, wie er sich am besten präsentieren lässt, damit die Botschaft der Geschichte die Hörer auch erreicht. So erzählen Berbner und Pflüger in der vierten Folge die Geschichte des Iren Finbarr O’Brien – ganz stringent, angefangen bei seinen Vorurteilen gegenüber Homosexuellen und deren Ursprung bis hin zum Überwinden seines Hasses und seinem Plädoyer, die gleichgeschlechtliche Ehe in Irland einzuführen. In der ersten Folge hingegen hätte es nicht gereicht, nur zu erzählen, wie Rentner Harald Hermes seinen Hass gegenüber Flüchtlingen überwindet. „Um Relevanz über diesen Einzelfall hinauszuschaffen, habe ich einen zweiten Fall hinzugefügt, die Situation politisch eingeordnet und einen Experten zu Wort kommen lassen“, erklärt Berbner. Der Journalist weiß nicht genau, wie viel Zeit und Geld ihn das Podcast-Projekt gekostet hat. „Allein aus Selbstschutz habe ich das nie genau ausgerechnet“, sagt er. Unterm Strich zählt das Ergebnis: „Ich will mich mit Podcasts wie Serial gar nicht vergleichen, die sind besser. Aber wenn ich die Hörerreaktionen sehe, ist es uns gelungen, einen neuartigen Podcast zu machen, den viele Menschen begeistert hören.“ Die Geschichte einer Folge hat die This-American-Life-Redaktion inzwischen in einer englischen Version ausgestrahlt. Der NDR hat alle sieben Folgen des Podcasts gesendet. Schwierig sei es nicht gewesen, den Sender von dem Projekt zu begeistern: Berbners Geschichten über Spaltung und gegen Hass sind ein Thema, das gut zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk passt. Sind Podcasts das neue Radio? „Ich unterscheide nicht zwischen Podcast und Radio, ich empfinde die Trennung als künstlich“, sagt der Journalist. „Ich betrachte Audio als ein Format.“

Inspiration

Diese Podcasts hört und empfiehlt Bastian Berbner1. „This American Life“ vom Chicago Public Radio:
„Fast alles, was aus dieser Redaktion kommt finde ich sehr hörenswert. Vergangenes Jahr habe ich zum ersten Mal ein eigenes Stück für die Redaktion gemacht. Das war eine Auskopplung von 180 Grad – ganz anders erzählt, aber es war toll mit dem Team zusammenarbeiten und zu schauen, wie dort O-Töne ausgewählt, Audio-Stücke gebaut und Fakten gecheckt werden.“ 2. „Daily“ von New York Times:
„Wie die Redaktion es schafft, jeden Tag eine erzählte Geschichte aus der Nachrichtenwelt auf den Sender zu bringen, ist toll. Ich finde deren Arbeit auch mutig, denn das Team spielt immer wieder mit dem Format. Neulich hat es eine dreiteilige Serie namens „The Jungle Prince“ veröffentlicht. Eine Geschichte, von der man sagen könnte, dass sie eigentlich total irrelevant ist in Zeiten wie diesen, in denen man sich fragt, wie man all das, was täglich weltweit passiert, unterkriegen soll. Umso eindrucksvoller ist diese kleine alltägliche Geschichte, ganz wunderbar erzählt!“ 3. „Radio Hour“ des New Yorker: „David Remnick als Chefredakteur und Host ist unfassbar klug, weltgewandt und witzig. Über den Podcast schaffte die Redaktion es, einen großen Teil der Expertise, die dort vorhanden ist, on air zu bringen. Meist kein Storytelling, sondern eher Talk.“ 4. „Revisionist History“ von Malcolm Gladwell: „Ist großartig, gerade die erste und zweite Staffel. Ich mag auch seine Artikel und Bücher, und es ist erstaunlich, wie jemand, der mit dem geschriebenen Wort so erfolgreich war und ist, umschwenkt auf Audio-Erzählungen und sich damit noch mal neu erfindet.“ 5. „Tunnel 29“ von Helena Merriman von der BBC: „Eine Geschichte über einen jungen Mann, der aus der DDR nach Westdeutschland geflohen ist und dann einen Tunnel unter der Berliner Mauer gräbt, um Freunden und Familie auch die Flucht zu ermöglichen. Wahnsinnig gut und klug gemacht. Beim Hören habe ich mich gefragt: Warum muss eigentlich die BBC kommen, um diese deutsche Geschichte zu erzählen?“ 6. „The Missing Cryptoqueen“ von Jamie Bartlett von der BBC:„Die Geschichte entwickelt einen unglaublichen Sog. Sie geht klein und nerdig los, aber mit einem zu lösenden Rätsel. Eine Frau, die gerade noch im hellsten Scheinwerferlicht stand, ist verschwunden. Der Autor macht sich auf die Suche nach ihr, und dann wird diese Geschichte von Folge zu Folge bunter, größer und vor allem immer relevanter. Es geht um rumänische Mafiosi, ugandische Bauern, eine schottische Familie, ein deutsches Unternehmen, aber in erster Linie um sehr viel Geld und die Psychologie des Menschen im Zeitalter des Internets.

Bastian Berbner über…


journalistisches Handwerk:
„Printinterviews lassen sich nicht ohne weiteres für einen Audiobeitrag zweitverwerten. Das fängt schon bei der Tonqualität an. Handyaufnahmen sind selten gut. Also besser ein Mikro verwenden, das man nah an den Mund des Gesprächspartners halten kann. Hinzu kommt der Inhalt der Aussagen: Es ist ein riesiger Unterschied, ob ich ein Interview für Print oder für Audio führe. Bei Print ergibt sich vieles im Gespräch, gerade wenn man mehrere Tage mit seinem Protagonisten verbringt. Bei Audio muss ich mich viel gezielter vorbereiten, um pointierte Fragen stellen zu können. Dann nehme ich mich zurück, lasse meinen Gesprächspartner erzählen – und stelle Nachfragen, um Details zur Atmosphäre auf Band zu bekommen. Zum Beispiel: Wie hast du dich dabei gefühlt? Wie sah es in dem Haus aus? Wie hat es dort gerochen?“ den Wert der Technik: „Auch mit günstigem Equipment kann man gute Tonaufnahmen machen. Mein Tipp: Einfach machen und keine Angst vor Technik haben. Wenn die O-Töne stark sind, wird es auch verziehen, wenn der Ton mal knackt oder rauscht.“ Stärken und Grenzen von Podcasts: „Audiobeiträge wie Podcasts erlauben eine große Nähe zu Menschen und können starke Emotionen erzeugen. Aber wenn es darum geht, wissenschaftliche Erkenntnisse im Detail zu vermitteln oder man essayistisch arbeiten will, haben Podcasts ihre Grenzen. Sie bleiben meist mehr auf der Story-Ebene. Deswegen habe ich auch ein Buch über meine Recherchen geschrieben. Einiges ähnelt inhaltlich den Audio-Stücken, aber im Buch bohre ich tiefer. Da ist das geschriebene Wort mächtiger.“ Haltung: „Die Recherchen haben mir Hoffnung gegeben – selbst wenn sie nicht der Schlüssel für politische Krisen sind, zeigen sie, dass es viel Gutes in der Welt gibt und dass es Menschen gibt, die es schaffen, Konflikte zu überwinden. In uns Menschen liegt die Kraft der Versöhnung. Das geht oft in der tagesaktuellen Debatte verloren.“ Kristina Wollseifen ist Redakteurin bei der Wirtschaftsredaktion Wortwert in Köln.
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