"Ein Labor für die Medienbranche"
Zeitungs- und Zeitschriftenhäuser tun sich schwer damit, junge Menschen zu erreichen. Mit welchen Ideen die Initiative #UseTheNews das ändern will – und welche Projekte es schon gibt. Text: Henning Kornfeld, Illustration: Karsten Petrat
08.03.2024
Trojanischer Journalismus, das heißt soviel wie: verlässliche Informationen, die aber gar nicht nach Journalismus aussehen. Die Tarnung ist sinnvoll, wenn man Menschen erreichen will, die sich sonst kaum für Nachrichten interessieren. Jugendliche zum Beispiel. Wie das geht? Ein Team aus Journalistinnen und Social-Media-Experten will es ausprobieren: Ab Mitte Februar produziert es Videos für TikTok, Instagram und Youtube, die für dieses Publikum zugeschnitten sind und zugleich journalistische Standards erfüllen.
Der Social-News-Desk, so heißt das Projekt, ist eine Idee von #UseTheNews, einer Initiative der Deutschen Presse-Agentur (dpa) und der Hamburger Behörde für Kultur und Medien. Sie haben für 2024 das Jahr der Nachricht ausgerufen. Das Ziel: Den Nachrichtenkonsum junger Menschen zu erforschen und passende Angebote zu entwickeln, an denen sich Medienhäuser orientieren können. Die Initiative hat sich prominente Medien mit ins Boot geholt: Funke, Spiegel, NDR, SWR, ZDF und RTL zum Beispiel.
Junge Menschen misstrauen Journalismus
Die Initiative geht von einer alarmierenden These aus. Die Kluft zwischen Journalismus und der jungen Generation wächst, eine größer werdende Gruppe der 14- bis 24-Jährigen interessiert sich nicht für traditionelle Medien. Das hat das Leibniz-Institut für Medienforschung herausgefunden, das die Initiative wissenschaftlich begleitet. Junge Leute, in der Regel mit geringer formaler Bildung und überwiegend mit Migrationshintergrund, die Tagesschau & Co. links liegen lassen. Sie nehmen Informationen zum Zeitgeschehen nur passiv und fast ausschließlich über soziale Medien wahr, vor allem via TikTok. Das ist die Gruppe, die der Social-News-Desk erreichen will.
Das Gerüst der Berichterstattung bilden Themenwochen zum Beispiel zum Ukraine-Krieg, zur Europawahl im Juni oder zu den Landtagswahlen in Ostdeutschland im September. Daran sollen die Medienhäuser hinter #UseTheNews mitwirken.
Das Team produziert täglich ein bis drei 60-sekündige Videos und verbreitet sie auf TikTok, Instagram und Youtube Shorts. Im Frühjahr kommt eine Live-Sendung auf Youtube, bei der die Zuschauerinnen und Zuschauer Vorschläge und Kritik einbringen können.
„Etwa ein Drittel der Generation Z nimmt laut einer Studie Informationen zum Zeitgeschehen nur passiv und fast ausschließlich über Tiktok auf.“
„Wir planen einen Mix aus Erklärformaten, die niedrigschwellig und in einfacher Sprache Infos und Hintergrundwissen vermitteln, Straßenumfragen und Interviews mit Politikern oder anderen Akteuren“, kündigt Vanessa Bitter an. Bei der dpa ist sie als Projektmanagerin fürs Jahr der Nachricht zuständig. „Der Social-News-Desk ist ein Labor für die Medienbranche insgesamt, wir werden viel experimentieren“, sagt Bitter. Im besten Fall bringt das Jahr der Nachricht den Projektpartnern Ideen für reichweitenstarke Nachrichtenformate, mehr „trojanische Pferde“ für den Journalismus also.
Bislang sind Video-Formate für junge Menschen auf Instagram, TikTok oder Youtube eher die Domäne der Öffentlich-Rechtlichen, siehe Angebote wie Tagesschau oder Funk. Sie bringen von Haus aus Bewegtbildkompetenz mit und finanzieren ihre Aktivitäten nicht über Werbe- oder Vertriebseinnahmen, sondern über Rundfunkbeiträge.
Verlage hinken auf TikTok hinterher
Verlage tun sich dagegen schwer, ihre Rolle in dieser neuen Medienwelt zu finden. Vor allem Tiktok und damit die Gen Z bespielen bislang nur wenige Verlage. Der Algorithmus gilt als schwer berechenbar, Klicks oder Abos für die eigenen Nachrichten-Seiten sind nur schwer zu generieren.
Die Funke-Mediengruppe zum Beispiel hat auf ihrem TikTok-Kanal seit Anfang Dezember keine Videos mehr veröffentlicht. Dabei galt die ehemalige Social-Media-Chefin Amelie Marie Weber wegen ihrer Interviews zur Bundestagswahl 2021 als so etwas wie das Role Model für TikTok bei Funke. Ende Februar hat sie sich aber von der Gruppe verabschiedet – und ging zur Tagesschau.
Die Mediengruppe VRM (u.a. Allgemeine Zeitung) aus Mainz hat 2020 das Format Newsup geschaffen, das Nachrichten zusammenfasst und erklärt. Es startete auf Youtube, später kam ein Tiktok-Kanal hinzu. Doch es ist schon wieder Geschichte. Den TikTok-Kanal gibt es noch, die VRM bespielt ihn seit Herbst aber nicht mehr aktiv. Er habe mit knapp 25.000 Followern und gut laufenden Videos zwar Reichweite generiert, „am Ende aber wenig auf unsere lokale Inhalte-Strategie eingezahlt“, sagt VRM-Chefredakteurin Julia Lumma.
„Verlage tun sich schwer, ihre Rolle in der neuen Medienwelt zu finden. Vor allem Tiktok und damit die Gen Z bespielen bislang nur wenige.“
Die VRM konzentriert sich auf ein neues Social-Media-Format, zugeschnitten auf die ältere Zielgruppe, die 25- bis 40-Jährigen. Es passt nach Lummas Auffassung besser zu ihren Marken: Reels und Kurzvideos auf Instagram zu lokalen Themen. Sie sollen später auch über TikTok verbreitet werden.
Die VRM zielt auch auf junge Erwachsene bis 40. Im Januar starteten rlptoday und hessentoday, von den Zeitungstiteln unabhängige Marken für die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Hessen mit eigener Redaktion. Sie sollen sich über Werbung finanzieren. Nur wenige junge Erwachsene seien bereit, für journalistische Inhalte zu bezahlen, glaubt man. Eine pessimistische Annahme.
Stadtkind Stuttgart zeigt:
Junge Menschen erreicht man doch
Denn es gibt Beispiele dafür, dass sich das Werben um junge Erwachsene auch in Form von Abos auszahlt. Die Stuttgarter Zeitung produziert unter der Marke Stadtkind schon seit zwölf Jahren Inhalte für die Jungen. Das Team, zwei Vollzeit- und drei Teilzeitstellen stark, erstellt pro Tag zwei Beiträge für Menschen, die zwischen 15 und 30 Jahre alt sind: Tipps zum Einkaufen oder fürs Wochenende, Kolumnen („Beziehungskram“) oder Porträts von jungen Stuttgartern. Dazu gibt es wöchentliche Newsletter, Podcasts und Inhalte auf Facebook, Instagram sowie X (Twitter).
Zeitweise hat Stadtkind nach eigenen Angaben für bis zu 100 (Probe-)Abonnements pro Monat gesorgt, derzeit sind es rund 40. Das Team gehörte bei der Stuttgarter Zeitung zu den Abo-Treibern, eine Inspirationsquelle für den Umbau der Redaktion 2022/2023, als die Ressorts abgeschafft und Thementeams eingeführt wurden. „Wir waren Vorbild für andere Thementeams“, sagt die Stadtkind-Leiterin Carina Kriebernig. Zur Haltbarkeit der Stadtkind-Abos gibt es allerdings keine Angaben. Unklar ist auch, ob die Menschen, die über Stadtkind-Artikel ein Abo abschließen, tatsächlich zur avisierten Zielgruppe gehören. Kriebernig vermutet, dass unter den Lesern auch viele Ältere sind.
Andere Zeitungsverlage konzentrieren sich beim Werben um junge Erwachsene aufs Abo-Marketing. So bietet der Kölner Stadt-Anzeiger Leserinnen und Lesern unter 30 Jahren ein verbilligtes Digital-Abo namens Next Generation an.
Auch überregionale Medien kämpfen immer wieder damit, das junge Publikum zu erreichen. Bento, Zett und Noizz – so hießen gescheiterte Millennial-Portale, mit denen Spiegel, Zeit und Bild bis 2020 ein Publikum unter 30 ansprechen wollten. Seitdem versuchen sie sich an Inhalten, die Teil ihres bestehenden journalistischen Angebots sind.
Der Spiegel hat sich vor dreieinhalb Jahren das Ziel gesetzt, den Anteil der Abonnentinnen und Abonnenten unter 30 um einen „signifikanten Prozentsatz“ zu steigern. Gelingen sollte das zum Beispiel durch neue „journalistische Diskursformate“ und Billig-Abos. Das mündete in Spiegel Start, ein Online-Angebot zu Ausbildung, Studium und Berufseinstieg mit einem gedruckten Ableger, der kostenlos an Hochschulen verteilt wird.
Wie läuft es mit den Abonnentinnen und Abonnenten unter 30? Eine Verlagssprecherin lässt das auf Nachfrage offen. Nur so viel: Für Medienhäuser bleibe es „eine Herausforderung, junge Menschen im Umfeld zahlreicher kostenloser Kanäle von Bezahlangeboten zu überzeugen“, schreibt sie. „Auch für den Spiegel besteht hier weiterhin Potenzial, weswegen die Ansprache junger Zielgruppen ein Fokusthema in der Redaktion und den Verlagsbereichen bleibt.“ Potenzial in diesem Sinne dürfte es tatsächlich noch für viele Medienhäuser geben.
Das "Jahr der Nachricht"
Die Initiative #UseTheNews hat 2024 zum Jahr der Nachricht erklärt. Das Ziel: Neue Formate entwickeln, die dem Misstrauen junger Menschen gegenüber dem Qualitätsjournalismus entgegenwirken sollen.
Vorgesehen sind vier Projekte:
1. Ein Nachrichtenangebot auf Social-Media-Kanälen, das speziell auf 14- bis 24-Jährige zugeschnitten ist. Dieser
Social-News-Desk wird von journalistischen Nachwuchskräften aus Redaktionen, Universitäten und anderen Ausbildungsstätten unterstützt und versteht sich als Labor für die Entwicklung von jungen Informationsangeboten auf Social Media.
2. Sogenannte Newscamps, bei denen Schulklassen mit Medien und Medienpädagogen zusammenkommen.
3. Modellprojekte zwischen Schulklassen und Lokalzeitungen oder anderen Partnern von #UseTheNews zu den Themen Medienpädagogik oder Factchecking.
4. Eine Kommunikationskampagne, entwickelt von der Agentur Brinkertlück.
Henning Kornfeld ist Medienjournalist in Heidelberg. Karsten Petrat arbeitet als Illustrator in Toronto.