Aktuelles
Ein finanzielles Desaster
Die Berufsgruppe der Freien ist durch die Corona-Krise schwer getroffen. Von einem monatlichen Durchschnittsgewinn von 2.470 Euro ist der Erlös seit der Corona-Krise auf lediglich 780 Euro im Monat gesunken.
Auftragsrückgänge und Honorareinbußen: Die Corona-Pandemie hat die freien Journalistinnen und Journalisten schwer getroffen. Viele bangen um ihre Existenz. Wie schlimm die Lage ist, zeigt eine aktuelle Umfrage des DJV. Die Politik ist gefordert. Von: Monika Lungmus.
02.07.2020
Die Verzweiflung ist groß, die Lage für viele Freiberufler aus dem Kultur- und Medienbereich dramatisch. „Mittlerweile weiß ich nicht mehr, was mir mehr Angst macht – die drohende Insolvenz oder das Virus“, zitiert der Kulturrat NRW eine anonymisierte Ratsuchende aus seiner Corona-Sprechstunde. Was die Berufsgruppe der freien Journalisten betrifft, liegen seit Juni auch Zahlen vor, die das Ausmaß der Pandemie-Folgen beschreiben. Es handelt sich um eine erste Auswertung der offenen Online-Umfrage, die das Freien-Referat des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) im Mai durchführte und an der sich 287 Personen beteiligt haben. Die Bilanz, die Referatsleiter Michael Hirschler zieht, ist beunruhigend: „Die Berufsgruppe der Freien ist wirklich am Boden“, sagt er. „Die Umfrage bestätigt meine schlimmsten Befürchtungen.“Konkret: Das monatliche Durchschnittseinkommen der freien Journalistinnen und Journalisten ist – Sozialversicherung und Steuern noch nicht abgezogen – von 2.470 Euro auf 780 Euro gesunken und damit deutlich unterhalb des Existenzminimums gerutscht, wie Hirschler gegenüber dem journalist betont. „Da der Durchschnittswert aber immer ein schlechter Indikator ist, kann man sich ausmalen, wie schlimm die Lage im Einzelfall ist“, ergänzt er. „Viele haben schlicht keine Aufträge mehr und verdienen gar nichts.“ Hirschler erzählt von einer Kollegin, „die inzwischen für alles zur Verfügung steht, auch für Jobs wie Kinderbetreuung und Hundeausführen. Wenn man akademisch ausgebildet ist und dann als freie Journalistin bereit ist, Arbeiten zu übernehmen, die normalerweise 16-jährige Schülerinnen machen, dann zeigt das schon die Ausweglosigkeit, in der sich manche Freie befinden.“ Ausgerechnet im „Jahr der Freien" schauen die meisten Freien mit großer Sorge auf ihr Konto: Laut DJV-Umfrage sind die Honorarzahlungen bei 43 Prozent der Freien um bis zu 1.000 Euro zurückgegangen; 25 Prozent registrierten einen Rückgang von 1.000 bis 2.000 Euro und bei 21 Prozent lagen die Einbußen zwischen 2.000 und 3.000 Euro. Weitere Zahlen bestätigen die prekäre Situation, in der sich etliche Freiberufler befinden: So berichtete fast die Hälfte (49 Prozent) der Umfrageteilnehmer, nunmehr Verluste zu schreiben. Von ihnen bezifferte ein Drittel (32 Prozent) die Verluste auf bis zu 500 Euro, ein Viertel (25 Prozent) gab Verluste von 501 bis 1.000 Euro an und ein weiteres Viertel (22 Prozent) verzeichnete Verluste von 1.001 bis 2.000 Euro. Fast 30 Prozent kamen zum Zeitpunkt der Umfrage gerade mal auf einen Gewinn von 500 Euro. Diese Zahlen korrespondieren mit den Angaben zur Auftragssituation: Ein Drittel der Freien (33 Prozent) berichtete, überhaupt keine Aufträge mehr bekommen zu haben. Lediglich vier Prozent der Freien haben in der Corona-Krise insgesamt mehr Aufträge verbuchen können. Laut Hirschler sind das vor allem Journalisten, die im News-Segment arbeiten. „Die sagen: Wir haben richtig Stress.“Der Freien-Referent sieht auch Hinweise dafür, dass Frauen wegen vermehrter Kinderbetreuung in der Corona-Krise weniger verdienen als Männer – sie kommen im Durchschnitt auf nur 721 Euro pro Monat. Überraschend findet Hirschler, dass auch die Rundfunkjournalisten in erheblichem Maße von Einbußen betroffen sind. Bei ihnen sanken die Einnahmen von durchschnittlich 3.150 Euro im Monat auf 1.810 Euro – ein Rückgang um mehr als 40 Prozent. Damit liegen Rundfunkjournalisten zwar immer noch deutlich über dem allgemeinen Niveau, aber dieser Durchschnittswert darf laut Hirschler nicht darüber hinwegtäuschen, dass gut die Hälfte (51 Prozent) nach eigenen Angaben Verluste schreibt. Mehr als ein Viertel (27 Prozent) bezifferte den Verlust auf bis zu 500 Euro pro Monat, bei einem Drittel (31 Prozent) liegt er zwischen 1.001 und 2.000 Euro. „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist also kein geschützter Bereich“, sagt Hirschler. Zumindest für die festen Freien gab und gibt es indes Ausfallvergütungsregelungen für abgesagte Einsätze und Aufträge.Besonders hart getroffen: BildjournalistenBesonders hart getroffen sind die Bildjournalisten. Ihr monatliches Durchschnittseinkommen von 2.260 Euro sank auf lediglich 560 Euro, liegt also noch 220 Euro unterhalb des Niveaus der Gesamtgruppe. Auch die Zahl derjenigen, die Verluste schreiben, ist mit zwei Dritteln (67 Prozent) deutlich höher. Fast jede dritte Person gab dabei an, einen Verlust von 1.001 bis 2.000 Euro pro Monat zu verbuchen. Den Honorarrückgang bezifferten 24 Prozent mit bis zu 1.000 Euro monatlich, 28 Prozent berichteten von einem Honorarrückgang in Höhe von 1.001 bis zu 2.000 Euro, bei einem Drittel (30 Prozent) lag der Rückgang in Höhe von 2.001 bis zu 3.000 Euro.Diese Werte sind erschreckend. Doch auch bei den Fotojournalisten gibt es Ausnahmen. Zu ihnen gehört Frank Bründel. Er arbeitet seit Jahrzehnten als Blaulichtreporter in Hamburg – und war während des Lockdowns jeden Tag unterwegs, hat die leere Reeperbahn, geplünderte Supermarkregale und Großeinsätze der Feuerwehr fotografiert. „Ich verstehe das Gejammer der Kollegen nicht“, sagt er. „Ich konnte mich wegen Corona vor Arbeit nicht retten, hatte Umsätze wie vor 20 Jahren.“ Bründel glaubt, dass viele seiner Berufskollegen schlicht zu unflexibel sind. „Wenn es keine Fernsehdrehs mehr gibt, bei denen ich Promis ablichten kann, dann muss ich eben aufs Aktuelle umschwenken“, sagt er. „Zu viele Kollegen verlassen sich auch auf zu wenige Kunden.“Der Hamburger Fotojournalist räumt zwar ein, dass „die Fotohonorare teilweise im Keller sind“, aber er sagt auch: „Wer es nicht schafft, zwei Monate zu überbrücken, sei es mit Rücklagen oder mit Nebenjobs, der hat irgendwas falsch gemacht.“ Ein hartes Urteil – zumal man hört, dass in Corona-Zeiten auch Nebenjobs im PR-Bereich weggefallen sind. Ohne Finanzhilfe geht es nichtSolche Zahlen machen deutlich: Ein großer Teil der Freien ist auf die staatliche Corona-Hilfen angewiesen. Ein Drittel der Befragten (34 Prozent) hatte zum Zeitpunkt der Umfrage auch schon entsprechende Überbrückungsgelder erhalten. Zehn Prozent warteten noch darauf. Dass mehr als die Hälfte keinen Antrag gestellt hatte, liegt teilweise daran, dass noch Zahlungseingänge aus vorigen Aufträgen erwartet wurden. Manche dürften aber auch verunsichert sein, ob sie überhaupt anspruchsberechtigt sind. Insgesamt deckt sich das Bild mit der Kritik an den Soforthilfe-Programmen: Mehr als die Hälfte (53 Prozent) der Freien hält die Programme, die bislang aufgelegt wurden, für unzureichend, weil sie lediglich auf die Abdeckung der Betriebskosten zielten und die Finanzierung des Lebensunterhalts ausgeschlossen war. „Dass die Soforthilfe der Landesregierungen meist nur die Betriebskosten berücksichtigt hat, ist ein echtes Problem“, bestätigt DJV-Referent Hirschler. „Denn wenn man als freier Journalist keine oder kaum noch Aufträge erhält, hat man ja in der Regel auch keine laufenden Betriebsausgaben.“ Bei einem großen Teil der Anspruchsberechtigten sei die bislang gewährte Soforthilfe daher ins Leere gelaufen. „Gut wäre es aus meiner Sicht, wenn die Betroffenen selbst entscheiden könnten, wie sie das Geld verwenden – ob sie es für den Lebensunterhalt einsetzen oder ihre Betriebskosten damit abdecken.“ Hilfsprogramme wie die in Hamburg und Baden-Württemberg hätten die richtige Richtung eingeschlagen – weil sie Solo-Selbstständigen einen zusätzlichen Pauschalzuschuss zur Existenzsicherung (Hamburg: 2.500 Euro, Baden-Württemberg: 1.180 Euro) gewährten. Erwähnenswert ist laut Hirschler auch, wie man in England vorgegangen ist. „Dort haben sie 80 Prozent des Durchschnittsverdiensts der vergangenen drei Jahre ausbezahlt.“ Um genau zu sein: maximal umgerechnet 2.800 Euro im Monat.Hierzulande sind angesichts der Notlagen zumindest die Konditionen der freiwilligen Arbeitslosenversicherung verbessert worden. „Selbstständige, die eine freiwillige Arbeitslosenversicherung abgeschlossen haben, können sich normalerweise nur zwei Mal innerhalb von 12 Monaten arbeitslos melden“, erklärt der DJV-Experte. „Aber wer sich jetzt in Corona-Zeiten ein zweites Mal arbeitslos meldet, dem wird das nicht angerechnet.“ Die Ausnahmeregelung gilt bis 30. September. Auch hat die Politik den Zugang zur Grundsicherung (ALG II oder Hartz IV) erleichtert und die Kapitallebensversicherung, die den Freien als Altersversorgung dient, als Schonvermögen anerkannt. „Das ist natürlich ein enormer Vorteil“, sagt Hirschler, der die DJV-Mitglieder regelmäßig über die neuen Entwicklungen bei den Corona-Hilfen informiert. DJV fordert Nachbesserung Von der Corona-Grundsicherung, die kürzlich ebenfalls bis 30. September verlängert wurde und neben dem Lebensunterhalt die Kosten für Miete und Krankenversicherung abdeckt, kann allerdings nicht jeder profitieren, der jetzt über Einbußen klagt. Wer einen Partner oder eine Partnerin hat, der/die weiterhin regelmäßige Einkünfte erzielt und somit zum Familieneinkommen beiträgt, bekommt in der Regel keine Unterstützung. „Die Corona-Grundsicherung ist daher keine Lösung für den kreativen Mittelstand, der über ein vergleichsweise hohes Haushaltseinkommen verfügt“, so Hirschler. Aber selbst wenn ein Anspruch bestehe, werde nicht immer ein Antrag gestellt. Zumindest werde das nicht kommuniziert, was nach Hirschlers Eindruck viel mit Scham zu tun hat. „Die Corona-Grundsicherung passt nicht zum Selbstbild der Freien.“ In der Umfrage bekannten sich lediglich zehn Prozent der Freiberufler dazu, einen Antrag auf Grundsicherung gestellt zu haben. Der DJV hat die Politik inzwischen noch einmal aufgefordert, die Hilfen dringend nachzubessern. Zudem appelierte an die Zeitschriften- und Zeitungsverleger, die Freien an den Unterstützungsgeldern zu beteiligen, die die Bundesregierung den Verlegern zukommen lassen will. „Das Problem ist auch: Wir sind ja mit Corona noch nicht durch“, so Wolf-Robert Danehl, Vize-Vorsitzender des Bundesfachausschusses Freie. „Wir wissen auch nicht, wie es nach Corona weitergeht. Ob die Auftragslage für Freie wieder genauso sein wird, wie vor der Pandemie.“ Danehl, der als freier Journalist in Hamburg arbeitet, zweifelt daran. Er sagt: „Viele meiner Kolleginnen und Kollegen befürchten, dass sie nach Corona nicht mehr gebraucht werden.“ Danehl versucht, optimistisch zu bleiben und dem Ganzen etwas Positives abzugewinnen. „Wir machen alle gerade einen Lernprozess durch“, sagt er. „Wir müssen versuchen, Alternativen zu finden, uns mehr zu vernetzen und flexibler auf Einnahmeausfälle zu reagieren und auch den gesellschaftlichen Wert unserer Arbeit deutlich machen.“