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Die Reise als Medium

Der erste Teil: Kurz nach dem Start im Süden Afrikas stoppte Corona die Reise von Theresa Leisgang und Raphael Thelen. Vorerst. (Foto: zwei.am.puls/Theresa Leisgang)

Von Südafrika bis zum Nordpol: Theresa Leisgang und Raphael Thelen brechen im Frühjahr zu einer Reise quer über den Globus auf, um über die Klimakrise zu berichten. Das freiberufliche Reporter-Paar will nicht nur Probleme beschreiben, sondern auch nach Lösungsansätzen vor Ort suchen. Die Recherchen wollen sie selbstständig über verschiedene Kanäle vermarkten. Oder besser: Sie wollten. Denn Corona machte die Pläne erst einmal zunichte. Von Kristina Wollseifen.

14.09.2020

Eine rote Linie zieht sich über die Weltkarte: Angefangen im südlichsten Zipfel Afrikas läuft sie über Mosambik, Tansania, Äthiopien und Ägypten. Sie überquert das Mittelmeer, passiert Italien und Deutschland, Dänemark, Norwegen, den Nordatlantik und endet schließlich auf einer Inselgruppe am obersten Rand der Karte: in Spitzbergen.

Die Linie bildet den roten Faden für ein Mammutprojekt von Theresa Leisgang und Raphael Thelen. Auf einer Strecke von 18.000 Kilometern wollen sie innerhalb von sechs bis acht Monaten von Südafrika bis zum nördlichen Polarkreis reisen – einmal quer durch alle Klimazonen der Erde: zu Fuß, mit dem Bus, per Bahn und Boot. Nur ein einziges Mal, zum Start am Kap der guten Hoffnung, würden die beiden Ende Februar ein Flugzeug besteigen. Das jedenfalls war der Plan zu Beginn ihres ungewöhnlichen journalistischen Experiments.

Doch als Theresa Leisgang einige Wochen später von Malawi aus über den Stand der Reise erzählen will, muss die 31-Jährige das Gespräch gleich mehrfach verschieben. Erst sitzen sie und ihr Partner an der malawischen Grenze fest, dann erhalten sie ein Transit-Visa und müssen sich von einem Fahrer von der Grenze direkt zum Flughafen in der Hauptstadt Lilongwe fahren lassen. Unterwegs haben sie zwischen den Dörfern kaum Empfang. Schließlich müssen sie die Reise unterbrechen und nach Deutschland zurückfliegen. Der Grund: Wegen des Coronavirus machen immer mehr Länder Afrikas die Grenzen dicht. Das Virus verunmöglicht alle weiteren Recherchen vor Ort.

Seit Ende März ist das freiberufliche Reporter-Paar zurück in Deutschland. Von dort aus berichtet Leisgang von den ursprünglichen Reiseplänen und dem Abbruch. Und sie bleibt vom ursprünglichen Ansinnen überzeugt: Ihre Reise, sagt sie, sei unabdingbar – für sie und ihren Partner, aber auch für viele andere Menschen um sie herum: „Der vorzeitige Reiseabbruch war ein Schock“, sagt Leisgang. Doch so bald wie möglich will das Paar die Recherchen zumindest in Europa fortsetzen. „Wir wollen mehr über die Auswirkungen der Klimakrise erfahren“, sagt Leisgang. „Wir wollen sie in ihrer Komplexität verstehen und die Zusammenhänge beschreiben zwischen der Klimaveränderung und den Gesellschaften, in denen sie sich zeigt.“

Lösungen finden

Auch ihr Partner Raphael Thelen hat das große Ganze im Blick. Er hat in der Vergangenheit schon häufiger über Klimathemen geschrieben, war vor allem für den Spiegel unterwegs, von Marokko bis Finnland, hat über Dürre, Sandstürme und Permafrostböden berichtet. Theresa Leisgang wiederum hat nach ihrer Ausbildung an der Katholischen Journalistenschule ifp in München von 2013 bis 2016 am Heidelberger Centrum für Transkulturelle Studien zum Klimawandel und zur Landwirtschaft geforscht. 2018 war sie in Ecuador, um dort die Menschenrechtslage im Erdölgebiet und auf Bananenplantagen zu erkunden.

„Wir wollen nicht nur über die negativen Folgen des Klimawandels berichten, über die Risiken und Gefahren“, erklärt Leisgang ihr Vorhaben. Vielmehr wollen sie zeigen, welche Lösungen Menschen im Umgang mit der Klimakrise schon heute gefunden haben – und sie wollen verstehen, wie Krisen ganze Gesellschaften verändern können. 

Die Idee zu dieser besonderen Weltreise entstand vergangenen Sommer am Lagerfeuer: „Raphael hatte sich viel mit wissenschaftlichen Studien, Berichten und Statistiken zur Klimakrise beschäftigt“, erinnert sich Theresa Leisgang. In wenigen Jahrzehnten würden viel mehr Wälder brennen, das Wasser wird knapper, die Landwirtschaft dürfte vielerorts am Boden liegen. Wie viele andere habe dieser Ausblick den 34-Jährigen in Panik versetzt. „Wir wollen eigentlich Kinder haben.“ Aber ihr Partner bekam nun Zweifel, er fragte sie: „Können wir in so einer Welt überhaupt eine Zukunft planen?“ So beschlossen beide, dem Redaktionsalltag in Berlin zu entfliehen. 

Aber die Frage der Finanzierung war zu klären. Schließlich mussten Flüge gebucht werden, Leisgang und Thelen brauchten Geld für Unterkünfte und für Visa, für die Verkehrsmittel, Übersetzer und Fotografen vor Ort. Unterm Strich standen rund 30.000 Euro Kosten pro Person auf dem Zettel. „Wir haben das Projekt unter das Motto ‚Das gute Leben für alle‘ gestellt“, erklärt Leisgang. Heißt: Sie selber wollten in all den Monaten nicht am Hungertuch nagen, zugleich aber auch lokale Kooperationspartner fair bezahlen. „Wir haben für uns beide jeweils ein monatliches Grundeinkommen von 1.500 Euro zusätzlich zu den Honoraren einkalkuliert“, sagt die Journalistin. Das Duo hoffte, einen Verlag zu finden, der die komplette Berichterstattung abkaufen und im Gegenzug die Reise bezahlen würde. Die Idee fanden beide charmant. Auch publizistisch wäre es sinnvoller, nur für ein Medium zu berichten, anstatt einzelne Reportagen für verschiedene Medien zu schreiben.

"Es geht ja längst nicht mehr nur ums Klima. Das System, in dem wir leben, vernichtet Wälder, vergiftet Meere und Luft."

An dieser Stelle zerplatzte zum ersten Mal der Reisetraum. Ein Verlag, den sie angesprochen hatte, wollte nur Thelen die Recherche finanzieren – er störte sich daran, dass Leisgang sich zuvor bei Sea-Watch engagiert und gemeinsam mit Kapitänin Carola Rackete Positionen zu Klima und Migration entwickelt hatte. Bei einem anderen Verlag kam die Anfrage offenbar zu kurzfristig. Die Redaktion hatte bereits weltweit Beiträge zur Wasserkrise geplant und anderswo in Auftrag gegeben. „Schließlich wollte sich auch keine Redaktion auf das Risiko einlassen, nicht zu wissen, welche Reportagen wir wann zu welchem Thema liefern können“, erklärt Leisgang.

„Die Reise ist aber zu komplex, um alle Recherchen vorab zu planen.“ Und die beiden wollten das auch gar nicht: „Wir wollen schließlich offen sein für spannende Themen und Menschen, die uns vor Ort begegnen.“

Schwierige Finanzierung

Sie mussten die Finanzierung selbst in die Hand nehmen. Die Idee, die Reise per Crowdfunding vorzufinanzieren, schied aus: Zum einen war die Zeit zwischen der Gewissheit, dass alle Kooperationsverhandlungen mit Verlagen endgültig platzen würden, und dem geplanten Reisestart zu knapp für eine solche Kampagne. Zum anderen wussten sie bereits aus Erfahrung, wie viel Arbeit es bedeutet, eine Crowdfunding-Aktion zu starten, zu betreuen und zu bewerben. Raphael Thelen hatte vier Jahre vorher über die Crowd­funding-Plattform Startnext mehr als 6.000 Euro gesammelt für eine Recherche in Kooperation mit Correctiv über die Neue Rechte in Mecklenburg-Vorpommern.

Schließlich sahen sich die beiden nach Stipendiengebern um, klopften bei Stiftungen und Filmförderfonds an, die journalistische Projekte fördern. Sie kontaktierten alle Adressen, die Projekte zu den Themen Naturschutz, Umwelt, Klima, Landwirtschaft, Frauenrechte und Minderheitenrechte unterstützen – und fanden so tatsächlich erste Geldgeber. „Weitere verlagsunabhängige Finanzierungsquellen sind inzwischen Fördertöpfe von Vereinen, Schulen und Volkshochschulen“, sagt Leisgang. Sie bekommen zum Beispiel Geld von einer Münchner Stiftung, wenn sie an bayerischen Schulen von ihrer Reise berichten.

Buchverlag sagte zu

Als sie in den Flieger nach Südafrika stiegen, war aber erst ein Fünftel der Reisekosten gedeckt. Der Rest sollte sich zunächst über redaktionelle Vermarktung finanzieren. Sie mussten also doch einzelne Reportagen für verschiedene Medienhäuser schreiben. Aber seit kurzem hat das Reporter-Duo einen Buchvertrag in der Tasche und konzentriert sich darauf, die Erlebnisse im Buch zusammenzutragen. Auf Podien, in Podcasts oder Radiosendungen sprechen sie auch immer wieder über ihre Recherche. Der Verlag hat den Autoren bereits einen Vorschuss gezahlt. „Nun haben wir die Sicherheit, dass wir das Projekt bis zum Ende großzügig finanzieren können. Zugleich genießen wir die Unabhängigkeit und Freiheit, die Reise so zu gestalten, wie wir wollen.“

Zur inhaltlichen Vorbereitung lasen beide Studien und Bücher zur Klimakrise (Buch-Tipps in der Mittelspalte), trafen sich mit Experten, Wissenschaftlern und Aktivisten. Sie tauschten sich mit Geografen der Uni Heidelberg und Vertretern der Umweltorganisation Germanwatch aus. An verschiedenen Abenden luden sie Kolleginnen und Autorinnen, Aktivisten und Politikberater zu sich ein, um mit ihnen über die verschiedenen Aspekte der Klimakrise zu diskutieren. Und um sich über mögliche Protagonisten auszutauschen. „Das hat uns geholfen, die ersten Recherchen von Deutschland aus zu planen“, sagt Leisgang.

Von ihren Erlebnissen und Begegnungen berichten Leisgang und Thelen auch in einem Newsletter, den Interessierte über ihre Webseite am-puls-der-erde.de abonnieren können. Außerdem bestücken sie ihr Instagram-Profil zwei.am.puls regelmäßig mit Reiseeindrücken und Erfahrungen.

Für die Reise hatten sie sich extra ein neues Smartphone zugelegt und sich mit Kollegen über Mobile Reporting ausgetauscht, weil sie die Recherchen auch direkt live begleiten wollten. „Wir wussten von Anfang an, dass unsere Reise selbst ein Medium sein soll und wir eine Community aufbauen wollen mit Leuten, die sich für unsere Themen interessieren“, sagt Leisgang: „Auch über soziale Netzwerke wollen wir verdeutlichen, wie sehr die Klimakrise im Süden bereits den Alltag prägt und viele andere Themen beeinflusst.“ Die Reporter sind überzeugt: Armut und Migration, Menschenrechte, Gleichberechtigung und Feminismus – in all diese Felder strahlt die Erderwärmung aus. Auf ihrem Instagram-Profil erzählt zum Beispiel die 17-jährige Ayakha aus Kapstadt, wie sie die Dürreperiode von 2018 erlebt hat, als die Regierung das Wasser so stark rationierte, dass manche Familien nur 20 Liter pro Tag zur Verfügung hatten. „Die Region ist eigentlich klar geteilt in schwarz und weiß, in arm und reich“, sagt Leisgang. „Aber durch die Wasserknappheit ist zum ersten Mal ein Gemeinschaftssinn entstanden. Sich gegenseitig zu helfen, das hat zwar nichts am Wassermangel verändert. Aber es hat den Menschen geholfen, psychologisch und emotional mit dieser Krisensituation klarzukommen.“ 

Es geht nicht nur ums Klima

Nun warten Leisgang und Thelen darauf, dass ihre Reise endlich weitergehen kann. Derweil arbeiten sie an den ersten Kapiteln ihres Buchs. Auch wenn sie erst wenige Wochen in Afrika unterwegs waren, haben sie schon viele Stunden Video- und Audioaufnahmen mitgebracht, Fotos und Erinnerungen stapeln sich. „Eigentlich ist es gar nicht so schlecht, dass wir unsere Reise frühzeitig unterbrechen mussten“, sagt Leisgang. „So haben wir Abstand bekommen und haben uns auch selbst nochmal klargemacht, worum es geht: Sagen, was ist. Es geht ja längst nicht mehr nur ums Klima. Das System, in dem wir leben, vernichtet Wälder, vergiftet die Meere und die Luft, die wir atmen. Wir befinden uns mitten im sechsten großen Artensterben, und wenn es so weitergeht, zerstören wir auch unsere eigene Lebensgrundlage.“ 

Sobald es geht, wollen die Reporter mit neuer Energie in Europa weiterreisen. Sie hoffen, dass sie die Recherchetour dann ohne einen weiteren Rückflug zu Ende bringen können – und das Projekt auch publizistisch ein voller Erfolg wird.

Update: Inzwischen haben Theresa Leisgang und Raphael Thelen ihre Reise fortgesetzt.

Kristina Wollseifen ist Redakteurin bei der Wirtschaftsredaktion Wortwert in Köln.   

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