„Die Klimakrise wird uns in den nächsten fünf Jahren sowas von um die Ohren fliegen“

Eigentlich wollte Neubauer Journalistin werden. Als sie einen Aktivisten interviewte, hatte sie das Gefühl, auf der falschen Seite zu sitzen. (Foto: Paulina Hildesheim für journalist)

Fridays for Future-Aktivistin Luisa Neubauer geht im journalist-Gespräch mit Parteien und Medien hart ins Gericht: Die einen beschäftigten sich nicht ausreichend mit der Umwelt, die anderen täten, als seien sie unbeteiligt. Was muss passieren, damit sich doch noch etwas ändert?

20.01.2025

Als vor sechs Jahren die ersten Proteste der Fridays for Future-Bewegung in Deutschland losgingen, wurde Luisa Neubauer schnell zum prominentesten Gesicht der Bewegung. Seitdem schreibt sie Bücher, hostet ihren eigenen Podcast – und gibt täglich Interviews. Hier spricht sie darüber, wie der Klimawandel trotz mehrerer anderer Krisen Thema der Berichterstattung bleiben kann, welche Formate sich dafür eignen und wie sie selbst von ihrem Wunsch abließ, Journalistin zu werden.

journalist: Frau Neubauer, in der Vorbereitung auf unser Gespräch wurde ich von der Fülle an Interviews, die Sie in letzter Zeit gegeben haben, förmlich erschlagen. Wie viele werden Sie diese Woche noch geben?

Luisa Neubauer: Im Schnitt ein Interview pro Tag. Es stimmt: Ich habe in den vergangenen fünf Jahren wahnsinnig viele Gespräche mit Journalist:innen geführt. Ich habe den Eindruck, dass die Spannbreite größer wird. Das ist schön und vielversprechend. Neulich habe ich mit dem Mitgliedermagazin von ver.di gesprochen, mit Kika-Jugendformaten und mit dem Magazin Glamour. Zum einen finde ich es toll, wo mittlerweile übers Klima gesprochen wird. Andererseits ist immer noch wahnsinnig viel zu tun.

Können Journalisten Sie noch mit Fragen überraschen?

Ja. Ich habe viele fantastische, interessante Gespräche geführt, die mich herausgefordert haben und in denen ich den Eindruck hatte, wir kommen in der Klima-Debatte voran. Aber gerade im letzten Jahr habe ich nach Interviews oft gedacht: Was mache ich hier eigentlich?

Warum?

Weil immer wieder ein ähnliches Schema auftaucht. Mir werden Fragen gestellt wie: Müssten Sie nicht viel zufriedener sein? Sie haben so viel erreicht. Oder: Warum werden Sie von einigen Menschen gehasst? Wie geht es Ihnen eigentlich als Frau? Oder: Wie finden Sie eigentlich die Grünen? In keiner Frage geht es im Kern um die Klimakrise oder um das, was sie für uns Menschen bedeutet. Am Ende der Interviews wird dann unschuldig gefragt: Warum interessieren sich die Menschen heute weniger für das Klima? Tja. Das kann man so in zehn fast identischen Interviews nachlesen. Ich gebe mir jedes Mal Mühe und probiere, originelle Zugänge zu finden, aber es frustriert mich.
 
Wie liefen die Gespräche denn früher?

Wenn ich den großen Rahmen betrachte, stelle ich fest, dass es eine Phase gab, in der schon einmal substanzieller über das Klima gesprochen wurde. Davor war es lange Zeit eine Seltenheit. Mittlerweile weiß ich glücklicherweise: In jeder Redaktion gibt es gute Leute, die fundiertes Wissen haben und detailliert in der Klimaberichterstattung drinstecken.
 
Einerseits sagen Sie, es gebe gute Leute in den Redaktionen. Andererseits laufen viele Interviews nach demselben unproduktiven Schema ab. Wie passt das zusammen?

Es gibt durchaus den qualitativ hochwertigen Klimajournalismus. Aber darüber hinaus beobachte ich eine wachsende Tendenz, es sich gemütlich zu machen in dieser scheinbaren Rolle des unbeteiligten Dritten. Und ich finde es erschreckend, dass es kaum einen Diskurs darüber gibt, wie Schlagzeilen die Wirklichkeit prägen. Wir sprechen nicht genug darüber, wie Journalist:innen und Medien das Thema Klima behandeln, und wie das die Wahrnehmung der Menschen prägt und verändert. Medien können Aufmerksamkeit oder eben Resignation erzeugen.

Wie kommt es aus Ihrer Sicht zu dieser neuen Tendenz?

Einerseits, ganz offensichtlich, durch die Aufmerksamkeitsökonomie. In den vergangenen Jahren ist viel passiert: Die Pandemie, die Invasion Russlands in die Ukraine, der schreckliche Überfall der Hamas auf Israel und das, was UN-Expert:innen als Völkermord in Gaza bezeichnen. Es ist sicher ein großer Aufwand für Redaktionen, diesen vielen Krisen gerecht zu werden. Es scheint, als wäre ein Teil der deutschen Medienlandschaft reflexhaft zurückgesprungen, was eine angemessene Klimaberichterstattung betrifft. Das zeigen auch die Zahlen von Klima vor acht: Mit der Ausnahme von wenigen Peaks in der Berichterstattung sind wir heute in der ARD und im ZDF bei den Werten von 2007. Das heißt, weniger als 5% der Sendezeit entfällt auf das Klima.
 
Würden Sie sagen: Die eine Krise hat die andere überlagert?

Ja, es scheint, als hätte man sich dazu entschieden, nicht weiter über die Klimakrise zu berichten, obwohl sie umfassend und existenziell ist. Aber sie ist nicht weg, nur weil man weniger darüber berichtet.

Oder anders formuliert: Sind wir aus Ihrer Sicht nicht in der Lage, mehrere Krisen im öffentlichen Diskurs zu behandeln?

Es ist nicht die eine Krise, die eine andere überlagert. Sondern die Art, wie diese Krisen besprochen werden. Medien müssen anerkennen, dass große, bedeutsame Themen gleichermaßen im Diskursraum existieren können. Wenn es zum Beispiel um die deutsche Industrie und die Migrationsfrage geht, geht das erstaunlicherweise. Niemand würde zum CDU-Bundestagsabgeordneten Thorsten Frei sagen: „Schade, die Krise bei VW überlagert jetzt das Migrationsthema. Da kommen Sie mit Ihrer Anti-Flüchtlingsagenda nicht mehr durch. Wie geht es Ihnen damit?“ Aber zu mir kommt man mit so einer Frage, bezogen aufs Klima. Nur, wer kommt denn wo nicht durch, und warum nicht? Wer entscheidet das? Wie können sich Redaktionen strukturell der Klimakrise zuwenden und nicht alles auf einen Klimaredakteur outsourcen?
 
Welche Lösungen schlagen Sie vor?

Ein großer Teil der Klimaberichterstattung sollte dort stattfinden, wo das Klima eine Rolle spielt, wo aber nicht darüber gesprochen wird. Ein Beispiel: Es geht nicht, dass sich die Wirtschaftsredakteurin für ein Friede-Freude-Eierkuchen-Gespräch mit Airbus oder BMW zusammensetzt, über die Quartalszahlen guckt und nicht mal fragt, was eigentlich das Konzept der Unternehmen ist, ihre Verantwortung für die Umwelt wahrzunehmen. Eine Verantwortung, die diese Unternehmen nicht nur moralisch haben, sondern auch juristisch. An Klimazielen müssen sich alle Konzerne orientieren. Das gleiche gilt für die Programme der demokratischen Parteien. Da stehen Klimaziele drin. Wer über Wahlprogramme berichtet, müsste doch sagen: Das ist ja interessant. Wie wollen Sie Ihre Klimaziele denn einhalten? Redakteur:innen, die das nicht tun, bauen eine Scheinwelt auf, in der das Thema Klima nicht existiert und in der man sich mit Greenwashing und Desinformation durchmogeln kann. Es geht also nicht nur um einzelne Inseln des Klimajournalismus, sondern um ein flächendeckendes Verständnis.
 
Sie betreiben selbst einen Podcast namens 1,5 Grad…

... den wir inzwischen umbenannt haben: Er heißt jetzt tbd – to be discussed.

Was ist die Idee Ihres Podcasts?

Ich lade Menschen aus der Öffentlichkeit ein, die eigentlich nichts mit dem Klima zu tun haben. Gemeinsam destillieren wir ihren ganz persönlichen Zugang zu Krisen heraus, allen voran zur Klimakrise. Das sind zum Beispiel Herbert Grönemeyer, der sagt: Ich habe endlos viele Autos, aber mittlerweile fahre ich gerne Bahn, da hat sich was bei mir verändert. Oder Anke Engelke, die von ihren veganen Rezepten erzählt.
 
Mittlerweile gibt es unendlich viele Klima-Podcasts.

Ja, und das ist toll. Allerdings muss ich mich als Hörer:in aktiv dazu entscheiden, mich mit dem Klima zu beschäftigen, anstatt dass es ganz natürlich in andere Sendungen integriert wird. Es ist paradox: Die Menschen hören True-Crime-Podcasts, aber über das wahrscheinlich größte Verbrechen an unserem Planeten spricht dort niemand. Das Klima ist kein Thema in der Morning Show.

Bei welchem Medium fühlen Sie sich selbst gut informiert in Sachen Klimakrise?

Ich finde die Berichterstattung im Guardian spektakulär.  

Und in den deutschen Medien?

Es gibt einzelne Formate, die ich super gelungen finde: Umwelt und Verbraucher im Deutschlandfunk zum Beispiel. Toll ist auch, wie die taz in Wirtschaft und Umwelt berichtet. Das ist strukturell eine ganz, ganz wichtige Herangehensweise. Und es gibt sehr gute Newsletter. Ich lese zum Beispiel gerne den Newsletter von Jonas Schaible vom Spiegel oder den Newsletter Tagesspiegel Background. Aber wie gesagt: Es geht nicht um Einzelsendungen und -formate zum Klima, sondern darum, das Thema integrativ zu behandeln. Medien sind der Öffentlichkeit Aufklärung schuldig und es darf kein Mehraufwand sein, sich im Alltag über die Klimakrise zu informieren. Solange das Klima um 23.45 Uhr auf 3sat besprochen wird, läuft etwas schief. Es muss auf Pro7 genauso präsent sein wie auf RTL2, morgens im Deutschlandfunk und abends nach Rosamunde Pilcher. Dort, wo Menschen sind, muss doch die Welt auch sein.
 
Angenommen, Sie könnten ein neues Konzept erfinden. Was wäre das?

Zwei Minuten am Ende jeder Tagesschau, eine Klimaeinordnung bei jeder Berichterstattung über Extremwetter, die horrenden Klimakosten als selbstverständlicher Kontext im Wirtschaftsressort jeder Zeitung, usw. Falls es etwas Eigenes sein soll: Quizformate, die sich mit der Welt beschäftigen. Wir brauchen das Klima in Late Night Shows und in der Comedy. Wenn wir jetzt auch noch das Lachen verlieren, dann gute Nacht.
 
Der durchschnittliche deutsche Chefredakteur ist jenseits der 50 und wird deutlich kürzer unter den Folgen der Klimakrise leiden als Sie und andere junge Menschen. Ist die Frage, wie wir über die Klimakrise berichten, eine Generationenfrage? 

Ich glaube, das ist eine Ausrede, die der Realität nicht standhält. Die fragilste Gruppe für Hitzewellen – eine der größten Gefahren für Deutschland – ist die Altersgruppe über 50. Außerdem besitzen viele privilegierte Menschen ein Eigenheim. Sie sind die ersten, bei denen die Keller volllaufen, wie vielerorts geschehen bei den Flutkatastrophen in Deutschland im Jahr 2024. Wenn man möchte, findet man für jede Gruppe in Deutschland eine konkrete Klimagefahr. Ich kenne auch keine Eltern oder Großeltern, die nicht den rechten Arm für das eigene Kind geben würden. Wenn ich will, dass es meinem Kind in Zukunft gut geht, muss ich für diese Zukunft auch sorgen.

Lassen Sie uns einmal gemeinsam auf Ihre Biographie schauen: Wie sind Sie zur Klimaaktivistin geworden?

Ich bin nicht als Öko vom Baum gefallen. Ich bin Teil der Generation Merkel. Mir wurde gesagt, ich kann alles werden, auch als Frau, wenn ich mich nur in der Schule anstrenge. Also habe ich mich in der Schule angestrengt. Am Freitag bin ich nach der Schule dann zum Shoppen gegangen für die Party abends. In der Schuldose gab es Bio-Äpfel. Die Klimakrise war kein Problem, eher ein Thema von vielen im Erdkundeunterricht. Als ich studiert habe, bin ich regelmäßig von London nach Hamburg geflogen und habe gedacht: Ich esse ja vegetarisch, das wird schon okay sein. Deswegen sympathisiere ich mit Leuten, die auch in solche Lebensweisen reingezogen wurden. Irgendwann kam mir das alles verdächtig vor, ich habe angefangen, mich zu informieren und plötzlich überall Klimakrise gesehen, und kaum Klimapolitik.

Ist es nicht nahezu unmöglich, vollständig nachhaltig zu leben?

Ja. Aber ich finde, das Entscheidende in der ökologischen Frage ist nicht, wie wir unseren Alltag gestalten, sondern wie wir unser Leben gestalten. Wo wir arbeiten, wo wir uns engagieren, ob wir politisch wirken oder nicht. Da gehört auch ein Alltag rein, aber der ist ja nur eine Facette davon.
 
Wann haben Sie sich zum ersten Mal mit Nachhaltigkeit beschäftigt?

Ich wollte Journalistin werden und habe Praktika bei Umweltmagazinen gemacht. Dann habe ich Geografie studiert, das mache ich immer noch – jetzt im Master. Bei dem, was ich im Hörsaal gehört habe – wie groß die Klimakrise ist und wie schnell alles gehen könnte – habe ich oft gedacht: Wir müssten doch längst auf den Barrikaden stehen. Irgendwann habe ich ein Interview mit dem US-Umweltaktivisten Bill McKibben geführt. Er hatte die Divestment Bewegung gegründet. Die fordert von Unis, Schulen und Pensionsfonds, ihre Kapitalanlagen aus fossilen Energien rauszuziehen. Ich saß in diesem Gespräch und dachte: Das ergibt so viel Sinn. Ich möchte eigentlich nicht auf dieser Seite des Interviewtisches sitzen. Daraufhin habe ich mit anderen zusammen meine Universität in Göttingen dazu gebracht, ihre Gelder ebenfalls nicht mehr in Kohle, Öl und Gas zu investieren.

Wie ging es weiter?

2018 bin ich zu meiner ersten Klimakonferenz gefahren. Dort habe ich Greta Thunberg kennengelernt und von ihren Schulstreiks erfahren und ich dachte: Das ist der beste Plan, den wir haben. Greta wirkte auf der Konferenz wahnsinnig gestresst, weil so viele Menschen mit ihr sprechen wollten. Am Freitag auf der Klimakonferenz stand Greta plötzlich da und hat gestreikt. Ich dachte: Da mache ich mit. Ich bin zurückgereist und habe überlegt, ob wir solche Streiks vielleicht auch in Deutschland machen könnten. Und dann waren da ganz viele andere Leute, die das gleiche dachten. Irgendein Fernsehjournalist fragte mich damals: Sind Sie nicht die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer? Ich sagte mir: Okay, dann bin ich jetzt wohl die
Aktivistin.

Wie ist heute Ihr Kontakt zu Greta Thunberg?

Der war mal besser.
 
In letzter Zeit konnte man Thunberg mehrfach auf pro-palästinensischen Demonstrationen sehen. Wie sehr hat sie damit der Fridays for Future-Bewegung in Deutschland geschadet?

Ich weiß ganz sicher, dass sie uns nicht schaden wollte. Aber ihr Verhalten nach dem 7. Oktober war sicherlich nicht hilfreich.
 
Ihr eigenes Leben hat sich durch Fridays for Future sehr verändert. Stimmt es, dass Sie nicht mehr ohne Personenschutz auf Demonstrationen gehen können?

Ja, ich bekomme seit Jahren Drohungen. Es gibt auch gerichtlich verhängte Annäherungsverbote für Personen, die wiederholt gebrochen wurden. Daher brauche ich auf allen öffentlichen Veranstaltungen Personenschutz.  

Angenommen, Sie hätten vor sechs Jahren gewusst, dass Ihr Alltag so stark von Anfeindungen bestimmt wird. Hätten Sie sich trotzdem so weit in die Öffentlichkeit gewagt? 

Ich selbst kann damit umgehen. Weil ich weiß, warum ich das Ganze mache. Aber mich belastet, dass die Anfeindungen mein Umfeld so sehr betreffen. Nur als Beispiel: Wer mir auf Instagram folgt, sieht, dass private Freundschaften dort überhaupt nicht stattfinden, um meine Freund:innen vor Anfeindungen zu schützen.

Was müssen die sich anhören?

Im besten Falle Spam, im schlimmsten Falle Hassnachrichten. Manchmal schreiben mir Journalist:innen, die einen Text über mich teilen und sagen: Was in der Kommentarspalte darunter abgeht, das hätten sie noch nie erlebt. Meine Großmutter und meine Mutter bekommen Briefe. Und wenn irgendwelche Erpressungsbriefe an meine Universität geschickt werden, dann betrifft das viele Dritte, die gar nicht direkt in Verbindung mit meinem Engagement stehen. Das hätte ich mir früher nie vorstellen können.
 
Wir sollten doch eigentlich in einem Land leben, in dem man sich für das Klima einsetzen darf, ohne angefeindet oder verfolgt zu werden. Zweifeln Sie an der Demokratie?

Einerseits bin ich wahnsinnig froh, dass die deutsche Zivilgesellschaft den Diskursraum für das Klima geöffnet hat. Das Thema ist fast bis in die hintersten Ecken vorgedrungen: So viele Vereine, Clubs und Institutionen bilden das Rückgrat der ökologischen Bewegung in Deutschland. Kirchen, Gewerkschaften, auch die Wirtschaft fordert ganz klar Klimaschutz. Das zeichnet unsere Demokratie aus. Aber was sie an Infrastruktur bereitstellt für Bewegungen oder für Menschen wie mich, das reicht nicht mehr aus.

Welche Art Infrastruktur meinen Sie? 

Zum Beispiel Sicherheit oder finanzielle Unterstützung. Wäre ich eine gewählte Politikerin, müsste ich mich nicht selbst ununterbrochen mit irgendwelchen Sicherheitskonzepten beschäftigen. Das würde das LKA oder das BKA übernehmen. Für mich gibt es diesen Schutz nicht, obwohl gleichzeitig gesagt wird: Wir brauchen eine starke Zivilgesellschaft auf Augenhöhe mit der Politik, auch durch einzelne Personen. Das finde ich verlogen. Und das betrifft viele Menschen: Ich bekomme jeden Tag Mails von Vereinen und Institutionen, die sagen, wir würden gerne unsere Arbeit machen, aber wir können es nicht, weil die Gelder gekürzt werden. Damit spart man die Demokratie kaputt.
 
Das ermutigt nicht unbedingt dazu, sich politisch oder gesellschaftlich zu engagieren.

Absolut. Ich kann total verstehen, wenn Leute davor zurückschrecken. Und ich habe das Gefühl, dass es viel schlimmer geworden ist. Deshalb muss die Politik in meinen Augen Ressourcen für Engagement bereitstellen. Das Muster ist ein ähnliches wie beim Journalismus und dem Klima: Politiker:innen müssen sich beim Schutz der Zivilgesellschaft fragen, ob sie Teil des Problems oder Teil der Lösung sein möchte.
 
Wenn Sie selbst in die Politik gingen, könnten Sie versuchen, es besser zu machen. Außerdem würden Sie dort besser geschützt. Warum haben Sie das bisher nicht getan?

Ich habe darüber nachgedacht, aber bisher schien es mir nie der richtige Zeitpunkt zu sein. Außerdem bin ich überzeugt davon, dass wir eine starke Zivilgesellschaft brauchen, um den Rahmen zu stärken, in dem Politik handeln kann. Solange ich den Rahmen verändern kann, werde ich das tun. Wenn ich das erreicht habe, kommt etwas anderes.
 
Wieso braucht es Zivilgesellschaft, um der Politik einen Rahmen abzustecken?

Gucken wir uns mal an, wann während der 16 Jahren unter Merkel das Klimagesetz kam. Über ihre gesamte Zeit als Kanzlerin gab es Klimakrise und Klimaziele. Doch erst in ihrem letzten Jahr, 2021, kam das Klimagesetz. Das Thema haben wir mit Fridays for Future gesetzt. Wir haben die Klimadebatte angestoßen, vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt und das Verfassungsgericht hat darüber entschieden. Deswegen sage ich, dass Arbeitsteilung alles ist. Es braucht ein stabiles Kabinett und ein stabiles Parlament. Ich würde sogar sagen, es lastet fast mehr Verantwortung auf einer Zivilgesellschaft, um für so einen unwahrscheinlichen Wandel zu sorgen.

Funktionierte das auch unter Olaf Scholz?

Das letzte Merkel-Kabinett war paradoxerweise ein gutes Beispiel dafür, wie der Wandel von der Straße ins Parlament aufgenommen wurde und für politische Veränderung gesorgt hat. Unter Olaf Scholz haben wir mitbekommen, wo das nicht funktioniert. Drei Millionen Menschen standen Anfang 2024 gegen die AfD auf der Straße. Doch es gab keine einzige substanzielle Gesetzesinitiative von Scholz. Das wäre der Moment gewesen, in die deutsche Demokratie zu investieren, in die Zivilgesellschaft. Man hätte den ganzen kleinen Initiativen im Osten garantieren können: Es wird nicht gekürzt, dafür sorgen wir. Das kam nicht.
 
Was macht das mit den Menschen?

Das Zeichen an die demokratische Öffentlichkeit ist: Ihr seid nicht wirksam. Und das Zeichen der demokratischen Öffentlichkeit in Richtung Politik ist: Auf euch ist kein Verlass. In meinen Augen ist es eine existentielle Bedingung für eine funktionierende Gesellschaft, dass sich Politik und Öffentlichkeit gegenseitig ernst nehmen.

Dann wäre jetzt aber doch ein guter Zeitpunkt für Sie, in die Politik zu wechseln.

Ich nehme das mal so mit.
 
Geht es bei Klimaschutzdemos heute noch ausschließlich ums Klima oder mischen sich Themen wie der Kampf gegen Rechts mit rein?

Absolut, und das ist doch fantastisch, oder? Wenn wir gegen die AfD auf die Straße gehen, dann tun wir das auch, weil wir garantiert wissen: Die machen nicht nur die Demokratie kaputt, sondern auch den Planeten. Die Leugnung der Klimawissenschaft steht bei denen im Parteiprogramm. Gestern gab es eine große Demo in Berlin gegen die Kürzungen im Senat, weil unter anderem das Klimapaket und das Budget für soziale Gerechtigkeit massiv gekürzt werden sollen. Beides hängt miteinander zusammen. Wenn man möchte, dass integrative Klimapolitik gemacht werden soll, dann muss man soziale Gerechtigkeit mitdenken. Die Klimafrage betrifft alle Lebensbereiche. Klima ist das Haus, in dem wir wohnen. Das ist jede Straße, auf der wir laufen. Jede Mahlzeit, jeder Urlaub.
 
Mit welchen Gefühlen denken Sie an die anstehenden Neuwahlen?

Wir müssten doch eigentlich an einem Punkt sein, an dem es keinen großen Unterschied macht, welche demokratischen Parteien am Ende koalieren, weil jede Partei substanzielle Programmatik zum Klima im Angebot hat. In sehr vielen Themengebieten sehen wir das auch. Ob es um die Gesundheitsreform geht, um Rentensysteme oder die Arbeitslosenquoten. Die Mindesterwartung an die Parteien ist, dass sie bei alldem einen Plan haben. Die CDU würde ja nicht sagen: Gesundheit ist gar nicht unser Thema, das machen die Sozialdemokraten. Ausgerechnet beim Klima hat man jahrzehntelang so ein Bild geprägt: Das ist so ein Randproblem, was eher bei den Grünen liegt. Alle anderen schreiben Überschriften hin und kümmern sich nicht um die Details. Das war offensichtlich eine komplette Fehlkonstruktion. Die Ampel-Koalition hat probiert, es aufzulösen und ist an der Umsetzung in vielen Teilen gescheitert.
 
Kann das mit einer kommenden Bundesregierung besser werden?

Diese Erwartungen können wir nicht haben. In weiten Teilen des demokratischen Parteienspektrums ist es bis heute nicht gelungen, sich eigenständig und authentisch mit der Klimakrise zu beschäftigen. Es hätte viel Vorausdenken und Handeln gebraucht. Die Krise wird uns in den nächsten fünf Jahren sowas von um die Ohren fliegen. In diesem Wahlkampf sollten alle Beteiligten unbedingt versuchen, genau das zu besprechen: Was ist hier das Konzept fürs Klima? Wir sehen ja die aktuelle politische Tendenz, die wird sich wahrscheinlich nicht mehr umdrehen. Das heißt, wir müssen jetzt mit dem arbeiten, was wir haben. Das bedeutet, alle Beteiligten in die Pflicht zu nehmen, sich zum Klima zu verhalten. Das sage ich nicht aus einem aktivistischen Interesse heraus, sondern aus einem staatlichen Verantwortungsverständnis. Ich will wissen: Wie plant man, den Menschen in diesem Land in Zukunft Sicherheit zu bieten?
 
Auch Ihr Leben als Klimaaktivistin ist nicht immer vorbildlich. Ein Beispiel: Sie fliegen regelmäßig zu Klimakonferenzen, zuletzt nach Baku in Aserbaidschan. Vor einiger Zeit waren Sie in den USA. Können Sie nachvollziehen, dass manche Menschen Ihnen Doppelmoral beim Klimaschutz vorwerfen?

Ich fliege sehr selten und würde lieber gar nicht fliegen. Aber ich halte es für naiv, anzunehmen, dass wir ohne globale Zusammenarbeit, ohne uns persönlich zu begegnen, gegen irgendetwas ankommen. Der Hebel, den wir bewegen müssen, ist nicht der eine Flug. Obwohl das natürlich immer ein guter Beitrag ist. Solche Debatten werden angefeuert von Akteur:innen der fossilen Industrien oder Medien der Axel Springer Verlagsgruppe, die genau das wollen: Dass wir am Tisch sitzen und uns alle gegenseitig fertigmachen für dieses eine Mal, als jemand geflogen ist. Wir sollten uns lieber mal anschauen, warum Axel Springer das tut. Hauptaktionär ist die Investmentgesellschaft KKR, die umfangreich in Öl und Gas investiert.

Wie stehen Sie zu der Aussage: Klimaschutz muss man sich leisten können?

Dieses Bild wurde jahrelang von vielen Medienvertreter:innen gezeichnet. Das finde ich unverantwortlich, falsch und unwissenschaftlich. Deutschland drohen in den nächsten 25 Jahren 900 Milliarden gesellschaftliche Kosten, wenn nicht ein schnellerer Klimaschutz kommt. Das ist konkreter Wohlstandsverlust.

Nehmen wir mal an, wir reißen den Hebel in Sachen Klima noch rechtzeitig rum. Wie leben wir in 20 Jahren?

Es gibt nicht den einen großen Hebel, sondern mehrere Millionen kleine. Und es gibt kein „zu spät“. Nach 1,5 Grad kommen 1,51 Grad und so weiter. Deutschland ist in dieser Hinsicht gerade eine Baustelle und wird es noch für einige Jahre sein. Das raubt allen die Nerven, denn Baustellen sind laut und dreckig, und alle stehen sich im Weg. Aber Baustellen stehen dafür, dass es vorangeht. In diesem Fall viel zu langsam und teilweise rückwärts. Aber irgendwann kommen wir aus dieser Baustellenphase raus. Im besten Fall werden wir in 20 Jahren einen Modus etabliert haben, in dem wir die Klimakrise in der Politik, in der Öffentlichkeit und im Privaten mitdenken.
 
Wenn dieses Interview erscheint, hat 2025 gerade begonnen. Donald Trump ist dann gerade zum zweiten Mal als Präsident der USA vereidigt worden. Kann das Jahr überhaupt ein gutes für den Klimaschutz werden?

Es wird ein anstrengendes Jahr werden. Aber jede Anstrengung wird sich lohnen.


Catalina Schröder ist Wirtschaftsjournalistin in Hamburg.
Paulina Hildesheim arbeitet als Fotografin in Berlin.