Der Newsfluencer
"Newsfluencer – den Begriff fand ich furchtbar" (Foto: Markus Haner)
Fabian Grischkat bezeichnet sich als "Newsfluencer". Sein Konzept: Eine Mischung aus Nachrichten, Aktivismus und Humor. Wie geht das zusammen? Text: Kathi Preppner
22.07.2024
Seit Kurzem verkauft Fabian Grischkat T-Shirts, auf denen „Stolzmonat“ steht. Ein Begriff, mit dem Rechte in den Sozialen Medien den Pride Month der LGBTIQ-Bewegung vereinnahmen wollen. Für seine T-Shirts hat sich Grischkat den Begriff zurückgeholt und sich die Markenrechte daran gesichert. Der Erlös geht an eine Stiftung, die sich gegen die Diskriminierung von LGBTIQ-Personen einsetzt. Das Geschäftsmodell hat Aufsehen erregt: Spiegel, Deutschlandfunk Nova und Tagesspiegel befragten Grischkat dazu, die Berliner Morgenpost ging mit ihm Knödel essen und schrieb später: „Er liebt Knödel und Tatort, hat aber auf eine deutsche Tradition keine Lust: Rechtsextremismus.“
Das ist eine Hookline ganz nach Grischkats Geschmack. Mit überraschenden Zeilen kriegt man die Leute, das weiß der Youtuber. Ein Beispiel: „Ich war heute bei Ikea“, sagt er in einem Video, um dann zu erzählen: „Eigentlich wollte ich ein Regal kaufen, daraus wurden dann aber 57 Kerzen im Glas. Und plötzliche stand ich in den rumänischen Karpaten.“ Dann kommt der Inhalt: Dort holze Ikea Wälder ab, die eigentlich schützenswert sind.
Ein typischer Grischkat-Dreh, bei dem man als Zuschauer nicht so recht weiß, was jetzt kommt.
Überhaupt: Bei Grischkat geht es durcheinander. Ist er nun Aktivist, weil er sich für Klimathemen uind die Rechte queerer Menschen einsetzt? Oder ist er Journalist, weil er über Missstände berichtet, wie im Fall Ikea? Oder ist er Entertainer, weil es ja auch alles ein bisschen lustig zugeht?
Zusammen mit seinen Freunden Leon Bäter und Tobias Kriegers produzierte der heute 23-Jährige 2013 die ersten Youtube-Videos: Song-Parodien, Sketche und die Try-not-to-laugh-Challenge. „Wir haben viel Quatsch gemacht“, sagt Grischkat im Gespräch mit dem journalist. „Aber was wir schnell gelernt haben: Ohne eine Art Redaktionsplan, ohne feste Drehtermine und ohne Struktur funktioniert das nicht.“ Damals haben sie zwei, drei Videos am Tag hochgeladen. In der Beschreibung unter den Videos stand: „Teile das Video mit deinem Hamster“ oder „Wenn du das hier liest, schreibe ‚Ihr seid blöd…‘ in die Kommentare!“ Community-Engagement auf die Blödel-Art.
Rund 300.000 Abonnenten hatte sein Channel Grischistudios auf Youtube. Heute hat Grischkat bei TikTok mehr als 100.000 Follower und zwei Millionen Likes – auch, weil er früh gelernt hat, wie man Nähe zur Community herstellt. Die Beziehung zur Leserschaft vermisst er bei vielen Medien. „Bei großen Medienhäusern fühlen sich die Kommentare auf Social Media oft an wie von einem Chatbot“, sagt er. „Es reicht nicht, einen Kommentar zu liken oder zu schreiben: Hey, dazu haben wir schon einen Artikel gemacht.“ Besser sei es, Kommentare aufzugreifen, auf Fragen einzugehen.
Vor zwei Jahren war er beim Spiegel in Hamburg zur Heftkritik eingeladen. Im Nachhinein denkt er, hätte er dort Kommentare von Facebook, X (ehemals Twitter) und Instagram einbringen sollen. Es sei viel spannender, das aufzugreifen, was viele Menschen bewegt – anstatt von einer einzigen Person zu hören, welchen Text sie zu lang fand. „Das würde auch dem Vorwurf etwas entgegensetzen, dass Journalisten abgekoppelt in ihrem Verlagsgebäude in Hamburg oder Berlin sitzen.“ Da können die Reporter in den Metropolen noch etwas von Grischkat lernen.
Auf diese Weise finden Influencer auch immer neue Themen. „Das haben sie bereits besser erkannt als Journalisten“, sagt Grischkat. Auf Youtube gibt es zig Reaction-Videos, bei TikTok spricht man von Stitches, in denen Creator Passagen aus anderen Videos aufgreifen und mit eigenen Inhalten anreichern. Neulich hat Grischkat zum Beispiel das Video einer Reisebloggerin verwendet, in dem sie sagt: „Diese Dinge solltet ihr auf Bali lieber nicht tun.“ Schnitt, Close-up Grischkat: „Nummer eins: schwul sein.“ Es folgt ein Beitrag darüber, wie es um die Rechte queerer Menschen in Indonesien bestellt ist.
Auf TikTok habe man zwei Sekunden, um die Aufmerksamkeit zu gewinnen. „Da kann man von Boulevardmedien durchaus einiges lernen“, sagt Grischkat, auch wenn er nicht Boulevard sein möchte. „Ich finde es bizarr, wenn klassische Journalisten mir Populismus vorwerfen. Sie bedienen sich schließlich ähnlicher Elemente“, sagt er und verweist darauf, dass der Spiegel kürzlich eine Deutschlandflagge auf dem Cover hatte, unter der sich ein Hakenkreuz abzeichnete.
"Ich finde es bizarr, wenn klassische Journalisten mir Populismus vorwerfen."
Klimawandel und die Rechte queerer Menschen sind Grischkats Themen. Er ist mit 14 Jahren Veganer geworden, hat sich schon früh bei Greenpeace engagiert, ist öfters bei Fridays-for-Future-Demos mitgelaufen. Zu den queeren Themen ist er gekommen, weil er selbst bisexuell ist. „Durch die persönliche Betroffenheit habe ich mir Wissen angeeignet und bin in eine Expertenrolle gerutscht. Klar, dann kann man auch was zu diesen Themen sagen.“ Das tat er zum Beispiel im vergangenen Jahr, als er von den Grünen in den Ausschuss für Menschenrechte entsandt worden ist, um über LGBTIQ-Rechte zu sprechen.
Manchmal wird er als Experte für die Generation Z bezeichnet, das hält er für Quatsch. Schließlich sei eine Generation niemals homogen. „Ich verstehe auch nicht den Schock darüber, dass viele junge Menschen die AfD gewählt haben. Ja, wer hätte es gedacht, dass hier der Rechtsextremismus nicht auf einmal aufgehört hat“, sagt Grischkat.
Zum Recherchieren verlässt er regelmäßig seine Blase, dann geht er zu X oder Facebook. Vor Kurzem stieß er dort auf die Frage, ob man bei Wahlen sein Kreuz mit dem Bleistift machen dürfe. „In meiner Wohlfühl-Bubble kriege ich so etwas nicht mit. Aber auf Facebook war das groß.“ Auch in seinen privaten Whatsapp-Chats platziert er gerne Themen, um zu sehen, wie sie bei Freunden und Familie ankommen. „Wenn ich einen Artikel teile und meine Oma antwortet innerhalb von zwei Minuten darauf, dann weiß ich: Das Thema finde nicht nur ich interessant.“ Die Idee für das Stolzmonat-T-Shirt ist bei einer X-Recherche entstanden. Er durchsuchte die Plattform nach dem Hashtag #pridemonth. „Ich habe schnell gesehen: Da sind relativ viele Deutschlandflaggen.“ Mit zwei befreundeten Juristen hat er sich darüber ausgetauscht, ob und wie er die Idee umsetzen kann. Schließlich ist der Shop entstanden. Dennoch tut Grischkat sich schwer damit, wenn er als Aktivist bezeichnet wird. „Denn ich habe großen Respekt vor wirklichen Aktivist:innen, gerade in Ländern, in denen politischer Protest gefährlich ist.“ Mit dem großen Medienecho, das weit über die queere Community hinausging, hat er nicht gerechnet.
„Ich verstehe nicht den Schock darüber, dass viele junge Menschen die AfD gewählt haben. Ja, der Rechtsextremismus hört hier nicht auf einmal auf.“
Aktivistische Projekte unterstützt Grischkat aus privatem Interesse, das will er von seiner Arbeit als Influencer trennen – oder Newsfluencer, wie er sich nennt. „Anfangs fand ich diesen Begriff furchtbar“, sagt Grischkat. „Aber er beschreibt doch gut, was ich mache. Ich will objektiv über meine Themen berichten.“ Journalistische Standards wie das sorgsame Prüfen der Quellen sind ihm dabei wichtig. Von 2019 bis 2022 hat er auch für das Instagram-Format Ozon von Funk gearbeitet, in dem es um Umweltthemen ging. Dennoch würde er sich nicht vollumfänglich als Journalist bezeichnen, sagt er. Auch, weil Unternehmen seine Arbeit finanzieren.
Manchmal macht er bei Kampagnen mit. Die seien aber klar gekennzeichnet. „Inzwischen versuche ich, meine Inhalte strikter von der Werbung zu trennen. Ich glaube, dass da der Weg hingeht.“ Die junge Zielgruppe erkenne mittlerweile genau, dass eine Story, in der jemand morgens aufsteht und erzählt, wie gut er auf seinem Kissen geschlafen hat, gekauft ist. „Dieses künstlich Authentische wirkt immer unauthentischer.“ Für gekennzeichnete Werbung hätten die Nutzer Verständnis, ihnen sei klar, dass Creator Geld verdienen müssen. „Ich glaube, das ist der Weg von Leuten wie mir und bringt uns vielleicht auch ein Stück näher zum Begriff des Journalisten.“ Zeitungen leben genauso von Werbung.
Den Entertainer Grischkat gibt es ja auch noch. Manchmal schneidet er sich abwechselnd von der Seite und kopfüber ins Bild. Oder er spricht mit seinem Alter Ego in blauem Pulli und mit angeklebtem Oberlippenbart. Seine Generation sei zwar an Good News interessiert, sagt Grischkat, doch die werden sich nicht durchsetzen, glaubt er. Sein Ziel: Trotzdem einen Ton zu finden, „der die Leute nicht ins Bett schickt mit dem Gefühl: Morgen ist alles vorbei.“ Ein bisschen wie ein Entertainer eben.
So arbeitet Fabian Grischkat
Recherche: Grischkat nutzt Tweetdeck, um X nach Hashtags zu durchsuchen. Er hat auch einen RSS-Feed. Neben Social-Media-Kanälen sind internationale Medien für seine Recherche wichtig, insbesondere zu queeren Themen. Auch auf das Google-Journalist-Studio greift er zurück, zum Beispiel für den Faktencheck, um Grafiken zu erstellen oder sich PDFs zusammenfassen zu lassen.
Schreiben: Beim Schreiben nutzt Grischkat manchmal Chat-GPT, um seine Captions zu überprüfen oder auf neue Ideen zu kommen. Sein Skript lässt er die KI aber nicht schreiben. „Da fehlt noch die persönliche Note.“
Produktion: Für die Aufnahmen nutzt Grischkat sein Smartphone, die Algorithmen belohnen einen iPhone-Look ohne große Farbnachbearbeitung, sagt er. Die normale Frontkamera genügt. Er steht dabei vor einem LED-Panel, Tageslicht reiche aber auch. „Wichtig ist vor allem: Der Ton muss gut sein, das Bild hell und clean.“ Für den Ton nutzt er ein externes Mikro und verbessert ihn anschließend mit Adobe Enhance. Das Material schneidet er mit Final Cut Pro, aber für Social Media sei das gar nicht nötig, sagt er. Den meisten TikTokern genügt CapCut, die App der TikTok-Mutter ByteDance.
Hier holt sich Fabian Grischkat Inspiration
Im Austausch mit der Community.
„Es reicht nicht, einen Kommentar zu liken oder zu schreiben: Hey, dazu haben wir schon einen Artikel gemacht.“ Besser sei es, Kommentare aufzugreifen und auf Fragen einzugehen.
Indem er seine Blase verlässt.
Grischkat ist oft auf X und Facebook, dort gibt er Schlagworte ein zu Themen, über die er berichten will, um zu sehen, welche Meldungen auf den Plattformen kursieren. Auch in seinen privaten Whatsapp-Chats platziert er gerne mal Themen, um zu sehen, wie sie bei Freunden und Familie ankommen. „Wenn ich einen Artikel teile, und meine Oma antwortet innerhalb von zwei Minuten darauf, dann weiß ich: Das Thema finde nicht nur ich interessant.“
Im Buch Handwerk Humor.
„Es gibt gewisse Muster, die immer wieder funktionieren“, sagt Grischkat. Er nutzt gern den überraschenden Einstieg. Oder er schneidet sich abwechselnd von der Seite und kopfüber ins Bild, während er Online-Kommentare vorliest. Oder unterhält sich, in grünem T-Shirt mit rosa Mütze, mit seinem Alter Ego im blauen Pulli mit Oberlippenbart über queere News. Oder schneidet sich zwischendurch laut Kaffee schlürfend ins Bild.
Kathi Preppner ist Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion Wortwert.