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Dürfen Journalist*innen Klimaschützer sein?

Dürfen Journalist*innen Umweltschützer sein? Nina Bärschneider diskutiert die "Aktivisten"-Frage in der "grünen Ausgabe" des journalists.

Die Berichterstattung über die Klimakrise schafft es nach einer kurzen Corona-Pause wieder auf die Titelseiten. Journalist*innen stehen vor der Frage: Gibt es beim Klimawandel überhaupt noch echte Kontroversen? Müssen wir uns nicht ohnehin geschlossen auf die Seite derjenigen stellen, die eine Klimakatastrophe abwenden wollen? Oder werden wir dadurch zu unkritischen Aktivisten? Text: Nina Bärschneider

07.09.2020

Corona, Corona und nochmal Corona: Monatelang hat die Covid-19-Pandemie die Medien beherrscht. Doch nun geht die erste Welle der Covid-19-Berichterstattung langsam zurück und macht Platz für andere Themen. Eines davon dürfte sich besonders hartnäckig zurückmelden: die Klimakrise. Die weltweiten Proteste der Fridays-for-Future-Bewegung, die Besetzung des Hambacher Forsts und der Kohleausstieg, bis hin zur neuen CO2-Bepreisung für Unternehmen und dem europäischen Green Deal – die Berichterstattung war bis Anfang dieses Jahres noch geprägt von Klimathemen. Und jetzt geht es wieder los. Medien melden, dass die tatsächlich gemessene Entwicklung der CO2-Emissionen eher den pessimistischsten als den optimistischsten Szenarien entspricht, die Wissenschaftler vorhergesagt haben. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier räumte gerade ein, in Sachen Klimaschutz zu spät gehandelt zu haben, neue Studien zur Klimaerwärmung versetzen Leser*innen in Alarmbereitschaft.

Viele Journalist*innen stellen sich die Frage: Müssen wir uns in dieser Debatte auf die Seite derer schlagen, die den Klimawandel aufhalten wollen? Müssen wir Druck machen auf die Politik? Schließlich ist es die Aufgabe der „vierten Gewalt“, das politische Geschehen zu beeinflussen. Oder sollten wir uns zurückhalten und neutral bleiben – vor allem angesichts des immer wieder zu hörenden Vorwurfs, Journalist*innen seien allesamt ein links-grün-versiffter, polit-aktivistischer Haufen?

„Nachhaltigkeit hat für mich die gleiche Bedeutung wie etwa Meinungsvielfalt und Bürger­rechte, die die Grundwerte einer Demokratie sind.“Torsten Schäfer, Umweltjournalist und Professor für Journalismus an der Hochschule Darmstadt

Aber: Ist es überhaupt eine Sache von Meinung oder Weltanschauung, ob man den Klimawandel als reales Problem ansieht, für das Lösungen gefunden werden müssen? Sind wir über diese Frage nicht längst hinaus? Nein, es hat nichts mit subjektiver Meinung zu tun, den menschengemachten Klimawandel und seine potenziellen Folgen anzuerkennen, sagen immer mehr Menschen. Die Wissenschaft spreche schließlich für sich. Medien wie der britische Guardian haben sich längst entschlossen, das auch sprachlich unmissverständlich klarzustellen: Die Zeitung spricht nicht mehr von Klimawandel und globaler Erwärmung, sondern von Klimakrise und globaler Erhitzung.

Die Frage, ob es nun wirklich einen Klimawandel gibt oder nicht, können wir beruhigt ad acta legen. Eine aktuelle Studie des kanadischen Politikwissenschaftlers Eric Merkley zeigt, dass die meisten Medien das bereits tun, indem sie in ihren Nachrichten typischerweise Argumente hervorheben, die mit den Positionen des Expertenkonsenses übereinstimmen – statt die gesamte Bandbreite der Expertenmeinungen darzustellen, also auch diejenigen, die dem Mainstream widersprechen und behaupten, es gebe keine Klimakrise. Wir diskutieren nicht mehr darüber, ob man als Journalist auch solche Stimmen ernstnehmen und ihnen eine Plattform bieten sollte, sondern nur noch darüber, ob wir diese Menschen, wenn wir sie doch einmal erwähnen müssen – etwa weil sie US-Präsident sind – Klimawandel-Skeptiker oder Klimawandel-Leugner nennen sollten.

Nachhaltigkeit als Bürgerpflicht

Die Debatte verlagert sich eher dahin, was es für uns als Journalist*innen bedeutet, dass es eine Klimakrise gibt, die dramatische Folgen für die Menschheit haben wird. Manche Medienvertreter leiten daraus eine Pflicht zur Verteidigung von Nachhaltigkeit und Klimaschutz als Grundwerte einer demokratischen Gesellschaft ab. Torsten Schäfer zum Beispiel: „Nachhaltigkeit hat für mich die gleiche Bedeutung wie etwa Meinungsvielfalt und Bürgerrechte, die die Grundwerte einer Demokratie sind“, sagt der Umweltjournalist und Professor für Journalismus an der Hochschule Darmstadt. Daher sei es nicht nur vertretbar, sondern sogar jedes Journalisten Pflicht, einen möglichst engagierten Klimaschutz als wertvolles und zu priorisierendes Gut darzustellen.

Wie guter Klimajournalismus gelingt, erforscht Schäfer in dem Projekt Grüner Journalismus am Mediencampus der Hochschule Darmstadt. Das Problem der aktuellen Berichterstattung ist in seinen Augen, dass sich Journalist*innen zu sehr auf Einzelthemen konzentrieren. Wir berichten über die Besetzung des Hambacher Forsts, über den Klimastreik in Konstanz, über Thunbergs Posts aus der 1. Klasse im ICE. Die Anbindung ans große Ganze, an den Kontext Klima und das Ausmaß der Bedrohung, fehle jedoch oft, bemängelt Schäfer. Dabei befänden wir uns doch im Anthropozän, im Zeitalter des Menschen also, der zum bestimmenden Faktor für das globale Ökosystem geworden ist. Das erfordere ein neues Verständnis der Bedeutung von Klimaschutz. Journalistische Beiträge müssten weiter ausholen – zum Beispiel fragen, warum es zu einem Klimastreik kam oder einordnen, welche Auswirkungen dieses oder jenes Gesetz für den Klimaschutz haben könnte. Nur so könnten Leser*innen die Zusammenhänge verstehen und richtig einordnen.

Die vielzitierte Aussage des ehemaligen Tagesthemen-Moderators Hanns Joachim Friedrich – Journalisten sollten sich nicht mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten – gehört laut Schäfer „in die Mottenkiste“. Damit stößt er jedoch auf Widerstand bei Journalisten wie Niklas Záboji, der für die Frankfurter Allgemeine Zeitung über Energie- und Klimathemen schreibt. Nachhaltigkeit als Grundwert zu definieren, für den man kämpfen muss, findet er problematisch. „Ich finde es gut, wenn Menschen etwas verändern wollen – es gibt nichts Schlimmeres als Lethargie. Aber dann sollen sie in die Politik gehen, und nicht in den Journalismus“, sagt Záboji.

„Ich finde es gut, wenn Menschen etwas verändern wollen – es gibt nichts Schlimmeres als Lethargie. Aber dann sollen sie in die Politik gehen und nicht in den Journalismus.“ Niklas Záboji, Wirtschaftsredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Es sollte Anspruch bleiben, sich ein Thema von allen Seiten anzuschauen und dem journalistischen Handwerk treu zu bleiben. „Das heißt, dass man als Journalist auf eine Klimademonstration gehen kann“, sagt Záboji, „aber eben immer nur aus der Beobachterperspektive.“ Schließlich wollten Leser*innen informiert und nicht moralisiert werden.

Wie die meisten seiner Zunft ist auch der FAZ-Redakteur davon überzeugt, dass beim Klimawandel auf der naturwissenschaftlichen Ebene kaum noch ein begründetes Pro und Contra möglich ist. Auf der sozialwissenschaftlichen Ebene hingegen seien Streit und eine differenzierte inhaltliche Auseinandersetzung wichtiger denn je: „Wie wir Menschen mit dem Klimawandel umgehen, welche Maßnahmen die Politik ergreift, welche Prioritäten sie setzt und welche Ansätze in der Wirtschaft sinnvoll sind: Darüber lässt sich weiterhin trefflich streiten“, sagt Záboji. Und das sollten Medien auch tun, denn ihre Pflicht sei es nach wie vor, die ganze Bandbreite der Debatte abzubilden.

Wer über Klimaschutz schreibt, sollte sich daher erst gar nicht in den Verdacht bringen, das in erster Linie aus ideologischen Gründen zu tun, Klimaaktivsten unkritisch zu feiern und Faktentreue und kritische Nachfragen darüber zu vernachlässigen. Als Geschäftsführer der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft bringt Ulric Papendick das einer Generation junger Journalisten bei, die für Klimaschutz brennt wie selten eine zuvor. Wöchentlich diskutiert er mit Journalistenschüler*innen, die hier oft direkt nach dem Abitur ihre vierjährige Ausbildung beginnen, darüber, was ihrer Ansicht nach die Welt bewegt. „Umwelt und Diversität sind derzeit die Themen, die alle beschäftigen“, sagt Papendick. „Und die Schüler sind sich meist einig: Für beides muss man sich einsetzen.“

„Umwelt und Diversität sind derzeit die Themen, die alle beschäftigen. Und die Journalisten­schüler*innen sind sich meist einig: Für beides muss man sich einsetzen.“ Ulric Papendick, Geschäftsführender Direktor der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft.

Auch in den aktuellen Auswahlgesprächen hat er oft gehört: Ich will Journalistin werden, weil ich etwas verändern will. Oder: Die Welt soll durch meine Berichterstattung als Journalist ein Stück besser werden. Wächst da gerade also eine Generation von journalistischen Aktivisten heran? Selbst wenn: „Diese Haltung ist in Ordnung, solange man stets sauber argumentiert“, findet Papendick. Es mache die Argumentation schließlich sogar eher stärker, wenn eine Maßnahme zum Klimaschutz nicht nur euphorisch gelobt, sondern eben auch kritisch beleuchtet werde. Etwa beim Umstieg auf erneuerbare Energien: Ein Text werde viel glaubwürdiger, sagt der Journalist, wenn der Autor darin auch erwähne, dass ein Ausstieg aus der Kohle für Verbraucher mit steigenden Energiepreisen einhergeht und welche sozialen Folgen das hat.
Wer sich in seinem Privatleben als Aktivist engagiert, betont Papendick, sollte das unbedingt offenlegen. Etwa, indem Journalist*innen in ihren Autorenprofilen darauf hinweisen. Oder zumindest innerhalb der eigenen Redaktion darüber sprechen, um die interne Transparenz zu erhöhen.

Veständlich, klar, differenziert

Ausblenden kann das Thema Klimawandel ohnehin keine Redaktion, weder jetzt noch in Zukunft. Das liegt allerdings nicht in erster Linie an der Haltung von Journalisten. Sondern an der zunehmend spürbaren Evidenz, dass es den Klimawandel gibt: Die Hitze im Sommer, die heftigen Stürme, das schnelle Artensterben. Eine der wichtigsten Kategorien für die Relevanz eines gesellschaftlichen Problems im Journalismus sind die im Alltag spürbaren Auswirkungen und die „sichtbaren Opfer“, sagte Zeit-Redakteurin Petra Pinzler im Jahr 2017 auf einer Tagung über die veränderte Klimaberichterstattung, die unter anderem vom Umweltbundesamt organisiert wurde. Bei den G-20-Protesten etwa hätten Journalist*innen Opfer klar benennen können. Opfer des Gesamtkomplexes Klimawandels jedoch ließen sich bislang viel schwerer darstellen. Doch das ändert sich. Die Klimakrise ist daher kein Thema, das Medien den Leser*innen aus ideologischen Gründen aufzwingen. Sondern vielmehr eines, dessen immer stärker spürbare Relevanz uns zwingt, noch stärker als bislang darüber zu berichten.

Als Journalist*in anzuerkennen, dass es den Klimawandel gibt und dass er eine große gesellschaftliche Herausforderung ist, der wir uns stellen müssen, bedeutet also nicht, dass wir zu Klima-Aktivisten werden müssen. Im Gegenteil: Vielmehr wird es noch wichtiger als bisher, dass wir unser Handwerkszeug beherrschen und über die Positionen und Perspektiven bei der Lösung dieser Krise objektiv, verständlich, klar und differenziert berichten.

Nina Bärschneider ist Redakteurin bei der Wirtschaftsredaktion Wortwert in Köln.

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