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Das Diversity-Lexikon

Diversität in Deutschland spiegelt sich auch in der großen Anzahl an Begrifflichkeiten wider. Wir haben 34 Betroffene und Expert:innen gebeten, sich einen Begriff aus dem Themenfeld Vielfalt und Inklusion auszusuchen und ihn zu erklären. Zusammengestellt von Sebastian Pertsch.

08.12.2021

Ableismus

Ableismus ist eine Diskriminierungskategorie, die den Ausschluss und die Abwertung von behinderten Menschen auf persönlicher, institutioneller und struktureller Ebene beschreibt. Der Begriff stammt aus der US-amerikanischen Behindertenrechtsbewegung und setzt sich aus "able" (englisch: fähig) und der Endung "-ismus" zusammen. Der nichtbehinderte Mensch steht beim Ableismus im Zentrum der gewünschten Norm. Behinderte Menschen, die diese vorgeschriebene Norm nicht erfüllen können, werden aus der Gesellschaft ausgeschlossen, indem ihre Bedürfnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen ignoriert, herabgewürdigt und als anders oder "besonders" dargestellt werden. Direkte Behindertenfeindlichkeit, zum Beispiel in Form von psychischer und körperlicher Gewalt, ist ein Teil von Ableismus. Noch öfter tritt Ableismus im Alltag aber als Machtdifferenz auf, die behinderte Menschen in ihrer Selbstbestimmung, in ihren Erwartungen und in ihren Ansprüchen unterdrückt und begrenzt. Aber auch forcierte positive, fremdbestimmte Darstellungen der Lebenswirklichkeit von behinderten Menschen – wie etwa im Satz "Alle Menschen sind doch irgendwie behindert" – fallen unter Ableismus, da auch hier die Erfahrungen von behinderten Menschen ausgeblendet werden.
Tanja Kollodzieyski, @RolliFraeulein

Alter weißer Mann

Person beziehungsweise Personengruppe, die eine als selbstverständlich angenommene privilegierte gesellschaftliche Stellung besitzt und zudem eine überhebliche und abwertende Haltung gegenüber Menschen, die nicht ihren moralischen oder gesellschaftlichen Idealen entsprechen. Stellung wie Haltung werden von den Betroffenen zumeist vehement bestritten. Der Begriff ist jedoch irreführend. Allerdings nicht nur, weil nicht alle alten weißen Männer diese Merkmale erfüllen, sondern auch, weil es zum Erfüllen dieser Merkmale keineswegs notwendig ist, alt, weiß oder auch nur ein Mann zu sein. Leider füllen zu viele alte weiße Männer diese Rolle zu perfekt aus, als dass sich dieses Bild schlüssig und für jeden verständlich ersetzen ließe. Die meisten alten weißen Männer, die sich von diesem Begriff angegriffen fühlen und bestreiten, ein alter weißer Mann zu sein, sind in der Regel tatsächlich alte weiße Männer, die nur nicht in der Lage oder gewillt sind, sich selbst genug zu reflektieren.
Benno Brockmann, @HerrBalsam

Biodeutscher

Gemeint sind deutsche Staatsangehörige ohne sichtbaren Migrationshintergrund; auch Herkunftsdeutsche oder Standard-Deutsche. Stand heute sind das übrigens etwa 70 Prozent der bundesdeutschen Gesamtbevölkerung. Fun Fact: Der Begriff war Ende der 1990er eigentlich ironisch gemeint, wurde aber bald auch in gesellschaftlichen und politischen Debatten verwendet – und zwar im Ernst. Eine der Begründungen: Wer dauernd auf der Herkunft der einen herumreitet, sollte das auch konsequent bei den anderen tun. Aber Achtung: Auch die Neue Rechte benutzt den Begriff. Unironisch und rassistisch im Sinne von genetisch-biologische, "alteingesessene" oder "echte" Deutsche im Gegensatz zu den "Passdeutschen", also hier geborenen Staatsbürgern mit nicht-biodeutschen Eltern.
Julia Menger, @juliefahrenheit

Christlich-jüdisches Abendland

Die Formulierung ist keineswegs ein wertneutraler Begriff, sondern ein politischer Kampfbegriff. Es ist die imaginierte Vorstellung, dass Europa als Abendland, das sich auf eine christlich-jüdische Tradition beziehen würde, dem islamischen Morgenland gegenüberliege. Der Begriff verdeckt nicht nur, dass alle drei monotheistischen Weltreligionen ihren Ursprung im Nahen Osten haben, sondern auch, dass die Geschichte des Abendlands durch die Verfolgung von Jüdinnen:Juden durch Christ:innen auszeichnet. Keine gemeinsame Tradition, sondern eine Verfolgungs- und Ausgrenzungs- bis hin zur Vernichtungsgeschichte. Ein christlich-jüdisches Abendland oder eine christlich-jüdische Tradition herbeizuschwören verdeckt, dass besonders die christlichen Kirchen über die vergangenen zwei Jahrtausende entscheidend die Verfolgung von Jüdinnen:Juden angeführt haben.
Ruben Gerczikow, @RubenGerczi  

Feminismus

Feminismus ist das praktikabelste Mittel, um nicht alle gleich, sondern gleich an Rechten zu machen – unabhängig von der Ausprägung etwaiger Geschlechtsorgane. Feminismus ist in meiner Sprache ein Synonym für Gerechtigkeit, nicht für Gleichheit. Moderner Feminismus feiert die Diversität, denn diese ist es, die Frauen, Männern und allen Geschlechtern dazwischen die Stärke und den Mut zur Vielfalt schenkt, die unsere Gesellschaft so nötig hat, um stark und resilient zu sein. Feminismus ist deshalb mehr als Wahlrecht und gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Feminismus ist die Grundlage für eine gesunde, stabile Demokratie, die in der Lage ist, sich weiterzuentwickeln und Angriffen standzuhalten.
Sabine Beck, @sabine_beck

Frauenquote

Dieses Instrument legt fest, welchen prozentualen Anteil weibliche Personen in einem Gremium oder in Positionen ausmachen sollen. Früher noch ein fabelhaftes Streitthema, ist die Quotennotwendigkeit heute weitgehend Konsens. Die "freiwillige Selbstverpflichtung", mehr Frauen an entscheidenden Stellen – beispielsweise in Unternehmensvorständen – zu inkludieren, brachte dagegen kaum Veränderung. Folglich wurde die Quote als notwendiges Mittel zum Zwecke der Gleichberechtigung diskutiert und angewandt. In ihrer letzten Bundespressekonferenz als Bundeskanzlerin wies Angela Merkel darauf hin, dass "Frauenförderung ohne Veränderung männlicher Verhaltensmuster gerade bei der Aufteilung der Aufgaben in Familie und Beruf überhaupt nicht denkbar ist". Die Quote kann also nicht alleiniges Werkzeug sein, sondern benötigt zum Erfolg weitere politische Maßnahmen und gesellschaftliche Wandlungsprozesse. Alternativ kann das Wort "Geschlechterquote" verwendet werden.
Paulina Fröhlich, @PaulinaFrohlich

Gaslighting

Gaslighting ist ein Begriff aus der Psychologie. Er beschreibt wie ein_e Täter_in ein Opfer so manipuliert, dass es nicht mehr weiß, was real ist. Der Name leitet sich von dem Theaterstück "Gas Light" (1938) von Patrick Hamilton ab, das 1944 mit Ingrid Bergmann in der Hauptrolle verfilmt wurde. In dem Stück verstellt ein Mann das Licht der Gaslaternen vor der Wohnung, sodass die Ehefrau ihre eigene Wahrnehmung in Frage stellt und sie für verrückt erklärt wird. Diese Realitätsmanipulationen gibt es als Form der psychischen Misshandlung, wurde aber auch in den vergangenen Jahren auf größere soziologische und politische Prozesse übertragen. Damit wird versucht, die Realitätsverzerrungen politischer Akteur_innen wie Donald Trump sichtbar zu machen, die die faktische Realität anzweifeln und eine gegenfaktische Gegenrealität anbieten. Auch in den sozialen Netzwerken ist diese Form der Manipulation Teil des Instrumentariums orchestrierter oder organischer Attacken auf unliebsame Personen. Gaslighting ist damit auch zu einer Strategie im Kulturkampf der extremen Rechten geworden.
Natascha Strobl, @Natascha_Strobl

Gendern

Sprache schafft Realität, zeigen unzählige Studien. Wer Arzt liest, denkt an einen Mann. Das generische Maskulinum stammt aus einer Zeit, die wir hinter uns lassen müssen, um eine gute Welt für alle zu schaffen: Sei es in der Gleichberechtigung – und zwar nicht nur der zwischen Mann und Frau – oder sei es, dass unsere persönliche Sicht auf die Welt und damit auch unsere Sprache sehr begrenzt und damit "aus"grenzend ist. Weil wir mit unserer Sprache uns manifestieren – und nicht "die anderen". Um zu überwinden, was wir als "typisch" für Männer und Frauen erachten, um zu erreichen, dass sich auch Menschen gesehen fühlen, die sich nicht mit diesen Kategorien identifizieren, bietet gendersensible Sprache riesige Chancen. Gendersensible Sprache bricht alte Sprachklischees auf und eröffnet neue Räume für die Vielfalt des Lebens, Liebens und Seins: eine bereichernde Vielfalt von Menschen, Lebens- und Liebesstilen. Gendersensible Sprache ist Inklusion. Und Eröffnung von Möglichkeiten. Denn in ihr hat jede:r Platz, egal ob Ärzt:innen, Busfahrer:innen oder Wissenschaftler:innen.
Katja Diehl, @kkklawitter

Identitätspolitik

Wie schnell kann ein Begriff komplett ausgehöhlt werden? Die Karriere des Terminus "Identitätspolitik" zeigt es eindrücklich: Entstanden als Antwort auf diskriminierende Strukturen, um die Erfahrungen marginalisierter Gruppen anzuerkennen, kann heute kaum noch von Identitätspolitik gesprochen werden, ohne dass es als essenzialisierend und ausschließend dargestellt wird – gerne auch als weltfernes Geschwurbel vermeintlich urbaner Eliten. Dabei ist Identitätspolitik über das gesamte politische Spektrum hinweg ein, wenn nicht der zentrale Bestandteil politischer Praxis: von Arbeiter*innenbewegungen bis hin zur Umbenennung des Innenministeriums in "Heimatministerium" oder rechtspopulistische Border Politics. In allen werden Identitätsbilder artikuliert. Identitätspolitik als Kategorie des politischen und gesellschaftlichen Diskurses zu begreifen, hilft uns, diese Strukturen und ihre Ausschlüsse sichtbar zu machen. Nur dadurch, dass sie sichtbar werden, können wir darauf hinarbeiten, sie auch zu überwinden. Die Kampagne gegen die "Identitätspolitik", egal ob sie nun von rechts oder von orthodoxen Linken kommt, bleibt also vor allem nur eins: das Bestreben, den Status quo zu erhalten.
Aida Baghernejad, @aidabaghernejad

Integration

In Deutschland wird das Wort Integration hauptsächlich in Verbindung mit Migrant*innen verwendet, sprich: die Einbindung oder Eingliederung anderer Kulturen. Damit diese funktioniert, sollen sich Migrant*innen anpassen. Eine einseitige Erwartungshaltung! Ein Land muss Integration auch zulassen, beide Seiten müssen aufeinander zugehen. Wenn Menschen aufgrund anfänglicher schlechter Deutschkenntnisse die zehnte Wohnungsabsage bekommen oder im Berufsleben benachteiligt werden und sich vielleicht deshalb aus Frust mehr und mehr der deutschen Kultur verschließen, spricht man von gescheiterter Integration. Man kann aber nicht erwarten, dass nur der/die "Fremde" etwas für eine gesellschaftliche Einheit leistet. Das Geleistete muss angenommen und zugelassen werden, das heißt: Auch die Gesellschaft muss sich auf das Neue zubewegen. Aus meiner Sicht ist das Wort "Integration" deshalb negativ behaftet und auch inhaltlich überholt, weil es eben um viel mehr als nur um die Anpassung an eine neue Kultur geht. Die Zukunft steckt in der Inklusion, die als Begrifflichkeit weniger vorbelastet und stattdessen zielführender ist.
Pinar Tanrikolu, @PinarTanrikolu

Inklusion

Inklusion ist die Akzeptanz von menschlicher Vielfalt. Darunter fällt auch, die Bedürfnisse behinderter Menschen zu beachten und mit ihnen in den Dialog zu treten, was oft nicht selbstverständlich geschieht. Journalist*innen fragen gern, "ob Inklusion gelingen kann" oder "wann wir Inklusion erreicht haben". Das nervt und zeugt von einer nicht ausreichenden Auseinandersetzung mit Ableismus als System. Inklusion ist kein Nice-to-have und wird nie abgehakt sein, sondern bleibt ein ständig weiterzuentwickelndes Thema. Das setzt die Bereitschaft voraus, auch die Bedürfnisse anderer Menschen zu berücksichtigen, wenn sie sich von den eigenen oder von denen der Mehrheit unterscheiden. Inklusion, in ihrer utopischen Form, würde eine Welt ohne Diskriminierungsformen ermöglichen. Eine Welt, in der Menschen nicht sichtbar sein müssen, um gleichberechtigt teilhaben zu können, und in der Outings – in welcher Form auch immer – ein Relikt der Vergangenheit sind. Inklusion nimmt alle mit, nicht nur Migrant*innen und behinderte Menschen, und beleuchtet dabei übergreifend die verschiedenen Bedürfnisse aller Beteiligten, um lebenswerte Kompromisse zu finden.
Raúl Krauthausen, @raulde

Inklusive Sprache

Wie kann ich schreiben, sprechen, kommunizieren, ohne eine andere Person oder Personengruppe zu diskriminieren? Eine Frage, die sich auch Journalist*innen stellen sollten. Die kurze Antwort lautet: Offenheit. Es braucht dafür keinen besonderen Bildungsabschluss, kein Studium und keinen Doktortitel, sondern nur die Frage: "Wie ist es gut für dich?" Und dann die Offenheit, die Antwort wirklich hören zu wollen und dementsprechend zu kommunizieren. Gut ist: Viele Antworten gibt es bereits. Von Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Von Menschen, die von Behindertenfeindlichkeit betroffen sind. Von Menschen, die von Sexismus betroffen sind. Sie sagen: So wollen wir nicht bezeichnet werden, das ist verletzend. Oder auch: Wir kommen in den Wörtern nicht vor, wir brauchen neue! Diskriminierende Sprache erkennt man daran, dass sie eine bestimmte Personengruppe mit negativen Eigenschaften belegt. Guter Journalismus muss sich solcher Diskriminierungsmechanismen bewusst sein und sollte sie nicht reproduzieren – weder in Bildern noch in der Sprache. Wir können und sollten alles sagen, was die Würde eines anderen Menschen nicht verletzt, aber eben nur das. Und das ist ganz schön viel.
Mareice Kaiser, @mareicares  

Inspiration Porn

Der Begriff stammt von der inzwischen verstorbenen Behindertenrechtsaktivistin Stella Young. Sie hatte es satt, von nichtbehinderten Menschen für alltägliche Dinge, die sie tat, bewundert zu werden. Inspiration Porn ist genau das: Die Bewunderung für einen Menschen, dem es aufgrund einer Behinderung vermeintlich schlechter geht. Gepaart wird das Ganze mit Sätzen wie "Wenn ich sehe, wie schlecht es der behinderten Person X geht, dann darf ich mich mit meinen kleinen Wehwehchen nicht beschweren." Fraglich dabei ist, ob es behinderten Personen wirklich schlecht(er) geht oder, ob diese Bewertung der Situation behinderter Menschen einfach in das Weltbild von nichtbehinderten Personen passt. Es kommt zu einer Aufwertung der eigenen Person durch das vermeintliche Leid anderer und zu einer Abwertung der behinderten Person zugunsten der eigenen Motivation: "Was die schafft, kann ich schon lange." Dabei kann die behinderte Person den Mount Everest besteigen oder einen ersehnten Studienabschluss trotz Barrieren und Diskriminierungen ergattern. Für nichtbehinderte Personen steht nicht die Errungenschaft der behinderten Person im Vordergrund, sondern die eigene Motivation, die daraus geschöpft werden kann.
Judyta Smykowski, @Jusmyk  

Israelbezogener Antisemitismus

Der israelbezogene Antisemitismus ist in der Gesellschaft besonders weit verbreitet und zeigt sich in allen gesellschaftlichen Gruppen und politischen Milieus. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Berlin ordnete 2018 49,9 Prozent, 2019 33,6 Prozent und 2020 26,3 Prozent der erfassten antisemitischen Vorfälle in Berlin dem israelbezogenem Antisemitismus zu. Der prozentuale Rückgang kann auch damit erklärt werden, dass sich in der Pandemie 2020 Antisemitismus stärker über Verschwörungserzählungen ausdrückte. Im Jahr 2021 wird er nach der Eskalation der Lage in Nahost vermutlich anteilig wieder eine größere Rolle spielen. Der israelbezogene Antisemitismus zeigt sich häufig codiert und stellt sich so als angebliche "Israelkritik" dar, ist dadurch aber nicht weniger gefährlich und dient immer wieder auch zur Legitimation von Gewalttaten. Im Alltag hilft der "3-D-Test" beim Erkennen von israelbezogenem Antisemitismus: Wenn Aussagen Israel dämonisieren, delegitimieren oder doppelte Standards anwenden, sind sie meistens antisemitisch.
Pia Lamberty, @pia_lamberty  

Klassismus

Klassismus bezeichnet die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sozialen Herkunft oder ihrer sozialen Position. Aber das ist fast schon zu kompliziert formuliert, denn die Verächtlichmachung findet immer nur in eine Richtung statt: nach "unten", gegen die Armen, gegen die "Unterschicht". Vermeintlich konträr dazu wohnen Menschen der "hohen sozialen Herkunft", die in die "Hochschule" gehen, dann vielleicht im "höheren Dienst" arbeiten und ein "hohes Einkommen" erzielen. Der Soziologe Andreas Kemper stellt fest: "Klassen werden entlang einer Vertikale verortet, wobei oben das Gute, Aktive, Geistige und die Individualität angesiedelt ist und unten das Schlechte, Passive, Materie und unförmige Masse." Journalist*innen stammen selten aus den Betonburgen der Trabantenstädte, und sie haben noch seltener eine syrische Flüchtlingshistorie. Daher sind sie empfänglich für Klischees und Stereotypen über ebendiese Menschen. "Wie sehr Unterdrückung und Sprachgebrauch miteinander verwoben sind, zeigt sich schon, wenn man versucht, auf eine nicht klassistische Art zu schreiben", stellte Anja Meulenbelt schon 1988 fest. Auch heute schreiben noch zu viele Journalist*innen von etwa "sozial Schwachen", wenn sie arme Menschen meinen. Ganz so, als hinge die soziale Kompetenz vom Kontostand ab.
Mario Sixtus, @sixtus  

Kritisches Weißsein 

US-Autorin Oksana Marafioti fragte mal: "Why do white people never have to explain their identity?" Ja, warum nicht? Wir weißen Menschen bezeichnen uns selten als Weiße. Wir hinterfragen nicht unsere weiße Identität und warum wir eben jenen Platz in der Gesellschaft haben, den wir haben. Wir empfinden uns offensichtlich als eine Art Standard, der sich nicht erklären muss. Und das ist das Problem, denn damit ist diese weiße Identität, die sich selbst zur Norm macht, rassistisch. Kritisches Weißsein setzt genau da an. Es ist Auseinandersetzung mit den eigenen Rassismen und Vorurteilen, mit denen man – ja, auch unbeabsichtigt – Gewalt ausübt, und mit den Privilegien, die sich dadurch für einen selbst ergeben. Diese bestehenden Machtstrukturen werden reflektiert, anerkannt und die Erkenntnis darüber in ein antirassistisches Handeln übersetzt. Wir weißen Menschen sind die Ursache für und Profiteur*innen von Rassismus: Ob wir rassistische Sprache benutzen, eine tolle Wohnung ergattern, uns als Bewerber*in bei einem Job durchsetzen oder Produkte kaufen, die in rassistischen Strukturen ausbeuterisch für uns produziert werden. "Rassismus ist kein Schwarzes, sondern ein weißes Problem", sagt die Autorin Noah Sow. Fangen wir ehrlich an, dem Problem zu begegnen.
Friederike Busch, @rike_tweet 

leidet unter …

Häufiger werden Menschen mit chronischen Krankheiten und/oder Behinderungen von den Medien als leidend beschrieben. Das Wort leiden ist in der Community nicht gerne gesehen, denn es unterstreicht den typischen Stereotyp, dass die Person mit der Krankheit und/oder Behinderung unvollkommen oder fehlerhaft ist oder dass die Beeinträchtigung etwas ist, das man heilen muss. Tatsächlich verbringen die meisten Menschen mit chronischen Krankheiten und/oder Behinderungen aber nicht ihr ganzes Leben leidend hinter geschlossenen Türen in ihren vier Wänden. Viel mehr leben sie mit einer Krankheit/Behinderung, die den Alltag beeinflussen mag, aber nicht zu niemals endendem Leid führt. Eine chronische Krankheit/Behinderung ist ein dauerhafter Begleiter, aber sie ist nicht alles, was Menschen mit Krankheiten/Behinderungen ausmacht. Deshalb ist Sprache, die Mitleid auslösen soll und die Person mit Krankheit/Behinderung weiter ausgrenzt, zu vermeiden. Neutrale Worte sind "die Person lebt mit …" oder "die Person hat …".
Karina Sturm, @KarinaSturm  

Mensch mit Behinderung

Die unter behinderten Menschen in Deutschland vorherrschende Kultur definiert eine Behinderung als etwas, das die Person nicht definiert, sondern nur ein Teil von ihr ist. Sie wünschen deswegen, dass die Person sprachlich vorangestellt wird: die Person-zuerst-Sprache. Sie ist daher der Identität-zuerst-Sprache vorzuziehen. Dieser Konsens kann in der Subkultur einiger Behinderungen abweichen, wie zum Beispiel bei Autismus. Behinderung ist als Begriff neutral, wertfrei und in jedem Fall Synonymen – und scheinbar weniger diskriminierend klingenden Begriffen wie besonders, eingeschränkt, benachteiligt, gehandicapt oder anders begabt – vorzuziehen. Behinderung erlaubt als Begriff die Selbstdefinition "behindert sein" oder "behindert werden", je nachdem, ob die Person sich als mehr durch ihr Umfeld behindert sieht oder durch die Behinderung selbst. Die Konnotation von Behinderung als Beleidigung entsteht erst durch die Nutzung als abwertendes Synonym. Diese sollte daher unbedingt vermieden werden.
Mela Eckenfels, @Felicea  

Migrationshintergrund

Der Begriff "Migrationshintergrund" ist eine in Deutschland sehr klar definierte bürokratische Kategorie. Er sagt nichts über Hautfarbe, Nachnamen oder Kultur einer Person, die einen solchen Migrationshintergrund hat, aus. Der Terminus beschreibt Menschen, die mindestens einen Elternteil haben, der nicht mit der deutschen Staatsbürgerschaft geboren wurde. Es gibt Schwarze Menschen oder Menschen, deren kulturelle Prägung türkisch oder italienisch ist, die laut Statistischem Bundesamt keinen Migrationshintergrund haben, da ihre beiden Elternteile als Deutsche geboren wurden. Der Begriff funktioniert also nur, wenn es um Datenerhebung geht, nicht aber als absolute Kategorie.
Malcolm Ohanwe, @MalcolmOhanwe  

Misogynie

Wörtlich übersetzt bedeutet Misogynie Hass gegen Frauen. Neben Hass und Ablehnung zählen dazu aber auch subtilere, oft unbewusste Formen der Feindlichkeit gegen Frauen, weiblich gelesene Personen und sogar nur als feminin gedeutete Verhaltensweisen. Diese Frauenfeindlichkeit äußert sich unterschiedlich: von der internalisierten Überzeugung, Frauen und weiblich gelesene Personen seien weniger lustig, interessant oder kompetent, über unterschwellige Aggression und Beleidigung bis hin zu körperlicher Gewalt und Femizid. Auch Stereotype und vermeintlich positive Zuschreibungen können zu dieser Art der Herabwertung gehören – zum Beispiel die Charakterisierung der Frau als stets sanft und lieb. Misogynie ist eng verknüpft mit Sexismus und häufig mit anderen Varianten der Diskriminierung verbunden, etwa mit Transfeindlichkeit (Transmisogynie), Rassismus oder Klassismus. Auf gesellschaftlicher Ebene trägt Misogynie durch die Herabsetzung des Femininen dazu bei, patriarchale Strukturen und Machtverhältnisse zu erhalten.
Sarah Koldehoff, @sarahkldf  

Mitbürger:innen jüdischen Glaubens

Immer wieder lässt sich die gleich doppelt problematische Formulierung der "Mitbürger:innen jüdischen Glaubens" finden. Doppelt problematisch, weil sie einschließendes Ausschließen betreibt und gleichermaßen unklar ist, wer denn eigentlich damit bezeichnet werden soll. Das routiniert verwendete Präfix "Mit-", wenn es um Jüdinnen:Juden geht, zeigt, dass sie immer nur als zusätzliche Gruppe gesehen werden. Sie gehören eben nicht ganz, sondern nur "mit" dazu. Hinzu die Bezeichnung "jüdischen Glaubens", obwohl es sich beim Judentum um eine orthopraxe Religion handelt und somit das Tun im Mittelpunkt steht. Die Vorstellung der "Gläubigkeit" wird aus dem eigenen christlichen Blick auf das Judentum übertragen. Ganz abgesehen davon, dass ein erheblicher Teil nicht religiös ist. Insofern kann zu Recht angenommen werden, dass es sich um ein Ausweichen handelt. Wer von "Mitbürger:innen jüdischen Glaubens" spricht, weigert sich, die Selbstbezeichnung von Jüdinnen:Juden in den Mund zu nehmen. Die Verwendung weist auf ein verkrampftes Verhältnis zum Wort "Jude" und damit auch zum jüdischen Leben selbst hin. Es braucht Anerkennung jüdischer Selbstbezeichnungen, die sich auch in gegenderten Varianten widerspiegelt, daher: Jüdinnen:Juden.
Monty Ott, @MontyAviZeev  

Multikulti 

Lange stand "Multikulti" für die fröhliche linke Utopie einer multiethnischen Gesellschaft, in der Gruppen mit vielfältigen kulturellen Wurzeln zwar in einem geografischen Raum zusammenleben, aber parallele Zugehörigkeitsrituale zelebrieren – ohne staatlichen Assimilationsdruck. Inzwischen ist es ein aufgeladener Kampfbegriff, der in konservativen und rechten Kreisen als Diffamierungsvokabel für naiv-idyllische Blütenträume dient. Das Konfliktpotenzial: Ohne eine ernsthafte Bekenntnispflicht zu gemeinsamen Werten ist die Ausprägung einer neuen, multiethnischen Nationalität nach dem Melting-Pot-Prinzip nicht möglich. Die Voraussetzungen für eine funktionierende multikulturelle Gesellschaft – wie wechselseitiges Verständnis, Respekt und Toleranz – zerschellen schlicht an der Realität. Dennoch ist Deutschland ein Einwanderungsland. Es sollte die Fundamente seiner kulturellen Neuausrichtung aber nicht länger entlang des Begriffs "Multikulti" definieren. Die tadelnd-spöttische Lesart hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung durchgesetzt. Deshalb ist es journalistisch riskant, Multikulti etwa als Synonym für "kulturelle Vielfalt" oder "erfolgreiche Integration" zu verwenden.
Imre Grimm, @ImreGrimm  

Neurodiversität

Neurodiversität oder auch Neurodivergenz bezeichnet die Annahme, dass die Beschaffenheit menschlicher Gehirne viel diverser ist als allgemein angenommen – und dementsprechend auch das Spektrum dessen, was als "normal" bezeichnet werden sollte, sehr viel größer ist. Menschen mit bestimmten neurologischen oder psychologischen Konditionen zeigen mannigfaltige Verhaltensweisen, in denen sich die jeweiligen Konditionen manifestieren, die von Nicht-Betroffenen mal mehr und mal weniger als zum Beispiel unnormal, auffällig oder störend bezeichnet werden. Viele Menschen – zum Beipsiel mit AD(H)S – entwickeln Depressionen als psychologische Reaktion auf eine sie stetig behindernde, restriktiv normierende Umwelt. Das Konzept Neurodiversität erweitert diesen sehr eng gesteckten normativen Rahmen, indem Menschen mit bestimmten neurologischen Konditionen nicht mehr als krank oder behindert diagnostiziert – und mit den entsprechenden Vorurteilen und Stigmata versehen – werden. Stattdessen werden sie zum diversen Teil des Normalen, in dem sie ihren spezifischen Konditionen entsprechend wahrgenommen, eingebunden und respektiert werden.
Jannicke Schwarzhoff, @dieJanki

non-binär

Als non-binär oder nicht-binär bezeichnen sich Menschen, die die Einteilung in weiblich und männlich für sich ablehnen. Im Englischen verwenden sie meist die Pronomen they/them, im Schwedischen wurde vor einigen Jahren das genderneutrale Fürwort "hen" eingeführt. Hierzulande gibt es bisher keine Entsprechung, so dass man beim Schreiben über nicht-binäre Personen am besten nach Eigenaussagen zu deren bevorzugten Pronomen suchen beziehungsweise sie danach fragen sollte. Ist das nicht möglich, kann man den Namen der Person als Pronomen benutzen oder neutrale Bezeichnungen wie Star oder Publikumsliebling. Auch Formen wie "die*der Schriftsteller*in" sind möglich.
Nadine Lange, @VerpennteKatze  

Ostdeutsche

Berichte über den Osten und die Ostdeutschen klingen oft wie die eines Auslandskorrespondenten. Reporter*innen aus Hamburg oder Köln reisen an und bringen das mit, was sie eh schon im Kopf hatten: über den Ossi, den es so gar nicht gibt. Wer im Erzgebirge lebt, hat ganz andere Sorgen als der Berliner. Zwischen Schwerin und Suhl können Welten liegen. Ja, es gibt eine ostdeutsche Identität und vieles verbindet. Ein Gefühl, nicht angekommen zu sein – irgendwie nicht auf Augenhöhe. Wer es genauer wissen wollte, muss vor Ort recherchieren. Nicht nur über die berichten, die überproportional die AfD wählen – sondern auch über die, die sich täglich gegen Rechtspopulisten und Neonazis engagieren! Die Welt im Osten ist grauer, lasst uns diese Töne zulassen und auch mal was lernen. Lasst uns selbstbewusst aus dem Osten berichten, und zwar mit ostdeutschen Reporterinnen und Reportern und auch mit Ostdeutschen in leitenden Positionen in den Medien.
Gábor Halász, @gaborhalasz1

People of Color

Selbstbezeichnung für Menschen mit Rassismuserfahrung, also vor allem jene, die von der weißen Mehrheitsgesellschaft nicht als weiß oder deutsch gesehen werden. Hat sich als Begriff in deutschsprachigen Medien, die kein Problem mit "Booster-Impfungen", "SUV", "Paywall" oder auch "ePaper" haben, bisher nicht durchgesetzt, weil er zu englisch klingt. Nicht zu übersetzen mit "f*rbige Menschen". Es geht hier nicht um äußere Merkmale wie Hautfarben, Haare oder Augen, sondern um ein Statement gegen diskriminierende Fremdbezeichnungen. "F*rbig(e)" wird gerne mal von Menschen, die selten über Rassismus nachgedacht und noch seltener welchen erlebt haben, als Bezeichnung für People of Color (PoC) genutzt. "F*rbig" wurde unter anderem im südafrikanischen Apartheidssystem genutzt, um Diskriminierung von PoC in Gesetzestexten festzuhalten, und ist daher hochproblematisch.
Hyun-Ho Cha, @Herr_Cha

Queer

Queer ist ein englisches Wort und bedeutet eigentlich seltsam, suspekt oder fragwürdig. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts war es im angelsächsischen Raum ein Schimpfwort für Homosexuelle. Aber wie bei so vielen Schimpfworten haben es sich queere Menschen angeeignet und umgedeutet – und spätestens seit Ende der 1980er, Anfang der 1990er positiv für sich genutzt. Als Selbstbezeichnung für politisch und gesellschaftlich weniger angepasste Homosexuelle hatte der Begriff damals eine dezidiert politische Konnotation, etwa in Abgrenzung zu Homosexuellen, die sich für vermeintlich bürgerliche Ziele wie die Öffnung der Ehe einsetzten. Heute ist queer eher zu einem Sammelbegriff geworden: für alle, die sich nicht mit heteronormativen oder binären Vorstellungen von Sexualität oder Geschlecht identifizieren. Dass der Begriff eher unscharf ist, halten viele für einen Vorteil – es löst aber auch immer wieder Kontroversen aus, wer nun wirklich dazu gehört.
Tilmann Warnecke, @mannfrauundco  

Rassismus

Rassismus ist ein System der Unterscheidung von Menschen aufgrund von realen oder zugeschriebenen Merkmalen. Dabei werden unterschiedliche Bevölkerungsgruppen als grundsätzlich verschiedenartig und ungleichwertig definiert. Mit dieser behaupteten Ungleichwertigkeit von Menschen wird die Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen legitimiert. Rassismus kann sich sowohl auf biologische Merkmale wie etwa Hautfarbe beziehen als auch auf Merkmale wie Kultur, Religion oder Herkunft. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass Rassismus eine Ideologie der Ungleichwertigkeit und Ungleichbehandlung ist, die keineswegs darauf angewiesen ist, dass es Menschenrassen wirklich gäbe. Und Rassismus ist wandlungsfähig und zeigt sich in verschiedenen Formen, sodass der Rassismus heutzutage auf "Kultur" rekurriert, um Grenzen zwischen Bevölkerungsgruppen zu ziehen und Menschen aufgrund von vermeintlicher Zugehörigkeit zu einem "Kulturkreis" abgewertet und diskriminiert werden.
Ismail Küpeli, @ismail_kupeli

Schwarz

"Dunkelhäutig", "mit Migrationshintergrund", "irgendwas-mit-Pigmente", was brechen wir uns einen ab, um bloß den Begriff Schwarz zur Bezeichnung von Menschen zu umgehen. Was wir wissen: N-Wort und M-Wort sind rassistisch. Da hilft auch kein pseudowissenschaftlicher Verweis auf die Ursprünge der Begrifflichkeiten oder die angebliche Unschuld oder gute Absicht der Nutzenden. Auch der gern genutzte Begriff f*rbig, der für viele weiße Menschen weich und freundlich anmutet, ist ein Produkt der Rassetheorien. Jahrhunderte alte rassistische Kontinuitäten spiegeln sich eben auch in unserer Sprache wider. Liebe weiße Mehrheitsgesellschaft, der Begriff Schwarz ist eine politische Selbstbezeichnung. Und Schwarz wird großgeschrieben, etwa bei "eine Schwarze Person", denn er beschreibt keine tatsächliche Eigenschaft im Sinne einer Farbe, sondern eine gesellschaftliche Position, und mit dieser Position sind Rassismuserfahrungen verbunden. Nach Jahrhunderten der Fremdbezeichnungen durch weiße Menschen, wäre doch jetzt ein guter Zeitpunkt, Menschen so zu bezeichnen, wie sie bezeichnet werden möchten. Nicht bunt, nicht dunkel und ganz ohne Hintergrund: einfach Schwarz.
Sarah Shiferaw, @kasslerkind

TERF

Spätestens seit Joanne K. Rowling, die sich wiederholt transfeindlich geäußert hat, steht der Begriff "Trans-Exclusionary Radical Feminist" oder kurz "TERF" in der Öffentlichkeit. Zunehmend findet er auch den Weg in deutschsprachige Diskurse. Darunter werden Personen gefasst, die sich als Feministinnen verstehen, aber trans Personen aus ihrem Verständnis von Feminismus ausschließen. Die meisten TERFs bezeichnen sich nicht als solche, sondern beispielsweise als "genderkritische Feminist*innen", dementsprechend handelt es sich um eine Zuschreibung von außen. Die gängige Behauptung von TERFs lautet: Geschlecht sei biologisch bestimmt und unveränderbar. Sie werfen trans Frauen vor, "biologische Männer" zu sein, die versuchten, in Frauenschutzräume einzudringen. Und umgekehrt behaupten sie, trans Männer seien eigentlich "biologische Frauen". Trans Personen wird auf diese Weise ihre Existenz abgesprochen und ihre Identität wird infrage gestellt. Häufig misgendern TERFs absichtlich trans Frauen und schließen sie explizit aus Räumen für Frauen aus.
Inga Hofmann, @inga_hof  

Tokenismus

Der Begriff "Tokenismus" (token = englisch: Zeichen oder Spielstein) beschreibt die Benutzung einzelner Personen als symbolische Repräsentanten ihrer marginalisierten Gruppe. Nach außen hin soll es die Weltoffenheit eines Unternehmens zur Schau stellen: "Schaut, wir haben eine Schwarze Person angestellt. Wir sind bunt." Jedoch haben die Tokens intern weder Einfluss, noch prägen sie die Unternehmenskultur. Sie haben selten die Möglichkeit, sich zu entwickeln oder aufzusteigen. Ebenfalls werden ihre Handlungen nicht als Teil ihrer Individualität angesehen, sondern mit ihrer Marginalisierung begründet. Für manche marginalisierte Menschen ist ein Job oder ein Aufstieg nur möglich, wenn sie die Rolle eines Tokens annehmen und die Ideologie und Meinung der dominanten Gruppe vertreten, wodurch sie für eine scheinbare Repräsentation und/oder als Sprachrohr benutzt werden können. Hinsichtlich Unterhaltungsmedien sind Token-Figuren nur Repräsentanten ihrer marginalisierten Gruppe, ohne Auswirkung auf die Story zu haben. Sie werden eingebracht, um die Medienschaffenden selbst oder deren Produkte aufzuwerten.
Victoria Linnea, @VictoriaLinnea1

Türkischstämmige

Etwa drei Millionen Menschen, die aus der Türkei stammen, leben aktuell in Deutschland. Wie oft haben Sie in Zeitungen, in Büchern oder im Fernsehen dabei die Bezeichnung "türkischstämmig" gehört? Tja, Sie nicken und möglicherweise mehr als einmal. Doch ist diese Bezeichnung wirklich zutreffend? Ist sie präzise genug? Die Türkei ist ein sehr vielfältiges Land, in dem eine große ethnische, sprachliche und religiöse Vielfalt der Menschen herrscht. Türkeistämmige in Deutschland sind nicht nur Türk:innen. Auch ethnische Minderheiten wie Kurd:innen oder beispielsweise Armenier:innen sind Staatsbürger:innen der Türkei oder haben Vorfahren, die aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland eingewandert sind. Wenn man das bedenkt, würden sich einige bei dem Begriff "türkischstämmig" nicht angesprochen fühlen. Mit "türkeistämmig" fühlen sich hingegen viele unabhängig ihrer ethnischen Identität angesprochen, die ihre familiären Wurzeln in der Türkei haben.
Damla Hekimoğlu, @_DamlaHekimoglu  

Unlearning

Wann hat Ihnen zuletzt jemand gesagt, dass Sie etwas verlernen sollten? In der journalistischen Arbeit geht es oft um das Lernen und Neuentdecken von Fakten, Zusammenhängen und so weiter. "Unlearning" hingegen ist ein Konzept des bewussten Verlernens, geprägt von der Literaturwissenschaftlerin Gayatri Spivak. Sehr grob formuliert geht es dabei um das aktive Verlernen eigener Blickwinkel und Privilegien. Wenn wir zum Beispiel durch das Aufwachsen in unserer Gesellschaft Rassismus lernen, können wir ihn durch aktives Dekonstruieren der dahinterstehenden Denkmuster und Ausschlussmechanismen auch wieder verlernen, so das Konzept. Bisher wird der Begriff vor allem in künstlerischen und kulturwissenschaftlichen Kontexten verwendet. Aber auch in der journalistischen Arbeit wäre ein aktives Verlernen vieler althergebrachter Denkmuster hilfreich, um einen weniger schablonenhaften Blick auf Ereignisse und Gegebenheiten zu transportieren.
Nora Frerichmann, @frerichfrau  

Zionismus

"Die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor der Knesset im Jahr 2008. Dieser Satz ist im Grunde eine ausreichende Definition des Wortes "Zionismus". Die Idee einer sicheren Heimstätte für das Jüdische Volk in Zion, also der Gegend um Jerusalem herum, nannte man Zionismus und es gab Jüd:innen, die dafür oder dagegen waren. Nachdem dieser Plan mit der Staatsgründung Israels umgesetzt wurde, ist die Erhaltung und Gestaltung des Staates der heutige Zionismus. Folgerichtig bezeichnet sich selbst die in Teilen linksextreme israelische Partei Meretz, die jegliche Siedlungspolitik ablehnt, als zionistisch. Wer Zionismus aber als rechte, antiarabische und rassistische Ideologie verunglimpft, tut das, um als Antizionist:in nicht als Antisemit:in zu gelten. Doch der Antizionismus stellt die Existenzfrage für den jüdischen Staat, und das ist nach der vom Bundestag angenommenen IHRA-Definition „israelbezogener Antisemitismus“.
Eliyah Havemann, @EliyahHavemann

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