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Das böse Erwachen kommt später

Altersarmut? "Viele Journalisten verdrängen das Thema. Sie gucken oft nur auf ihre aktuelle Situation", sagt DJV-Referent Michael Hirschler

Wer wenig in die Rentenkasse einzahlt, bekommt später auch wenig ausbezahlt. Diese einfache Formel gilt natürlich auch für freie Journalisten. Sie verdienen im Schnitt nicht nur weniger als ihre fest angestellten Kollegen, sondern sie liegen mit ihrem Einkommen oft unterhalb des allgemeinen Durchschnittsverdiensts, der für die Rentenhöhe relevant ist. Konsequenz: Mehr als eine Minirente dürfte für viele Freie nicht drin sein. Von Monika Lungmus

27.06.2019


Die Angst vor Altersarmut geht um. Und sie ist oft begründet. Das Rentenniveau ist in den vergangenen Jahren immer weiter abgesenkt worden. Was vor allem jene zu spüren bekommen, die schon im Erwerbsleben kaum über die Runden kommen. Beschäftigte, die heute nur unwesentlich mehr als den gesetzlichen Mindestlohn von 9,19 Euro pro Stunde erhalten, sind später ein Fall für die Grundsicherung. Diese liegt derzeit bei 424 Euro für einen Alleinstehenden, plus Aufwendungen für Unterkunft, Heizung und Krankenversicherung. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung erhalten derzeit drei Prozent der Altersrentner eine Grundsicherung. Experten gehen allerdings davon aus, dass der Anteil der Bedürftigen größer ist. Die jüngste Auswertung des Statistischen Bundesamts zeigt, dass fast jeder Sechste im Rentenalter von Armut bedroht ist. Rechnet man die Pensionäre raus, so wie es eine von der Linken in Auftrag gegebene Studie tut, so muss fast jeder fünfte Rentner von weniger als 999 Euro leben.

"Altersarmut ist auch ein Problem für freie Journalisten“, sagt DJV-Referent Michael Hirschler und verweist auf das niedrige Einkommen vieler Freiberufler. So stellte der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) bei einer Umfrage im Jahr 2014 fest, dass freie Journalisten im Durchschnitt lediglich 2.180 Euro brutto pro Monat verdienen, also 26.160 Euro im Jahr – fest angestellte Journalisten bekommen mindestens doppelt so viel. Die Lage stellt sich je nach Medienbereich sehr unterschiedlich dar: Freie, die für Tageszeitungen arbeiten, kamen im Durchschnitt gerade mal auf 1.395 Euro brutto im Monat (Jahresverdienst: 16.740 Euro); die Zeitschriftenjournalisten erzielten immerhin durchschnittlich 2.275 Euro pro Monat (Jahresverdienst: 27.300 Euro). Mit rund 3.000 Euro lagen die Freien, die für Rundfunkanstalten arbeiten, mit im Spitzenfeld (Jahresverdienst: 36.000).

Gravierende Unterschiede ergeben sich auch, wenn man die Situation geschlechtsspezifisch betrachtet: Männer verdienten im Durchschnitt 2.440 Euro bei rund 44 Stunden in der Woche (= rund 14 Euro Nettogewinn pro Stunde), Frauen erzielten 1.895 Euro bei rund 39 Stunden (= rund 11 Euro Nettogewinn pro Stunde). Insgesamt lag das Durchschnittseinkommen der freien Journalisten im Jahr 2014 deutlich unter dem Durchschnittseinkommen aller Beschäftigten in Deutschland. Im Westen Deutschlands lag es laut Deutscher Rentenversicherung bei 2.876 Euro monatlich (34.514 im Jahr), im Osten bei 2.465 Euro (29.587 im Jahr).

Die Statistik der Künstlersozialkasse zeichnet ein noch düsteres Bild: Die 18.497 aktuell bei der KSK angemeldeten Journalisten kommen auf ein Durchschnittseinkommen von rund 21.763 Euro pro Jahr oder 1.814 Euro pro Monat. Der bei der KSK gemeldete Verdienst ist also noch niedriger als das vor fünf Jahren in der DJV-Umfrage ermittelte Einkommen. Wie bei der DJV-Umfrage zeigen sich auch bei der KSK deutliche Unterschiede bei Frauen und Männern. Die Männer verdienen im Durchschnitt 25.472 Euro im Jahr (circa 2.123 Euro pro Monat), die Frauen kommen auf lediglich 18.497 Euro im Jahr (circa 1.541 Euro pro Monat). Offen bleibt, ob das deutlich geringere Einkommen der Journalistinnen daraus resultiert, dass sie ein niedrigeres Honorar erzielen oder nur Teilzeit arbeiten. In jedem Fall stehen sie aufgrund ihres geringeren Verdienstes im Rentenalter schlechter da als ihre männlichen Berufskollegen.

Armutsgefährdung bei 13.152 Euro 

Das Durchschnittseinkommen ist indes nur eine grobe Maßeinheit, um die Lage der Freien zu erfassen. Nicht wenige KSK-Versicherte liegen mit ihrem Verdienst sogar unter dieser Marke. Das zeigt eine differenziertere Auswertung für den gesamten Wort-Bereich, der neben Journalisten auch Lektoren, Übersetzer, Buchautoren, Öffentlichkeitsarbeiter und andere publizistisch Tätige umfasst. Von den aktuell 44.752 Versicherten im Wort-Bereich (hier liegt der Durchschnittsverdienst leicht höher als in der Untergruppe der Journalisten) meldeten immerhin fast 31 Prozent (13.777) ein geschätztes Jahreseinkommen von weniger als 10.000 Euro. Zum Vergleich: Der Schwellenwert für Armutsgefährdung lag 2017 bei 13.152 Euro für einen Alleinstehenden, Steuern und Sozialbeiträge sind bei diesem Wert schon abgezogen.

Die KSK-Statistik sagt natürlich noch nichts über die konkrete Lebenssituation der Betroffenen aus. „Wir haben in unserer Umfrage ermittelt, dass zwei Drittel der Freien in einer Partnerschaft leben“, sagt DJV-Referent Michael Hirschler. „Ein großer Teil dieser Freien dürfte über diesen Partner abgesichert sein.“ Möglicherweise gibt es auch Wohneigentum oder Vermögen im Hintergrund, so dass die Honorareinnahmen nicht die einzige Geldquelle sind. Dennoch ist klar: Wer wegen seines geringen Einkommens nur wenig in die Rentenkasse einzahlt, bekommt später auch nur wenig ausgezahlt. DJV-Mann Hirschler schätzt, dass viele Freie nur eine Minirente von 300 bis 400 Euro bekommen werden. Statistiken darüber liegen nicht vor.

Aber man kann sich den sogenannten Standardrentner anschauen, den die Deutsche Rentenversicherung zur Berechnung der individuellen Rentenhöhe nutzt. Danach bekäme jemand, der 45 Jahre lang auf Basis des jeweiligen Durchschnittsentgelts in die Rentenkasse gezahlt hat, heute eine Standardrente von 1.441,35 Euro, wenn er im Westen wohnt, und 1381,05 Euro, wenn er im Osten wohnt. Der Durchschnittsverdienst liegt derzeit bei 38.901 Euro im Jahr (West) beziehungsweise 33.886 Euro (Ost). Wer genauso viel verdient, bekommt einen Entgeltpunkt für die Rente angerechnet, was aktuell einem Rentenanspruch von etwa 32 Euro (Ost: 31) pro Monat entspricht. Freie Journalisten liegen mit ihrem bei der KSK gemeldeten Jahreseinkommen (rund 21.000 Euro) weit darunter und kommen daher nur auf einen Rentenanspruch von 17,28 Euro pro Monat (bei Entgeltpunkt von 0,54). Rechnet man diesen Betrag auf 35 Jahre hoch, käme eine monatliche Rente von 604,80 Euro heraus. Bei 40 Jahren wären es monatlich 691,20 Euro. Nach heutigem Stand läge man damit noch unter den Leistungen der Grundsicherung.

„Das böse Erwachen kommt später“

Das ist zwar nur eine sehr grob vereinfachte Modellrechnung, sie zeigt aber sehr deutlich, dass Altersarmut ein stark unterschätztes Problem ist. „Viele Journalisten verdrängen das Thema. Sie gucken oft nur auf ihre aktuelle Situation und reden sich ein, dass sie auch im Rentenalter unendlich weiterarbeiten könnten“, berichtet Hirschler. Im Rundfunkbereich forderten Freie inzwischen, dass die Altersgrenze für die Beendigungskündigungen abgeschafft werden, damit sie später noch bei ihrem Sender weiterarbeiten können. „Manche Kollegen rechnen sich bei der KSK auch bewusst klein, um Sozialabgaben zu sparen“, sagt Hirschler. „Das böse Erwachen kommt dann später.“

Dabei spart man bei der 1983 eingeführten Künstlersozialversicherung ohnehin schon die Hälfte der Sozialabgaben. Denn wer Mitglied der KSK ist, muss nur 50 Prozent der Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung selbst zahlen; den Arbeitgeberanteil übernimmt die Künstlersozialkasse. Die Höhe der abzuführenden Beiträge orientiert sich am jeweils geschätzten Jahreseinkommen. Mehr als 70 Prozent der Freien, die an der DJV-Umfrage teilnahmen, sind denn auch bei der KSK versichert.

„Es lohnt sich in jedem Fall, in der KSK zu sein“, sagt Helge Kühl, Versicherungsmakler der DJV-Verlags- und Service GmbH. Eine private Rentenversicherung könne da nicht mithalten. Kühl rechnet vor: „Will ein 67-Jähriger eine monatlich garantierte Sofortrente von 50 Euro haben, muss er bei einem Topanbieter einen Einmalbetrag von circa 15.700 auf den Tisch legen. Bei einer Gesamtrente von 50 Euro und einer nicht garantierten Überschussbeteiligung reduziert sich der Betrag auf circa 11.500 Euro. Da ist man bei der KSK doch klar im Vorteil“, sagt er. „Hier muss man beispielsweise bei einem Jahresgewinn von 60.000 Euro nur einen Eigenanteil von 5.500 Euro im Jahr zahlen, um später rund 50 Euro zu kommen.“

Experten raten: Zuschüsse nutzen

Auch Manfred Hoffmann, Geschäftsführer des Versorgungswerks der Presse, hält die KSK für eine Errungenschaft. Freien Journalisten ermögliche sie eine Absicherung in der ersten Säule. Zusätzlich könne er einen Vertrag über die staatlich geförderte Riesterrente empfehlen. Um die volle staatliche Zulage von 175 Euro zu erhalten, muss man mindestens vier Prozent des Bruttoeinkommens vom Vorjahr abzüglich der Zulage einzahlen. Mindestens sind 60 Euro pro Jahr aufzubringen, maximal sind es 2.100 Euro pro Jahr. „Das ist vor allem interessant, wenn man Kinder hat“, sagt Hoffmann. Pro Kind gibt es eine Zulage von 185 Euro, für Kinder, die nach 2008 geboren sind, beträgt die Zulage sogar 300 Euro. Hoffmann: „Riestern lohnt sich seit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz gerade für Geringverdiener. Denn die Riesterrente wird jetzt nicht mehr komplett auf die Grundsicherung angerechnet.“ Es gilt ein Freibetrag von 100 Euro monatlich. Fällt die Riester-Rente höher als 100 Euro aus, ist der übersteigende Betrag zu 30 Prozent anrechnungsfrei.

Zuschüsse zur Altersversorgung bietet auch das Autorenversorgungswerk der VG Wort – es wurde 1976 eingerichtet, als die KSK noch nicht existierte. Beim Autorenversorgungswerk können freie Journalisten, die bei der VG Wort einen Wahrnehmungsvertrag abgeschlossen haben, bei der KSK versichert sind und zusätzlich eine private Altersvorsorge betreiben, einen einmaligen Zuschuss erhalten. Vorausgesetzt sie sind mindestens 50 Jahre alt. Haben sie einen Vertrag abgeschlossen, der ihnen im Rentenalter einen Auszahlungsbetrag von 15.000 Euro garantiert, bekommen sie den Maximalbetrag von 7.500 Euro. Man kann aber auch eine kleinere Ablaufsumme vereinbaren, sie muss mindestens bei 5.000 Euro liegen. Der mögliche Zuschuss läge in diesem Fall bei 2.500 Euro, denn er ist auf höchstens 50 Prozent der Ablaufsumme begrenzt.

Laut Karin Leidenberger, die für das Autorenversorgungswerk zuständig ist, ist der Topf für die Unterstützungsleistung gut gefüllt. Im vergangenen Jahr sind rund 390 Anträge auf einen Zuschuss eingegangen, die jetzt bearbeitet werden. Ausgezahlt wird frühestens im November. Leidenberger sagt: „Wir freuen uns, wenn noch mehr Autoren von unserem Angebot Gebrauch machen.“

Das grundsätzliche Problem für Geringverdiener bleibt indessen bestehen: Wer wenig verdient, kann auch nur wenig fürs Alter zurücklegen. DJV-Referent Michael Hirschler empfiehlt deshalb freien Journalisten, die gerade mal so über die Runden kommen, „ein solides Konzept zu erarbeiten, das ihnen einen besseren Verdienst sichert“. Ähnlich lautet der Rat von Helge Kühl: „Wenn man sich wie im Hamsterrad dreht, sollte man sich unbedingt mal die Zeit nehmen und überlegen, wie man die Einnahmen steigern und Ausgaben senken kann.“ Man könne sich beispielsweise breiter aufstellen.

Letztlich ist es auch ein gesellschaftliches Thema. „Wenn man Altersarmut verhindern will, dann muss man die Situation der freien Journalisten insgesamt verbessern“, sagt Monika Heinzelmann von der KSK. Es geht also um faire Honorare, um den Schutz von Urheberrechten, um die Verhinderung von Scheinselbstständigkeit. „Wir brauchen das ganze Paket“, sagt Heinzelmann – und ist sich darin einig mit Michael Hirschler. Der sagt: „Das Problem der Altersarmut bekommen wir nur in den Griff, wenn auch die Rahmenbedingungen stimmen.“

Infos
Autorenversorgungswerk: www.vgwort.de
DJV-Referat Freie/ Michael Hirschler: www.djv.de/freie
Künstlersozialversicherung: www.kuenstlersozialkasse.de
Presseversorgungswerk: www.presse-versorgung.de
Rentenversicherung: www.deutsche-rentenversicherung.de

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