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10 Tipps, wie man eine internationale Recherche anschiebt

Die Journalistin Petra Sorge hat im Jahr 2018 eine internationale Recherche angestoßen. Wir geben 10 Tipps, was man dabei beachten muss.

Investigative Recherchen über mehrere Kontinente hinweg sind für freie Journalisten eine besondere Herausforderung: Wer hilft vor Ort? Wie knüpft man Kontakte zu Behörden und Ministerien? Und wer finanziert die Reisekosten? Die Journalistin Petra Sorge hat als freie Autorin mit einem multinationalen Team in Nigeria, Indien und Deutschland recherchiert – ihre Ergebnisse haben sogar die deutsche Autoindustrie zum Umdenken gebracht. Von Catalina Schröder

13.02.2020

Zuerst steht die Frage im Raum: Wie findet man eigentlich ein Thema, das in mehreren Ländern spielt? Durch eine frühere Recherche hatte Petra Sorge, 35, Kontakt zu Perry Gottesfeld bekommen, einem Arbeitsmediziner in den USA. Im Januar 2018 berichtete Gottesfeld in einer Rundmail an Wissenschaftler und Journalisten, dass er gemeinsam mit anderen Forschern in sieben afrikanischen Ländern Bodenproben im Umfeld von Batterierecycling-Fabriken genommen hat, um den Bleigehalt zu messen. Das Ergebnis: Überall waren die Werte viel zu hoch. Besonders schlimm war die Situation in Nigeria, wo rund um die Fabriken etwa 14 Prozent des Bodens aus Blei bestanden. Blei ist hochgiftig, kann zu Herz-Kreislauf-Beschwerden führen und die Immunabwehr herabsetzen. Außerdem kann es das Hirn und die Nerven angreifen und bei Kindern zu Lernschwierigkeiten und sogar zu geistiger Behinderung führen. Für die Menschen, die in den Fabriken arbeiten und in der Umgebung wohnen, ist der hohe Bleigehalt im Boden deshalb hochgefährlich. Eigentlich müssten die Fabrikbesitzer Umwelt- und Arbeitsschutzauflagen erfüllen und so dafür sorgen, dass das Blei nicht in die Erde gerät. „Mir war gleich klar, dass das eine Geschichte ist, die auch außerhalb der Wissenschaft viele interessieren wird“, erzählt Petra Sorge. „Das Gute für mich als Freie war außerdem, dass das Risiko, bei der Recherche komplett zu scheitern, relativ gering war: Die Wissenschaftler hatten ja bereits nachgewiesen, dass zu viel Blei im Boden ist. Ich wollte aber noch einen Schritt weitergehen und mit Hilfe eines Blutmessgerätes beweisen, dass die Bleikonzentration im Blut der Menschen ebenfalls viel zu hoch ist.“ Petra Sorge beschloss, für drei Wochen nach Nigeria zu fahren. Das Land war nicht nur wegen der besonders hohen Bleiwerte im Boden interessant, sondern auch, weil dort viele Autobatterien recycelt werden. Die Vermutung lag nahe, dass das recycelte Blei anschließend auch in Autobatterien in Europa landete. Aus Sorges Erfahrungen lassen sich zehn Tipps für multinationale Recherchen ableiten:

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Arbeiten Sie mit Kollegen im Ausland zusammen! Vor ihrer Abreise nach Nigeria versuchte Petra Sorge, Kontakt zu Ministerien und Behörden in Nigeria zu bekommen, die unter anderem für Arbeits- und Umweltschutz zuständig waren. „Ich habe mir die Finger wund geschrieben, aber niemand hat geantwortet“, erzählt Sorge. Über die Heinrich-Böll-Stiftung, von der Sorge für eine frühere Recherche ein Stipendium erhalten hatte, lernte sie dann den nigerianischen Journalisten Isaac Anyaogu kennen. Er hatte bereits zum Thema Batterierecycling recherchiert. Sorge bat ihn, gemeinsam mit ihr an der Geschichte zu arbeiten. Eine gute Entscheidung, denn Anyaogu gelang, was Sorge verwehrt geblieben war: „Isaac kam als Einheimischer an Gesprächspartner ran, die mit mir als Europäerin niemals allein gesprochen hätten“, sagt Sorge. Als Sorge bereits vor Ort in Nigeria war, stellte sich zudem heraus, dass die Batterie-Recycling-Firma, zu der sie recherchierte, zu einem weit verzweigten indischen Konzern gehörte. Um herauszufinden, wer dahinter steckte, holte Sorge zusätzlich den indischen Journalisten Ankush Kumar an Bord, den sie von einer früheren Recherche in Indien kannte. Er trug unter anderem Informationen über den Konzern aus der indischen Presse zusammen. Die meisten Texte waren nur auf Hindi erschienen. „Auch hier wäre ich von Europa aus und ohne Hindikenntnisse nicht weit gekommen“, sagt Sorge.

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Volles Vertrauen, totale Transparenz!„Wer mit Kollegen im Ausland zusammenarbeitet, sollte sämtliche Rechercheergebnisse mit ihnen teilen, damit alle Beteiligten zeitnah daran arbeiten können“, rät Petra Sorge. Vorab sollten beide Seiten unbedingt miteinander vereinbaren, dass die Rechercheergebnisse erst zu einem bestimmten Zeitpunkt verö–ffentlicht werden. „Das kann man auch schriftlich festhalten“, sagt Sorge. Rechtlich bindend ist so ein Dokument zwar nicht, aber beide Seiten drücken darin ihren guten Willen aus, sich an gemeinsame Spielregeln zu halten. Sorge und ihr Kollege Isaac Anyaogu vereinbarten in diesem Dokument auch, dass sie ihm die Hälfte seines Honorars und seiner Reisekostenauslagen vor Beginn der Recherchereise überweist. Die andere Hälfte sollte er erhalten, wenn die Recherche beendet ist.

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Nutzen Sie Stipendien! „Mir war klar, dass keine Redaktion der Welt einer freien Autorin diese Recherche finanziert“, erzählt Petra Sorge. Gemeinsam mit ihrem Co-Autor Isaac Anyaogu bewarb sie sich deshalb beim Global Health Journalism Grant des European Journalism Centre um ein Stipendium für Recherchen zum Thema Gesundheit. In ihrer Bewerbung zitierte Sorge auch die wissenschaftliche Arbeit des Arbeitsmediziners Perry Gottesfeld. „Wenn es Forschungsergebnisse gibt, die die Bedeutung des Themas stützen, sollte man sie unbedingt nennen“, rät Sorge. „Mein Eindruck ist, dass die Arbeit von Gottesfeld unserer Bewerbung mehr Gewicht verliehen hat.“

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Kalkulieren Sie alle Kosten großzügig! Zusammen mit der Stipendienbewerbung musste Petra Sorge auch eine Aufstellung über die geplanten Kosten einreichen. Allein das Blutmessgerät kostete 3.000 US-Dollar. Ein großer Teil kam aber durch Reisekosten zustande: Flüge, Bus- und Taxifahrten sowie Hotelübernachtungen. Insgesamt erhielt Sorge ein Stipendium in Höhe von rund 18.000 Euro. Neben Isaac Anyaogu und Petra Sorge reiste auch ein deutscher Arzt mit, den die Journalistin über Kontakte kennengelernt hatte. Er sollte vor Ort die Bluttests durchführen. Vor Ort in Nigeria stellten Mitarbeiter einer Nichtregierungsorganisation, mit der auch Arbeitsmediziner Perry Gottesfeld kooperiert hatte, für Petra Sorge und ihre Kollegen den Kontakt zur Dorfgemeinschaft her, in der die Journalistin die Bluttests durchführen ließ. „Wären wir alleine gekommen, hätten die Einheimischen uns niemals vertraut“, sagt Petra Sorge. Auch für die Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation übernahm Sorge mit Hilfe des Stipendiums Kosten für Flüge und Unterkünfte. „Reisekosten fallen am Ende fast immer höher aus, als man zu Beginn denkt“, sagt Petra Sorge. „Manchmal muss man länger bleiben und seinen Rückflug umbuchen. Oder es fallen vor Ort noch Transportkosten an, die man vorab nicht kalkulieren konnte.“ Sorge hat deshalb rund 400 Euro „flexible Kosten“ in ihre Kalkulation aufgenommen, um einen ausreichenden Puffer zu haben. Sie rät außerdem dazu, als Grundlage für die Kostenkalkulation die Spesen- und Reisekostentabelle des Bundesfinanzministeriums zu nutzen.

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Nichtregierungsorganisationen bezahlen! „Ich weiß, dass es unter deutschen Journalisten verpönt ist, Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen zu bezahlen oder ihre Reisekosten zu übernehmen“, sagt Sorge. „Wir machen uns dann immer gleich Gedanken um unsere Unabhängigkeit. In meinem Fall war es ja sogar so, dass ich die Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation auch später in meinem Text zitiert habe.“ Sie habe deshalb lange darüber nachgedacht, sich dann aber dazu entschlossen, die Reisekosten und eine Aufwandsentschädigung zu übernehmen. „Andernfalls hätte die Organisation mir gar nicht helfen können, weil sie diese Kosten allein nicht hätten stemmen können“, sagt Sorge.

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Planen Sie viel Zeit ein! Der Kauf des Blutmessgerätes stellte sich als deutlich komplizierter heraus als gedacht. Da das Gerät normalerweise an Ärzte oder Krankenhäuser verkauft wird, musste der Vorstand des Unternehmens darüber entscheiden, ob die Journalistin das Gerät überhaupt kaufen darf. Sorge musste mehrere Wochen auf die positive Entscheidung warten. Sie versprach, das Messgerät anschließend an die Nichtregierungsorganisation in Nigeria zu spenden und es niemals kommerziell zu nutzen. Auch für die Recherche in Nigeria musste Sorge viel Zeit einplanen: Mehrere Tage war sie zusammen mit den Mitarbeitern der Nichtregierungsorganisation in dem Dorf, in dem sie die Blutproben nehmen lassen wollte. „Es ging zunächst darum, dass die Leute mich kennenlernen, erfahren, was wir vorhaben und warum wir das machen. Ohne die Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation wäre es mir nie gelungen, ausreichend Vertrauen aufzubauen.“ Zwei Tage verbrachte sie dann noch einmal im Dorf, zusammen mit dem Arzt, der die Blutproben nahm. Für einen weiteren Tag kehrte sie mit dem Fotografen zurück, damit er genügend Zeit zum Fotografieren hatte.

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Durchdenken Sie Ihre Recherche vorab so gut wie möglich! Knapp eine Woche verbrachte Petra Sorge noch im Hafen der nigerianischen Hauptstadt Lagos. „Unser Ziel war es, einen Exporteur zu finden, der Blei aus der Fabrik, zu der wir recherchiert hatten, nach Europa verkauft“, sagt Sorge. Sie selbst gab sich gegenüber den Exporteuren als interessierte Käuferin aus. Schon zuhause in Deutschland hatte sie sich auf so eine Situation vorbereitet und Visitenkarten drucken lassen, um ihre Fake-Identität möglichst glaubhaft aussehen zu lassen.

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Seien Sie o’ffen für unkonventionelle Recherchetechniken! Statt klassisch bei einer Agentur anzufragen, hat Sorge auf Instagram nach Fotografen in Lagos gesucht, die bereits zum Thema Umweltverschmutzung Bilder gemacht hatten. So war sie auf Adetona Omokanye gestoßen, der die Umweltverschmutzung im Nigerdelta fotografiert hatte. „Adetona war ein großer Glückstre–er“, erzählt Sorge. Nachdem sie bereits wieder in Deutschland war, zog er seine schäbigsten Klamotten an, ging noch einmal zurück zur Bleirecycling-Fabrik und gab sich dort als Tagelöhner aus, der Arbeit suchte. Am dritten Tag ließ man ihn tatsächlich herein. „Es gelang ihm, heimlich Bilder zu machen“, erzählt Sorge. „Unter anderem fotografierte er einen Ofen, aus dem Bleigas strömte, und man konnte sehen, dass die Arbeiter keinerlei Schutzkleidung trugen. Das ist für die Menschen absolut gesundheitsschädlich.“

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Informieren Sie vor heiklen Terminen Ihre Redaktion! In Nigeria kam es nach Sorges Abreise noch zu einem kleinen Showdown: Mit den Bildern, die der Fotograf Adetona Omokanye im Inneren der Fabrik aufgenommen hatte, konfrontierten Petra Sorge und ihre Kollegen den Mutterkonzern in Indien. Zusätzlich schickten sie einen langen Fragenkatalog. „Eines Tages bekam ich dann einen Anruf aus Mumbai: Der Besitzer der nigerianischen Fabrik wollte sich mit meinem Kollegen Isaac Anyaogu in Lagos treffen.“ Die Männer verabredeten sich in einem Café. Anyaogu war bereits eine Stunde vor dem verabredeten Termin da, um die Umgebung zu beobachten. „Ich war den ganzen Tag ziemlich nervös“, erzählt Sorge. „Isaac und ich haben auf WhatsApp gechattet, als er schon im Café saß. Plötzlich schrieb er mir, dass er aus dem Café geflohen sei.“ Der Fabrikbesitzer, so erzählt es Sorge, sei zusammen mit zwei Polizisten ins Café gekommen. „In Nigeria verschwinden immer wieder Journalisten, oft unter dem Vorwand, sie hätten irgendwas Kriminelles gemacht“, sagt Sorge. Als Anyaogu die Polizisten sah, fürchtete er, dass ihm das ebenfalls passieren könnte. Anyaogu nahm per WhatsApp Kontakt zum Fabrikbesitzer auf und schrieb ihm, dass er nicht bereit sei, sich im Beisein von Polizisten mit ihm zu tre–ffen. „Der Fabrikbesitzer antwortete, dass er die Polizisten nur zu seinem eigenen Schutz mitgebracht hätte, weil er auch nicht wusste, ob ihm Gefahr drohe“, erzählt Sorge. Vor dem erneuten Tre–en informierte Anyaogu nun seinen Verleger und einige Freunde. Dieses Mal kam der Fabrikbesitzer tatsächlich alleine und präsentierte dem Journalisten Dokumente und Rechnungen, unter anderem über Arbeitsschutzkleidung. Sie sollten beweisen, dass sein Unternehmen sich um den Umwelt- und Arbeitsschutz in der Fabrik kümmere. „Die meisten Rechnungen waren allerdings erst kürzlich ausgestellt worden. O–ffensichtlich wurde das Material erst angescha–fft, nachdem wir den Mutterkonzern in Indien konfrontiert hatten“, erzählt Sorge.

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Reporterglück gehört auch dazu! Letztlich gehört zu einer gelungenen Recherche immer auch eine Portion Reporterglück: Bei ihren Recherchen unter den Bleiexporteuren im Hafen von Lagos fanden die Journalistin und ihr Kollege heraus, dass ein Exporteur das recycelte Blei aus der Fabrik im Dorf an eine Firma in Großbritannien verschi–ffte. Dabei handelte es sich allerdings um eine Briefkastenfirma. Zurück in Deutschland brauchte Sorge fast einen Monat, um herauszufinden, wer dahinter steckte: Die britische Firma lieferte ihr recyceltes Blei an Weser-Metall, ein Unternehmen in Nordenham in der Nähe von Bremerhaven. Und dieses Blei wurde letztlich für Autobatterien der Firma Johnson Controls verwendet, die in den Autos von VW, BMW, Daimler und vielen anderen europäischen Autoherstellern verbaut werden. „In 85 Prozent der europäischen Neuwagen steckt eine Batterie von Johnson Controls“, sagt Sorge. „Dadurch hatten wir mit unserer Recherche einen direkten Bezug nach Deutschland hergestellt. So ist die Geschichte für die deutschen Medien natürlich noch einmal relevanter geworden.“ Verö–ffentlicht haben Sorge und ihre Kollegen ihre Recherchen im Spiegel, im Deutschlandradio und im Magazin Welt-Sichten. In Nigeria wurde die Geschichte in einer dreiteiligen Serie des Magazins Business Day verö–ffentlicht. Nach der Verö–ffentlichung schalteten BMW, Mercedes, VW und Opel ihren Zulieferer, den Autobatterie-Hersteller Johnson Controls ein. Das Unternehmen kündigte eine Überprüfung seiner Lieferketten an. Weser-Metall kündigte die Verträge mit seinem Lieferanten in Großbritannien. „Und laut dem Fabrikbesitzer in Lagos bezieht der britische Lieferant sein Blei nun aus anderen Quellen“, sagt Sorge. Die Recyclingfabrik in Nigeria gibt es auch heute noch, und die Menschen im Dorf haben ihre Jobs behalten. Sie liefern nun an andere Kunden. Das Umweltministerium in Nigeria hat strengere Regeln für Recyclingfabriken erlassen, und der indische Konzern, der hinter der Fabrik steht, hat mehrere tausend Dollar für einen besseren Gesundheitsschutz der Dorfbewohner ausgegeben. Außerdem wurde die Fabrik versetzt und befindet sich nun weiter vom Dorf entfernt. Zusammen mit ihrem Team gewann Sorge für ihre Recherchen den Ernst-Schneider-Preis in der Kategorie Wirtschaft und den Deutschen Journalistenpreis in der Kategorie „Nachhaltigkeit“. Außerdem haben die Journalisten es auf die Shortlist des Fetisov Journalism Awards geschafft.

Catalina Schröder arbeitet als Wirtschaftsjournalistin in Hamburg.

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