"Wir wussten, dass es politisch höchst brisant wird"

Justus von Daniels und Anette Dowideit: "Da sind harte Wellen voller Hass und Hetze auf Correctiv zugerollt." (Foto: Hannes Wiedemann)

Die Recherchen zu dem Potsdamer Geheimtreffen haben die Republik zum Beben und die Gesellschaft auf die Straße gebracht. Aber nicht jedem gefiel, was Correctiv zu den Vertreibungsplänen rechter Politiker und Neonazis zu Tage gefördert hat. Die Correctiv-Chefs Anette Dowideit und Justus von Daniels erzählen, was nach der Veröffentlichung passierte. Interview: Jan Freitag, Fotos: Hannes Wiedemann

27.03.2024

Das Türschild mit dem Schriftzug Correctiv ist im Moment abgeklebt. Aus Sicherheitsgründen. AfD-Politiker wie Beatrix von Storch hatten nach den Potsdam-Aufdeckungen die Redaktionsadresse verbreitet und Reporter von Correctiv „markiert“. Nach dem Scoop der Veröffentlichung tobt jetzt ein Kampf um die Deutungshoheit.

journalist: Anette Dowideit, Justus von Daniels, gab es angesichts vieler Millionen Menschen, die infolge Ihrer Recherchen über rechtsextreme Treffen in Potsdam mittlerweile bundesweit gegen die AfD demonstriert haben, so was wie ein Triumphgefühl bei Correctiv, zumindest Genugtuung?

Justus von Daniels: Die erste Reaktion war eigentlich Überwältigung, weil damit natürlich niemand von uns gerechnet hatte. Wir waren uns zwar im Klaren darüber, dass die Recherche brisant genug war, um politische Reaktionen hervorzurufen, aber diese zivilgesellschaftliche Welle war wirklich nicht zu erwarten, schon gar nicht in der Konsequenz für uns als Correctiv.

Anette Dowideit: Wir haben vielleicht damit gerechnet, dass sich der Bundestag oder sein Innenausschuss damit befassen. Aber alles darüber hinaus hat uns komplett überrascht. Wir sind deshalb mit dem Begreifen dieser Situation zunächst gar nicht hinterhergekommen, weshalb uns am Anfang auch gar nicht klar war, ob wir diese Dimensionen der Aufmerksamkeit überhaupt gut finden.

Mit einer Berichterstattung, die so spürbare Auswirkungen auf Land und Leute, Parteienlandschaft und Wahlen hat, buchstäblich Geschichte zu schreiben, kann man als Medium ja schwer schlecht finden?!

Daniels: Ach, Geschichte zu schreiben, ist überhaupt nicht unser journalistischer Ansatz.

Dowideit: Zumal wir aus meiner Sicht vielleicht den Auslöser der Demonstrationen geliefert haben. Aber offenbar war die Mitte der Gesellschaft dafür schon längst bereit. Sonst wäre die Mobilisierung in der Größenordnung so schnell gar nicht möglich gewesen. Deshalb hat sich bei uns auch niemand auf die Schultern geklopft.

Daniels: Mit irgendeiner Berichterstattung eine Bewegung auszulösen – damit kann und darf schlicht keine Journalistin und kein Journalist vorab rechnen. Aber auch, wenn so etwas nicht planbar ist: Es passt natürlich perfekt ins Selbstverständnis von Correctiv. Wir wollen mit unseren Veröffentlichungen Anlässe liefern, damit die Leute aktiv werden. Nicht umsonst lautet einer unserer Grundsätze, Demokratie stärken zu wollen.

Ist Ihr Journalismus haltungsgetriebener als der anderer Medien?

Dowideit: Wenn wir gefragt werden, welcher Standpunkt hinter unserem Motto Recherchen für die Gesellschaft steht, antworten wir gern damit, Menschen dazu bringen zu wollen, sich für Demokratie und Gesellschaft zu aktivieren – aber ohne ihnen dabei bestimmte Haltungen oder Handlungen vorzuschreiben, geschweige denn auf ein Verbot der AfD hinzuwirken.

Daniels: Uns geht es nicht um Meinungsbildung, sondern explizit um Diskurs, den wir aktiv anstoßen wollen.

Um den zu fördern, recherchiert Correctiv zu Fußballfans oder Pflegenotstand mit ähnlicher Vehemenz, wie im Falle der rechten Remigrationspläne?

Dowideit: Beim Vorsortieren steht bei uns ein wenig mehr die Frage im Mittelpunkt, warum etwas relevant sein könnte, als ob es das ist. Wenn es also um Fußballfans oder Pflegemängel geht, würden wir uns vorab fragen, welche Auswirkungen es auf die Demokratie hat.

Daniels: Anlass unserer Bemühungen sind in aller Regel Missstände – ganz gleich, ob in einem Unternehmen, einer Partei, dem Parlament oder der Gesellschaft. Deshalb machen wir uns als Team so frei wie möglich von jeder persönlichen Agenda. Aber je heißer die Geschichte wird, desto mehr spürt man die Hitze auch persönlich. Es ist einfach etwas anderes, Dinge von großer gesellschaftlicher Brisanz im Moment ihrer Entstehung vor Ort zu erleben als eine Dokumentenanalyse im Büro.

„Vielleicht haben wir den Auslöser der Demonstrationen geliefert. Aber offenbar war die Mitte der Gesellschaft dafür schon längst bereit.“ Anette Dowideit

Dowideit: Die meisten von uns sind ja aus anderen Redaktionen zu Correctiv gekommen; ich zum Beispiel war zuvor im Investigativ-Team von Axel Springer. Fast überall haben wir ähnlich recherchiert. Mit dem Unterschied der Ausgangslage. Investigative Journalisten kriegen zunächst mal weitaus mehr Material als sie bearbeiten können. Bevor wir sortieren, müssen wir daher erstmal die große demokratische Frage dahinter stellen. Handwerklich bleibt die Arbeit identisch, inhaltlich muss sie eine Haltung zur Demokratie einnehmen.

Daniels: Es gibt ja Vorwürfe gegenüber dem Journalismus, er sei nicht neutral. Dabei kann er das auch gar nicht sein, denn dahinter stehen immer Menschen mit Haltungen. Entscheidend ist, ob möglichst objektiv recherchiert und berichtet wird. Für den Investigativ-Journalismus ist das ein elementarer Standard.

Gelten auch strengere Regeln, Stichwort Konfrontation in der Verdachtsberichterstattung?

Dowideit: Im Vergleich zu anderen journalistischen Formen, die ich damit nicht abwerten möchte, unterliegen wir einer ungleich höheren Qualitätskontrolle. Deshalb befinden wir uns schon im Vorfeld jeder Recherche im intensiven Austausch mit unserer Rechtsabteilung.

War die Rechtsabteilung bei der Recherche übers Potsdamer Geheimtreffen von Anfang an im Boot – etwa bei der Frage, ob das Einschleusen eines Correctiv-Mitarbeiters ins Tagungshotel juristisch angreifbar ist?

Daniels: Nein, die Anfangsrecherche lief zunächst ohne Rechtsbeistand. Im kleinen Team wurde sondiert, ob unsere sehr klaren Hinweise über Ort, Veranstalter und Hauptredner weitere Recherchen rechtfertigen. Der juristische Beistand ging früher los als üblich, aber nicht von Anfang an.

Dowideit: Es begann ja damit, dass uns ein Einladungsschreiben vorlag, in dem sinngemäß stand, um Deutschland zu retten, müsse jetzt etwas getan werden. Das erschien uns für sich schon interessant. Aber erst die Unterschrift von Hans-Christian Limmer…

Ehemaliger Investor der Bäckerei-Kette Backwerk, der dem völkisch-rechten Milieu zugeordnet wird.

Dowideit: …und dann Investor der Burger-Kette Hans im Glück – hat uns wirklich hellhörig gemacht. Eigentlich wollten wir über den die Geschichte machen, sind im Verlauf der Vorrecherche aber auf weitere Einladungen gestoßen, in denen kein Geringerer als der Rechtsextreme Martin Sellner seinen Masterplan zur „Remigration“ vorstellen wolle. Personal und Thema legten also den Verdacht nahe, dass in Potsdam mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungsfeindliche Pläne und deren Umsetzung diskutiert werden.

Daniels: Wer sonst an dem Treffen teilnehmen würde, war zu dem Zeitpunkt ebenso unklar wie die Beteiligung der AfD. Als wir von der Ankunft von Leuten wie Roland Hartwig hörten, der damals noch enger Mitarbeiter von Alice Weidel war, wussten wir, dass es politisch höchst brisant wird.

Also nicht, was die AfD behauptet: Ein privates Treffen patriotischer Bürgerinnen und Bürger.

Dowideit: Das war schon in der Einladung klar, aber die Beteiligung von Berufspolitikern mit und ohne Mandat einer Bundestagspartei am Masterplan zur Vertreibung von Menschen – das hat schon andere Dimensionen als beim Grillen über Fußball zu diskutieren.

Die AfD wirft Correctiv Geheimdienst-, gar Stasimethoden vor.

Dowideit: Was schon deshalb reiner Unsinn ist, weil beide staatliches Handeln beschreiben. Wir sind – mal abgesehen vom repressiven Charakter der DDR-Staatssicherheit – ein gemeinnütziges Privatunternehmen ohne exekutive Durchsetzungsmittel mit dem Ziel, Missstände publik zu machen.

Daniels: Und um journalistische Informationen zu sammeln, bedarf es halt manchmal verdeckter Methoden und guter Quellen: so nah dran wie möglich, so unerkannt wie nötig, um zu belegen, was in einem abgeschlossenen Raum von öffentlichem Interesse ist.

Das journalistische Prinzip dahinter lautet: je geheimer der Berichtsgegenstand, desto geheimer die Recherchemethodik?

Dowideit: Ich überlege gerade, ob das ein Automatismus ist, aber ja. Der Pressekodex sagt, wenn die offene Informationsbeschaffung ausgeschöpft ist, wird die verdeckte legitim. Und hier hätten wir definitiv nicht einfach ins Hotel gehen und uns dazusetzen können.

Und was hat der Reporter vor Ort heimlich gemacht?

Daniels: Er war als Hotelgast im Haus und konnte sehen, wer reinkam und wer am Frühstück teilnahm. Ein Zufallsfund waren Briefe für die Gäste, wo ihre Namen draufstanden oder ein Ablaufplan des Treffens, was ihm die Tagesplanung erleichterte. Und dann hat Greenpeace mit Dashcams in geparkten Autos vor und wir vom Saunaboot hinter dem Hotel aus eine Menge Bilder machen können, um zu bestätigen, welche Gäste wirklich an dem gesamten Treffen dabei waren.

Ist die verdeckte Informationsbeschaffung Ausnahme oder Regelfall bei Correctiv?

Daniels: Wir haben jedenfalls genügend Erfahrung mit verdeckter Recherche, um sie jederzeit einsetzen zu können. Etwa, als wir vor vier Jahren zur amerikanischen Heartland-Lobby gearbeitet haben, die PR-Beratungen zur richtigen Klimawandelleugnung anbieten. Da Interviewanfragen hier naturgemäß wenig bringen, hatten wir uns als interessierte Kunden ausgegeben.

Dowideit: Aber der allergrößte Teil unserer Arbeit besteht in Datenauswertungen statt Undercover-Journalismus.

Daniels: Auch hier war die verdeckte Recherche nur ein Teil, wir haben auch intensiv über das Umfeld und die Netzwerke der Teilnehmer recherchiert. Investigativ-Recherche hat viele Ausprägungen. Neben Datenrecherchen oder klassischer Quellenarbeit gehören dazu zum Beispiel auch unsere Beteiligungsrecherchen, in denen wir Tausende Bürgerinnen und Bürger offen um Informationen bitten.

Haben Sie die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Potsdamer Tagung mit ihren Rechercheergebnissen konfrontiert?

Dowideit: Natürlich. Wir haben in 17 Informationsschreiben um Stellungnahme gebeten, inklusive Detailfragen zu einzelnen Personen, haben aber interessanterweise keine klaren Dementis erhalten.

Daniels: Einige haben sich gar nicht zurückgemeldet, und die, die es getan haben, bestreiten weder Treffen noch Thema, sondern nur kleinere Details, machen Erinnerungslücken geltend oder betonen den privaten Charakter der Veranstaltung.

Hat der teilnehmende AfD-Anwalt Ulrich Vosgerau, Mitglied der CDU, an seine Antwort bereits eine Unterlassungsklage angeheftet?

Dowideit: Nein, die kam später. Zunächst schrieb er, gewisse Sachen nicht zu erinnern.

Daniels: Das haben wir auch im Text geschrieben, worauf er Wochen später einen Antrag auf einstweilige Verfügung beim Landgericht Hamburg gestellt hat, die sich auf ganze drei Zitate vergleichsweise unwichtiger Rechercheaspekte bezieht.

Dowideit: Wir haben dann überwiegend recht bekommen, in zwei der drei Punkte. Ein toller, aber erwartbarer Erfolg, den wir gerade durch einen Text in eigener Sache schildern. Recht bekam er nur bei der Verwendung einer Aussage zur Wahlprüfungsbeschwerde, die er nicht getätigt haben will. Mit dem Masterplan hat sie aber nichts zu tun.

Daniels: Vor allem der Eindruck, unsere Recherche sei im Kern widerlegt, den Vosgerau mit einem riesigen Berg Akten erwecken wollte, war nie Bestandteil des Streits.

Die eidesstattlichen Erklärungen von Seiten der Teilnehmenden und Correctiv haben keine Rolle gespielt?

Dowideit: Nein.

Weil es gewissermaßen ein eidesstattliches Erklärungspatt von 7:8 gibt.

Daniels: Wie ich es juristisch verstehe, hat so eine Erklärung nur verfahrensrechtliche Bedeutung, wenn sie sich auf einen angegriffenen Punkt bezieht. Das war allerdings bei Vosgerau gar nicht der Fall. Die eidesstattlichen Erklärungen hatten in diesem Fall nur symbolischen Charakter.

Dowideit: Im Verhältnis zur gesellschaftlichen Wirkung unserer Recherchen sind die Resultate der juristischen Auseinandersetzung bislang echt minimal.

Nach der Entscheidung hat der Kläger Beschwerde eingelegt.  Das Verfahren ist damit noch nicht zu Ende.

Daniels: Wir sehen dem aber auch trotzdem weiterhin entspannt entgegen. Es gab aber noch ein weiteres Verfahren, das wir komplett gewonnen haben. Ein Unternehmer, dessen Name im Zusammenhang mit einer Spende fiel, der aber nicht vor Ort war, wollte aus dem Bericht gestrichen werden. Dem hat das Gericht eine klare Absage erteilt.

Was die juristische Auseinandersetzung betrifft, häufen sich allerdings Vorwürfe, beide Seiten betrieben Litigation PR, legten also identische Gerichtsurteile zum Marketing in eigener Sache unterschiedlich aus.

Daniels: Die Kanzlei Höcker hat das maximal so betrieben, und einige Blogger haben diese Verdrehung auch direkt aufgegriffen, als habe das Gericht unsere Recherche infrage gestellt. Aber die Beschlüsse sind klar, die Gegenseite hat in dem einen Fall zu großen Teilen, ein anderes Mal komplett verloren. Wir sehen hier auch einen Trend, Gerichtsverfahren als PR-Mittel zu nutzen, um in der Öffentlichkeit Zweifel zu säen, egal wie das Verfahren ausgeht. Wie gesagt, der Kern unserer Recherche war ja gar nicht Teil des Streits vor Gericht. Wir waren in beiden Fällen entspannt.

Weniger entspannt sind Sie, was Ihr Sicherheitsgefühl betrifft. Das Correctiv-Schild am Eingang ist abgeklebt. Hat sich die Gefahrenlage erhöht?

Dowideit: Das läuft in Wellen und ist individuell sehr verschieden. Im Shitstorm der sozialen Netzwerke hatte ich eine Weile lang schon ein komisches Gefühl, aber beides ist mittlerweile abgeflaut. Dennoch ist es nie schön, attackiert und gar als Lügnerin dargestellt zu werden.

Daniels: Wir hatten zuvor jedenfalls noch keine Recherche, wo wir bei der Veröffentlichung so viele Sicherheitsvorkehrungen diskutiert haben. Jetzt gibt es regelmäßige Einschätzungen der Sicherheitsbehörden, ob sich die Gefahrenlage einzelner oder der Redaktion insgesamt geändert hat. Auch intern existieren Vorsorgemaßnahmen wie die, dass wir nicht mehr sofort jedem, der ohne ersichtlichen Grund vor der Tür steht, aufmachen.

„Ach, Geschichte zu schreiben, ist überhaupt nicht unser journalistischer Ansatz.“ Justus von Daniels

Dowideit: Unsere Geschäftsführung hat die Cyber-Gefährdungslage nun besser im Blick als zuvor. Und was die persönliche Betroffenheit einzelner betrifft, gibt es institutionalisierte Gesprächskanäle, Kriseninterventionsteams, Telefonlisten, was ein paar auch bereits in Anspruch genommen haben. Wir machen unsere Arbeit also nicht einfach weiter, aber der wichtigste Faktor, um mit der Gefahrenlage umzugehen, ist die Redaktion an sich.

Ihr Zusammenhalt?

Dowideit: Und die Möglichkeit, sich auch einfach mal rauszuziehen, wenn es mental kompliziert wird und man sich neu sortieren muss. Wir reden viel miteinander.

Daniels: Da sind schließlich schon harte Wellen voller Hass und Hetze auf Correctiv zugerollt. Unser Faktencheck-Team kennt das leider nur zu gut: Je persönlicher die Angriffe werden, desto härter wird es. Die AfD zum Beispiel hat Bilder einzelner Redaktionsmitglieder mit der Forderung veröffentlicht, man müsse diese Form von Journalismus in ihre Schranken weisen, also die unterschwellige Aufforderung an Gleichgesinnte, uns mal einen Besuch abzustatten.

Digitales Dog Whistling.

Daniels: Und Beatrix von Storch hat extra noch mal unsere Redaktionsadresse getwittert und den Namen eines einzelnen Reporters hervorgehoben.

Sorgt das dann im Team für Verunsicherung oder, im Gegenteil, eher für erhöhte Stressresilienz?

Dowideit: Weder noch. Leute, die sich für Correctiv entscheiden, wissen in der Regel, worauf sie sich einlassen, und entscheiden sich damit nebenbei bewusst, weniger zu verdienen als anderswo (lacht). Dahinter steckt also viel Überzeugung, das Richtige zu tun. Von daher sind die meisten also schon ein bisschen vorgepanzert.

Auch dank Ihrer Erfahrungen mit Klagen rechter Publizisten wie Roland Tichy?

Daniels: Aber auch von Unternehmen, die mit zunehmender Größe heftiger zurückschießen. Insofern sind wir relativ rasch dazu in der Lage, auf Gegenwehr zielgenau zu reagieren. Aber dass wir in dieser Hinsicht resilient werden, heißt keineswegs, dass wir unempfindlich sind.

Dowideit: Zum Glück bringen Investigativjournalisten ähnlich wie Juristen per se die Lust an der Auseinandersetzung mit. Auch außerhalb von Correctiv gehen wir bereitwillig in Konflikte und tragen sie selbstbewusst aus, da haben wir keine so exponierte Position innerhalb der Branche.

Daniels: Deshalb besteht keine Angst vorm Streit, aber schon ein Bewusstsein für die Unterschiedlichkeit der Gefährdungslagen. Solche Konfliktpotenziale sind in jeder Recherche eingepreist und werden im Vorweg besprochen.

Zieht der investigative Journalismus, überspitzt formuliert, dennoch Adrenalin- und Stressjunkies an?

Dowideit: Das klingt mir zu negativ. Unser Antrieb ist immer, fakten- und argumentationsbasiert zu überzeugen.

Daniels: Wer nach Adrenalin und Stress süchtig ist, könnte am Ende enttäuscht sein, wie häufig unsere Arbeit im Sichten zahlloser Dokumente und O-Töne zur Aufdeckung struktureller Missstände besteht statt offen ausgetragener Konflikte. Das ist schon auch Stress, aber kein allzu abenteuerlicher.

Dowideit: Wobei es echte Glücksmomente sind, ein tolles Dokument zugespielt zu kriegen.

Daniels: Oft gefolgt von der Freude am Durchbruch nach Monaten akribischer Arbeit, der einem die gewünschte These bestätigt.

Ist Freude sozusagen der emotionale Ausgleich für die schlechte Bezahlung, von der Sie vorhin sprachen?

Dowideit: So schlecht ist sie jetzt auch nicht, aber dass in den Shitstorms der vergangenen Wochen gerne gepostet wurde, wir würden uns mit Unsummen vom Staat dumm und dämlich verdienen, ist totaler Quatsch.

Correctiv ist allerdings auch ohne Unsummen vom Staat gut durchfinanziert, oder?

Dowideit: Nicht besser und nicht schlechter als andere Medien, würde ich sagen. Während die normalerweise Abo-Modelle mit monatlichem und Kioskkunden mit täglichem Zahlungseingang haben, sind es bei uns Dauerspender und Stifter. Nur: Alle vier können jederzeit abspringen.

Daniels: Aber wir sind über die letzten zehn Jahre hinweg ein ziemlich stabiles Boot, das vorsichtig, aber stetig gewachsen ist.

Mit einem Peak seit der Enthüllung des Potsdam-Treffens?

Dowideit: Ja, klar. Das hat uns neben Sichtbarkeit viel Unterstützung und Zutrauen gebracht – auch in unseren Newsletter Spotlight als Pendant zur Tageszeitung, den wir im vergangenen halben Jahr aufgebaut haben. Vor der Veröffentlichung hatte er 80.000 Abonnierende, jetzt sind es 15.000 mehr, von denen der eine oder andere Euro hängen bleibt.

Ijoma Mangold kritisiert in der Zeit, dass Correctiv Bundesmittel aus dem Fördertopf Demokratie leben erhält und damit von staatlicher Seite beeinflussbar sei.

Daniels: Da muss man klar differenzieren: Unsere Arbeit als Recherche-Team wird ausschließlich von Spenderinnen und Spendern sowie Stiftungen finanziert. Darüber hinaus erhält Correctiv auch staatliche Gelder, die aber zweckgebunden sind, etwa fürs Standbein der Medienbildung für Erwachsene, Kinder und den journalistischen Nachwuchs.

Dowideit: Weil das Teil unseres Gemeinnützigkeitsauftrags als gGmbH ist, achten wir streng darauf, dass sich beide Bereiche nicht vermengen. Was die investigativen Recherchen betrifft, sind wir von staatlicher Einflussnahme in jeder Hinsicht unabhängig.

Umso mehr könnte Correctiv, wenn es so solide durchfinanziert ist, von sich aus auf Zuwendungen von staatlicher Seite verzichten, um jedem Verdacht vorzubeugen.

Dowideit: Wer diesen Verdacht hat, könnte auch einfach unsere FAQ lesen. Aber das kannst du den Leuten in der Bubble, die gegen uns agitieren, ja tausendmal erklären. Und die staatlichen Zuschüsse sind ja genau dafür da, diesen Bubbles durch Bildung vorzubeugen und Fake News von seriöser Berichterstattung unterscheiden zu können. Das eine bedingt das andere!

Daniels: Außerdem geht es nicht darum, irgendetwas sein zu lassen, nur um nicht angegriffen zu werden. Wir wissen ja, was wir tun, welche Kritik Substanz hat und welche nicht.

Substanzielle Kritik kommt dagegen von Stefan Niggemeier, der Correctiv am Beispiel einer AfD-Politikerin, deren Prostitutionsvergangenheit hier aufgedeckt wurde, Bild-Methoden zugunsten der Reichweite vorwirft.

Daniels: Oje, long time ago.

Dowideit: Sechs, sieben Jahre?

Wäre so etwas heute weniger möglich, weil Ihre Alarmglocken für Clickbaiting empfindlicher sind?

Dowideit: Heutzutage wird jedenfalls unglaublich lange in der Redaktion debattiert, bevor eine Recherche beginnt, von der Veröffentlichung ganz zu schweigen. Als ich 2023 hier begonnen habe, war eines der ersten Dinge, die mir aufgefallen sind, wie krass das ist.

Kriegt man da als Journalistin gelegentlich das Bedürfnis, mal wieder was Schnelles, Unkompliziertes zu recherchieren?

Dowideit: Deshalb haben wir ja den Newsletter eröffnet, der nachrichtlicher und tagesaktueller ist als unsere Investigativ-Recherchen.

Daniels: Auch, um uns thematisch breiter aufzustellen. Es entspannt die Leute sehr, auch mal kürzere Stücke zu recherchieren, was sie dann wieder motiviert, sich ewig in große Themen zu knien. Wobei beides gesellschaftlichen Impact haben kann, und aus kleinen Recherchen manchmal große entstehen.

Wird investigative Recherche abseits publizistischer Leuchttürme wie Süddeutsche, Zeit oder Spiegel auf mittlere Sicht nur noch in Verbünden wie Correctiv und Krautreporter oder Gemeinschaftsredaktionen finanzierbar bleiben?

Dowideit: Sie haben den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vergessen, auch wenn die rechten Trolle den ebenfalls als staatlich finanziert verunglimpfen. Wo ich beide Seiten kenne, würde ich sagen, gemeinnütziger Journalismus funktioniert in Verbünden wie unserem sogar besser, weil wir viel freier in der Themenauswahl sind, als wenn wir privatwirtschaftlich organisiert wären. Dort muss man ständig in die Echokammer horchen, was gewünscht wird. Das macht unwichtige Recherchen schnell wichtiger als sie sind und umgekehrt.

Im Sinne von Clickbait und nachfrageorientiertem Journalismus?

Daniels: Deshalb sehe ich es als Riesenchance, dass Verbünde aller Art den investigativen Journalismus einzelner Medien in Zeiten knapper Mittel ergänzen, ohne sie komplett zu ersetzen. Besonders wichtig könnte es dabei werden, dass sich die Redaktionen einzelner Medienhäuser punktuell Vernetzungen suchen.

So wie Süddeutsche, WDR und NDR bei einer Reihe von Leak-Recherchen.

Daniels: Und fast mehr noch im Lokaljournalismus, der besonders große Finanzierungsprobleme hat. Deshalb suchen wir diese Verbundlösungen sehr, um Schnittstellen zu schaffen und damit auch Synergieeffekte.

Dowideit: Wobei wir anders als verkaufsfinanzierte Medien keine Paywall haben, sondern frei verfügbar sind und damit nicht das bringen, was die Leute sehen wollen, sondern was uns demokratierelevant erscheint. Daran lassen wir lokale Medien gern teilhaben.

Daniels: Wie groß medienübergreifend die Bereitschaft ist, kollaborativ zusammenzuarbeiten, sieht man ja auf Branchentreffen wie Netzwerk Recherche. Wo früher alle ihr Haus geschützt haben, geht es jetzt häufiger darum, wie man Recherchen gemeinsam groß kriegt.

Verwenden Sie dafür den Begriff „Qualitätsjournalismus“?

Dowideit: Ich bevorzuge „handwerklich gut gemachten Journalismus“, ein bisschen wie Schreiner, die täglich einfache Möbel für den Tagesbedarf bauen, aber manchmal auch ein langlebiges Prachtstück mit Schublade und Schnörkeln, das hundert Jahre hält. Beides ist wichtig.

Jan Freitag arbeitet als freier Journalist in Hamburg. Hannes Wiedemann ist Fotograf in Berlin.