Aktuelles
"Wir sind noch in einer Experimentierphase"
"Ich wünsche mir mehr Mut zum Risiko", sagt Markus Beckedahl. "Wir sind immer noch nicht da, wo wir sein könnten."
Markus Beckedahl sieht viele Chancen für den Onlinejournalismus: kollaborative Arbeitsformen, gemeinnützigen Journalismus, innovative Formate. Dafür brauche es allerdings bessere Rahmenbedingungen, sagt der langjährige netzpolitik.org-Chefredakteur. Am 17. September spricht er auf der DJV-Konferenz Besser Online. Interview: Ute Korinth.
12.09.2022
Da draußen gibt es sehr viele Menschen mit innovativen Ideen", sagt Markus Beckedahl. Ihm ist es wichtig, über die vielen Möglichkeiten zu sprechen, die es gibt, um kritischen Journalismus auch auf lokaler Ebene zu erhalten – und über das, was die Politik dazu beitragen muss.
journalist: Netzpolitik.org wurde 2013 als gemeinnützig anerkannt. Ihr seid da immer noch eher die Ausnahme im Journalismus. Warum ist die Gemeinnützigkeit für euch wichtig?
Wir haben verschiedene Möglichkeiten der Finanzierung des Onlinejournalismus durchgespielt. Ab Mitte der Nullerjahre wurde klar, dass Werbung bei unserer Zielgruppe relativ wenig bringt. Denn ein Großteil nutzt Anti-Tracking-Tools und Werbeblocker, um sich zu schützen. Gleichzeitig wollten wir dieses Werbe-Überwachungssystem, das wir politisch und journalistisch infrage stellen, nicht durch unsere eigene Arbeit unterstützen. Das hätte zu einem Glaubwürdigkeitsproblem geführt. Weitere Refinanzierungsformen wie die Paywall wollten wir auch nicht, weil wir offen für alle sein möchten. Deshalb blieb eigentlich nur die Spendenfinanzierung. Man kann natürlich auch als Einzelperson oder als Unternehmen Spenden annehmen, aber wenn man gemeinnützig ist, hat man quasi eine Art Stempel, dass man spendenwürdig ist. Wir haben die Gemeinnützigkeit aber nur erhalten, weil wir wegen unserer Arbeit den Zweck "Verbraucherschutz" nutzen konnten.
Kann gemeinnütziger Journalismus auch die vor allem im lokalen Journalismus entstandenen Informationslücken schließen?
Ich glaube, Lokaljournalismus kann am meisten von gemeinnützigem Journalismus profitieren. Wir sehen das Entstehen von zahlreichen Gebieten, in denen es keine kritische Berichterstattung auf lokaler Ebene mehr gibt. Es gibt kein Geschäftsmodell mehr dafür. Ich glaube nicht, dass sich diese Lücke überall durch Paywalls, Newsletter oder Initiativen – von denen es ja sehr schöne gibt wie zum Beispiel Rums in Münster – schließen lässt. Hier könnte ein vermehrtes Engagement von Stiftungen dazu beitragen, lokale Initiativen zu ermöglichen und zu refinanzieren. Deswegen finde ich es eigentlich wichtiger, nicht nur über netzpolitik.org, Correctiv und RiffReporter zu reden, sondern über die vielen Möglichkeiten, die es gibt, um diese Lücken zu schließen und letztendlich die Demokratie zu erhalten durch kritischen Journalismus auf lokaler Ebene. Positiv ist übrigens, dass aktuell immer mehr Geld von Stiftungen in Richtung Journalismus gelenkt wird. Weil immer mehr Menschen bewusst wird, wie wichtig und relevant Journalismus für den Erhalt der Demokratie und eine offene Gesellschaft ist. Aber da Journalismus an sich noch nicht gemeinnützig ist, müssen Umwege über "Verbraucherschutz" oder "Bildung" gegangen werden.
Thema Investigativjournalismus. Welche Rolle kann gemeinnütziger Journalismus hier spielen?
Investigativer Journalismus wird häufig als Kür bei wirtschaftlich betriebenen Unternehmen verwendet. Das heißt, man leistet sich quasi als Leuchtturm eine investigative Redaktion. Wohl wissend, dass da große Recherchen rauskommen können, aber man auch sehr häufig in Einbahnstraßen landet und für den Papierkorb produziert. Gleichzeitig ist man durch das Werbemodell der Refinanzierung angetrieben, häufig zu publizieren, was dann zu Lasten von tieferen Recherchen geht, weil man einfach ständig neue Werbung ausliefern und dafür einen Medienzyklus bespielen muss. Insofern kann gemeinnütziger Journalismus mit seiner Finanzierung dazu beitragen, dass mehr investigativer Journalismus ermöglicht wird. Aber natürlich kann man guten investigativen Journalismus auch wirtschaftlich betreiben. Spiegel, die Zeit und andere beweisen das immer wieder.
"Ich glaube, Lokaljournalismus kann am meisten von gemeinnützigem Journalismus profitieren."
Der Hass im Netz nimmt zu. Fehlinformationen ebenso. Ihr kämpft schon lange dafür, dass die Tech-Riesen reguliert und verantwortlich gemacht werden. Der Digital Services Act und der Digital Markets Act werden ja nun bald in Kraft treten. Glaubst du, das reicht, um das Netz wieder zu einem guten Ort zu machen?
Wir verfolgen von Anfang an bei netzpolitik.org die Entstehung, das Wachstum, die Einflussnahme der großen Plattformen. Wir sind schon lange überzeugt, dass man diesen Tech-Riesen durch Selbstregulierung zu viele Freiheiten geschenkt hat. Twitter, Facebook und Youtube konnten jahrelang immer mächtiger werden und als Fremdkörper in unserer Demokratie mehr oder weniger unkontrolliert ein Eigenleben führen. Insofern sind wir nun erfreut, dass die Politik – wenn auch viel zu spät – auf europäischer Ebene verstanden hat, dass man hierfür klare Regeln braucht. Ich hätte mir das Ganze zehn Jahre früher gewünscht, dann würden wir heute über mangelnde Durchsetzung diskutieren und nicht weiterhin in eine Glaskugel schauen. Ich glaube, wenn die Umsetzung jetzt scheitert, dann scheitern auch die Demokratie und der Rechtsstaat. Insofern müssen wir Wege finden, diese ungezähmte Macht zu bändigen und die Plattformen zu demokratisieren. Und nicht marktdominanten Unternehmen einseitig erlauben, durch technische und rechtliche Vorgaben zu bestimmen, wie Öffentlichkeit funktioniert.
Und wie sieht es mit der Zukunft des Onlinejournalismus aus? Glaubst du, Medienschaffende können an der Krise wachsen und andere Wege gehen?
Ich glaube, wir brauchen bessere Rahmenbedingungen für eine neue Art von Journalismus. Den praktizieren wir schon: Bei netzpolitik.org vernetzen wir uns mit Experten, um gemeinschaftlich Recherchen durchzuführen. Das sind häufig Jurist:innen, Hacker:innen oder Datenexpert:innen. Schlecht formulierte Gesetze wie die Datenhehlerei bieten ihnen aber nicht denselben Schutz, den wir Journalist:innen im Umgang mit Dokumenten haben, die uns zugespielt werden und die wir gemeinsam auswerten. Dieser Schutz ist dringend nötig. Mit Kollaborationen kann man Ressourcen bündeln und effektiver größere Recherchen machen. Das sehe ich als große Chance für den Journalismus – nicht nur bei großen Recherchen, auch bei solchen, die lokale Missstände aufdecken, wo es aber nicht genug Personal bei einem Medium gibt. Darüber hinaus brauchen wir endlich mal ein besseres Whistleblowerschutzgesetz.
"Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen in der Innovationsförderung. Da draußen gibt es sehr viele Menschen mit innovativen Ideen."
Mal ehrlich, wie oft geistert dir – passend zum Republica-Konzert – die Tocotronic-Songzeile "Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit" durch den Kopf, wenn es um Innovation geht? Sowohl in Sachen Digitalisierung als auch Journalismus?
Ich glaube, dass wir immer noch in einer Experimentierphase sind mit Organisationsformen, Geschäftsmodellen, Darreichungsformen, und das ist auch gut. Aber wir brauchen bessere Rahmenbedingungen in der Innovationsförderung. Da draußen gibt es sehr viele Menschen mit innovativen Ideen. Die hängen dann teilweise in kleinen und großen Häusern, wo sie wahlweise verzweifeln oder sich mit verkrusteten Strukturen abgefunden haben. Oder sie sind unabhängig und ihnen fehlen die Mittel, um frei agieren zu können. Ich glaube, diese Lücke sollten wir füllen. Und ich wünsche mir mehr Mut zum Risiko, weniger Bedenken und Kontrolle, gerade auch in großen Apparaten. Auch dort brauchen wir innovative Ansätze, die Raum zum Atmen geben. Wenn wir zehn Jahre zurückblicken, haben wir schon viele Fortschritte gemacht, sind aber immer noch nicht da, wo wir sein könnten.
Alle Infos zu Besser Online finden Sie hier: www.besser-online.info. Motto: „Raus aus der Bubble! Frei schwimmen statt eng denken“.
Ute Korinth arbeitet als Journalistin und Kommunikationsexpertin in Dortmund und leitet im DJV den Bundesfachausschuss Online.