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Willkommen an Bord
Der Trend zu neuen Arbeitsprozessen und die Corona-Pandemie haben den Einstieg neuer Kolleg*innen in vielen Redaktionen auf den Kopf gestellt. (Illustration: Jan Kruse)
Arbeitsvertrag unterschrieben, Schlüsselkarte erhalten? Lange erschöpfte sich die Onboarding-Phase in Medienhäusern in einer Checkliste für Administratives. Der Trend zu New Work und die Corona-Pandemie haben die Einstiegsprozesse in vielen Redaktionen auf den Kopf gestellt: Plötzlich geht es um Bindung und Kultur. Text: Anne Hünninghaus
08.07.2022
Kann mal jemand in der IT anrufen? Irgendwie klappt das mit den Zugängen noch nicht." Sätze wie dieser gehörten einst zu den Klassikern an einem ersten Tag im neuen Job. Während versucht wurde, die technische Grundlage für den Start zu schaffen, verteilte der oder die Neue mitgebrachten Kuchen und lernte die Redaktionskollegen kennen. Später gab es ein paar warme Worte von Ressortleitung oder Chefredaktion und ein gemeinsames Mittagessen mit dem Team. Funktionierte der Rechner irgendwann, folgten erste Anlern-Einheiten: "Hat jemand Zeit, Julia das CMS zu erklären?"
Szenen wie diese waren einmal. Jedes Medienhaus, das in Sachen New Work etwas auf sich hält, will von derlei Improvisationskunst nichts mehr wissen. Stattdessen bringen Digitalisierung und Fachkräftemangel neue Termini aufs Tableau: Die Employee Journey, die mit einem exzellenten Onboarding beginnt, zum Beispiel. Deutschland und die Medienbranche waren beileibe keine Vorreiter, wie HR-Coach Veit Lemke bestätigt: "Während viele US-Konzerne schon lange über Onboarding-Beauftragte und strukturierte Prozesse verfügten, um neue Mitarbeiter an Bord zu holen, war das hierzulande noch kein Thema." Dass sich das geändert hat, liegt auch an der Corona-Pandemie. In vielen Häusern hat es vor zwei Jahren Klick gemacht, als sie sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert sahen. Wenn neue Kollegen während der Lockdownphasen aus dem Homeoffice starteten, war es zwar kein Problem, ihnen die technische Ausstattung nach Hause zu senden.
"Beim Spiegel gibt es seit Dezember 2020 den sogenannten ‚Spiegel-Schnack‘: Eine digitale Lostrommel vernetzt Beschäftigte per Zufall für virtuelle Kaffeepausen miteinander – was besonders den neuen Kollegen zugutekommt."
Aber die Atmosphäre zu erleben und wirklich Teil eines Teams zu werden, ist eben deutlich schwieriger, wenn man sich nicht morgens an der Kaffeemaschine trifft und einander im Großraumbüro erlebt. "Das macht heute vor allem das kulturell-soziale Onboarding entscheidend", sagt Experte Lemke: "Wie kann ich den Neustarter möglichst gut an mich binden?" Arbeitgeber von Handelsblatt bis Südkurier haben dafür Lösungen erarbeitet: Hier präsentieren sich Teams inzwischen in eigens produzierten Videos und Podcasts, erzählen darin von ihrer Arbeit und Anekdoten, um den Neuen an Bord auch in Remote-Zeiten ein Gefühl der Verbundenheit zu vermitteln.
Vornehmlich remote
Auch beim Spiegel-Verlag ist der Wert eines strukturierten Einstiegsprozesses in der Corona-Zeit noch einmal gestiegen, heißt es aus der Personalabteilung. Zum einen aus praktischen Gründen, um auch von zu Hause aus schnell "ins Arbeiten" zu kommen. Zum anderen, um die kulturelle Identifikation mit dem Arbeitgeber zu erleichtern. Zwar fanden beim Spiegel Willkommensevents und Einarbeitungen während der beiden vergangenen Jahre vornehmlich remote statt. Gleichzeitig seien Führungskräfte außer in den harten Lockdownphasen immer ermutigt worden, den persönlichen Austausch zu suchen – zum Beispiel in Form von Spaziergängen, Mittagessen im Freien oder in den für Meetings bereitgestellten Pagodenzelten auf der Terrasse an der Hamburger Ericusspitze.
Neu eingeführt hat das Haus im Dezember 2020 auch den sogenannten "Spiegel-Schnack": Eine digitale Lostrommel vernetzt Beschäftigte per Zufall für virtuelle Kaffeepausen miteinander – was besonders den neuen Kollegen zugutekommt. Andere Medienhäuser, darunter die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH), setzen auf sogenannte Onboarding-Buddys, persönliche Ansprechpartner, die den neuen Kollegen bei allen Fragen zur Seite stehen und dafür auch entsprechend Zeit eingeräumt bekommen.
"Es gibt keine zweite Chance für einen ersten Eindruck", antwortet die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf die Frage nach der strategischen Bedeutung des Onboardings. Auch für Arbeitgeber sind die ersten 100 Tage eine Bewährungsprobe. Laut einer Studie des Recruiting-Unternehmens Softgarden hat 2018 in Deutschland mehr als jeder Vierte schon einmal während dieser Frist einen neuen Job gekündigt oder dies zumindest ernsthaft erwogen. Zu den Hauptgründen dafür gehörten laut der Befragten Defizite bei der Atmosphäre und Einarbeitung.
Eine neuere Forsa-Umfrage im Auftrag von Xing bestätigt die hohe Wechselbereitschaft aufgrund von Mängeln in der Unternehmenskultur. Um dem vorzubeugen, nimmt die FAZ auch abseits des Organisatorischen vorab Kontakt zu Kollegen in spe auf und informiert sie über das Haus, ihre Ansprechpartner und Weiterbildungsmöglichkeiten. Dass die ersten Wochen wesentlich darüber entscheiden, ob neue Mitarbeiter eine Bindung entwickeln, ist auch den Führungskräften der SWMH bewusst. "Von einem guten Onboarding profitieren alle, es kann Fluktuationskosten verringern", heißt es aus deren Personalabteilung. Zwar zieht man dort den Onboarding-Prozess in Präsenz der Remote-Variante vor, aber auch eine Kombination aus beidem, hybrides Onboarding, hat sich zunehmend etabliert. Immerhin schafft das mehr Flexibilität – auf beiden Seiten.
"Die Südwestdeutsche Medien Holding setzt auf Onboarding-Buddys, persönliche Ansprechpartner, die den neuen Kollegen bei allen Fragen zur Seite stehen und dafür entsprechend Zeit eingeräumt bekommen."
Dass die Starthilfe besonders sorgsam geplant ist, demonstrieren einige Häuser schon in ihren Stellenausschreibungen. So zum Beispiel beim Südkurier. Aktuell sucht die Regionalzeitung mit Sitz in Konstanz einen Blattmacher. Schon im Inserat wird strukturiert aufgeführt, wie es nach Eingang der Bewerbung weitergeht. Im Kurzdurchlauf: Innerhalb einer Woche gibt es Rückmeldung, bei Interesse findet später ein virtuelles Kennenlernen statt, danach ein Ortsbesuch. Kommt es zur Vertragsunterschrift, folgen Welcome-Mails mit allen Infos zum ersten Arbeitstag und ein detaillierter Onboarding-Plan. Experte Veit Lemke hält es für eine gute Idee, das alles schon während der Personalsuche anzumoderieren: "Auf Bewerber macht es einen positiven Eindruck, wenn die nächsten Schritte skizziert werden. Schließlich zeigt das: Das Haus geht professionell und durchdacht dabei vor, neue Beschäftigte zu integrieren." Und gerade angesichts des sich verstärkenden Personalmangels in manchen Redaktionen in der Provinz kann es ein entscheidendes Argument für einen Arbeitgeber sein, wenn er ein Gefühl von Sicherheit und Aufgehobensein gleich beim Einstieg vermitteln kann.
Hinter dem Prozess beim Südkurier steht HR-Chefin Janka Miesch. Ein dezidiertes Onboarding-Programm gibt es seit einigen Jahren. Da die zugehörigen Lokalredaktionen rund um den Bodensee verteilt sind, fand auch schon vor Corona-Ausbruch vieles hybrid statt. "Wir versuchen, neuen Kollegen schon vor ihrem Start bei uns einen Eindruck von der Atmosphäre zu vermitteln", sagt Miesch. Das heißt: Sobald die Tinte unter dem Vertrag trocken ist, wird der oder die Neue in Planungen berücksichtigt, zu Teamevents und Feiern eingeladen und bekommt einen Paten zugewiesen. Manche Teams schicken laut Miesch schon vor dem Start eine Postkarte mit einem kleinen Gruß, um zu zeigen, dass sie sich auf die Ankunft des neuen Teammitglieds freuen. Onboarding-Profi Lemke hält es für klug, den Kontakt in den Monaten vorab aufzubauen: "Während einer klassischen Dreimonatsfrist bis zu Beginn des neuen Jobs kann es durchaus passieren, dass der Kandidat ein anderes Angebot bekommt", warnt er. Die Chancen, dass er sich von vornherein auch emotional an den neuen Arbeitgeber bindet, seien größer, wenn sich das künftige Team schon beispielsweise über Linkedin mit ihm vernetzt und ausgetauscht hat. Auch dass der künftige Vorgesetzte sich vorab schon einmal – bestenfalls via Videocall – melde, sei in dieser Phase des so genannten Preboardings eine gute Idee.
"Wer beim Südkurier beginnt, wird schon an seinem ersten Tag für die kommenden beiden Wochen einige Termine in seinem Kalender vorfinden, zum Beispiel: Dienstag, 11 Uhr: Kennenlernen mit der Ressortchefin, Mittwoch, 13 Uhr: Lunch mit dem Wirtschaftsteam."
Jetzt, da es wieder möglich ist, findet der erste Arbeitstag beim Südkurier wie früher in Präsenz statt. Der neue Kollege erhält seine technische Rundumausstattung und wird zusammen mit den anderen Neuankömmlingen der Gruppe – von Druckereiangestellten bis zum Redakteur – in einer zentralen Willkommensveranstaltung begrüßt. Wer hier beginnt, wird schon an seinem ersten Tag für die kommenden beiden Wochen einige Termine in seinem Kalender vorfinden, zum Beispiel: Dienstag, 11 Uhr: Kennenlernen mit Ressortchefin Silke, Mittwoch, 13 Uhr: Lunch mit dem Wirtschaftsteam. Kann die Person nicht vor Ort sein, werden diese Termine virtuell abgehalten. Die Pandemie hat das persönliche Kennenlernen erschwert.
Aus Sicht der HRlerin Miesch hat es allerdings auch positive Effekte für das Onboarding mit sich gebracht und erfinderisch gemacht. So hat zum Beispiel die Tochterfirma Media Favoriten während dieser Zeit einen Podcast aufgenommen, in dem sich die Teammitglieder vorstellen und in Gesprächen über gemeinsame Erlebnisse austauschen. Diese Audiobeiträge kann sich der neue Kollege dann nach und nach anhören, um einen Eindruck von der Atmosphäre zu bekommen. Zudem liefert HR eine Vorlage für den Einarbeitungsplan, die individuell vom Fachbereich gefüllt wird. So steht von vornherein fest, welche Kollegen den neuen Mitarbeiter wann wobei betreuen. "Schließlich ist es wichtig, dass das nicht zwischen Tür und Angel passiert, sondern dafür ausreichend Zeit und Raum zur Verfügung steht", sagt Miesch.
Onboarding-Journey
Auch die Handelsblatt Media Group hat die Pandemie zum Anlass genommen, Einstiegsprozesse strukturierter aufzubauen. Wer den Vertrag unterschrieben hat, darf neuerdings kurz danach mit einem vollen Briefkasten rechnen: "Um die Zeit bis zum Start zu verkürzen, schicken wir den Kolleginnen und Kollegen in spe schon einmal ein paar Aufmerksamkeiten zu, unter anderem die Zugänge zu unseren digitalen Angeboten", sagt HR-Chefin Nadine Dreßen. Kurz bevor es losgeht, trudelt dann noch eine kleine Überraschung per Post ein. Auch während der schlimmsten Corona-Zeit seien die meisten Neueinsteiger zumindest einmal kurz ins Büro gekommen, sagt Dreßen. Vor Corona haben sich Vertreter und Vertreterinnen aus den einzelnen Bereichen in einem zentralen Willkommensevent für alle Neuen in einer Live-Veranstaltung vorgestellt. Heute findet die Session virtuell über Microsoft Teams oder Zoom statt. Im begleitenden Welcome-Channel gibt es statt Vorträgen nun Videos der einzelnen Abteilungen und Teams sowie Tipps und Informationen rund um den Start und die ersten Wochen. "Das werden wir auch über die Zeit der Pandemie hinaus weiterführen", sagt Dreßen.
Für die Neuen sei es sehr wertvoll, einen direkten Eindruck davon zu gewinnen, wie die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit funktioniert: Welche Personen und Produkte stecken dahinter, und wie sieht deren Arbeitsalltag aus? Durch die Umstellung auf hybrides Onboarding sind auch die Standorte der Gruppe näher zusammengerückt, sagt die Personalerin. "Heute können auch die neuen Mitarbeitenden, die an den kleineren Standorten in Hamburg, München, Berlin und Frankfurt starten, mehr von unserem Düsseldorfer Headquarter mitbekommen. Das ist definitiv ein positiver Effekt." Kürzlich hat die Handelsblatt Media Group ihre Mitarbeitenden gebeten, die Onboarding-Journey zu bewerten. Lob gab es laut Dreßen für den guten Überblick zu den unterschiedlichen Bereichen im Haus, also "das große Ganze", die Begleitung in den ersten Wochen durch einen festen Buddy sowie die zum Start bereits organisierten Kennenlerntermine und die regelmäßigen Zwischenfeedbacks.
In Zeiten höherer Fluktuation ist in vielen Häusern beim Onboarding eine gewisse Routine eingekehrt. Das beobachtet auch Personalerin Miesch vom Südkurier. "Die Leute bleiben heute eben nicht mehr zwangsläufig bis zur Rente, Onboarding und Wechsel sind auch bei uns normaler geworden." Gleichzeitig sind die Ansprüche der frisch Eingestellten an den neuen Arbeitgeber gewachsen. Im Kampf um Talente wird es für Medienhäuser wichtiger, sich gleich zu Beginn von der Schokoladenseite zu zeigen – sonst sprechen sich Negativerfahrungen herum und schlimmstenfalls schreckt ein Verriss auf Plattformen für Arbeitgeberbewertungen wie Kununu potenzielle Bewerber ab.
Beim Südkurier legt man übrigens auch auf ein gelungenes "Offboarding" Wert: Kündigt ein Mitarbeiter, dann fragen HR und Führungskraft in einem Exit-Gespräch offen nach, was ihn dazu bewogen hat. So bitter manche Trennung dann bleiben mag – es lässt sich zumindest aus ihr lernen.
Anne Hünninghaus ist Redakteurin in der Kölner Wirtschaftsredaktion Wortwert.