Wiebke Winter

"Soziale Marktwirtschaft muss der Hebel sein, mit dem wir klimaneutral werden"

05.09.2023

Wiebke Winter ist 27, Juristin, CDU-Politikerin – und Klima­aktivistin. 2021 hat sie die Klimaunion mitgegründet und gehörte zum Klimateam des damaligen Kanzlerkandidaten Armin Laschet. Die Krise verlange von allen politischen Parteien Antworten, sagt Winter. Ihre lautet: Man müsse auf die Wirtschaft setzen. "Wir haben in Deutschland nur dann eine Vorbildwirkung für andere Länder, wenn wir zeigen, dass wir unseren Wohlstand erhalten und gleichzeitig klimaneutral sein können", glaubt sie. Interview: Catalina Schröder, Fotos: Hannes von der Fecht

Wiebke Winter: "Wenn wir auf den Raum Bremen schauen, dann ist es wahrscheinlich, dass wir 2100 mit dieser Stadt unter dem Meeresspiegel liegen werden und vielleicht hier – wo wir jetzt sitzen – Wasser sein wird." (Foto: Hannes von der Fecht)

Wer Wiebke Winter trifft, muss an Angela Merkel vorbei. Als Wachsfigur steht die Ex-Kanzlerin im Flur des zweiten Stocks im Bremer CDU-Haus. Ein griechischer Gastronom aus Bremen hat die Figur in China anfertigen lassen. So können Besucher es auf einem Zettel nachlesen, den jemand mit einem Tesafilm-Streifen neben der Wachs-Merkel befestigt hat. Eigentlich sollten die Gäste des Gastronoms die Möglichkeit haben, gegen eine Spende für die Bremer Tafel ein Foto mit der damaligen Bundeskanzlerin zu schießen. Doch das Kanzleramt lehnte ab. „Wir haben sie gern genommen“, erzählt Winter.

Die 27-Jährige ist das jüngste Mitglied im CDU-Bundesvorstand, Mitgründerin sowie stellvertretende Vorsitzende der Klimaunion und Mitglied der Bremischen Bürgerschaft. „CDU-Greta“ oder „schwarze Greta“ – so nennen Medien Winter gerne. Geht es nach ihr, macht die CDU die Bekämpfung der Klimakrise zur Priorität. Sie spricht dabei gern von „Klimawohlstand“. Zwar werden die Menschen hierzulande sicherlich auch ihr Verhalten ändern müssen, sagt Winter, aber: „Wir müssen vor allem eine Welt schaffen, in der jeder klimaneutral leben kann.“

journalist: Frau Winter, ich habe für den Einstieg in unser Gespräch einige Entweder-Oder-Fragen mitgebracht.

Wiebke Winter: Oh ja, ich liebe sie (lacht).

Frage Nummer eins: Auto oder Fahrrad?

Auto ist wohl die Antwort, weil ich es häufiger benutze. Ich fahre auch sehr gern Fahrrad, aber ich wohne einigermaßen weit außerhalb in Bremen, in Bremen-Nord.

Können Sie nicht mit der Bahn fahren?

Das mache ich auch. Aber gerade die Bahnen nach Bremen-Nord fallen häufig aus und fahren oft nur alle 30 Minuten.

Weiter zu Frage Nummer zwei: Auto oder Flugzeug?

Zug. Ich fahre so viel es geht Zug, wenn es irgendwie geht, auch innerhalb von Europa. Das mache ich auch lieber als zu fliegen. Ich versuche, Flüge soweit es geht zu vermeiden.

Fleisch oder Fleischersatz?

Ich vertrage Fleischersatz leider nicht so gut. Deshalb: Fleisch, aber gern in Bio-Qualität.

Aktivismus oder Politik?

Politik.

Klimawandel oder Klimakrise?

Klimakrise.

Haben Sie heute schon etwas unternommen, um das Klima zu schützen?

Ich versuche, Wasser einzusparen, wo immer es geht. Deswegen dusche ich immer nur kurz. Und ich versuche, möglichst viele Bio-Produkte zu essen.

Ich habe diverse Artikel gelesen, die über Sie erschienen sind. Die beliebteste Frage, die Journalisten Ihnen stellen, lautet offenbar: Warum sind Sie nicht bei den Grünen?

(lacht) Genau. Dann haben Sie die Antwort ja auch schon häufig gelesen.

Wie sehr nervt Sie diese Frage?

Ich kann den Impuls verstehen, warum man das fragt. Weil es leider – aus meiner Sicht – so ist, dass das Thema Klima mit den Grünen verknüpft ist. Ich halte das für falsch. Genauso, wie die Pandemie eine Krise war, die von allen demokratischen Parteien Antworten verlangte, ist auch die Klimakrise eine Krise, die von allen politischen Parteien Antworten verlangt.

Wie unterscheiden Sie sich denn von einer grünen Klimapolitikerin?

Ich denke, dass es unterschiedliche Herangehensweisen gibt, wie man auf die Klimakrise reagieren kann. Was man auf der Ebene der Europäischen Union klar sieht, ist, dass wir als Union und als EVP-Fraktion im Europäischen Parlament mit der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – anders als die Grünen – auf die soziale Marktwirtschaft setzen.

Wie sind Sie zur Klimapolitikerin geworden?

Als ich ungefähr 13 Jahre alt war, habe ich angefangen, politische Magazine zu lesen. Eine große Debatte, die wir 2009 wie auch heute immer wieder führen, ist die Debatte über die Atomkraft. Die hat mich politisiert. Ich bin gemeinsam mit meinem Vater nach Berlin gefahren, um gegen Atomkraft zu protestieren. Das war für mich sehr einschneidend. Auch weil ich gemerkt habe: Man kann etwas bewegen, wenn man sich engagiert. Am Abend wurde in der Tagesschau über „unsere“ Demonstration berichtet. Ich sah auch ungefähr, wo ich in der ganzen Menschenmenge zu sehen gewesen bin. Und ich wusste: Ja, ich bin ein Teil von diesem großen Ganzen. Das Thema Klimaschutz habe ich seitdem weiter beobachtet. Fridays for Future hat mich weiter darauf aufmerksam gemacht. Ein Familienangehöriger arbeitet auf der Polarstern, dem Forschungsschiff. Er berichtet immer wieder, wie sehr das Eis am Nord- und Südpol zurückgeht. Die Klimakrise ist die größte Krise, mit der meine Generation umzugehen hat.

„Aus meiner Generation werden viele Menschen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ihren Lebensraum verlieren, wenn es so weitergeht – das ist furchtbar. Und das hätten wir verhindern können.“

Haben Sie ein konkretes Klima-Szenario vor Augen, das Sie befürchten, wenn wir jetzt nichts unternehmen?

Wenn wir auf den Raum Bremen schauen, dann ist es wahrscheinlich, dass wir 2100 mit dieser Stadt unter dem Meeresspiegel liegen werden und vielleicht hier – wo wir jetzt sitzen – Wasser sein wird. Ich liege manchmal im Bett und denke: Was bedeutet das, wenn wir jetzt diese ganze Hitze sehen und die Sommergewitter, die Stürme, die hier andauernd wieder dazu führen, dass Bäume entwurzeln? Und das sind ja bei uns noch nicht mal die katastrophalsten Auswirkungen. Wenn ich mir anschaue, was Waldbrände in Kanada, in den USA oder Australien oder irgendwo auf der Welt verursachen, was die Dürre für Hunger auslöst. Das sind schreckliche Folgen, und wir müssten noch so viel mehr tun, um die Klimakrise zu stoppen.

Welche konkreten Folgen fürchten Sie für Ihre Generation?

Aus meiner Generation werden viele Menschen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ihren Lebensraum verlieren, wenn es so weitergeht – das ist furchtbar. Und das hätten wir verhindern können, wenn wir früher gehandelt hätten. Nun bringt es nichts, immer nur in die Vergangenheit zu schauen, sondern wir müssen uns fragen: Was können wir heute noch ganz konkret tun?

Machen Sie mal einen Vorschlag.

Wir müssen vor allen Dingen auf internationaler Ebene noch schneller werden. Wie können wir andere Länder, zum Beispiel China und Indien, dazu bringen, schneller klimaneutral zu werden? Wie können wir sie unterstützen? Wir haben als westliche Welt eine besondere Verantwortung aufgrund unserer historischen CO2-Emissionen. Zudem überschreiten wir unseren Teil des „CO2-Budgets“ jedes Jahr. Es gibt diesbezüglich natürlich unterschiedliche Rechenmodelle, aber wir leben auf jeden Fall deutlich über dem, was wir eigentlich verbrauchen dürften. Es wäre gut, wenn wir zumindest schon einmal unsere eigenen Versprechen einhalten würden – zum Beispiel bei der Klimafinanzierung oder dem Versprechen, keine neuen fossilen Förderstätten in Afrika zu unterstützen.

Lassen Sie uns mal konkret werden: Was können Sie persönlich jetzt gegen die Klimakrise tun?

Wir müssen vor allem eine Welt schaffen, in der jeder klimaneutral leben kann. Da müssen wir vor allem unsere Infrastruktur ändern – das geht aber mehr auf der politischen als auf der individuellen Ebene. Persönlich kann jeder zum Beispiel mithelfen, indem er – sofern er eines hat – sein Eigenheim klimaneutral umgestaltet. Als junge Oppositionspolitikerin mache ich immer wieder auf die Klimakrise aufmerksam und habe zum Beispiel die Klimaunion gegründet. Dort setzen wir uns für ehrgeizigeren Klimaschutz auf kommunaler, Landes-, Bundes- und internationaler Ebene ein.

Die Klimaunion ist ein Verein aus CDU- und CSU-Politikerinnen und Politikern, den Sie im März 2021 mitgegründet haben und zu dessen Vorstand Sie gehören. Die Klimaunion will dafür sorgen, dass Klimathemen einen höheren Stellenwert innerhalb des Parteienverbunds bekommen.

Genau. Auf Landesebene organisieren wir zum Beispiel gerade eine Tour durch die ostdeutschen Bundesländer, wo wir darüber sprechen, wie Kommunen klimaneutral werden. Auf internationaler Ebene kooperieren wir als Klimaunion mit unseren Partnern in Großbritannien und setzen uns dort dafür ein, dass Klimaschutz auch in unseren Partnerparteien noch einen höheren Stellenwert bekommt.

Das klingt sehr abstrakt. Was heißt das genau, wenn Sie sagen: Sie kooperieren mit Großbritannien?

Wir machen zum Beispiel gemeinsame Veranstaltungen und sprechen miteinander. Wir sind als junger Verein gerade noch im Aufbau dieser Arbeit. Ich sehe es jedoch als einen der wesentlichen Hebel, dass wir Gesprächskanäle haben zu anderen Parteien in der Welt und dass wir die Parteien aus unserer Parteienfamilie zu mehr Ehrgeiz bewegen können. Womöglich können wir auch Aufklärungsarbeit leisten. In Europa und in Deutschland haben wir schon wichtige Maßnahmen für die Klimaneutralität getroffen. Wichtig ist, dass wir zeigen, dass unsere Wirtschaft klimaneutral ebenso gut funktioniert wie heute – sonst haben wir keine Vorbildwirkung.

„Es wäre ja toll, wenn es so einfach wäre! Aber wir müssen die Realitäten anerkennen.“

Wenn ich mir anschaue, was Ihre Parteikollegen zur Bewältigung der Klimakrise sagen, klingt das ganz anders. Friedrich Merz beispielsweise hat in einem Interview mit der Zeit im April gesagt: „Wenn wir in den nächsten zehn Jahren die Weichen richtig stellen, sind wir auf einem guten Weg.“ Wie wütend sind Sie, wenn Sie so was lesen?

Im ersten Moment würde man vielleicht denken: Aber wir müssen doch heute alle Entscheidungen treffen! Das würde aus meiner Sicht aber verkennen, dass wir in einer Demokratie leben und Entscheidungswege daher länger dauern. Sicherlich kann man sagen: Wir hätten schon viel früher damit anfangen sollen. Die skandinavischen Länder haben das getan und stehen deutlich besser da als wir. Aber wir können heute auch nicht sagen: Ihr müsst euch jetzt alle sofort eine Wärmepumpe einbauen. Das sind hohe Investitionskosten, die der Staat allein gar nicht tragen kann. Das heißt: Auch der Einzelne wird Kosten tragen müssen. Die Frage ist: Kann das der Einzelne sofort? Müssen wir ihm eine Übergangsfrist geben? Welche Unterstützung braucht die Gesellschaft, um das zu machen? Gerade wenn wir an die ältere Bevölkerung denken, die mit 70 Jahren nicht mehr so einfach einen Kredit bekommt, wie wir beide ihn vielleicht noch bekommen würden. Und deswegen dauern Prozesse, weil es eine große Transformation ist.

Das klingt alles sehr rational. Viele junge Klimaschützer stellen deutlich radikalere Forderungen.

Das funktioniert aber nicht. Selbst wenn alle sagen würden: „Gebt mir sofort eine Wärmepumpe“, hätten wir weder genügend Wärmepumpen noch Handwerker, um das umzusetzen. Es wäre ja toll, wenn es so einfach wäre! Aber wir müssen die Realitäten anerkennen. Und wenn wir sagen, wir müssen Entscheidungen treffen, dann denke ich auch, dass wir bis 2030 noch Zeit haben, die letzten Entscheidungen zu treffen, aber danach auch nicht mehr, damit wir 2045 klimaneutral sind.

Wenn wir sehen, dass Skandinavien schon viel weiter ist, kann man auch sagen: Deutschland hat einiges versäumt.

Wir hätten früher anfangen können. Es ist nicht so, dass nichts passiert ist. Aber angesichts der Größe der Krise hätten wir schon deutlich früher reagieren müssen. Übrigens nicht nur in der Regierungszeit von Angela Merkel, sondern auch schon davor. Seit 1972 ist bekannt, dass es den Klimawandel gibt. Seit spätestens 1990 ist es jedem bekannt. Und seitdem sind alle demokratischen Parteien zumindest in einem Bundesland in der Regierung gewesen, und trotzdem ist zu wenig passiert. Wir müssen uns da alle an die eigene Nase fassen. Es bringt aber jetzt auch nichts, das Blame Game zu spielen. Ich würde mir vielmehr wünschen, dass wir in der Politik noch ein bisschen Multitasking-fähiger werden, weil wir uns häufig nur auf ganz aktuelle Krisen stürzen und die Klimakrise darüber vergessen.

Die CDU fordert Klimaneutralität bis 2045. Forscher sind sich mittlerweile aber einig, dass wir bis spätestens 2040 – also fünf Jahre früher – klimaneutral sein müssen, um das 1,5 Grad-Ziel noch annähernd zu halten. 

Je früher, desto besser, das ist klar. Und wir müssen auch den Löwenanteil jetzt schaffen und nicht jetzt bis 2042 so weitermachen und dann alles runterfahren, sondern es werden gerade auch die letzten Prozent sein, die wahrscheinlich schwer zu erreichen sind. Ich bin keine Klimawissenschaftlerin. Wenn ich mir jedoch die verschiedenen Standpunkte und unterschiedlichen Studien anschaue, wie schnell wir tatsächlich eine Transformation schaffen können, dann halte ich „spätestens 2045“ für das ehrlichere Ziel. 75 Prozent der Altbauten in Deutschland müssen saniert werden, damit wir klimaneutral werden können. Das müssen wir erst mal schaffen. Von daher kann man sich überlegen: Wäre es besser, früher klimaneutral zu werden? Ja. Ist es realistisch, das zu schaffen? Ich befürchte, leider nicht.

Ich habe noch mal in das CDU-Programm der letzten Bundestagswahl geschaut, und da stehen so Sachen drin wie: Die CDU will den Kohleausstieg bis 2038, Steuererleichterungen für Öl, Kohle und Gas und Erdgas als Brückentechnologie. Wie realitätsfern finden Sie das?

Armin Laschet hat im Anschluss ein Klimaexperten-Team eingesetzt, zu dem auch ich gehören durfte. Wir haben Ende August 2021 in einem Papier „Turbo für die erneuerbaren Energien“ vorgestellt, wie wir die Energiewende schneller schaffen können, was auch unser an manchen Stellen vages Wahlprogramm konkretisiert hat. Da ging es zum Beispiel um den Ausbau von erneuerbaren Energien, also wie wir zum Beispiel mit dem Wind-auf-See-Gesetz weiter umgehen wollen. Wie können wir Offshore-Windparks noch schneller aufbauen? Zudem haben wir uns mit dem Ausbau der Stromnetze und der erneuerbaren Energien beschäftigt, das muss endlich schneller gehen. Hier müssen wir Bürokratie abbauen. Aber das sind nur wenige unserer insgesamt 15 Punkte.

Also lieber keine Steuererleichterungen für Öl.

Ich weiß nicht, vor welchem Hintergrund diese Passage damals reingeschrieben wurde. Deswegen fällt es mir schwer, sie zu kommentieren. Wenn Sie mich heute fragen würden, würde ich nicht sagen, dass wir gerade Steuererleichterung für Öl erlassen sollten. Ausnahmsweise kann man darüber für Menschen mit einer Ölheizung nachdenken, soweit sie besonders vom Krieg in der Ukraine belastet sind und aus sozialen Gründen eine Erleichterung brauchen.

Sie sind 27 Jahre alt. Wie kommen in Ihrem Freundeskreis die Ideen der CDU zum Klimaschutz an?

Wir diskutieren in meinem Freundeskreis immer viel über den Klimaschutz, und da gibt es unterschiedliche Ansätze und Ideen. Aber wenn ich mit meinen Freunden zusammen bin, die nicht so politisch sind, diskutiere ich auch nicht nur die ganze Zeit über Politik. Viele finden mein Engagement gut und finden es cool, dass es die Klimaunion gibt.

Welchen Stellenwert bekommt Klimaschutz im neuen Grundsatzprogramm der CDU? „Ich bin sehr glücklich mit dem, was wir als Fachkommission Nachhaltigkeit, deren Mitglied ich bin, bislang besprochen haben.“

Die Union will schon lange ein neues Grundsatzprogramm erarbeiten …

… das ist ja auch in der Mache. Und wir sind voll im Zeitplan.

Was wird denn da drinstehen zum Thema Klima?

Das kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen, wir sind ja noch dabei, das auszuhandeln, und wir haben Vertraulichkeit verabredet. Aber ich bin sehr glücklich mit dem, was wir als Fachkommission Nachhaltigkeit, deren Mitglied ich bin, bislang schon besprochen haben.

Und was würden Sie gerne reinschreiben in das Grundsatzprogramm, wenn Sie alleine entscheiden könnten?

(lacht) Ich kümmere mich auf jeden Fall um internationalen Klimaschutz. Das ist vermutlich schon angeklungen.

Ich habe mir angeschaut, was Ihre Heimatpartei, also die CDU Bremen, in Sachen Klimaschutz unternommen hat. Sie haben sich für Klimaneutralität bis 2040 ausgesprochen.

Ja, für das Land Bremen.

Wie soll das funktionieren?

Als Partei haben wir dazu einen rund 50 Seiten starken Antrag verfasst, im Parlament eine Klima-Enquete eingesetzt, deren Abschlussdokument mehrere Hundert Seiten hat. In der Klima-Enquete haben wir mit allen Parteien und mit Expertinnen und Experten beraten: Wie kann Bremen bis 2038 – so steht es in dem Papier, doch leider wurde jetzt zwei Jahre nichts umgesetzt, deswegen bleiben wir bei 2040 – wie kann Bremen bis spätestens 2040 klimaneutral werden in den verschiedenen Bereichen, die Bremen natürlich selbst auch beeinflussen kann? Für uns ist ein großes Thema das Stahlwerk hier in Bremen. Aber wir haben natürlich auch drüber nachgedacht: Wie können wir den öffentlichen Nahverkehr stärken? Wie können wir auch den Strom hier in Bremen klimaneutral herstellen?

Vorhin haben wir darüber gesprochen, dass für das Ziel Klimaneutralität sehr viele Häuser saniert werden müssen. 

Leider haben wir in Bremen immer noch kein Landeswärmegesetz. Das wird uns immer wieder versprochen, und dann wird es doch wieder verschoben. Wir sehen, dass Bremen seine eigenen Klimaziele massiv gerissen hat, was wir für absolut fatal halten. Wir haben zum Beispiel konkret einen Antrag gestellt, dass entlang der Autobahn noch weitere Windräder errichtet werden. Das hat die grüne Behörde abgelehnt. Wir hätten uns gewünscht, dass noch mehr Straßenbahnkilometer gebaut werden würden und dass die Anbindung nach Bremerhaven und Bremen-Nord mit dem Zug deutlich besser wird. Der ÖPNV muss zudem günstiger werden. Wir wollen, dass Menschen bis 21 Jahre den ÖPNV kostenfrei nutzen können.

„Wir haben in Deutschland nur dann eine Vorbildwirkung für andere Länder, wenn wir zeigen, dass wir unseren Wohlstand erhalten und gleichzeitig klimaneutral sein können.“

Apropos Geld: In vielen Interviews, die Sie gegeben haben, habe ich das Wort „Klimawohlstand“ gelesen. Was genau meinen Sie damit?

Das ist das, was ich schon vorhin angedeutet habe: Wir haben in Deutschland nur dann eine Vorbildwirkung für andere Länder, wenn wir zeigen, dass wir unseren Wohlstand erhalten und gleichzeitig klimaneutral sein können.

Für mich klingt das so, als würden Sie den Leuten sagen: Ihr könnt so weiterleben wie bisher, nur künftig machen wir das alles in grün. Glauben Sie wirklich, dass wir gar keine Opfer bringen müssen?

Wir werden auch unser Verhalten ändern müssen. Viele leben schon heute bewusster. Aber es darf nicht darum gehen, Menschen pauschal zu verbieten, Fleisch zu essen oder Auto zu fahren. Wichtig ist, dass wir klimaneutrale Alternativen finden. Beim Strom ist es ja auch so: Ich merke als Nutzerin nicht, ob er erneuerbaren oder fossilen Ursprungs ist. Daher habe ich dort auch schon lange umgestellt und beziehe „grünen“ Strom.

Der große Gamechanger ist also aus Ihrer Sicht nicht das Verhalten der Menschen ...

… sondern die Veränderung unserer Infrastruktur und die Nutzung erneuerbarer Energien und daraus entstehenden Wasserstoffes, genau. Unsere Energieversorgung ist der Löwenanteil unserer CO2-Emissionen. Daher müssen wir nun: klimaneutral heizen, uns klimaneutral fortbewegen, die Industrie klimaneutral gestalten.

Wenn das so klar ist: Woran scheitert es dann?

Vielfach an der Bürokratie. 2019 ist eine einzelne Schnecke durchschnittlich fast weiter gekrochen, als wir in Deutschland Kilometer an Stromnetzen ausgebaut haben. Das kann nicht sein. Da müssen wir die Genehmigungsverfahren deutlich beschleunigen. Ein Windrad zu genehmigen, dauert heutzutage bis zu sechs Jahre!

„Fridays for Future verfolgt im Konkreten andere Ziele als ich. Im Großen sind wir beide für Klimaneutralität, das ist klar.“

Die meisten jungen Menschen, die sich für das Klima einsetzen, machen das bei Fridays for Future. Haben Sie mal mit denen gemeinsam protestiert?

Ich war auf Veranstaltungen von Fridays for Future hier in Bremen, und in Berlin laufen wir als Klimaunion mit. Hier in Bremen war ich aber bei den Protesten gar nicht mal so erwünscht.

Es gäbe ja auch die Möglichkeiten, in anderen Städten zusammen mit Fridays for Future zu demonstrieren.

Fridays for Future verfolgt im Konkreten andere Ziele als ich. Im Großen sind wir beide für Klimaneutralität, das ist klar. FFF ist jedoch oft sehr kapitalismuskritisch. Und das bin ich nicht. Ich glaube, dass die soziale Marktwirtschaft gerade der Hebel sein muss, mit dem wir klimaneutral werden können.

Ein weiterer Unterschied ist: Sie machen Politik, bei Fridays for Future treffen sich Aktivisten. Beneiden Sie die manchmal darum, alles kritisieren zu dürfen, ohne Rücksicht auf Parteibefindlichkeiten nehmen zu müssen?

Die unterschiedlichen Formen des Engagements sind wichtig. Ich halte es für klug, in die Parteien zu gehen und Anträge zu stellen und sich parteipolitisch zu engagieren. Die Parteien stellen zum Schluss die Listen- und Wahlkreiskandidaten auf, und die Parlamente sind die Orte, an denen man tatsächlich etwas mitentscheiden kann. Auch Aktivismus ist jedoch wichtig. Das ist ja das, was unsere Gesellschaft ausmacht, dass wir unterschiedliche Protestformen haben.

„Die unterschiedlichen Formen des Engagements sind wichtig. Ich halte es für klug, in die Parteien zu gehen und Anträge zu stellen. Auch Aktivismus ist jedoch wichtig. Das ist ja das, was unsere Gesellschaft ausmacht, dass wir unterschiedliche Protestformen haben.“

Wir haben die Klimaunion vorhin schon angesprochen, die sich für das 1,5-Grad-Ziel und Klimaneutralität sogar bis 2040 einsetzt. Es gibt Wissenschaftler, die sagen: Wir können das 1,5-Grad-Ziel schon gar nicht mehr erreichen.

Ich nehme das mit großer Sorge wahr. Und ich glaube, dass wir trotzdem alles dafür tun sollten, es annähernd einzuhalten. Es gibt neuere Forschung dazu, wie man gegebenenfalls CO2 aus der Luft wieder rausfiltern kann. Das ist in der Realität natürlich noch wenig bis kaum erprobt. Aber vielleicht kann man damit die Erde sogar wieder abkühlen. Ich bin noch ein bisschen skeptisch, ob das tatsächlich funktionieren wird, weil es bislang sehr teuer ist. Aber wer weiß: Meine Großmutter hätte sich vermutlich auch nicht mit 27 vorstellen können, dass es irgendwann möglich ist, einfach mit Menschen in den USA videotelefonieren zu können.

Wie genau können Sie mit der Klimaunion dazu beitragen?

Wir haben unterschiedliche Projekte, die wir angehen: kommunal, auf Landesebene, auf nationaler Ebene, auf europäischer Ebene und auf internationaler Ebene. Ich habe mich jetzt im Rahmen der Fachkommission Nachhaltigkeit vor allem mit internationalem Klimaschutz auseinandergesetzt. Aber wir müssen auch im Kleinen Klimaschutz umsetzen. Und da gibt es ja auch sehr erfolgreiche CDU-Landräte, die das schon geschafft haben. Zum Beispiel im Rhein-Hunsrück-Kreis, wo ein CDU-Landrat den ersten klimaneutralen Landkreis aufgebaut hat. Genau das ist etwas, was wir in viel mehr Kommunen schaffen müssen. Wir nehmen uns als Organisationen wahr, die aus CDU-Mitgliedern besteht und vor allen Dingen innerhalb der CDU wirken will. Das heißt, wir machen nicht Politik über Twitter, sondern wir machen Politik innerhalb der CDU und CSU und wollen eine Plattform sein, wo sich Mitglieder der Union über Klimaschutz austauschen können.

Wie unbeliebt sind Sie damit in der CDU?

Das Thema Klimaschutz ist für uns in der CDU zentral. Natürlich diskutieren wir, wie man Klimaneutralität am besten umsetzen kann. Wer Positionen hat, der eckt aber natürlich auch mal an, und das ist auch gut so.

Lassen Sie uns noch über einen anderen Bereich dieses Themas sprechen. Wie bleiben Sie auf dem Laufenden?

Ich spreche regelmäßig mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Ich versuche, unterschiedliche Bücher zu lesen, von unterschiedlichen Persönlichkeiten, auch gerade von Personen, mit denen ich vielleicht nicht übereinstimme. Ich habe das Buch von Bill Gates gelesen oder das Buch von Greta Thunberg, wo sie sehr viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Wort kommen lässt. Das fand ich sehr spannend, das kann ich wirklich empfehlen.

Mit welchen Wissenschaftlern haben Sie schon gesprochen?

Ich führe hauptsächlich vertrauliche Gespräche. Als CDU-Bundesvorstand haben wir zum Beispiel mit Frau Boetius (Anm. der Red: Antje Boetius ist Meeresbiologin, Professorin für Geomikrobiologie und leitet das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven) über das Thema Klimaschutz gesprochen, mit der ich als Bremerin immer noch in Kontakt stehe.

Welche Medien machen aus Ihrer Sicht eine gute Berichterstattung über die Klimakrise?

Ich finde Kemferts Klima-Podcast vom MDR sehr aufschlussreich. Ich höre auch andere Klimapodcasts sehr gerne. Den von N-TV, Klima-Labor, finde ich auch gut. Es gibt auch vom NDR einen, Mission Klima, wo über innovative Lösungen im Klimaschutz berichtet wird.

Angenommen, wir treffen uns vor der nächsten Bundestagswahl – voraussichtlich im Jahr 2025 – wieder. Was steht dann zum Thema Klimaschutz im CDU-Wahlprogramm?

Dass wir spätestens bis zum Jahr 2045 klimaneutral werden müssen. Dass wir die Genehmigungsprozesse deutlich beschleunigen müssen, gerade was erneuerbare Energien und den Ausbau des Stromnetzes angeht. Und dass wir vor allen Dingen auch in Forschung und Entwicklung von Innovationen noch mehr Geld investieren müssen, damit wir möglichst viele Möglichkeiten haben, um klimaneutral zu werden, und die dann auch möglichst schonend sind für die Bevölkerung.

Haben Sie ein persönliches politisches Ziel? Wollen Sie mal Umweltministerin werden?

Ich setze mich dafür ein, dass wir in Deutschland bis 2045 tatsächlich klimaneutral sind. Dann bin ich 49 Jahre alt. Ich will, dass meine Kinder, wenn ich sie denn irgendwann bekommen darf, sich um das Problem nicht mehr dieselben Sorgen machen müssen wie ich.

Zur Person

Wiebke Winter, 27, gehört seit Januar 2021 zum CDU-Bundesvorstand und ist dessen jüngstes Mitglied. Darüber hinaus ist sie Landesvorsitzende der Jungen Union Bremen. Seit Juni 2023 ist Winter Mitglied der Bremischen Bürgerschaft und stell­vertretende Vorsitzende der dortigen CDU-Fraktion. Außerdem ist sie Deputierte der Stadt Bremen für Gesundheit und Verbraucherschutz. Parallel arbeitet sie als Rechtsreferendarin am Hanseatischen Oberlandesgericht Bremen.

Catalina Schröder ist Wirtschaftsjournalistin in Hamburg. Hannes von der Fecht arbeitet als Fotograf in Bremen.

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