Aktuelles

So berichten Sie angemessen über Wetterextreme

Vier Dinge, die Sie bei der Berichterstattung zu Wetterextremen besser machen können.

Der Sommer war extrem: Dürre, Hitzewellen und Waldbrände liefen fortwährend in den Nachrichten. Die Erderhitzung macht diese Wetterextreme wahrscheinlicher und intensiver. Doch in manchen Beiträgen kam das Wort "Klima" nicht einmal vor, andere wurden nach wie vor mit Badespaß bebildert. Vier Dinge, die Sie bei der Berichterstattung zu Wetterextremen besser machen können. Text: Leonie Sontheimer.

06.09.2022

Hundert Kommunen ohne Trinkwasser in Frankreich, 40 Grad Celsius in England, mehrere Hundert Hektar verkohlte Bäume in Brandenburg. Ist das noch normal? Nein.

Die globale Durchschnittstemperatur im Juni war 1,31 Grad Celsius wärmer als im langjährigen Vergleichszeitraum (1881 bis 1910). Die Frage sollte nicht mehr lauten, ob das noch normal sei, sondern: Worauf müssen wir uns einstellen? Die Erderhitzung ist in vollem Gange. Es besteht eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass bereits eins der nächsten vier Jahre 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau liegt. Das verändert das Wetter. Was heißt das für die Berichterstattung?  

0 - Basiswissen Klima für alle 

Die Klimakrise beeinflusst unser Leben bereits in allen Bereichen. (Und unsere Lebensweise beeinflusst weiterhin das Klima.) Das müssen Journalist:innen generell sichtbarer machen – in allen Ressorts. Klima sollte kein Thema unter vielen sein, sondern eine Dimension jedes Themas, so wie etwa Demokratie und Menschenrechte. Damit Journalist:innen das Klima in ihrer täglichen Arbeit und ihren Fachbereichen mitdenken, brauchen erstens alle ein Basiswissen über die genaue Physik und Zusammenhänge im Erdsystem und zweitens ein Bewusstsein für die Dringlichkeit von Klimaschutz und -anpassung. Verlage und Sender sollten ihren Redaktionen entsprechende Aus- und Weiterbildungen ermöglichen. 

1 - Zusammenhang zwischen Extremwetter und Klima herstellen 

Lassen sich die Waldbrände diesen Sommer auf den Klimawandel zurückführen? Die Temperaturen von über 40 Grad Celsius 2019? Die Flut 2021? Wenn die Folgen eines Wetterereignisses so plötzlich und katastrophal sind wie im Ahrtal, müssen Journalist:innen erst mal ganz viel über die Situation im Hier und Jetzt informieren. Doch auch der Zusammenhang zur Klimakrise muss hergestellt werden. Denn die Frage nach der Ursache für die Flut ist für die Zukunft relevant, man könnte sagen "überlebenswichtig". Kann so etwas häufiger vorkommen? Worauf müssen wir uns einstellen? Die Klimawissenschaft versucht bereits, dem nachzukommen: im relativ jungen Forschungsstrang der Attributionsforschung. Sie klärt, ob Ereignisse durch die Erderhitzung wahrscheinlicher werden – oder unwahrscheinlicher. 

Dafür simulieren Wissenschaftler:innen in einem ersten Schritt mithilfe von Computermodellen das Klima tausende Male mit und ohne menschlichen Einfluss und vergleichen, in welchen Simulationen ein Ereignis häufiger auftritt. Die Ergebnisse werden durch weitere Vergleiche mit historischen Daten geprüft und geschärft. Auf diese Weise konnten Forschende bereits im August vergangenen Jahres verkünden, dass die aktuelle Erderhitzung eintägige Starkregenereignisse zwischen den Niederlanden und den Alpen etwa 1,2- bis 9-mal wahrscheinlicher gemacht und die Niederschlagsmenge um drei bis 19 Prozent erhöht hat. Das heißt nicht, dass diese Katastrophe ohne Klimawandel nicht auch hätte geschehen können. Zumal für das Ausmaß der Folgen nicht nur die Regenmenge wichtig ist, sondern ebenso, wie eine Region darauf vorbereitet ist; ob zum Beispiel Überflutungsflächen ausgewiesen sind. 

Die Attributionsforschung gibt es seit 2004, die deutsche Klimatologin Friederike Otto trug maßgeblich zu ihrer Entwicklung bei. Mittlerweile gibt es mehr als 500 Studien zur Rolle des Klimawandels in weltweiten Extremwetterereignissen (wobei der globale Norden besser erforscht ist als der globale Süden). Offensichtlich kann es nicht für jedes einzelne Extremwetterereignis eine Studie geben. Für die Schnellstudie zur Ahrflut brauchte die Forschungsinitiative World Weather Attribution mehrere Tage, 39 Wissenschaftler:innen waren beteiligt. 

Doch auch ohne Studie lässt sich oftmals etwas zum Zusammenhang zwischen Erderhitzung und einem Ereignis sagen. Die ehrenamtliche Initiative hat eine kurze Handreichung für Journalist:innen geschrieben und differenziert zwischen sechs Typen von Wetterextremen: "Hitzewellen sind der einfachste Fall: Befindet sich mehr Wärme in der Atmosphäre, ist heißes Wetter wahrscheinlicher. Bei Niederschlag ist der Zusammenhang ebenfalls relativ simpel: Wärmere Luft kann mehr Feuchtigkeit speichern. Dürren, Schneestürme, Tropenstürme und Waldbrände sind hingegen komplizierter."

Nicht zu schnelle Schlüsse ziehen

Die Handreichung stellt auch klar, dass nicht alle Wetterextreme durch die Erderhitzung häufiger oder intensiver werden. Die Website Carbon Brief visualisiert das auf einer Karte. Von den 504 erfassten Ereignissen wurden neun Prozent unwahrscheinlicher oder schwächer. Heißt das, wir sollten nicht schreiben, dass der Klimawandel Wetterextreme wahrscheinlicher macht? Doch, denn das ist ein Fakt. Wir sollten aber immer differenzieren und konkretisieren, wo es geht. 

Klimawissenschaftler:innen interviewen

Wer spontan über ein Extremwetterevent berichten muss, kann sich mithilfe der Handreichung orientieren. Es empfiehlt sich, darüber hinaus die Einschätzung von Expert:innen einzuholen. Die World Weather Attribution ist dafür ein guter Ansprechpartner, es gibt aber viele versierte Klimawissenschaftler:innen in diesem Zusammenhang. Achtung: Wissenschaftlicher Konsens sollte in Beiträgen klar als solcher eingeordnet werden. Eigentlich selbstverständlich, aber Klimajournalistin Sara Schurmann hat beobachtet: "Wenn die wissenschaftlichen Fakten nur in einem Content-Absatz gegengeblendet werden, wirkt das oft so, als handele es sich nur um eine weitere Meinung."

Nach Wissenschaftler:innen, die behaupten, Wetter und Klima seien schon immer wechselhaft und der menschliche Einfluss darauf fragwürdig, brauchen Sie nicht mehr suchen. Das fällt unter False Balance und sollte einfach nicht mehr vorkommen.  

2 - Angemessen bebildern 

Am 19. Juni informierte tagesschau.de in einem Beitrag über die kommende Hitzewelle. Es werde noch heißer, die Feuerwehr kämpfe gegen Waldbrände, Frankreich und Spanien litten unter Hitze und Trockenheit, stand im Teaser. Darüber ein Foto aus einem Freibad, ein Mann macht im Vordergrund einen Salto, Himmel und Wasser sind blau, die Stimmung ist unbeschwert. Ein ähnlich aufgebauter Social-Media-Post der Tagesschau ging viral, weil viele Nutzer:innen die Bebilderung als unangemessen kritisierten. Das Beispiel ist nur die Spitze des Eisbergs der Badespaß-Fotos. Immer wieder werden Beiträge zu gefährlichen Hitzewellen mit fröhlichen Menschen im Wasser bebildert. 

In einer Studie der britischen University of Exeter wurde die Berichterstattung in Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich und Deutschland während des Sommers 2019 analysiert. Die Forschenden schauten sich die Bebilderung aller Texte an, in denen die Worte "Hitzewelle" und "Klimawandel" vorkamen und fanden neben dem Leitmotiv "fun in the sun" noch ein weiteres, das sie "the idea of heat" genannt haben. Darin wurden Fotos oft in Rottönen eingefärbt, auch Stockfotos mit Thermometern vor einer blendenden Sonne waren weit verbreitet. Wenn Menschen vorkamen, dann häufig nur als Silhouetten. 

Die Leitautorin der Studie kritisiert in einem Gastbeitrag im Guardian, beide Motive würden die Vulnerabilität von Menschen in Hitzewellen verklären. Der Guardian hatte bereits 2019 mit einer Neuausrichtung seiner Fotos in Klimaberichten für Aufmerksamkeit in der Branche gesorgt. Andere Medien ziehen langsam nach. So kann es bei Hitzewellen zum Beispiel eine Lösung sein, Menschen in ihrem Alltag abzubilden, eine Familie vor dem Ventilator, Pendler schwitzend in der U-Bahn oder – drastischer – alte Menschen im Kühlhaus, wie letzten Sommer in Kanada. Wenn Agenturen diese Bilder nicht haben, müssen eben Fotograf:innen beauftragt werden. 

Auch in Deutschland tut sich etwas: "Das Sprungfoto im Juni war für uns ein Anlass, nachzuschauen, wie wir noch genauer sein können in der Bildauswahl – und im weiteren Sinne, wie wir arbeiten wollen", erzählt Juliane Leopold, Chefredakteurin Digitales von ARD-aktuell. Sie beobachtet, dass durch die Verdichtung der Krisen in den vergangenen drei Jahren viele Redakteur:innen am Limit sind. Für nachrichtliche Ereignisse, die über den Tag hinausgehen, müsse Platz in den Dienstplänen geschaffen werden: "Die Chefredaktion organisiert dafür Redaktionsgespräche. Wir haben zum Beispiel Wolfgang Blau für einen Input zu Klimajournalismus eingeladen." Eine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit Kritik von außen und gibt Empfehlungen an die Redaktion weiter. "Klima gehört in alle Bereiche der Aktualität," sagt Leopold. Ab Oktober soll das neue Ressort Wissen unter anderem herausfinden, wie das redaktionell umgesetzt werden kann.  

3 - Nicht nachlassen 

Einer, der schon lange den Zusammenhang zwischen Wetterextremen und dem Klimawandel herstellt, ist der Meteorologe und Journalist Özden Terli. Er moderiert im ZDF das Wetter und twittert sehr aktiv zur Klimakrise. Er ist gewissermaßen ein Vorreiter, wollte das aber nie sein: "Alle Meteorologen sollten angesichts der existenziellen Bedrohung auch Klimakommunikatoren sein." Terli zufolge kommt es jetzt darauf an, dass Journalist:innen nicht nachließen. "Es reicht nicht, die Verbindung zum Klimawandel in einem Text herzustellen und sie dann beim nächsten Mal rauszulassen."

Ein bekanntes Problem: Die Klimakrise entzieht sich der Nachrichtenwert-Theorie, die Informationen erscheinen uns alle bekannt. Doch die Häufung der Hitzewellen in diesem Sommer hat selbst den Meteorologen überrascht: "Das war absolut extrem, und genau so müssen wir Journalist:innen es auch einordnen."

"Absolut extrem". Hat das Wetter diesen Sommer unsere Sprache bereits überholt? Können wir "Extremwetter" überhaupt noch steigern? Alle Redaktionen sollten sich diese Fragen stellen und transparent kommunizieren, wenn sie ihr Wording oder beispielsweise das Layout einer Temperatur-Grafik ändern. 

4 - Einen Schritt weiter denken 

Worauf Nutzer:innen sich einstellen müssen und wie sie die Folgen abmildern können, wird in der Berichterstattung über Wetterextreme bereits weitestgehend berücksichtigt. Oft fehlt aber ein kritischer Blick auf die strukturelle Anpassung auf kommunaler Ebene. Gibt es ausgewiesene Überflutungsflächen? Wurden Bäume gepflanzt? Gibt es einen Klimaanpassungs-Plan und Budget? Die Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres haben genau diese Fragen an 400 Gemeinden und Städte in Deutschland geschickt und ein Buch darüber veröffentlicht. Ihr Fazit: Deutschland hat die Anpassung an die Klimakrise vernachlässigt. Es gebe aber gleichzeitig viele erwiesen wirksame Maßnahmen, die nur ergriffen werden müssen. Über diese Lösungen sollten wir im Kontext von Wetterextremen und Klimawandel vermehrt schreiben. 

Auch in der Handreichung der World-Weather-Attribution-Initiative wird darauf hingewiesen: "Wie gut Menschen oder ganze Gesellschaften vorbereitet sind, hat entscheidenden Einfluss darauf, ob ein Wetter zu einer Katastrophe wird." Und zuletzt sollten wir auch den Blick für soziale Unterschiede schärfen: "Wie schwer jemand getroffen wird, hängt meist vom sozialen oder wirtschaftlichen Status eines Menschen ab."

Leonie Sontheimer arbeitet als freie Klimajournalistin in Berlin.  

Aktuelles Werkstatt