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Michel Abdollahi: "Niemand muss auf irgendwen warten" (Foto: Max Baier & Arian Henning)
Michel Abdollahi hat eine ganze Weile versucht, bloß nichts falsch zu machen und geduldig zu warten, bis er "an der Reihe" sein würde. Irgendwann hat er beschlossen, mit diesem Blödsinn aufzuhören. Lass uns doch scheitern, sagt er. Hauptsache, wir probieren etwas aus. Dann hat er das "Vierte Deutsche Fernsehen" erfunden.
01.06.2022
Während meines Studiums habe ich unter dem damaligen Bürgermeister Ole von Beust in der Senatskanzlei als Praktikant gearbeitet. Anscheinend so gut, dass die CDU mir anbot, in die Partei einzutreten. Damals gab es in Hamburg viele Besuche vom Persischen Golf, die man von Maybach, Airbus und Lufthansa überzeugen wollte, und ich konnte zumindest die Grundhöflichkeiten der reichen Gäste erwidern. Da wurde in der CDU anerkennend genickt. Ausreichend für eine Parteikariere. Aber nicht so, wie ich dachte.
Der damalige Fraktionsvorsitzende erläuterte mir, dass das nicht ganz so laufe, wie ich es mir vorgestellt habe. Nur weil man was kann, wird man ja nicht gleich was. Er habe viele Jahre Plakate geklebt, bis er aufgestiegen sei. Das müsse ich also schon auch machen. Es wäre ja sonst unfair den anderen gegenüber, einfach so quereinsteigen, das würde vielen nicht gefallen, auch wenn man die Qualifikationen mitbrächte: jung und Migrationsgeschichte, zwei Dinge, die die CDU bis heute nicht hinbekommen hat.
Die Partei war mir damals noch egal, ich wollte nur etwas bewirken und das am besten bei der Partei, die gerade regierte. Da ging schlicht am meisten.
"Mein Leben lang habe ich versucht, mich gut zu integrieren, persönlich wie beruflich. Das vielleicht fatalste, was ich dabei gelernt habe, ist, zu warten, statt zu machen."
Zum Plakate kleben kam es aber nicht, von Beust ging, die CDU verschwand in Hamburg in der Bedeutungslosigkeit, und ich lernte daraus, dass man nur ein gut integrierter Deutscher sein kann, wenn man sich nicht aufdrängt, sondern wartet, bis man dran ist. Und wann man dran ist, entscheiden die Gatekeeper.
Mein Leben lang habe ich versucht, mich gut zu integrieren, persönlich wie beruflich. Das vielleicht Fatalste, was ich dabei gelernt habe, ist zu warten statt zu machen. Vor diesen großen Türen. Seien es die der Politik oder die der Fernsehsender. Warten. Wer nämlich einfach so macht, der könnte ja scheitern. Und Scheitern bedeutet bei uns eben scheitern. Man hat es nicht geschafft. Vorbei. Während etwa in den USA jemand, der nicht gescheitert ist, gar nicht ernst genommen wird, weil er offenbar zu wenig versucht, ist man hier zumindest für eine Zeit verbrannt. Dabei haben wir im Deutschen doch die schöne Metapher des Stehaufmännchens. Aber eben nur als Metapher. Zur Anwendung soll es nicht kommen. Wer scheitert und wieder aufsteht, ist irgendwie sonderbar.
20 Jahre später habe ich beschlossen, diesen Blödsinn abzulegen. Lass uns scheitern. Es ist einfach gerade zu viel los, um es unversucht zu lassen. Überall.
Der Journalismus lebt mehr denn je. Keine Unkenrufe, keine Abgesänge, sondern das Gegenteil. Noch nie gab es so viele Möglichkeiten.
Man kann kreativ werden und ausprobieren, scheitern und wieder aufstehen. Aber das mögen viele hierzulande ja nicht so gerne. Es gibt nicht nur mehr Vertriebswege wie Netflix, Amazon oder auch die eigene völlig kostenlose Instagram-Seite, sondern auch viel mehr Möglichkeiten, sich gerade jetzt auszuprobieren. Für den Journalismus ist das eine Bereicherung.
Aber es gibt nach wie vor zu wenig Interesse bei jungen Journalist:innen. Viele warten immer noch vor den Türen, die ihnen niemand öffnen mag, statt selbst mal zu machen. Mit großer Mühe versuchen wir immer noch, festgefahrene Strukturen zu erhalten, statt sie zu zerstören. Vor 20 Jahren hätte ich nicht die Möglichkeit gehabt, eine Produktionsfirma zu gründen und den Markt zu bearbeiten. Oder gar meine Gedanken hier mit jemandem zu teilen. Das kann ich nur, weil ich nicht vor der Tür gewartet habe, auch wenn einige Erfahrungen hart waren.
Schluss mit Zaudern und Zögern
Vor den Toren zu warten, verändert nichts. Deshalb habe ich im vergangenen Jahr zwei Dinge gemacht. Ich habe beschlossen, eine Dokumentation zu machen. Egal wo ich sie präsentiere: Begeisterung. Dennoch braucht man neben Kalkulationstabellen und Treatments noch zehn Zoom-Konferenzen, um sich im Herbst 2030 dann zu entscheiden. Es geht aber um den Klimawandel, und der wartet bedauerlicherweise nicht auf die Geldtopfverwalter. Wie es schneller ginge? Selbermachen. Trailer drehen, selbst finanzieren und dann Mittel und Wege finden, weiterzumachen – zum Beispiel indem ich jetzt NFTs verkaufe, um die Dokumentation zu finanzieren. Klappt bisher alles ganz hervorragend, nur nicht hier. Hier muss der Hirsch überm Kamin hängen, damit er als Kunst wahrgenommen wird. Man weiß schließlich auch nicht, was aus diesem ganzen Kryptomarkt werden wird. Das stimmt. Vielleicht scheitere ich – vielleicht nicht.
"Niemand muss auf irgendwen warten. Wir können auch selbst."
Was anderswo für Begeisterung sorgt, wird hier grundsätzlich kritisch gesehen, wie alles erst mal kritisch gesehen wird. Auch im Journalismus. Das wird ihn schwächen. Wenn er nicht schon längst geschwächt ist. Am zaudern, zögern und dauerhinterfragen. Dann machen wir mal vorsichtig – während Netflix und Co uns überrollen.
Ich habe das Vierte Deutsche Fernsehen gegründet, einen Onlinekanal, wo ich all jene, die zu lange vor den Toren warten mussten, machen lasse. Ganz egal was bei rauskommt. Und es tut gut:
Sommer 2020, Covid-19, die Nachrichten quellen über von Informationen zu Fallzahlen, Impfstoffen, Lockerungen und Schutzmaßnahmen.
Auf dem Dach eines Bürogebäudes in Hamburg St. Pauli sitzen fünf junge Leute aus der Medien- und Kulturbranche. Ihre Aufträge sind verschoben oder storniert, ihre Konten fast leer. Und sie gründen: das Vierte Deutsche Fernsehen – die millionenfach geklickte Guerilla-Redaktion aus Hamburg. Aus dem Nichts. Weil sie es können, weil sie Bock haben, weil man die Möglichkeiten nutzen muss, die es noch vor ein paar Jahren gar nicht gab. Niemand muss auf irgendwen warten. Wir können auch selbst.
Nach ein paar Bieren sprudeln die Ideen für neue Formate, für eine unkonventionelle Optik, für Themen, die unter das Radar der großer Medienhäuser fallen. Ich schreibe alles mit. Wenige Tage später sitzen eben jene fünf Menschen in einem Büro und planen die ersten Beiträge. Das Vierte Deutsche Fernsehen wurde erschaffen, zwischen Zigaretten und mäßig gekühltem Jever. Ohne sich groß Sorgen zu machen, dass man ja scheitern könnte.
Ihre Beiträge für eine Zielgruppe zwischen 18 und 35 irritieren und regen Diskussionen an. Ein Beispiel: Eine junge Frau geht durch die Straßen Hamburgs und ruft einem Mann „Geiler Arsch!“ hinterher. Der Mann dreht sich um, bleibt stehen, wirkt verstört. Die Frau geht zu ihm, ein Mikrofon mit einer grünen Vier in der Hand.
Es ist ein Beitrag zum Thema Catcalling, also obszöne Anmachen, die Frauen auf der Straße hinterhergerufen werden. Moderatorin Daphne Ivana Sagner dreht den Spieß um. Die Männer reagieren irritiert, hinterfragen sich selbst. Gerahmt wird die Straßenumfrage von ruhigeren Interviews im Studio. Betroffene erzählen von ihren Erfahrungen, gewähren tiefe Einblicke.
Die Wirkung ist enorm: hohe Aufrufzahlen innerhalb weniger Stunden, Berichte über das Experiment von allen Seiten. Plötzlich wollen alle den freshen Host haben.
Schnelle, direkte Straßeninterviews und Umfragen nach amerikanischem Vorbild heißen beim Vierten Deutschen Fernsehen K.A.I.: Killer-Außen-Interviews. Das ist unkonventionell, direkt, provozierend und kommt bei der Zielgruppe an. Was man dafür braucht? Einen Kameramann, der auch den Schnitt betreut, eine:n Autor:in und eine:n Reporter:in, minimaler Aufwand also.
Memes, Reels, Infografiken
In dem Format Alman Taxi interviewe ich Gäste mit Migrationsgeschichte. Personen, die sonst immer noch selten in den Medien vorkommen, werden vom Vierten Deutschen Fernsehen auf die Bildfläche eingeladen. Und ich glaube, es wirkt, denn plötzlich sind unsere Gäste auch im „echten“ Fernsehen zu sehen. Ob wir nun einen Anteil daran haben, spielt keine Rolle. Hauptsache, es bewegt sich was.
"Der Journalismus lebt mehr denn je. Keine Unkenrufe, keine Abgesänge, sondern das Gegenteil. Noch nie gab es so viele Möglichkeiten."
Zwischen den großen Reportagen und Interviews gibt es Memes, Reels, Infografiken und Instagram-Stories. Dazu ein professionelles, aber lockeres Community-Management. So ist schon in kurzer Zeit eine loyale Community gewachsen.
Das Vierte Deutsche Fernsehen ist ein einzigartiger Onlinesender, non-profit, unabhängig. Seriöser Journalismus mit einem Augenzwinkern. Und es ist noch mehr: eine selbst organisierte Corona-Hilfe, die auch nach Corona weitergeht. Wenn wir am Ende trotzdem scheitern, dann ist es halt so. Aber dass es heute keine Möglichkeiten mehr gebe, ist damit widerlegt. Die inzwischen sieben jungen Menschen aus Hamburg zeigen, dass sie sich von Corona nicht kleinkriegen lassen. Und wie man aus der schweren Zeit der Pandemie trotzdem Gutes und Neues erschaffen kann.
Das Einzige, was mir Sorge bereitet, ist das Fehlen der konservativen Stimmen. Insbesondere bei und von jungen Leuten. Auch auf unserem Kanal. Wir haben es probiert. Es hat nicht funktioniert.
Links-grüne Bubble
Wenn die Community irgendwann zu sehr links ausgerichtet ist – und das passiert quasi von selbst, wenn man sich Themen wie Rassismus und Sexismus stellt –, dann ist es unglaublich schwer, das Ruder wieder in Richtung Mitte rumzureißen.
In nahezu allen jungen Formaten des öffentlich-rechtlichen Apparats fehlt es in meinen Augen an den konservativen Stimmen. Insbesondere Funk tut sich damit meiner Meinung nach extrem schwer. Das Anprangern gesellschaftlicher Missstände scheint zumindest journalistisch der links-grünen Bubble überlassen zu werden. Und ich meine dabei das Öffentlichkeitswirksame im Netz, nicht die FAZ. Da, wo der Trend ist, wo ein Grimme-Online-Award verliehen wird, wo verwiesen, geforscht und zitiert wird.
Während die jungen Konservativen vom Programm für ihren Rundfunkbeitrag kaum bis gar nicht abgeholt werden und sich, zum Teil, in Telegram-Gruppen ihre Befriedigung holen. Dort hören sie das, was sie hören wollen, statt mit kritischem Journalismus konfrontiert zu werden, wo nicht die Bestätigung der eigenen Meinung, sondern der Diskurs im Vordergrund steht. Wir haben uns damit mittlerweile eine Gesellschaftsgruppe großgezogen, die nicht mehr auf irgendwelchen Demos Lügenpresse skandiert, sondern tatsächlich glaubt, dass die Presse lügt, weil sie einen gesunden Umgang mit Medien verlernt hat. Was fatal ist. Insbesondere der Rundfunkbeitrag sollte für alle eingesetzt werden. Wie man den Zugang dazu schafft, habe ich bisher nicht herausgefunden. Nur beobachtet, dass der Hunger danach recht groß ist. Und zwar nach einem wahrhaftigen Diskurs. Da kann ich dann nachvollziehen, wenn sich viele von uns abwenden, weil wir in unserer eigenen Arroganz gar keine andere Meinung zulassen.
Das wieder abzulegen, lerne ich mühsam und bringe es noch viel mühsamer meiner jungen Redaktion bei.
Michel Abdollahi ist preisgekrönter TV-Journalist ("Im Nazidorf") und Moderator (NDR). Er hat 2016 eine Produktionsfirma gegründet und 2020 das "Vierte Deutsche Fernsehen" – einen Onlinekanal.