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Lust auf die Zukunft
Was will das Publikum über Klimajournalismus lesen? (Illustration: Zsuzsanna Ilijin)
Immer mehr Redaktionen investieren in eine professionelle Klimaberichterstattung – angesichts von Nachrichtenmüdigkeit und der Flut an Bad News kein leichtes Unterfangen. Das Schweizer Onlinemagazin Republik hat ein Klimalabor gegründet, in dem es gemeinsam mit der Leserschaft ein journalistisches Produkt entwirft. Text: Jeanne Wellnitz, Mitarbeit: Anna Faber, Illustration: Zsuzsanna Ilijin
26.09.2023
Vor zwei Jahren lag Elia Blülle in Glasgow auf seinem Hotelbett und war verzweifelt. Der Journalist des Schweizer Onlinemagazins Republik hatte die 26. Klimakonferenz besucht, ein jährliches Spektakel, dem unzählige Journalisten aus aller Welt beiwohnen. Nach zähen Verhandlungen wurden in letzter Minute die Forderung zum Kohleausstieg im Schlussdokument von „phase out“ zu „phase down“ – also einem schrittweisen Abbau – verwässert. „Mich hat das so mitgenommen, dass ich wirklich ins Grübeln kam“, erinnert sich Blülle. Er fragte sich, wie Medien mit der Klimadebatte umgehen sollten. „Die Menschen fragen sich zu Recht: Warum soll ich mir diese Bad News jeden Tag reinziehen? Es geht doch eh nichts voran in Sachen Klimaschutz“. Ein neuer Weg zum Leser müsse gebahnt werden, findet der 30-Jährige. Ihn beschäftigt seither die Frage: Was will das Publikum?
Das wollen hierzulande viele der großen Medienhäuser wissen. Sie räumen Seiten frei für Klimaberichterstattung oder gründen eigenständige Ressorts wie Zeit Green oder FR Klima von der Frankfurter Rundschau. Die taz hat ihre Berichterstattung auf einen Newsletter ausgedehnt, der Instagram-Kanal klima.taz hat knapp 63.000 Follower. Die Süddeutsche Zeitung hat mit dem Klimamonitor ein multimediales Onlineformat eingerichtet, das Recherchezentrum Correctiv unterstützt mit Correctiv.Klima Lokalredaktionen bei Recherchen. Auch die öffentlich-rechtlichen Sender scheinen die Forderung der Initiative Klima vor acht zumindest in Teilen erhört zu haben: Seit November 2022 gibt es die wöchentliche ARD-Sendung KlimaZeit von HR und SWR.
Das Interesse an professioneller Klimaberichterstattung innerhalb der Redaktionen steigt. Das zeigt auch die Charta des Netzwerks Klimajournalismus Deutschland, das bisher rund 300 Personen unterzeichnet haben. Die Charta ist eine Art Selbstverpflichtung zu klimajournalistischer Arbeit angesichts des Pariser Klimaabkommens von 2015 und dem „Klima-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts von 2021 – sie sollen für den Klimajournalismus richtungsweisend sein. Das oberste Ziel: Journalisten sollen mithilfe ihrer Aufklärungsarbeit einen Beitrag zum Erhalt der Lebensgrundlagen für alle Lebewesen auf diesem Planeten leisten.
Mit einem eigenständigen Klimaressort sei es nicht getan, sagt der ehemalige WDR-Journalist Jürgen Döschner, Gründungsmitglied des Netzwerks Klimajournalismus und Experte für Klima- und Energiepolitik. „Wenn eine Zeitung oder ein Sender in den Jahren 2010 bis 2015 eine Klimaredaktion eingerichtet hätte, dann hätte ich unbegrenzt gejubelt“, sagt der 66-Jährige. „Aber im Jahr 2023 ist das nicht ausreichend. Wir sind in allen Lebensbereichen und damit auch in allen Ressorts im Journalismus von den Folgen der Klimakrise betroffen.“ ‚Klima‘ sei kein Thema, sondern eine Dimension. Es soll also kontinuierlich über die Ursachen und Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels berichtet und nicht nur punktuell über ein Unwetter oder eine Dürre geschrieben werden. „Wenn man die Klimaberichterstattung in einer Redaktion konzentriert, läuft man Gefahr, das Thema zu sehr einzuengen”, findet Döschner. „Eigentlich müsste in jedem Ressort – also Sport, Lokales, Wirtschaft, Soziales, Verbraucher – diese Dimension mitgedacht und mit in die Programme geholt werden.“
„Ein neuer Weg zum Leser müsse gebahnt werden, findet Elia Blülle. Ihn beschäftigt seither die Frage: Was will das Publikum?“
Möchten die Leute so etwas lesen? Um das herauszufinden, fragt man sie am besten selbst, dachte sich Republik-Journalist Elia Blülle. Einige Zeit nach der Konferenz in Glasgow stellte er der Redaktion seinen Plan vor. Das Onlinemagazin, das 2018 nach einem der weltweit erfolgreichsten Medien-Crowdfundings gelauncht wurde, hatte schließlich bereits eine exklusive Leserschaft: rund 28.000 Jahresmitgliedschaften und Monatsabonnenten, die im Republik-Genossenschaftskonstrukt zugleich Verlegerinnen und Verleger sind, die mitentscheiden und vor allem mitdiskutieren dürfen. Und ins Gespräch kommen, das wollte Blülle. Das Klimalabor war geboren. Er bekam ein Budget von 200.000 Schweizer Franken, einen Projektleiter und jemanden für die Kommunikation. Ein Jahr gab ihm sein Arbeitgeber: Bis dahin sollte er bestenfalls herausgefunden haben, wie die Klimaberichterstattung der Republik aussehen sollte. Es war ein Sprung ins kalte Wasser, es gab noch nichts Vergleichbares, keine Erfahrungswerte. Für die weitere Finanzierung suchte Blülle händeringend Investoren. Dafür sollte man viel Zeit einplanen, sagt er im Rückblick.
Das Trio tüftelte lange an einem Claim, sie wollten einen konstruktiven Ton setzen – eine Atmosphäre schaffen, die aus der News-Deprivation lockt, die Lust auf Engagement macht. „Wir wollten ein Gefühl von Empowerment vermitteln“, erinnert sich Blülle an die Zeit im Frühjahr 2023. Die Explorationsphase begann, und das Team stellte der Republik-Community erste Fragen. Es bat die Leute beispielsweise, sich eine virtuelle Postkarte aus dem Jahr 2083 quasi zurück in die Gegenwart zu schicken: Wie sollte die Welt da aussehen? Mehr als 1.000 Antworten erreichten die Redaktion, ein wertvoller Schatz, der offenbarte, was die Menschen interessiert. Es folgten Online-Austauschgruppen, Umfragen und schließlich ein Sonderheft Klima, das die erfolgreichsten Beiträge zum Thema vereint, darunter die Story: „Sie lieben Fleisch und Käse? Das lässt sich ändern“. Auch ein Interview mit Christiana Figueres, einer Schlüsselperson des Pariser Klimagipfels, und ein Gespräch mit Klimaaktivisten, die 36 Minuten lang den Gotthardtunnel blockiert haben, finden sich darin. Und natürlich zahlreiche O-Töne aus der Community .
Schließlich destillierten Blülle und sein Team drei Punkte, die den Klimajournalismus der Zukunft ausmachen sollten:
1. Die Mehrheit wünscht sich einen konstruktiven Bericht darüber, was getan werden kann.
2. Zudem wollen die Leser Dialogformate, die den Austausch mit Menschen ermöglichen, die bereits etwas unternehmen. Sie wollen nicht nur konsumieren, sie wollen inspiriert werden, über Konflikte und Dilemmata sprechen.
3. Und sie wünschen sich Tipps, wie man die Menschen aus dem eigenen Umfeld mit Klimathemen erreichen kann. Immer wieder berichteten Leute darüber, wie sich Familie oder Freunde vor dem Thema verschlossen.
„Die Ansprache spielt eine extrem große Rolle“, sagt Blülle. Debatten dürften nicht zum Kulturkampf mutieren. „Journalismus muss Gefahren benennen, Fakten klarstellen und kontextualisieren“, so der Journalist. „Aber er muss die Menschen auch befähigen.“
Journalismus sollte also konstruktiv sein. Konstruktiver Journalismus, auch lösungsorientierter Journalismus oder Impact Journalism genannt, verändert seit einigen Jahren die redaktionelle Arbeit in immer mehr Medienhäusern. Eine bekannte Verfechterin dieser Form der Berichterstattung, die renommierte Kriegsreporterin Ronja von Wurmb-Seibel, nennt ihn auch „Scheiße plus X“. In ihrem Buch Wie wir die Welt sehen erklärt sie, was sie damit meint: Dinge, die uns nicht gefallen, sind „Scheiße“, Ideen hingegen, die eine Bewegung zu einem fiktiven Idealzustand auslösen, heißen „X“. Für Medien geht es demnach nicht nur darum zu fragen: Wer, was, wo, warum, wann? Sondern auch: Was sind die nächsten Schritte?
„Selbstverständlich sollten wir, wenn wir auf ein Problem hinweisen, möglichst auch Lösungen aufzeigen“, sagt Klimajournalist Döschner. Aber unter dem Label des konstruktiven Journalismus werde mitunter auch Greenwashing oder Verharmlosung betrieben. „Ein klassisches Beispiel ist der Versuch, die Lösung der Klimakrise zu individualisieren“, sagt er. Auch etwas Destruktives könne manchmal konstruktiv sein – wie etwa die „Zerstörung“ der fossilen Industrie als Hauptverursacher der Klimakrise. „Es reicht eben nicht, immer wieder Erfolgsmeldungen über den Ausbau der Erneuerbaren zu verbreiten. Es müssen auch wirksame Schritte zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes gemacht werden“, fordert Döschner. Er sei oft dafür geprügelt worden, wenn er Haltung gezeigt habe, etwa beim Kohleausstieg. „Dabei ist das kein Haltungsjournalismus, sondern im Sinne des konstruktiven Journalismus einfach das Zeigen eines Lösungswegs.“
Nun lautet die große Frage: Wie können wir all diese Bedürfnisse journalistisch bedienen? Elia Blülle hat sie für sich beantwortet. Im November ist es so weit: Das Klimalabor wird sein Produkt launchen. Wie es aussehen wird? „Nur so viel sei verraten“, sagt Blülle. „Wir haben dafür ein interdisziplinäres Team aus Profis für Visual Design, Podcastern und Techies zusammengestellt.“ Es werde global gedacht sein, Austausch ermöglichen, tiefe journalistische Recherche beinhalten und für die breite Gesellschaft konzipiert sein. Die Finanzierung steht bis 2024. Was machen die anderen? Drei Beispiele:
KlimaZeit von SWR und HR
Die KlimaZeit ist eine wöchentliche TV-Sendung, die von der SWR-Umweltredaktion und dem ARD-Wetterkompetenzzentrum beim HR in Frankfurt produziert wird. Die Sendung ist auf tagesschau24, in der ARD-Mediathek und auf Youtube zu sehen. Themen sind etwa „Wo wird klimafreundlich gebaut?“ oder „Wie kann Bepflanzung dem Stadtklima helfen?“. Die KlimaZeit ist aus dem ARD-Zukunftsdialog entstanden, bei dem „Klima“ als herausgehobenes Thema identifiziert wurde. „Weniger Schlagzeilen und mehr Differenzierung“, lautet das Credo der Redakteure Thomas Hütsch (HR) und Werner Eckert (SWR). Dabei sei es wichtig, den Menschen positive Beispiele zu zeigen, Es gebe keine einfachen, schnellen Lösungen, weil alles mit allem zusammenhänge und die politischen und ökonomischen Interessen weit auseinandergingen.
Der SZ-Klimamonitor
ist ein multimediales Onlineformat, das von einem Fachteam betreut wird. Er bietet Artikel, Grafiken und Videobeiträge zu den wichtigsten Daten und Hintergründen zum Klimawandel und zur Energiewende. Ein Dashboard mit Grafiken und Zahlen, die quasi in Echtzeit einlaufen, zeigt Daten zu Wetter, CO2-Budget, Energiemix und Klimapolitik. Die Seite ist in vier Themenblöcke unterteilt: „Aktuelles zur Klimakrise“, „Hoffnung in der Krise“, „Folgen des Klimawandels“ und „Klimakrise erklärt“. Im Transparenz-Blog der SZ berichten die Macher über die Entstehung der Beiträge und Datenanalysen.
ist ein Onlinemagazin des Vereins Klimawissen, das die Journalisten Toralf Staud und Nick Reimer 2018 unter dem Namen klimaretter.info gegründet haben. Es wird von einem Redaktionsteam in Berlin betreut und verfügt über ein Netzwerk von Korrespondenten in Südostasien, Skandinavien und Russland. Der Schwerpunkt liegt auf der Berichterstattung über UN-Klimakonferenzen, Klimapolitik, Energiewende und Forschung. Zusätzlich produziert die Redaktion den Podcast klima update, der die wichtigsten Klimathemen der Woche zusammenfasst. Klimareporter wird durch Spenden finanziert.
Jeanne Wellnitz und Anna Faber sind Mitarbeiterinnen der Redaktion Wortwert.