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Lasst uns übers Geldverdienen reden!

Simone Jost-Westendorf leitet das Journalismus Lab der Landesanstalt für Medien NRW. (Foto: LfM NRW/Dorothea Näder)

In unserer Serie "Mein Blick auf den Journalismus" beschreibt Simone Jost-Westendorf, Leiterin des Journalismus Labs der Landesanstalt für Medien NRW, warum sich unternehmerisches Denken und Handeln für alle lohnt, die auch in Zukunft erfolgreich im Journalismus arbeiten wollen. Text: Simone Jost-Westendorf

22.03.2022

Das Berufsbild der Journalistin und des Journalisten hat sich stark gewandelt, seit ich in den Nullerjahren meine ersten Schritte im Journalismus gemacht habe. Und die wirtschaftliche Situation der Medien erst recht. Die Ausspielwege für journalistischen Content sind ex­trem vielfältig geworden – soziale Netzwerke und Plattformen spielen mittlerweile eine essenzielle Rolle. Oftmals ging es früher auf Social Media rein um die Distribution, heute ist Social oft der wichtigste Ausspielungskanal. Die Nutzungsgewohnheiten für Journalismus und Medien haben sich stark verändert. Und Journalismus lässt sich längst nicht mehr nur über Werbe- und Branchenanzeigen und bezahlte Abos für Printprodukte finanzieren. Das kann man ärgerlich finden. Aber Tatsache ist: Alle Medienschaffenden müssen akzeptieren, dass sie erfolgreiche Lösungen für diese Krise des Geschäftsmodells finden müssen. 

Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass Journalismus und unternehmerisches Denken in der heutigen Medienwelt sehr viel stärker zusammengehören als in der Vergangenheit. Für viele in der Branche stellt diese Forderung noch eine Provokation dar, bedeutet sie mitunter doch eine Abkehr von traditionellen Strukturen und Gewohnheiten. Dennoch scheint sie mittlerweile der einzige Weg, um in dem Spannungsfeld zwischen etablierten Medienmarken auf der einen und Plattformangeboten wie Netflix, sozialen Netzwerken wie Instagram und immer noch Facebook auf der anderen Seite zu überleben. Unabhängiger Journalismus kann nur dann nachhaltig und langfristig bestehen, wenn er wirtschaftlich auf soliden Beinen steht und sich – im Idealfall – selbst finanzieren kann. 

Das beste journalistische Talent und die gründlichste Recherche bleiben unbemerkt und wirkungslos, wenn es Medienschaffenden nicht gelingt, für ihre Arbeit langfristig eine Bühne zu schaffen. Unternehmerische Kenntnisse sind auch für Innovationen in der Medienbranche unverzichtbar geworden: Das Wissen über Möglichkeiten der Monetarisierung, das Aufsetzen eines Businessplans, Teamführung oder Unternehmenslenkung werden bislang in der journalistischen Ausbildung nicht hinreichend thematisiert. Dabei sind diese Kompetenzen für freiberufliche Journalistinnen und Journalisten genauso hilfreich wie für potenzielle Gründerinnen und Gründer. Und selbst für angestellte Journalistinnen und Journalisten gilt: Die Fähigkeiten, unternehmerisch zu denken und zu wissen, wohin der Markt sich entwickelt, werden in Medienunternehmen mehr und mehr geschätzt. 

Diese Erkenntnis ist auch bei mir persönlich das Ergebnis eines längeren Lernprozesses. Seit 2015 beschäftigen wir uns im Journalismus Lab der Landesanstalt für Medien NRW mit der Frage, wie wir die Rahmenbedingungen für Journalismus so verbessern können, dass wir unserem Auftrag gerecht werden, einen Beitrag für journalistische Vielfalt in Nordrhein-Westfalen zu leisten. Denn journalistische Vielfalt ist die Grundlage für den Meinungsbildungsprozess in einer demokratischen Gesellschaft. 

"Journalismus und unternehmerisches Denken gehören in der heutigen Medienwelt sehr viel stärker zusammen als in der Vergangenheit." 

Das ist der Grund, warum wir Medienschaffende dabei unterstützen, Antworten auf die Frage zu finden, wie Journalismus aktuell und in Zukunft (re)finanziert werden kann. Welche Erlösmodelle sind tragfähig und Erfolg versprechend, welche funktionieren nicht? Und warum?

Ein aktuelles Beispiel dafür ist das lokaljournalistische Angebot VierNull aus Düsseldorf. VierNull bietet einen täglichen Newsletter, die wichtigsten Nachrichten und große Hintergrundgeschichten. Ziel des Start-ups ist es, aktiv zur Medienvielfalt in Düsseldorf beizutragen, wo eine enorme Konzentration der journalistischen Szene stattgefunden hat. Die vier Gründer haben mit einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne gestartet und setzen von Anfang an auf ein Abomodell. Aktuell arbeiten sie im Rahmen unseres Media Innovation Fellowships an weiteren Erlösquellen und der Ausdifferenzierung ihres Produkts. Vergleichbar finden sich in ganz Deutschland andere Projekte mit einer Vielzahl von Erlösmodellen. Ob Community-Finanzierung, Werbevermarktung von Podcasts oder die Querfinanzierung über technologische Entwicklungen, die als White-Label-Modelle verkauft werden – eine solide wirtschaftliche Grundlage ist die Voraussetzung für Unabhängigkeit und Innovationskraft im Journalismus. Und sie kreiert nicht zuletzt Arbeitsplätze.

Journalistinnen und Journalisten werden längst als Marke begriffen, und unternehmerisches Denken ist in vielen Teilen der Medienlandschaft angekommen. Diesen Wandel machen sich viele zunutze. So gilt es vielen Medienschaffenden mittlerweile nicht mehr als anstößig, offen über Businesspläne zu reden, die eigene Community aktiv um finanzielle Unterstützung zu bitten und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Journalismus etwas wert ist. Ein selbstbewusster Umgang mit Geld ist im Journalismus dringend notwendig und hilft all jenen, die im freien Wettbewerb mit ihren Innovationen zur Zukunftsfähigkeit des Journalismus beitragen.

Müssen moderne Medienschaffende deshalb alle zu Entrepreneuren und Entrepreneurinnen werden, um ihren Inhalten die nötige und verdiente Aufmerksamkeit zu ermöglichen? Natürlich nicht. Jede und jeder kann sich dagegen entscheiden, ist aber gut beraten, sich von Expertinnen und Experten mit den nötigen Kenntnissen unterstützen zu lassen. Egal ob fest angestellt, freiberuflich, als Content Creator oder Start-up-Gründerin, alle sollten zumindest ein Grundverständnis davon haben, was die Content-Produktion kostet und woher das Geld kommt, von dem ihre Gehälter oder Honorare bezahlt werden. 

Dass Wirtschaftlichkeit alleine nicht reicht, um Journalismus zukunftsfähig zu machen, versteht sich übrigens von selbst und soll nicht unterschlagen werden. Darüber hinaus bedarf es guter und zeitgemäßer Arbeitsbedingungen, überzeugender Konzepte für Aus- und Weiterbildung, agiler Arbeitsprozesse und Investitionen in Innovationen. Die Erkenntnis, dass wirtschaftliches Denken und Journalismus sich keinesfalls ausschließen, trägt dazu bei, die Medienlandschaft langfristig für die Zukunft zu stärken und ganz nebenbei vielfältiger zu machen.

Simone Jost-Westendorf leitet das Journalismus Lab der Landesanstalt für Medien NRW.  

Bisher erschienen:

Teil 1: Daniel Drepper, Chefredakteur von BuzzFeed Deutschland

Teil 2: Carline Mohr, Social-Media-Expertin

Teil 3: Georg Mascolo, Leiter des WDR/NDR/SZ-Rechercheverbunds

Teil 4: Hannah Suppa, Chefredakteurin Märkische Allgemeine

Teil 5: Florian Harms, Chefredakteur von t-online.de

Teil 6: Georg Löwisch, taz-Chefredakteur

Teil 7: Stephan Weichert, Medienwissenschaftler

Teil 8: Julia Bönisch, Chefredakteurin von sz.de

Teil 9: Ellen Ehni, WDR-Chefredakteurin

Teil 10: Barbara Hans, Spiegel-Chefredakteurin

Teil 11: Sascha Borowski, Digitalleiter Augsburger Allgemeine

Teil 12: Richard Gutjahr, freier Journalist, Start-up-Gründer und -Berater

Teil 13: Benjamin Piel, Chefredakteur Mindener Tageblatt

Teil 14: Josef Zens, Deutsches GeoForschungsZentrum

Teil 15: Christian Lindner, Berater "für Medien und öffentliches Wirken"

Teil 16: Nicole Diekmann, ZDF-Hauptstadtjournalistin

Teil 17: Carsten Fiedler, Chefredakteur Kölner Stadt-Anzeiger

Teil 18: Stella Männer, freie Journalistin

Teil 19: Ingrid Brodnig, Journalistin und Buchautorin

Teil 20: Sophie Burkhardt, Funk-Programmgeschäftsführerin

Teil 21: Ronja von Wurmb-Seibel, Autorin, Filmemacherin, Journalistin

Teil 22: Tanja Krämer, Wissenschaftsjournalistin

Teil 23: Marianna Deinyan, freie Journalistin und Radiomoderatorin

Teil 24: Alexandra Borchardt, Journalistin und Dozentin

Teil 25: Stephan Anpalagan, Diplom-Theologe, Journalist, Unternehmensberater

Teil 26: Jamila (KI) und Jakob Vicari (Journalist)

Teil 27: Peter Turi: Verleger und Clubchef

Teil 28: Verena Lammert, Erfinderin von @maedelsabende

Teil 29: Anna Paarmann, Digital-Koordinatorin bei der Landeszeitung für die Lüneburger Heide

Teil 30: Wolfgang Blau, Reuters Institute for the Study of Journalism der Universitäte Oxford

Teil 31: Stephan Anpalagan, Diplom-Theologe, Journalist, Unternehmensberater

Teil 32: Simone Jost-Westendorf, Leiterin Journalismus Lab/Landesanstalt für Medien NRW

Teil 33: Sebastian Dalkowski, freier Journalist in Mönchengladbach

Teil 34: Justus von Daniels und Olaya Argüeso, Correctiv-Chefredaktion

Teil 35: Benjamin Piel, Mindener Tageblatt

Teil 36: Joachim Braun, Ostfriesen-Zeitung

Teil 37: Ellen Heinrichs, Bonn Institute

Teil 38: Stephan Weichert, Vocer

Teil 39: Io Görz, Chefredakteur*in InFranken.de

Teil 40: Daniel Drepper, Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung

Teil 41: Björn Staschen, Programmdirektion NDR, Bereich Technologie und Transformation

Teil 42: Malte Herwig, Journalist, Buchautor, Podcast-Host

Teil 43: Sebastian Turner, Herausgeber Table.Media

Teil 44: Alexander von Streit, Vocer Institut für Digitale Resilienz

Teil 45: Ellen Heinrichs, Bonn Institute

Teil 46: Patrick Breitenbach, Blogger, Podcaster, Unternehmensberater

Teil 47: Caroline Lindekamp, Project Lead "noFake" beim Recherchezentrum Correctiv

Teil 48: Henriette Löwisch, Leiterin Deutsche Journalistenschule

Teil 49: Sebastian Esser, Medienmacher und Gründer

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