Klimakrise

Klimajournalismus wird Chefsache

10.11.2021

Der Klimawandel berührt alle Bereiche der Gesellschaft. Viele Redaktionen beginnen deshalb, die Klimakrise als systemische Herausforderung für alle Ressorts zu behandeln. Eine Herausforderung für Chefredaktionen. Text: Wolfgang Blau

Die meisten Redaktionen erhöhen die Budgets für Klimaberichterstattung, beobachtet Wolfgang Blau.

Nachrichtenorganisationen in aller Welt beginnen, ihre Berichterstattung über den Klimawandel zu erweitern. In meinen Interviews und einer anschließenden Umfrage unter Redakteurinnen und Redakteuren aus Asien, Europa, Afrika, Nord- und Südamerika bestätigten mehr als zwei Drittel aller Befragten, ihre Klimaberichterstattung ausbauen zu wollen. 

Die meisten Nachrichtenredaktionen erhöhen dazu entweder das Budget ihrer bestehenden Wissenschafts-Ressorts oder richten eine neues, separates Klima-Ressort ein. Eine seltenere, dritte Methode ist es, mit bereits vorhandenem Personal ein nur virtuelles Klima-Team über alle Ressorts hinweg zu gründen. In solchen virtuellen Klima-Teams treffen sich interessierte Redakteurinnen aller Ressorts regelmäßig, um ressortübergreifende Themenschwerpunkte zur Klimakrise zu produzieren und um klimarelevante Aspekte in der eigenen Themenplanung zu identifizieren. 

Alle drei Organisationsmodelle haben klare Stärken und Schwächen. Ein virtuelles Klima-Team ist kostengünstig, bietet aber keinen Ersatz für Wissenschaftsjournalisten und Klimaexperten in einer Redaktion. Es setzt auch eine sehr kollaborative Redaktionskultur voraus. Der Vorteil virtueller Klima-Teams ist, dass sie die Etablierung von Basiswissen zur Klimakrise in einer Redaktion über alle Ressorts hinweg beschleunigen können. 

Eine neues Klima-Ressort zu gründen, hat dagegen den Vorteil, dass damit ein neues Team mit einem breiteren Spektrum an klimarelevantem Fachwissen geschaffen werden kann. Dazu gehören beispielsweise fundierte Kenntnisse zu Klimapolitik, Energiewirtschaft oder besonders klimarelevanten Branchen wie Landwirtschaft, Bauwirtschaft und Textilindustrie. 

Im Vergleich zum Ausbau eines bestehenden Wissens-Ressorts oder einem virtuellen Klima-Team hat die Gründung eines eigenen Klima-Ressorts auch den größeren PR-Effekt, vor allem gegenüber Abonnenten und Anzeigenkunden. Die Financial Times beispielsweise sagte gegenüber der Branchenzeitschrift AdWeek, ihr Umsatz von Werbekampagnen mit Nachhaltigkeitsthemen habe sich in den letzten zwei Jahren verdreifacht. Die BBC gab an, dass inzwischen bis zu zwei Drittel aller Agentur-Anfragen für eventuelle Anzeigenbuchungen auf BBC Global News mit Nachhaltigkeitsthemen zu tun hätten. 

"Zahlreiche Journalisten haben Angst davor, des Aktivismus bezichtigt zu werden, wenn sie öfter als bisher über die Klimakrise berichten."

Ein häufiges Problem bei der Gründung separater Klima-Ressorts sind mögliche Konflikte mit den Redakteurinnen und Redakteuren des etablierten Wissens-Ressorts, die die Klimakrise bisher weitgehend alleine bearbeitet haben. Der traditionellere Ansatz, nur das Budget eines bestehenden Wissens-Ressorts aufzustocken, vermeidet solche Konflikte, ist einfacher umzusetzen und minimiert auch das Risiko, wissenschaftlich fehlerhafte Inhalte zu veröffentlichen. Redaktionen, die sich in ihrer Klimaberichterstattung weitgehend auf ihr Wissens-Ressort verlassen, laufen jedoch Gefahr, den oft überfälligen Lernprozess einer Redaktion, mehr generelle Klimakompetenz zu erlangen, weiter zu verlangsamen. Schließlich ist die Klimakrise nicht nur ein wissenschaftliches Thema, sondern eine systemische Herausforderung für alle Ressorts.

Wie so oft bei Transformationsprozessen in Redaktionen hängt der Erfolg aller drei Organisationsmodelle in hohem Maß vom persönlichen Engagement der Chefredaktion ab. Solange eine Chefredaktion den Klimawandel lediglich als ein wichtiges Thema von vielen und nicht als systemische Frage an alle Ressorts betrachtet, werden auch dezidierte Klimaredakteurinnen und Klimaredakteure nicht sehr viel bewirken können. Die deutsche Klimajournalistin Sara Schurmann, die derzeit den SWR bei der Weiterentwicklung seines Klima-Journalismus berät, empfiehlt deshalb die Rolle einer leitenden Klimaredakteurin oder eines Klima-CvDs als Mitglied der Chefredaktion. Als Spezialistin in der Chefredaktion würde eine solche Redakteurin dann an den Planungsstreffen der einzelnen Ressorts teilnehmen, um schon in der Frühphase der Themenentwicklung auf relevante Klima-Aspekte einer Geschichte aufmerksam zu machen. 

In meinen Gesprächen habe ich aber nicht nur nach den Plänen von Nachrichtenredaktionen für den Ausbau ihrer Klimaberichterstattung gefragt, sondern auch nach typischen Herausforderungen, die sie auf dem Weg dorthin zu bewältigen haben. Die meisten der dann genannten Herausforderungen sind operativer Art, etwa der Bedarf an redaktionsinternen Trainings zum Erwerb von Klima-Basiswissen und zum Umgang mit Desinformationskampagnen. Viele Redaktionen scheinen auch nicht zu wissen, welche Grundkenntnisse zur Klimakrise sie bei ihren Nutzern voraussetzen können. Sie laufen damit Gefahr, Fachbegriffe zu verwenden die auch weiterhin erklärt werden sollten, wie etwa "das 1,5-Grad-Ziel", "der IPCC-Bericht", "Kipp-Punkte" oder "das Pariser Abkommen". 

Zu den wichtigsten ethischen Herausforderungen, die mir genannt wurden, gehört die Angst zahlreicher Journalisten, des Aktivismus bezichtigt zu werden, wenn sie beginnen, öfter als bisher über die Klimakrise zu berichten. Mir fiel dabei auf, dass diese Furcht ein häufig wiederkehrendes Thema in Gesprächen mit Journalisten war, denen ich Vertraulichkeit zugesichert hatte. Später, in der schriftlichen Umfrage, auf die etwa 70 internationale Journalisten geantwortet haben, viele von ihnen in leitenden Positionen, wurde diese Furcht, des Aktivismus bezichtigt zu werden, jedoch nur noch als geringes Problem eingestuft. 

Dass die Berichterstattung über den Klimawandel immer noch als politisch und als Domäne eher links-liberaler Publikationen angesehen wird, lässt sich aber auch anekdotisch belegen: Als die konservativen britischen Tageszeitungen The Sun und The Daily Express Anfang dieses Jahres Klimaschutz-Kampagnen starteten, fand die britische Fachzeitschrift Press Gazette das "überraschend". Auch Redakteure beider Tageszeitungen sahen sich in der Pflicht, ihren Sinneswandel zu erklären. 

Und als in Deutschland die Meteorologen Özden Terli (ZDF) und Karsten Schwanke (ARD) begannen, in ihren Wetterberichten den Klimawandel häufiger zu erwähnen, was beispielsweise im australischen Fernsehen längst üblich ist, stellte die Bild-Zeitung prompt die Frage, ob die öffentlich-rechtlichen "Wetterfrösche" denn damit nicht Wahlkampf betreiben würden. 

"Die meisten Nachrichtenredaktionen erhöhen entweder das Budget ihrer Wissenschafts-Ressorts oder richten ein neues Klima-Ressort ein."

Die Beantwortung dieser Frage überließ Bild der baden-württembergischen FDP-Generalsekretärin Judith Skudelny. Sie bezichtigte die Meteorologen prompt des Aktivismus und empfahl: "Alarmismus hilft niemandem weiter, Hysterie ist auch beim Klimaschutz kein guter Ratgeber." Bild ließ in dem Text auch den ehemaligen CDU-Politiker Hermann Binkert zu Wort kommen, dessen thüringisches Beratungsunternehmen Insa laut Zeit Online auch Parteispenden an die AfD getätigt hat. Binkert erklärte: "Je stärker das Thema Klimaschutz im Bewusstsein der Bevölkerung ist, desto eher werden die Grünen von der Kompetenz, die man ihnen hier zuspricht, profitieren." Klimawandel als Parteienkulisse.

Redaktionen können und sollten den Vorwurf des Aktivismus entschieden zurückweisen, wenn er sich beispielsweise auf die Nennung wissenschaftlich erhärteter Erkenntnisse bezieht, etwa zu den von Menschen geschaffenen Ursachen des Klimawandels, die auch im wissenschaftlichen IPCC-Bericht der Vereinten Nationen dokumentiert sind. 

Auch bei der Nennung des Klimawandels als Teilursache extremer Wetterereignisse verbessert sich der wissenschaftliche Nachweis zusehends. Die Organisation World Weather Attribution, ein Zusammenschluss von Klimawissenschaftlerinnen mehrerer Spitzenuniversitäten und des Klimazentrums des Roten Kreuzes, kam beispielsweise zu der Einschätzung, dass der menschengemachte Klimawandel Extremwetterereignisse wie die schweren Überflutungen in Westeuropa im Sommer dieses Jahres nicht nur wahrscheinlicher gemacht, sondern auch intensiviert hat. 

Der Nachweis der Rolle des Klimawandels bei Extremwetterereignissen ist auch für die Versicherungsbranche wichtig und zitierfähig dokumentiert. Meteorologen des Rückversicherers Munich Re, des European Severe Storms Laboratory und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt haben etwa aufgezeigt, dass der menschengemachte Klimawandel mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Zunahme schwerer Hagelstürme in Europa führen wird. Es ist deshalb keinesfalls Aktivismus, sondern wissenschaftlich fundierter Journalismus, auch im Wetterbericht im Zusammenhang mit Extremwetterereignissen auf dokumentierte Zusammenhänge mit dem Klimawandel hinzuweisen. 

Obwohl der Vorwurf des Aktivismus im genannten Kontext getrost zurückgewiesen werden kann, scheint in vielen Redaktionen Klärungsbedarf zu bestehen, wo genau eigentlich der Journalismus endet und wo der Aktivismus beginnt. 

Die redaktionellen Verhaltensstandards führender Nachrichtenorganisationen wie Financial Times, New York Times, Wall Street Journal, The Guardian oder auch der von mir selbst einst als Chefredakteur initiierte Code of Ethics von Zeit Online sind in dieser Frage der Abgrenzung zwischen Aktivismus und Journalismus leider nicht sehr klar. Die Art und Weise, in der diese Redaktionen Begriffe wie Unparteilichkeit, journalistische Sorgfalt und Transparenz definiert haben ist zwar hilfreich bei den verschiedenen Produktionsschritten einzelner Inhalte. Auf die Frage aber, nach welchen Kriterien eine Redaktion bestimmte Themen häufiger, seltener oder auch gar nicht bearbeitet, bieten sie kaum Antworten. 

In der redaktionellen Definition von Aktivismus sollte deshalb auch eines nicht vergessen werden: Eine sehr wirksame und kaum nachweisbare Form des redaktionellen Aktivismus kann darin bestehen, eigentlich dringende Themen kaum oder nur ungenügend zu bearbeiten. Zwar gibt es in Deutschland keine nennenswerten überregionalen Nachrichtenmedien, die den menschengemachten Klimawandel komplett ignorieren würden; in der Dringlichkeit, die verschiedene Redaktionen dem Klimawandel jeweils zumessen, gibt es aber deutliche Unterschiede. 

"In vielen Redaktionen sind es die Jüngeren, die sich von der Klimakrise nicht nur journalistisch betroffen, sondern auch persönlich bedroht fühlen."

Mit der Beschleunigung der Klimakrise wird sich nun die öffentliche Debatte über konkurrierende Strategien zur Verlangsamung des Klimawandels und zur Anpassung an seine unausweichlichen Folgen deutlich verschärfen. Ein Weg, um hier versehentlichen oder auch mutwilligen Aktivismus schon in der Entstehungsphase redaktioneller Inhalte zu erkennen, könnte darin bestehen, guten Klima-Journalismus auch darüber zu definieren, dass er stets mehrere Lösungsoptionen aufzeigt und einordnet – wo immer es journalistisch möglich ist, diese Differenzierung vorzunehmen –, statt nur eine Strategie-Option als die einzig richtige zu präsentieren. 

Dass Redaktionen ethische Konflikte durch neue Definitionen eingrenzen müssen, ist auch keine neue Herausforderung. Anfang der 2010er Jahre, als vor allem journalistische Blogger verstärkt auf Interessenkonflikte im Journalismus hinwiesen, etwa im Zusammenhang mit sogenannten Journalistenrabatten oder Mitgliedschaften in Verbänden, reagierten viele Redaktionen richtig und präzisierten ihre Definitionen eines journalistischen Interessenkonflikts. 

Die dafür nötigen redaktionsinternen Debatten waren selten harmonisch. Einzelne Redakteure befürchteten, eine transparente Diskussion über mögliche Interessenkonflikte von Journalisten könne das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Journalismus eher schwächen als stärken. Ähnliche Einwände sind auch jetzt wieder zu erwarten, wenn es zu unterscheiden gilt, wann der Vorwurf des Aktivismus nur als Druckmittel gegen Journalisten eingesetzt wird und wann er berechtigt ist. 

In vielen Nachrichtenorganisationen sind es aber vor allem die jüngeren Journalistinnen und Journalisten, die sich von der Klimakrise nicht nur journalistisch betroffen sondern auch persönlich bedroht fühlen. Eine offene Diskussion mit ihren Chefredaktionen über die Frage, wie sie eigentlich der Dringlichkeit der Klimakrise journalistisch gerecht werden können, ohne sich dem Aktivismusverdacht auszusetzen, würde ihnen und dem Journalismus helfen.

Der Medienmanager und Journalist Wolfgang Blau hat gemeinsam mit dem Reuters Institute der Universität Oxford das Oxford Climate Journalism Network gegründet, das auch Journalisten aus Deutschland offen steht. Davor war er Global Chief Operating Officer des Medienkonzerns Condé Nast, Executive Director of Digital Strategy beim Guardian und Chefredakteur von Zeit Online.  

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