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"Ich möchte Momente der Wahrheit finden"
Khesrau Behroz: "Niemand macht Journalismus, um Braveheart-mäßig 'Objektivität!' brüllend in die Schlacht zu ziehen." (Foto: Hannes Wiedemann)
Khesrau Behroz (36) macht die spannendsten Podcasts in Deutschland. Von ihm stammen die Formate Cui Bono - WTF happened to Ken Jebsen?, Wer hat Angst vorm Drachenlord? und Noise, die Millionen Hörer*innen erreichen. Interview: Jan Freitag, Foto: Hannes Wiedemann
04.04.2023
Khesrau Behroz erzählt in seinen Podcasts oft düstere Geschichten. Über den Fall von Ken Jebsen zum Beispiel, den rechts abgebogenen Radiomoderator, über Verschwörungstheorien oder Cybermobbing. Und doch geht es ihm bei den Geschichten immer auch um uns alle. „Mir ist wichtig, dass bei den Menschen was hängenbleibt, das sie berührt. Und weil wir buchstäblich im Ohr der Leute hängen, ist Podcast als äußerst intimes Medium dafür so gut geeignet.“
journalist: Khesrau Behroz, hier im Kreuzberger Hinterhof-Loft Ihrer Produktionsfirma Undone steht einer der vielen Preise, die Sie für Cui Bono gekriegt haben, eher schmucklos auf der Fensterbank.
Khesrau Behroz: Das liegt aber eher an der Fensterbank als am Preis. Der ist nämlich sehr schmuckvoll! Es handelt sich um den Robert-Geisendörfer-Preis, den wir letztes Jahr für Noise erhalten haben.
Den Podcastpreis für Cui Bono konnten Sie dagegen nicht persönlich entgegennehmen, weil Ihnen zugleich der Grimme-Online-Award in Köln verliehen wurde …
Ja, das war ein irrer Abend. Wir haben unser Team aufgeteilt. Ich saß mit einigen aufgeregt in Köln, hab aber parallel die ganze Zeit auf mein Handy geschaut und auf gute Nachrichten aus Berlin gehofft, wo ein anderer Teil des Teams gewesen ist.
Gibt es da ein inneres Award-Ranking?
Nein, jeder davon steht ja für einem bestimmten Background. Der Podcastpreis kommt zum Beispiel direkt aus dem Inneren des Mediums, der Reporter:innen-Preis ist einer für die fachliche, also vor allem journalistische Leistung. Der Grimme-Online-Award dagegen geht mehr in die Breite und zeigt damit nicht nur, wie populär und angesehen Cui Bono ist, sondern das Podcasten insgesamt, weswegen es schon Ehre genug war, für den Nannen-Preis nur nominiert worden zu sein. Und dann gab es ja auch noch den Preis für Popkultur.
Der eher den Musikbereich prämiert.
Es war unser erster Preis, der vor allem für Unterhaltung steht. Da standen wir also neben Zoe Wees, Danger Dan und den No Angels auf dem Podium, hatten aber überhaupt nicht das Gefühl, es sei irgendwie weniger wert, weil gute Popkultur zu machen mindestens so schwierig ist, wie guter Journalismus. Und beides ist unser Anspruch.
Ist Podcasten ein popkulturelles Phänomen oder einfach die natürliche Weiterentwicklung von Radio und Hörspiel?
Podcasten ist vor allem ein Riesensprung der medialen Verbreitungsmöglichkeiten, individuell und dezentral über Geräte wie Smartphones, die unser aller Leben massiv mitbestimmen, jederzeit auf kreative, kuratierte Arbeiten zugreifen zu können. Das ist nicht nur gut für den Journalismus, sondern auch für die Unterhaltung und erklärt einen Teil unseres Erfolgs.
Was erklärt den anderen, dass ausgerechnet Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen so durch die Decke gegangen ist?
Das liegt zum einen an der schön polierten Oberfläche, in die wir nicht nur inhaltlich, sondern auch technisch und künstlerisch wahnsinnig viel investiert haben. Es reicht vom Sounddesign bis hin zur Musik. Jakob Ilja hat sie eigens für den Podcast komponiert und so gestaltet, dass sie mit dem Text korrespondiert. Jeder Satz, der geändert wurde, ging zurück an Jakob, um die Musik entsprechend anzupassen.
Und inhaltlich?
Waren wir einfach zur richtigen Zeit im richtigen Medium. Die gesellschaftliche Unsicherheit und Sensibilität war angesichts grassierender Verschwörungsideologien 2021 einfach besonders groß. Die so genannten „ganz normalen Leute“ haben Schulter an Schulter mit bekannten Rechtsradikalen zu Tausenden auf Querdenken-Demos gegen die Gesetze von Wissenschaft und Logik gehetzt. Da haben wir uns, wie viele andere Journalist:innen auch, gefragt, wo die alle herkommen, und das am Beispiel von Ken Jebsen versucht, nachvollziehbar zu machen.
„Die Herstellung von Cui Bono dauerte ein Jahr. Und beteiligt waren immer so zwischen zehn und 15 Personen.“
Wie viele Personen sind denn an einer fast sechsstündigen Produktion von dieser Qualität wie lange beschäftigt?
Viele, ich bin ja nur das mittelmäßige Gesicht und die Stimme. Die Herstellung dauerte ein Jahr. Und beteiligt waren immer so zwischen zehn und 15 Personen von Redaktion, Recherche, Musik über drei Producer:innen, die das ganze technisch zubereiten, bis hin zur optischen Ausgestaltung.
Klingt teuer …
Ist es auch, wobei der Preis überhaupt nichts über die Qualität aussagt; du kannst mit sehr wenig Geld hervorragende Podcasts produzieren und mit sehr viel Geld durchschnittliche.
Also wie teuer nun?
Ich werde hier jetzt keine genaue Summe nennen, aber wir bewegen uns auf jeden Fall im sechsstelligen Bereich.
Sind die Produktionsfirmen Studio Bummens und K2H dabei denn anfangs in Vorleistung auf einen theoretisch denkbaren Erfolg gegangen, oder war das Projekt von Beginn an durchfinanziert?
Vor allem Studio Bummens ist mit dem Projekt ein gehöriges Risiko eingegangen und hat es vorfinanziert. Ich selbst war bei K2H angestellt, als wir mit der Arbeit an der ersten Staffel begonnen haben. Und da standen die Kooperationspartner:innen, also NDR und RBB, noch gar nicht final fest. Ihre Teilnahme hat die Fertigstellung und Veröffentlichung dann auch ermöglicht.
Haben Sie mit dieser Resonanz gerechnet?
Nein, die hat unsere wildesten Erwartungen übertrumpft! In erster Linie wollten wir einen guten Doku-Podcast machen, der sich am Niveau amerikanischer Formate wie Wind of Change und 9/12 oder Running from Cops von Dan Taberski orientiert.
Woher rührt Ihr Interesse beim Doku-Podcast an den dunklen Ecken des Internets, in dem zwar nur wenige zu hören sind, das aber sehr laut?
Eben weil sie kaum zu überhören sind, dabei jedoch eine Irritation erzeugen, die mich dazu animiert, genauer hinzusehen, was genau da mit uns und der Gesellschaft passiert. Unser Bestreben ist es, durch die Lautstärke zum eigentlichen Kern der Sache vorzudringen. Denn popkulturelle, aber auch journalistische Betrachtungen bleiben da oft auf der phänomenologischen Ebene stecken, berichten also über Gerichtsprozesse, Demonstrationen oder Events, auf denen etwas Außergewöhnliches gesagt, passiert, entstanden ist. Nichts gegen diese Art der Betrachtung, aber wir betreiben eher Ursachenforschung. Und dafür ist Podcast ein sensationelles Medium.
Warum genau?
Unter anderem, weil wir selber entscheiden, wie viel Sendezeit eine Story benötigt, um sie ganz zu erzählen.
Ist lang erzählt generell besser als kurz?
Nein, man findet Erhebungen in beide Richtungen. Beim Hören ist kurz oder lang letztlich eine Frage von Geschmack, Zeitbudget und der Aktivität, die man nebenbei betreibt. Aber das Schöne am Podcasten ist ja: Es ist für alle etwas dabei.
„Wenn wir eine Idee haben, die uns begeistert, stellen wir uns die Zielgruppen-Frage gar nicht.“
Orientiert sich Cui Bono dennoch an Zielgruppen?
Wenn wir eine Idee haben, die uns begeistert, stellen wir uns die Zielgruppen-Frage gar nicht. Uns war früh klar: Wir haben eine interessante Recherche, eine gute Geschichte, tolle Leute, die uns dabei unterstützen – darauf haben wir uns voll und ganz verlassen.
Und Plattformen wie Podigee oder Spotify mischen sich auch nicht ein?
Nein. Spotify hat Zielgruppen sicher genau im Blick, wenn sie neue Originals in Auftrag geben. Aber bei Cui Bono sind sie ja – wie Apple, Amazon, Google und andere – ausschließlich Plattforminhaber gewesen. Wenn wir dort laufen, erheben sie ganz gewiss eigene Metadaten, die sie ja auch teilweise mit den Publishern teilen, Absprungraten und dergleichen, aber das hat keinen unmittelbaren Einfluss auf unsere Arbeit, unsere Themenauswahl oder unsere Interessen.
Sind diese Interessen allein soziokultureller oder auch persönlicher, also privater Natur?
Immer beides. Wer sich wie wir einer Geschichte schon mal zwölf Monate widmet, muss davon definitiv auch persönlich gepackt werden. Ich würde niemals so viel Lebenszeit investieren, wenn es mir nicht auch als Mensch wichtig wäre und das Gefühl gäbe, damit was bewirken zu können.
Was möchten Sie denn bewirken?
Ich möchte Sinn machen und vertraue nicht immer darauf, dass er sich einfach so von alleine ergibt. Heißt: Ich möchte Momente der Wahrheit finden, Sinnzusammenhänge herstellen. Das geht nur, wenn man sich, wie wir, die Zeit nimmt und auch mal ordentlich rauszoomt. Wie gesagt: Weg von der rein phänomenologischen Betrachtung, hin zu mehr Kontext. Nur so lassen sich komplexe gesellschaftliche Entwicklungen erzählen. Ich möchte, dass unsere Zuhörer:innen nicht unbedingt das Gefühl haben, hinterher klüger zu sein, sondern dass sich bei ihnen so etwas wie Verständnis entwickelt. Es geht um Befähigung und nicht um Erziehung.
„Ich möchte Momente der Wahrheit finden. Das geht nur, wenn man sich die Zeit nimmt und auch mal ordentlich rauszoomt: Weg von der rein phänomenologischen Betrachtung, hin zu mehr Kontext. Nur so lassen sich komplexe gesellschaftliche Entwicklungen erzählen.“
Kosten sich berufliches und privates Interesse gegenseitig weder journalistische Objektivität noch emotionale Verbundenheit?
Niemand macht Journalismus, um Braveheart-mäßig „Objektivität!“ brüllend in die Schlacht zu ziehen. Journalismus machen, das ist für mich auch eine Frage der Haltung. Und die kann emotional sein. Oder satirisch aufgearbeitet, siehe auch ZDF Magazin Royale. Gerade beim Podcasten ist es aus meiner Sicht völlig in Ordnung und möglich, ohne an journalistischer Glaubwürdigkeit einzubüßen, Emotionen zuzulassen – solange ich mir darüber im Klaren bin, wo sie herrühren und was sie bewirken, sie also reflektiert und erzählt werden. Auch deshalb ist Cui Bono ja komplett gescriptet.
Wie komplett genau?
Jedes Wort, jede Regung, alle Chuckles und Seufzer, manchmal sogar das hörbare Ausatmen oder Schlucken – all diese Dinge schreibe ich in der Regel direkt in die Skripte rein, weil sie als Signale bei den Hörer:innen ankommen, die besonders bei einem sensorisch reduzierten Medium wie dem Podcast wahnsinnig wichtig sind.
Sind Sie selbst ein so akustischer Typ und haben früher schon gern Radio gehört?
Ich habe nie routinemäßig Radio gehört. Ich höre im Übrigen auch gar nicht so viele Podcasts, vor allem auch nicht jetzt, wo ich mich fast täglich mit unseren eigenen auseinandersetze. Natürlich gibt es ein paar, bei denen ich sehr gerne einschalte.
Zum Beispiel?
Da fällt mir wieder Dan Taberski ein, ich bin echt Fan all seiner Arbeiten. Was er mich beim Zuhören gelehrt hat: Nichts geht über Empathie und Neugier. Ich muss auch meine Antagonist:innen wie Held:innen erzählen können – oder ihnen zumindest empathisch begegnen. Mir ist einfach wichtig, dass bei den Menschen was hängenbleibt, das sie berührt. Und weil wir buchstäblich im Ohr der Leute hängen, ist Podcast als äußerst intimes Medium dafür so gut geeignet.
Und damit eigentlich ein extrem anachronistisches Medium in unserer maximal visuellen Zeit optischer Optimierungszwänge über soziale Medien!
Genau deswegen empfinde ich Podcasts inzwischen als so etwas wie einen Befreiungsschlag gegen den Zwang zur visuellen Dauerberieselung. Oder etwas weniger drastisch: als gute Alternative. Wenn man sich Plattformen wie Netflix oder Youtube ansieht, ist man sensorisch komplett gebunden, also auch örtlich gefesselt und von vielen anderen Sinnen abgekoppelt. Podcasts kann man nebenbei hören und dennoch auf beide Tätigkeiten fokussiert bleiben, es ist im besten Sinne des Wortes ein Begleitmedium.
„Nebenbei begleiten“ klingt allerdings auch ein bisschen nach „beiläufig berieseln“. Wie hält ein guter Podcast sein Publikum bei der Stange?
Da muss man als Geschichtenerzähler das Rad nicht neu erfinden. Inhalt, Dramaturgie, Fallhöhe, Cliffhanger, Pausen, Tempo, Twists, Teaser, Wendungen – all das war auch vorm Podcast schon wichtig für fesselnde Spannungsbögen.
„Jedes Wort, jede Regung, alle Chuckles und Seufzer, manchmal sogar das hörbare Ausatmen – All diese Dinge schreibe ich direkt in die Skripte rein“
Wie wichtig ist eine gute Stimme? Wo wir uns jetzt hier gegenübersitzen, reden Sie zwar pointiert und fehlerfrei, allerdings auch wahnsinnig schnell …
Danke?
In Cui Bono dagegen ist Ihr Erzähltempo eher gemächlich. Legen Sie vorm Mikro einfach einen Schalter um?
Den gibt es, im Tonstudio spreche ich natürlich anders als außerhalb. Und ich habe eine gute Regie, die mir im Zweifel hilft.
Wie viele Takes gönnt sich eine Independent-Produktion dafür pro Szene, bevor man die zweitbeste nimmt?
In der ersten Staffel Cui Bono, wo ich meinen Rhythmus noch finden musste, auf jeden Fall mehr als in der zweiten. Wenn es tricky wird, können es aber auch heute noch locker 20 sein und trotzdem nimmt man am Ende den vierten Take. Manchmal braucht man nur einen für komplizierte Passagen, manchmal fünf für vermeintlich leichte. Podcasten ist unberechenbar.
Haben Sie mal Sprechtraining gemacht?
Nein.
Ist dieses konzentrierte Sprechen mit der richtigen Betonung an der richtigen Stelle Begabung oder learning by doing?
Es ist vor allem learning by hearing. Und dann, ja, by doing. Und anders als beim Verlesen der Nachrichten muss man Podcast-Texte eher noch ein wenig spüren. Da hilft es sehr, sie selbst verfasst zu haben.
Muss ein guter Storytelling-Podcast über dieses Gefühl hinaus noch weitere Regeln beachten?
Es gibt für uns ein paar goldene Grundsätze, ja. Musik sollte zum Beispiel niemals als Hintergrundgedudel wahrgenommen werden. Sie ist ein eigener, wertiger Teil der Dramaturgie, um die Geschichte zu erzählen und Stimmungen nicht bloß zu verstärken, sondern zu moderieren. Bei Cui Bono hatten wir anfangs ein Orchester, dessen Sound sich immer weiter aufgebaut hat, bevor er im Finale förmlich in sich zusammenbricht und damit Ken Jebsens Werdegang kommentiert. Wenn Musik nur reingegoogelt wird, lieber weglassen.
Weitere Grundsätze?
Das Sprechtempo hatten wir ja schon. Wenn du so schnell redest, wie ich gerade mit Ihnen, wird es zu unruhig. Also: Sorry, das wird in der Transkription bestimmt anstrengend. Außerdem ist es gerade bei umfangreicheren, faktenbasierten, stark gebündelten Podcasts wie unserem wichtig, Wegweiser und -marken zu setzen, also das Publikum zwischendurch mal auf einen gemeinsamen Kenntnisstand zu setzen.
Zum Beispiel?
Ach, wenn du einen Zeitsprung ins Jahr 1996 machst und dort eine Weile weitererzählst, ist es extrem hilfreich, irgendwann noch mal die Jahreszahl auszusprechen. Da braucht das Skript präzisere Handreichungen als nur einen Ton, der einen Szenenwechsel ankündigt.
„Im Schreibprozess lese ich das Script sicherlich hundertmal laut vor.“
Könnten Sie angesichts dieser Genauigkeit Ihrer Skripte eigentlich auch einen Gesprächspodcast machen, oder brauchen Sie als Host präzise vorgefertigten Text?
Naja, der präzise vorgefertigte Text ist ja mein eigener; im Schreibprozess lese ich ihn sicherlich hundertmal laut vor. Das fertiggestellte Skript, mit dem ich ins Studio gehe, ist gewissermaßen die Transkription des Vorgelesenen. Aber klar könnte ich mir vorstellen, mal einen Gesprächspodcast zu machen und denke auch darüber nach. Ich habe großen Respekt vor allen, die diese ungeskripteten Formate machen – denn so einfach wie das klingt, ist es nicht.
Sind Sie ein Perfektionist, der aufs größtmögliche Publikum zielt?
Durchaus. Ich hatte vorhin zwar erwähnt, dass mögliche Zielgruppen eher am Ende der Erwägung stehen, aber Reichweite ist uns schon wichtig.
Sie kleben demnach manchmal an den Metadaten und zählen Zugriffe?
Klar. Vor allem kurz nach Veröffentlichung eines neuen Podcasts. Da ist die Aufregung schon groß. Ich möchte ja nichts nur für mich selber machen, vor allem nicht bei diesen großen Produktionen, in die wir viel Zeit reinstecken. Ein ganzes Team, das viele Monate an etwas arbeitet, hat mehr als ein paar Hundert Zuhörer:innen verdient.
Spätestens an dem Punkt stellt sich die Frage: Cui Bono – wem zum Vorteil ist dieser Podcast, wer verdient daran und wie viel?
Zunächst einmal impliziert Cui Bono ein dunkles Motiv, vielleicht sogar eine Verschwörung. Die Wahrheit ist: Wir sind Journalist:innen, Produzent:innen und Musiker:innen, die mit ihrer Arbeit natürlich Geld verdienen wollen, um Mieten zu bezahlen, Rechnungen zu begleichen und überteuerte vegane Restaurants auszuprobieren. Irgendwie ist das ein wenig so, als würde man einen Bäcker fragen, warum er Brötchen backt. Ich finde die Antwort darauf evident. Aber um die Frage nach dem „wie viel“ zu beantworten: Wer das große Geld verdienen will, ist mit aufwendigen Doku-Podcasts, an denen man ein Jahr lang arbeitet und die man dann innerhalb von fünf Wochen ausspielt, sicherlich nicht so gut bedient.
Verglichen mit Gesprächspodcasts also?
Das ist definitiv der lukrativere Weg – sofern man es schafft, ein Publikum zu finden. Allein die Regelmäßigkeit im Wochen- oder Monatsrhythmus hilft bei der Suche nach Werbepartner:innen enorm – besonders dann, wenn prominente Persönlichkeiten am Mikro sitzen und Werbung ziehen. Damit verdienen mittlerweile nicht wenige ganz gutes Geld. Wir werden als Undone da dieses Jahr noch was anderes ausprobieren, aber ein Format wie Cui Bono funktioniert vorerst besser durch Kooperationen, etwa mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder privaten Partner:innen wie RTL+ Musik.
Storytelling braucht Sponsoring, ein Gesprächspodcast richtige Werbung?
So ungefähr. Der deutsche Podcastmarkt lebt aktuell von sogenanntem Empfehlungsmarketing. Deine liebsten Podcaster:innen empfehlen dir also diese eine Matratze, die auch ihnen dabei hilft, wun-der-bar zu schlafen!
An welchem Punkt der Planung sind bei Cui Bono denn NDR und RBB mit ihren gut gefüllten Gebührentöpfen hinzugekommen?
Es gab erst die Idee, dann die Annäherung und bald die Zusage.
Warum haben Sie nach dem Erfolg von WTF happened to Ken Jebsen dennoch Ihre eigene Firma Undone gegründet und gemeinsam mit Studio Bummens und RTL+ Musik Staffel 2 produziert?
Zum einen, weil im Jahr nach der ersten Staffel so wahnsinnig viel passiert ist, dass eine Änderung nötig war. Zum anderen, weil ich mich schon lange mit eigener Firma und meinem besten Freund Patrick Stegemann selbstständig machen wollte. Der Wunsch war immer da, und der Erfolg von Cui Bono hat ihm krassen Rückenwind gegeben. So entstand Undone.
Mit wie vielen Mitarbeiter:innen?
Mittlerweile acht fest angestellten und einer Reihe freier, die wir projektbezogen für die Recherchen dazu holen.
Hat sich das Arbeiten dadurch verändert?
Schon, die Partner haben sich ja geändert. Statt NDR und RBB war in der zweiten Staffel RTL+ Musik dabei, aber weiterhin Studio Bummens und eben wir als Undone. Aber den anderen Podcast des Vorjahrs …
Legion über das Hacker-Kollektiv Anonymous.
… haben wir wieder mit NDR und RBB gemacht. Das wechselt anlass- und themenbezogen.
Machen Sie sich Ihre Popularität künftig nutzbar, um Ihr Portfolio breiter aufzustellen, oder bleiben Sie bei den Drachenlords und Verschwörungsideologen?
Weder noch, denn unser Themenkern kreist immer noch um die Frage: Haben wir eine kleine Geschichte, um die große dahinter zu erzählen? Wer mich ein bisschen besser kennt, kann den Vergleich vermutlich nicht mehr hören, aber Leute wie Ken Jebsen oder Rainer Winkler sind für mich trojanische Pferde, die ich in all ihrer Pracht vor die Türen unserer Zuschauer:innen stelle, um mit deren Hilfe hineingebeten zu werden. Wer dann einmal drin ist, kann langweiliges Zeug wie Gesellschaftsanalyse und Ursachenforschung machen. (lacht)
Haben Sie das trojanische Pferd Ken Jebsen dafür persönlich getroffen?
Nein, es gab mehrere Kontaktversuche, bei denen ich Jebsen mit unseren Rechercheergebnissen konfrontiert habe, aber es gab nie eine Antwort. Auch so hat das Pferd „Aufstieg und Fall eines bekannten Radiomoderators“ jedoch bestens funktioniert, um die Mauer der Verschwörungsideologie zu überwinden. Oder am Beispiel des „Drachenlords“ Rainer Winkler: Durch dessen Schicksal sind wir in die dunkelsten Bereiche des Cybermobbings vorgedrungen. So lernt man am Beispiel beider auch viel über die letzten zehn, zwanzig Jahre bundesdeutscher Geschichte – etwa, was Reality-TV aus der Gesellschaft gemacht hat.
„Leute wie Ken Jebsen oder Rainer Winkler sind für mich trojanische Pferde, die ich in all ihrer Pracht vor die Türen unserer Zuschauer:innen stelle, um mit deren Hilfe hineingebeten zu werden. Wer dann drin ist, kann langweiliges Zeug wie Gesellschaftsanalyse machen.“
Geht es Ihnen abseits von Unterhaltung und Journalismus darum – Bildung, Lernen, letztlich also Pädagogik?
Nein. Es geht um Befähigung. Das ist für mich die Aufgabe von gutem Journalismus: Menschen neue Sinnzusammenhänge aufzeigen, sie nicht verteufeln und nicht auf sie hinabschauen. Die Wahrheit ist: Auch wir lernen ja erst im Laufe unserer Recherche all die Dinge, die wir dann sehr selbstbewusst in Podcasts und Interviews von uns geben.
Reflektieren Sie am Beispiel Ihrer Recherche eigentlich auch das eigene Mediennutzungsverhalten?
Na klar. Deshalb haben wir uns gerade im Zuge der zweiten Staffel Cui Bono mehr denn je selbst hinterfragt. Wir nehmen uns bei der Kritik an den Verhältnissen nicht raus.
Man steht schließlich nicht im Stau, man ist der Stau!
Ganz genau. Ich bin auch auf sozialen Medien und Messengern aktiv, habe auch Big Brother geschaut, bleibe bis heute manchmal bei Reality-TV hängen und binge fix mal zehn Stunden Netflix, wenn mir nichts Besseres einfällt. Aber das ist mir und uns auch wichtig für unsere Art des Podcastings: Es gibt kein „wir“ und kein „ihr“, es gibt ein kollektives „uns“, das alle und alles betrifft. Der Podcast geht auch mich selber an.
Hat Ihre Impulskontrolle auf Social Media auch schon versagt, haben Sie mal jemanden gehatet, gar gemobbt?
Jetzt hören Sie einen Satz, den ein weniger seriöses Blatt in die Überschrift nehmen würde: Ich war nie ein Mobber. Aber klar habe ich auch mal übertrieben, hab schneller getippt als gedacht. Das gilt nicht nur für die öffentliche, sondern auch die private Kommunikation.
Wie ist es mit Ihnen als Adressat – kriegen Sie, auch als Mensch mit dem berühmten Migrationshintergrund, viel Hass ab im Netz?
Ja, ja. Da kommt einiges an.
Wie gehen Sie damit um?
Der beste Weg für mich ist, gar nicht zu reagieren. Social Media funktioniert als Abfolge von Reaktionsmustern, auf die man sich einlässt oder eben nicht. Ich neige zu letzterem.
Wo befindet sich da denn Ihre Reaktionsschwelle?
Ach, es wird meistens relativ schnell klar, ob jemand diskutieren oder pesten will. Meine persönlichen Filter funktionieren da mittlerweile bestens. Hater sieht man sofort.
Wie stark wird beim Hass Ihre Herkunft thematisiert, die sich in Namen und Gesicht sichtbar widerspiegelt?
Stark.
Sie sind im Alter von sieben Jahren aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Hat diese Biografie etwas mit Ihrer thematischen Gewichtung bei Cui Bono zu tun?
Diese Biografie spielt natürlich immer eine Rolle. Aber die Links in mein Themenfeld sind mindestens zu gleichen Teilen Zufall und generellem Interesse wie meiner Herkunft geschuldet. Selbst die erste Staffel Cui Bono, wo meine Mutter und meine Kindheit in Kassel zur Sprache kommen, folgt da eher dramaturgischem Interesse. Ich versuche grundsätzlich, kein afghanischer Journalist zu sein, der ständig über sein Geburtsland berichtet.
Klingt, als käme da noch ein Aber.
Aber irgendwann möchte ich mich dennoch auch in einer größeren Arbeit beruflich damit auseinandersetzen. Es hat sich bislang nur noch nicht angeboten.
Aber womöglich aufgedrängt; wurden Sie, etwa nach dem Fall Kabuls, als Afghanistan-Experte angefragt?
Na klar, da kamen ständig Interviewanfragen. Und das ist ja auch besser, als überhaupt nicht nach unserer Situation, unserer Expertise befragt zu werden. Ich würde nur gerne was über Afghanistan erzählen, wenn dort gerade mal nichts explodiert.
Auch in Form eines Podcasts?
Warum nicht. Bislang hat mich allerdings noch niemand gefragt. Beziehungsweise, wenn ich denn mal was angeboten habe, hieß es, Afghanistan sei gerade kein Thema. Tja.
Und was folgt als Host und Sprecher als nächstes?
Noch genießen wir den Launch von Cui Bono 2. Von Cui Bono 3 gibt’s noch nichts zu berichten. Dafür geht Noise in die 2. Runde, und Ende des Jahres kommen zwei große Investigativ-Geschichten. Außerdem läuft bald unser erstes wöchentliches Format.
Also doch.
Also doch!
Aber weiterhin strikt akustisch, oder könnten Sie sich auch vorstellen, vor Kameras sichtbar zu werden?
Auch darüber wird nachgedacht. Wir denken ja generell über vieles nach.
Jan Freitag ist freier Journalist in Hamburg. Hannes Wiedemann arbeitet als Fotograf in Berlin.