Gefährlicher Kahlschlag

Kürzen beim Investigativen: Das politische Magazin Exakt, das bisher wöchentlich ausgestrahlt wurde, soll statt bisher 44 nur noch 21 Sendungen pro Jahr bekommen. Zehn halbstündige Reportagen sollen ebenfalls wegfallen.

Der MDR hat jahrelang über seine Verhältnisse gelebt. Jetzt muss drastisch gespart werden. Aus diesem Grund will der Sender den investigativen Journalismus runterkürzen. Ausgerechnet im Superwahljahr. In einem Sendegebiet, in dem das Vertrauen in die Demokratie schwindet und eine rechtsextreme Partei stärkste Kraft werden könnte. Was ist da los? Text: Michael Kraske

30.04.2024

Der Tag, der beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) als ein Schwarzer Freitag in Erinnerung bleiben wird, beginnt mit technischen Problemen. Nicht alle Interessierten können Mitte April an der digitalen Mitarbeitendenversammlung teilnehmen oder sie störungsfrei verfolgen. Das Beben erreicht Betroffene daher erst mit Verzögerung. An diesem Tag verkündet Intendant Ralf Ludwig mit den Direktorinnen und Direktoren des MDR eine beispiellose Hiobsbotschaft: Der MDR habe zuletzt deutlich über seine Verhältnisse gelebt, heißt es. Bis 2028 müssen daher 160 Millionen Euro eingespart werden. 40 Millionen Euro pro Jahr. Sollte die geplante Erhöhung der Rundfunkgebühren zum 1. Januar kommenden Jahres ausbleiben, würde selbst das nicht ausreichen. Der Intendant beschwört die Belegschaft. Man müsse „diesen Weg gemeinsam gehen“ und künftig „an einem Strang ziehen“. Nur dann habe der MDR eine Chance. Die düsteren Zukunftsaussichten lösen unter den Journalistinnen und Journalisten im Haus blankes Entsetzen aus. Ein Redakteur beschreibt es später als „Schlag in die Magengrube“, eine Kollegin als „unglaublichen Schock“. Viele haben seither Existenzangst.

Die Direktorenrunde stellt in der Schalte vor, welche Auswirkungen die Kürzungen auf das Programm haben werden. Grundlage aller Überlegungen bildet die „Strategie- und Finanzplanung 2025“, deren Folien „kein Rasenmäherprinzip“ versprechen. Es soll also gezielt gekürzt werden, das aktuelle Strategiepapier „MDR für alle“ weiterhin gelten. Der MDR hält demnach offiziell daran fest, künftig jünger und digitaler werden zu wollen und die Nähe zu den Menschen in der Region zu suchen. Reihum werden die Wochentage mit dem neuen Programmschema vorgestellt. Jana Brandt, Programmdirektorin in Halle, nennt MDR Garten ein „Juwel“, lobt die „Erfolgsschiene 19 Uhr 50“ und schwärmt von einem „Unterhaltungsprogramm, was wir alle kennen und lieben“. So geht es weiter in der digitalen Schalte. Hier und da fallen Sendungen wie Quickie weg, ja. Aber dafür bietet sich ja auch die Chance, das Kulturmagazin artour prominenter zu platzieren. Eine Direktorin skizziert, was dem MDR auch künftig wichtig sein wird: „Das große Thema Familie und Kinder.“ Außerdem „Kultur in der Crossmedialität“. Man ist bemüht, die Krise als Chance schönzureden. Der notwendige Personalabbau soll über Stopps für Neueinstellungen erfolgen. Aber allen ist klar: Dies ist eine Zäsur. Alle müssen sparen. Teure Live-Übertragungen wie Box-Events soll es künftig nicht mehr geben.

Ausgerechnet beim investigativen Journalismus wird die Axt angelegt. Es dauert weit über eine Stunde, bis in einer Fragerunde noch einmal die geplanten Kürzungen in der Investigation angesprochen werden. Das politische Magazin Exakt, das bisher wöchentlich ausgestrahlt wurde, soll statt bisher 44 nur noch 21 Sendungen pro Jahr bekommen, also nicht mal mehr alle zwei Wochen laufen. Das Stammpublikum verliert damit den verlässlichen Sendeplatz für hintergründige Aufklärung. Zehn halbstündige Reportagen sollen ebenfalls wegfallen. Ausgerechnet im Wahljahr mit drei Landtagswahlen im deutschen Osten. Mit einer AfD, die dem Verfassungsschutz in zwei Bundesländern des Sendegebiets als erwiesen rechtsextremistisch gilt, nämlich in Thüringen und Sachsen. In beiden Ländern sehen Umfragen die AfD vorn. In einer Region, in der sich einer Studie der Uni Leipzig zufolge immer mehr Menschen von der Demokratie abwenden und stattdessen autoritäre Scheinlösungen bevorzugen. Wo seit Jahren die meisten pressefeindlichen Übergriffe bei Demos registriert werden und Reporterinnen und Reporter oft nur noch von Straßenprotesten berichten können, wenn sie von einer Security begleitet werden.

Wie passt das alles zusammen? Wie kann man in dieser so brenzlichen Lage die kritische Hintergrundberichterstattung zusammenkürzen? Teilnehmende der digitalen Versammlung äußern ihren Unmut und die Sorge, ausgerechnet im journalistischen Kerngeschäft von Recherche und Aufklärung auszubluten. Der Moderator fragt in die Runde, wer von den Verantwortlichen darauf antworten möchte. Es folgt: Schweigen.

„Ausgerechnet beim investigativen Journalismus wird die Axt angelegt. Das politische Magazin Exakt, das bisher wöchentlich ausgestrahlt wurde, soll statt bisher 44 nur noch 21 Sendungen pro Jahr bekommen. Zehn halbstündige Reportagen sollen ebenfalls wegfallen. Ausgerechnet im Wahljahr mit drei Landtagswahlen im deutschen Osten.“

Schließlich spricht Sandro Viroli, Programmdirektor vom Landesfunkhaus Sachsen von einem „ersten Aufschlag“. Davon ist an diesem Freitag immer wieder die Rede. Kollegin Jana Brandt appelliert an die Redaktionen, einen „Freiwilligenverzicht“ zu prüfen, also von sich aus kürzerzutreten. Von Kultur bis Information mache der MDR derzeit nämlich „viel zu viel“. Der Unmut bei den Zuhörenden wächst. Jörg Wildermuth, Redaktionsleiter für die politischen Magazine und Reportagen, meldet sich zu Wort. Davon, dass ein Wochentag weiterhin den Schwerpunkt Investigation haben soll, könne angesichts des neuen Zuschnittes keine Rede mehr sein. Während Exakt und das junge Format exactly beschnitten werden, rückt das von den drei Landesfunkhäusern in Magdeburg, Erfurt und Dresden produzierte, eher behäbige Talk-Format Fakt ist in die Prime-Time. Mit exactly habe man hingegen ein erfolgreiches Format geschaffen, das analog und digital erfolgreich sei, argumentiert Wildermuth. Schließlich wolle der MDR doch jünger und digitaler werden: „Und genau hier kürzen wir jetzt.“ Der Redaktionsleiter fordert eine Erklärung.

Daran versucht sich dann Klaus Brinkbäumer, ehemaliger Spiegel-Chefredakteur und seit drei Jahren MDR-Programmdirektor in Leipzig. Er betont zwar, Investigation sei „der Schlüssel für den Erfolg des MDR“. Gleichwohl hänge das nicht unbedingt an der Anzahl von Sendungen. Investigativer Journalismus könne schließlich auch anderswo platziert werden, etwa im Mittagsmagazin, das der Sender für die ARD produziert und den MDR jährlich wohl einige Millionen Euro kostet. Ein Produzent für den Mitteldeutschen Rundfunk sagt hinterher im vertraulichen Gespräch: „Mein Eindruck ist, dass sich die Direktoren nicht einig sind.“ Vom ersten Tag an habe Brinkbäumer Investigation „demonstrativ vor sich hergetragen“, ergänzt eine langjährige MDR-Redakteurin: „Jetzt trägt er die Kürzungspläne des Direktoriums mit. In der Führungsetage schiebt einer dem anderen den schwarzen Peter zu.“ Es heißt, die Beschlüsse über die Kürzungspläne in der Direktorenrunde seien nicht einstimmig erfolgt. Brinkbäumers Bekenntnis zur Investigation in der digitalen Krisensitzung betrachten erfahrene Kolleginnen und Kollegen gleichwohl als warme, aber folgenlose Worte.

„Wie passt das alles zusammen? Wie kann man in dieser so brenzlichen Lage die kritische Hintergrundberichterstattung zusammenkürzen?“

Wenige Tage vor diesem Schwarzen Freitag hat Brinkbäumer eine Abschiedsmail an die Belegschaft geschickt. Darin erklärt er, zum 30. April als Programmdirektor auszuscheiden. Seine Begründung: künftig wolle er wieder inhaltlich und publizistisch arbeiten: „Ich möchte recherchieren, analysieren, kommentieren und moderieren.“ Er plane Filme, Podcasts, Buchprojekte und Kolumnen. Sein Ziel: „Freier sein.“ Dass Brinkbäumer künftig als bestens bezahlter Autor für den MDR tätig sein soll, stößt bei vielen in der Belegschaft auf Unverständnis. Die Selbstverwirklichungs-Prosa habe er sich sparen können, ist zu hören. „Ein Direktor schneidet den Arbeitsbereich seiner Firma massiv ein und bekommt gleichzeitig den goldenen Handschlag mit Wohlfühlabschiedspaket“, sagt ein MDR-Redakteur. „Das ist ein Interessenkonflikt.“

Im Haus hört man aber auch, zwischen Brinkbäumer und dem Intendanten habe es Dissens über die strategische Ausrichtung gegeben. Der prominente Programmdirektor wollte den MDR demnach innerhalb der ARD stärker profilieren. Wie auch immer – Brinkbäumer hat offenbar den Kürzeren gezogen. Ralf Ludwig hat denn auch in einer internen Stellungnahme zur Personalie Brinkbäumer Veränderungen angedeutet. Dessen Rückzug eröffne eine „strategische Option“, die Strukturen im Direktorium zu überprüfen. Bislang sind fünf Direktorinnen und Direktoren für das Programm beim MDR zuständig. Eine Direktorenstelle könnte gestrichen werden.

Zunächst übernimmt nun Jana Brandt zusätzlich zur Programmdirektion in Halle kommissarisch die in Leipzig, wo auch die „Hauptredaktion Information“ angesiedelt ist. Brandt machte im Bereich „Fiktion“ Karriere, wo sie etwa den ARD-Polizeiruf und Serien wie Weissensee und In aller Freundschaft verantwortete. Als Direktorin beim MDR waren ihre Schwerpunkte bisher eher Kultur und Wissen. Auf Brinkbäumer folgt in Leipzig also eine Direktorin, für die Politik bisher nicht zum Kerngeschäft gehört. Der MDR ist wie andere ARD-Anstalten auch ein großes Haus mit komplizierten Strukturen und vielen verschiedenen Interessen. Die Landesfunkhäuser in Dresden, Erfurt und Magdeburg ringen um Einfluss und Anteile. Ebenso die unterschiedlichen Ressorts von Information über Kultur und Sport bis zur Unterhaltung. Immer geht es auch um Macht.

„Im Haus hört man aber auch, zwischen Brinkbäumer und dem Intendanten habe es Dissens über die strategische Ausrichtung gegeben. Der prominente Programmdirektor wollte den MDR demnach innerhalb der ARD stärker profilieren.“

In diesem Spiel hat der ehemalige Spiegel-Chef offenbar verloren. Doch der Übergang vom sitzungsgeplagten Direktor zum privilegierten Autor und „Experten für Außen- und Weltpolitik“ (Zitat Brinkbäumer) dürfte ihm nicht allzu schwerfallen. Er gehe das „so vergnügt wie begeistert an“, ließ er die Kolleginnen und Kollegen wissen. Der Versuch des MDR mit einem großen Namen an der Spitze ist gescheitert. Die Expertise des ehemaligen USA-Korrespondenten Brinkbäumer, die er etwa in seinem Podcast OK, America? produziert, deckt entscheidende Prioritäten nicht ab. Viel wichtiger als Washington und Boston analysiert zu bekommen, ist für den MDR, dem Rest der Republik zu erklären, was in Wurzen und Bautzen vor sich geht und warum das für das ganze Land relevant ist. Dass der scheidende Direktor künftig privilegiert tun darf, wofür er gar nicht geholt wurde, ärgert viele Kollegen genauso wie die Art seines Abgangs. Die Frage ist, was folgt.

Das Rundschreiben bot Brinkbäumer die Möglichkeit, ein bleibendes Ausrufezeichen zu setzen, dem MDR vielleicht sogar ins journalistische Gewissen zu reden. Mehrfach drückt der scheidende Direktor seinen Stolz auf das Erreichte aus. Die Schwerpunkte, die er setzt, sind bezeichnend. Zwar erwähnt er auch eine aufwendig produzierte AfD-Doku und investigative Sport-Reportagen, seine letzten Worte als Programmchef sind aber voll gefühliger Verbeugungen vor dem, was er wohl für den Wesenskern des MDR hält. Brinkbäumer schwärmt über die „innovative Kraft der Feste mit Florian Silbereisen“ und ist „stolz auch auf die Spaßzone, Riverboat und vieles, vieles mehr aus der Unterhaltung“. Diese Huldigungen garniert er mit viel Lob für ein „so gelungenes wie freudvolles Zusammenspiel“ im Sender. Eines seiner Ziele sei ein transparenter, humorvoller und angstfreier Umgang im Haus gewesen. Auch daran ist er gescheitert. Alle Gesprächspartnerinnen und Partner in diesem Report, die nicht namentlich genannt werden, haben um Anonymität gebeten. Eine davon, langjährige Redakteurin, sagt über Brinkbäumers Rückzug: „Sein Abschiedsbrief war eben gerade kein Appell nach dem Motto: Bewahrt die Investigation!“ Die journalist-Redaktion hat Klaus Brinkbäumer mit Fragen zu seiner Zukunft und der eigenen Rolle bei den Kürzungen im Bereich der Investigation konfrontiert. Der möchte sich jedoch nicht äußern.

Der Fall Brinkbäumer mag große Symbolkraft haben, sollte aber nicht von den gravierenden Folgen der Sparpläne für das journalistische Tagesgeschäft ablenken. Welche Konsequenzen hat es, dass das politische Magazin Exakt mit seinen hintergründigen Reportage-Ablegern derart zusammengestrichen wird? Die langjährige MDR-Redakteurin ist mit Abläufen in den Redaktionen des Senders vertraut. Sie sagt: „Konkret bedeutet das: Weniger Zeit, weniger Filme, weniger Themen und Beiträge.“ Für jene investigativen Kolleginnen und Kollegen, die tief graben müssen, wird es deutlich weniger Recherche-Tage geben. „Was jetzt geplant ist, schränkt die investigative Arbeit extrem ein“, so die Redakteurin. „Es wird absehbar weniger Tiefgang in der Berichterstattung geben.“

„Es wird absehbar weniger Tiefgang in der Berichterstattung geben.“

Studien wie der Sachsen-Monitor, der politische Einstellungen in dem Bundesland misst, belegen, dass innerhalb des MDR-Sendegebiets das Vertrauen in die demokratische Praxis erodiert. Laut einer Umfrage wünschen sich zugleich 60 Prozent des MDR-Publikums, dass mehr über Missstände in der Region berichtet wird. Aber um lokale Korruption, Abrechnungsbetrug bei medizinischen Einrichtungen und demokratiefeindliche Netzwerke aufzudecken und auszuleuchten, braucht es gute Kontakte, langjährige Erfahrung und großen Recherche-Aufwand. Seit einiger Zeit nimmt die Desinformation in sozialen Medien und Nachrichtendiensten wie Telegram, Tiktok oder Whatsapp rapide zu. In Thüringen und Sachsen verfügen rechtsextreme Gruppen über eine enorme digitale Reichweite. „Die aktuelle Berichterstattung kann es nicht allein leisten aufzuklären“, warnt die Redakteurin. „Im Ergebnis der Kürzungen werden mehr Fake News unwidersprochen bleiben.“ Übereinstimmend berichten MDR-Leute, dass in internen Runden immer wieder der Ausbau von Recherche-Strukturen zugesagt wurde. „Seit Brinkbäumer im Amt war, wurde in Hintergrundgesprächen immer wieder betont, dass der investigative Journalismus gestärkt werden soll“, erinnert sich der oben genannte MDR-Redakteur. „Und jetzt ist das genaue Gegenteil passiert.“ Ein erfahrener Mitarbeiter formuliert es so: „Sie sagen das eine und machen es dann ganz anders.“

Anstatt die faktenbasierte Aufklärung auszubauen, setzt der MDR künftig also verstärkt auf das Talk-Format Fakt ist. Für den Sender hat das einen doppelten Vorteil. Zum einen ist eine Talkrunde deutlich billiger als wochenlange, komplexe Recherchen. Andererseits kommt der MDR damit dem gesellschaftlichen Ruf nach Dialog entgegen. Der wird gerade auch von dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) immer wieder öffentlich eingefordert, auch mit lauten, aggressiven und radikalen Stimmen. Es ist der Versuch, die grassierende Wut zu beschwichtigen. Einen Vorgeschmack auf künftige MDR-Talks lieferte jüngst die Sendung Riverboat. Die Sächsische Zeitung befand anschließend, der nach rechts gedriftete ehemalige ZDF-Moderator und Buchautor Peter Hahne habe als Gast im MDR-Fernsehen bei Pöbeleien gegen die Regierung „alle Hemmungen fallenlassen“ dürfen. Den Verfassungsschutz nannte er „Haldenwangs Stasi“. Vom Moderatoren-Duo seien nur vereinzelt „sanfte Nachfragen“ erfolgt, kritisiert der Rezensent. Populistische Sprüche und Schmähungen blieben unwidersprochen. Einer der Moderatoren: Der scheidende Programmdirektor Klaus Brinkbäumer.

Exakt ist dagegen das Format der unangenehmen Berichterstattung“, sagt ein MDR-Mitarbeiter. „Da wird nachgebohrt, wenn Fragen unerwünscht sind und keine Antworten kommen.“ Skandalgeschichten aus der eigenen Region stehen bei den einflussreichen Staatskanzleien der ostdeutschen Bundesländer nicht unbedingt auf der Wunschliste. Anders als beim WDR und NDR ist investigativer Journalismus innerhalb des MDR auch nie zum Markenkern und zur journalistischen Leitkultur geworden. Befragt man dazu Journalistinnen und Journalisten aus allen Ebenen des Senders, sind sich viele darin einig: Das ist auch nicht gewollt. Wie sonst ist es zu erklären, dass die investigative Arbeit nunmehr auf ein Existenzminimum reduziert werden soll?

Jetzt wird nicht nur kritische Berichterstattung in einer politischen Lage wegbrechen, die instabile Regierungen und sogar rechtsextreme Mehrheiten bringen könnte. Thüringens AfD-Chef Björn Höcke hat angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs die Medienstaatsverträge zu kündigen. Der MDR müsste sich eigentlich dringend für aufziehende politische Stürme wappnen und robust aufstellen. Stattdessen droht man, beim journalistischen Spitzenpersonal auszubluten. Ein Produzent kündigt im Gespräch mit dem journalist an, exklusive Stoffe künftig zunächst anderen Medien anzubieten, um den drohenden Ausfall aufgrund der ausgedünnten Sendeplätze beim MDR zu kompensieren. Der oben zitierte Redakteur warnt: „Wir haben ja ohnehin schon einen erheblichen Brain Drain. Es gibt beim MDR permanent eine massive Abwanderung von guten, ambitionierten Leuten zu anderen Medien.“ Einige würden inzwischen für das ZDF oder den SWR arbeiten. „Jetzt ist absehbar, dass wieder journalistische Talente weggehen werden.“ Dadurch werde es künftig noch schwieriger sein, Skandale aufzuklären. „Die vierte Gewalt wird weiter geschwächt“, so der Redakteur. „Das ist ein weiterer Baustein in einer Abwärtsspirale.“ Die Regionalzeitungen dampfen den Lokaljournalismus aufgrund des Kostendrucks seit Jahren massiv ein. Nun fallen zusätzlich auch noch beim MDR wichtige Recherche-Zeiten, Kompetenz und Personal weg. Die blinden Flecken in der Berichterstattung werden ausgerechnet da größer, wo stabile demokratische Verhältnisse längst ins Rutschen geraten sind.

„Anders als beim WDR und NDR ist investigativer Journalismus innerhalb des MDR auch nie zum Markenkern und zur journalistischen Leitkultur geworden.“

Ist das der Führung des MDR eigentlich bewusst? Machen sich die Verantwortlichen klar, was auf dem Spiel steht? Intendant Ralf Ludwig ist kein Journalist, sondern Diplom-Kaufmann. Als Chef muss er nicht wie ein Redakteur denken, aber er trägt die Verantwortung dafür, dass der MDR den bestmöglichen Journalismus abliefert. Ludwig soll intern angedeutet haben, dass für ihn das Sparziel oberste Priorität hat. Mit anderen Worten: Wo und was gekürzt wird, ist Nebensache. Nach der digitalen Versammlung haben Journalistinnen und Journalisten des MDR einen Brandbrief an den Intendanten geschickt, darunter Feste und Freie der Redaktion „Politische Magazine/Reportagen“, namhafte und preisgekrönte Stimmen wie Thomas Datt, Jana Merkel und Arndt Ginzel.

Darin erinnern sie an interne Zusagen und ihre journalistische Kernaufgabe. Sie warnen vor der Gefahr durch rechtsextremistische Parteien und Gruppierungen sowie populistische Positionen. Sie erklären, dass ausgerechnet die nun betroffenen Formate von Exakt und exactly die internen Ziele und Vorgaben des MDR vorbildlich erfüllen. „Es steht viel auf dem Spiel“, enden die Autoren. „die publizistische Schlagkraft des MDR, die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags und nicht zuletzt das Vertrauen unserer Zuschauer.“ Die aktuelle Entwicklung „alarmiert uns in höchstem Maße“. Der Appell ist um Sachlichkeit bemüht, aber er ist in einem Ton verfasst, der keinen Zweifel an der Dringlichkeit aufkommen lässt.

Man kann das Schreiben als Weckruf und verzweifelten Versuch verstehen, die Chefetage des Mitteldeutschen Rundfunks zu konstruktiven Gesprächen einzuladen. Intendant Ralf Ludwig hat auf dieses Schreiben nicht allen, die unterschrieben haben, geantwortet, sondern nur dem Redaktionsleiter. Demnach hat der Intendant das Anliegen der Journalistinnen und Journalisten an die Chefredakteurin weitergeleitet. Man wolle sich demnächst wieder melden, ließ er die Redaktion wissen. Einige Unterzeichnende macht diese Reaktion ratlos. Derweil hat der Personalrat der Belegschaft mitgeteilt, dass der Aufruf des Intendanten, sich mit eigenen Vorschlägen in den Prozess des Kürzens und Sparens einzubringen, nicht ernst gemeint sein könne. Andernfalls hätte man keine Entscheidungen verkündet, ohne diese vorher mit den Redaktionen abzustimmen. Es rumort innerhalb des MDR. 

Die journalist-Redaktion hat dem MDR einen ausführlichen Fragenkatalog sowohl zu der Personalie des scheidenden Programmdirektors Brinkbäumer als auch zu den Kürzungen im Bereich des investigativen Journalismus geschickt. In der knappen Antwort des Senders heißt es lapidar, dass man sich zu Vertragsangelegenheiten nicht äußere. Bezüglich des notwendigen Sparkurses befinde man sich in „internen Prozessen“, die man aber zunächst mit Mitarbeitenden und Gremien bespreche. Darüber hinaus wolle man sich „gegenwärtig nicht weiter dazu äußern“. Dem MDR stehen harte Zeiten mit gravierenden Einschnitten bevor. Der kritische Journalismus könnte das erste Opfer sein.

Michael Kraske arbeitet als Journalist und Buchautor in Leipzig.

Update 13. Mai 2024: In einem offenen Brief haben sich 300 Journalist:innen und Medienschaffende gegen die Kürzungspläne des MDR beim Investigativen ausgesprochen.

Update 13. Mai 2024: Der MDR reagierte in einer Stellungnahme auf den offenen Brief und spricht von einer "verengten Perspektive" der Kritiker.