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"Ganz normale" Morddrohungen und Vergewaltigungsfantasien

Pressefeindlichkeit wird zum Problem für die Demokratie. (Illustration: Julia Bernhard)

Seit Jahren eskalieren die Angriffe gegen Medienschaffende. Politik, Sicherheitsbehörden und Medienhäuser reagieren weiterhin zu zögerlich. Längst verändert Pressefeindlichkeit die Berichterstattung und politische Kultur dieses Landes. Ein fataler Gewöhnungseffekt: Solidarität mit Betroffenen schwindet, wichtige Stimmen verstummen. Text: Michael Kraske, Illustration: Julia Bernhard

03.05.2023

Nur wenige Personen sammeln sich Ende März vor dem Redaktionsgebäude der Leipziger Volkszeitung (LVZ) zu einer Protest-Kundgebung. Ein Lautsprecher beschallt den Platz mit harten Botschaften, die ein Redner mit weicher Stimme über die Corona-Pandemie verbreitet. Zunächst wirft er der Lokalzeitung vor, Kritiker als Verschwörungstheoretiker und Nazis diffamiert zu haben. Um dann zu raunen, es gebe „Indizien dafür, dass Corona lange geplant und vorbereitet wurde“. Und weiter: „Es war ein Test, wie folgsam eine Gesellschaft sinnfreie Maßnahmen trägt.“ Begleitet von diesen Verschwörungserzählungen wird die Lokalzeitung offen angeprangert. Für häusliche Gewalt macht der Redner die Redaktion verantwortlich: „Der Mann schlug seine Frau, denn sie waren beide eingesperrt im Lockdown in ihre viel zu kleine Wohnung mit all dem Stress. LVZ, du hast Schuld daran, denn du hast nichts gegen diese Maßnahmen getan!“ Es folgen drei dumpfe Trommelschläge.

„Du wirst hängen“

Dokumentiert hat diesen Akt alltäglicher Pressefeindlichkeit via Twitter die freie Fotoreporterin Kili Weber, die auf Demos selbst immer wieder angepöbelt und bedrängt wird. Sogar dann, wenn sie wie neuerdings so oft mit Begleitschutz arbeitet. Vor einer Weile machte sie wieder eine Morddrohung publik. „Tötet Kili“ war auf eine Wand geschmiert. Das European Centre for Press & Media Freedom (ECPMF) hat nach dem traurigen Rekord des Vorjahrs aktuell zwar einen Rückgang tätlicher Angriffe gegen Presseleute auf 56 registriert. Grund dafür dürften die abflauenden Straßenproteste sein. Zugleich sei aber die Zahl der Angriffe auf Lokaljournalist:innen um das Dreifache gestiegen – von vier auf zwölf. Wobei Schubsen, Stoßen und Bedrängen längst so normal geworden sind, dass von einer weit höheren Dunkelziffer auszugehen ist, weil solche Übergriffe in den allermeisten Fällen gar nicht bekannt werden. Das ECPMF hat die Gefahr für jene, die in journalistischer Graswurzelarbeit für Lokalredaktionen berichten, treffend benannt: „Berufsrisiko Nähe.“

Dass es nicht nur um Einzelfälle geht, sondern ein ganzer Berufsstand spätestens seit der Pandemie durch Feindbilder, Übergriffe und staatliche Zögerlichkeit unter Druck geraten ist, zeigt das Beispiel von Franziska Jacob. Im Rahmen ihrer journalistischen Ausbildung berichtete sie für den lokalen TV-Sender Leipzig Fernsehen (heute Sachsen Fernsehen) auch über Proteste gegen die Corona-Maßnahmen. Schon nach wenigen Arbeitstagen schlug ihr offener Hass entgegen. Sogar bei einer harmlosen Straßenumfrage zu einem Verkehrsthema bekam sie zu hören: „Lügenpresse.“ Bei Dreharbeiten auf Demos wurde sie von Männern und Frauen geschubst und als „fette Sau“ beleidigt. Ein Demonstrant drohte: „Du wirst hängen!“ Bis heute kann sie nicht verstehen, dass sogar Gewalttaten ungeahndet bleiben. Bei einer Querdenken-Demo in Leipzig in der Hochphase der Proteste wurde sie von einem gezielten Wurf mit einem angefrorenen Schokoriegel im Gesicht getroffen und war kurz benommen. Doch obwohl ihr Drehteam den Angreifer gefilmt hatte und der Polizei das Material übergab, stellte die zuständige Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Der Täter könne nicht ermittelt werden, so die Behörde. Völlig unverständlich, findet Jacob. Mit ihrer Kritik am Umgang mit Gewalt gegen Medienleute ist sie nicht allein. Auch der Deutsche Presserat mahnt eine konsequente Ahndung von Straftaten gegen Medienschaffende an und sieht Polizei und Staatsanwaltschaften in der Pflicht.

„Bei Dreharbeiten auf Demos wurde sie geschubst und als ‚fette Sau‘ beleidigt. Nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen. Einer drohte: ‚Du wirst hängen!‘“

Der eigentliche Skandal: Das Problem ist seit langem bekannt und genauestens analysiert. Betroffene haben zahlreiche Fallgeschichten dokumentiert. Profunde Analysen haben die Radikalisierung in Teilen der Gesellschaft erklärt, die Journalist:innen seit den Lügenpresse-Parolen der Pegida-Bewegung immer hemmungsloser zu spüren bekommen. Auf der Straße wird geschubst, gespuckt, geschlagen. In der digitalen Welt wird beleidigt, bedroht und gehetzt. Unter Dauerdruck geraten längst nicht nur Lokalredaktionen, sondern ganz besonders auch Journalistinnen, People of Color, die Zuständigen für Social Media und Freiberufliche. Zur Wahrheit gehört auch, dass Pressefeindlichkeit zwar durchaus auch im radikal linken oder islamistischen Aktivismus auftritt, aber eben doch ganz überwiegend im rechten Spektrum geschürt und hemmungslos ausgelebt wird. „Der Hass auf die freie Presse ist ein Kernelement extrem rechter Ideologie“, sagt eine Sprecherin von Reporter ohne Grenzen (RoG). Sie warnt davor, die Betroffenen selbst zu problematisieren. Nicht deren Alter, Geschlecht oder Hautfarbe seien entscheidend. Vielmehr erfolgten Angriffe aufgrund von Sexismus, Rassismus, der Ablehnung freier Presse und Demokratiefeindlichkeit. Befeuert würden diese Einstellungen „von gut organisierten politischen Bewegungen, Diskursen und Akteuren im Internet“. In Gewalt münde das vor allem „in extrem rechten und verschwörungsideologischen Kontexten“. Ein Spiegel-Sprecher erklärt, dass Mitarbeiter:innen digitaler Hatespeech in allen Formen bis hin zu Morddrohungen ausgesetzt seien: „Besonders betroffen sind aber Kolleg:innen, die sich mit Themen wie Rechtsextremismus, AfD, Querdenken und Corona-Maßnahmen beschäftigen – unabhängig vom Ressort.“

Das gilt bundesweit nicht nur für Spiegel-Leute. Einige Beispiele: Nachdem er über den Prozess gegen einen Braunschweiger Neonazi berichtet hatte, fand David Janzen, der wegen seiner Recherchen über die rechtsextreme Szene massiver Verfolgung ausgesetzt ist, nach eigenen Angaben Fleischstücke in seinem Briefkasten. Vor seine Tür wurde ein Teelicht gestellt. Darauf sein Name und ein Kreuz. Auf Twitter kritisierte Janzen, der Staatsschutz der Polizei ermittele laut Pressemitteilung nur wegen Sachbeschädigung. Er selbst begreift den Übergriff als Morddrohung.

Pressefreiheit geopfert

In Dresden wiederum hat der junge Fotoreporter Finn Becker, der aus Sicherheitsgründen nur unter Pseudonym veröffentlicht, publik gemacht, dass freie Berichterstattung von Demos in der sächsischen Provinz mittlerweile zu gefährlich geworden sei. Vor einiger Zeit wurde er mit zwei Sicherheitsleuten am Rand einer Querdenken-Demo in Dresden von rechten Hooligans angegriffen und durch die Straßen verfolgt. Im sächsischen Wurzen wurde er trotz Polizeipräsenz von einem Angreifer gleich zweimal attackiert. Beide Vorfälle sind auf Videos dokumentiert. Die Polizei habe ihn schließlich zu seinem Schutz aus der Stadt eskortieren müssen, so Becker. Bei den Recherchen bemerkt er, dass auch bei unauffälligen Bürgern die Hemmschwellen immer weiter sinken.

Eine freie Journalistin wiederum, die für einen ARD-Sender dessen Angebote auf Social Media betreut hat, berichtet, wie sie nach einem Wochenende voller hasserfüllter Kommentare zum Thema Corona-Maßnahmen einen Nervenzusammenbruch erlitt. Daraufhin hat sie diese Tätigkeit beendet.

Nun ist es nicht so, dass der Aufschrei unter dem Hashtag #AusgebranntePresse mit eindrücklich dokumentierten Fallgeschichten sowie die Interventionen der Berufsverbände gänzlich erfolglos waren. „Die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Medien auf Demos und Kundgebungen hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert“, sagt Roman Portack, Geschäftsführer des Deutschen Presserats. Reporter:innen bestätigen, dass vor allem die eingesetzten Medien-Teams der Polizei mittlerweile die Sicherheitslage vielerorts verbessern. Auch RoG registriert punktuell durchaus aufmerksame Polizeikräfte, die Kamerateams vor Übergriffen schützen. In Halle (Saale) sei bei einer Versammlung eine Hundertschaft speziell für die Presse abgestellt worden. Der Spielraum für Angriffe sei dadurch kleiner geworden. Auch Berlin und Sachsen verfügen der RoG-Sprecherin zufolge über sinnvolle Schutzkonzepte. Allerdings würden diese in der Praxis nicht systematisch angewendet.

Die Innenminister der Länder haben zudem ein Grundproblem verschleppt. Denn trotz etlicher Verbesserungen prallen bei Demos weiterhin die Interessen von Polizei und Journalismus aufeinander. Schon vor mehr als zwei Jahren hat der Deutsche Presserat einen konkreten Vorschlag für eine Reform der gemeinsamen Verhaltensgrundsätze von Presse und Polizei vorgelegt. Die aktuelle Fassung atme noch den „Geist von Gladbeck“, so Portack. Denn die Vereinbarung wurde 1993 als Reaktion auf die dortige Geiselnahme getroffen. Also lange vor der Digitalisierung und radikalisierten Straßenprotesten.

„Die Polizei hat Medienschaffende zu schützen und journalistische Berichterstattung zu ermöglichen“, stellt Portack klar. Das gelte eben auch in herausfordernden Situationen. Dieser Schutz der Pressefreiheit stehe auch nicht unter dem Vorbehalt der Machbarkeit, sondern müsse jederzeit umgesetzt werden: „Medienschaffende dürfen nicht als Störer wahrgenommen und behandelt werden.“ Darin sei man sich mit den Innenministerien einig. Bisher wird in aufgeheizten Konfliktsituationen allzu oft einseitig die Pressefreiheit geopfert, um das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu garantieren – obwohl hier zwei gleichberechtigte Grundrechte kollidieren. Abhilfe könnten Ländergesetze schaffen, die den Schutz freier Berichterstattung explizit gesetzlich vorschreiben wie im Versammlungsfreiheitsgesetz von Berlin. Von einer flächendeckenden Praxis, die überall jederzeit ungehinderte Recherche garantiert, kann derzeit keine Rede sein.

„Der Hass ist ziemlich konstant und wird dann wellenförmig stärker, wenn ich mich zu etwas Bestimmtem äußere.“

Aktuell ringt eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Politik und Medienbranche um Details der überfälligen Reform, die das Verhältnis zwischen Polizei und Presse klären soll. Die lange Verfahrensdauer erklärt Roman Portack damit, dass ein von der Innenministerkonferenz vorgelegter Entwurf nicht die Zustimmung des Medienbündnisses fand, dem neben anderen auch der Deutsche Presserat, der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU), ARD und ZDF sowie der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) angehören. Während die Verantwortlichen in mühsamer Kleinarbeit um wirkungsvolleren Schutz ringen, ist die Lage auf deutschen Straßen weiter eskaliert. Ohnehin ist am Ende entscheidend, wie formale Absichtserklärungen in der Praxis umgesetzt werden. Häufig bekommen Reporter:innen zu hören, die Polizei sei schließlich nicht deren private Security. „Es muss sich bei der Polizei vor allem der Mindset durchsetzen, dass sie für den Schutz der freien Berichterstattung verantwortlich ist“, sagt Portack. Straßenproteste machen dabei nur einen Teil der Gefahr aus. Der andere große Tatort ist der digitale Diskursraum. Zwar haben die Sicherheitsbehörden Hasspostings schon vor Jahren den Kampf angesagt. Gleichwohl grassiert verbale Gewalt weiter – nicht zuletzt in einem riesigen Dunkelfeld.

Ann-Katrin Müller berichtet als Spiegel-Redakteurin über Themen wie AfD und Querdenken. Anfeindungen erfährt sie sowohl digital als auch auf der Straße. „Der Hass ist ziemlich konstant und wird dann wellenförmig stärker, wenn ich mich zu etwas Bestimmtem äußere oder mich zum Beispiel ein AfD-Politiker namentlich erwähnt“, berichtet Müller. Hassnachrichten erreichen sie auf diversen Kanälen wie Twitter, aber auch per Mail: „Das geht von Beleidigungen bis zu offenen Gewaltdrohungen.“ Viele Anfeindungen richten sich gegen sie als Frau. Permanent wird die erfahrene Journalistin als naive Göre hingestellt. „Es gibt aber auch immer wieder offenen Frauenhass.“ Nicht selten mit sexualisierten Botschaften: „Das geht bis hin zu Vergewaltigungsdrohungen“, sagt Müller. Die RoG-Sprecherin spricht von einem „klassischen Dreiklang“: Betroffenen Frauen werde die Kompetenz abgesprochen. Ihr Körper werde herabgewürdigt, und sie werden mit sexualisierter Gewalt bedroht. Die meisten Absender schreiben Müller anonym, einige aber auch mit Klarnamen und Adresse: „In diesen Fällen bringe ich das zur Anzeige.“

Schutzkodex

Die Spiegel-Redakteurin kann sich im Notfall jederzeit an ihre Vorgesetzten wenden. Der Spiegel hat sich – wie auch Süddeutsche Zeitung, dpa und einige andere Medienhäuser – zum sogenannten Schutzkodex verpflichtet, der feste Strukturen und Abläufe garantieren soll, um Betroffene zu schützen und juristisch oder psychologisch zu unterstützen. Ein Spiegel-Sprecher erklärt, dass die Mitarbeitenden einen speziellen Mail-Verteiler nutzen können, um Hassnachrichten durch die hauseigene Rechtsabteilung prüfen zu lassen. In einigen Fällen habe ihr diese aber auch schon von Anzeigen abgeraten, berichtet Müller. Viele verbale Angriffe sind nämlich von der Meinungsfreiheit gedeckt. „Mittlerweile verzichte ich meist darauf, anonymen Hass anzuzeigen“, sagt die Redakteurin. Sie versucht eine Gratwanderung: Nicht auf alles reagieren, aber juristische Reaktionen auf Gewaltandrohungen. Wie die allermeisten in der Branche lässt sie sich nicht einschüchtern und macht unbeirrt weiter ihren Job.

Virulent bleiben Übergriffe bei Demos. „Man merkt durchaus, in welchem Bundesland man als Reporterin unterwegs ist“, so Müller. „In ostdeutschen Bundesländern geben einem Polizeikräfte in Einsätzen auch mal zu verstehen: Das eskaliert, weil ihr Reporter hier unterwegs seid.“ Die RoG-Sprecherin erkennt weiterhin eklatante Versäumnisse auf Seiten der Sicherheitsbehörden: „Nein, von staatlicher Seite wird nicht genug getan, um Angriffe auf die Pressefreiheit aufzuklären, zu verfolgen, zu bestrafen und zu verhindern.“ Im Namen von Reporter ohne Grenzen fordert sie eine „stärkere Sensibilisierung“ der Polizei sowie „bessere und mehr Qualifizierung“. Pressefreiheit müsse noch stärker in Aus- und Weiterbildungen verankert werden.

Entsprechende Fortschritte etwa in Sachsen können nur ein Anfang sein. Zumal Journalistinnen wie Ann-Katrin Müller erleben, dass sich das Problem weiter verschärft. Ihr zufolge ist der Hass auf Twitter seit der Übernahme durch Elon Musk „spürbar schlimmer geworden“. Eine Weile habe das Thema für die Politik sogar Priorität gehabt, nunmehr reagiere man auf den Hass im Netz „sehr zurückhaltend“. Den großen Tech-Plattformen dürfe man politisch aber nicht durchgehen lassen, wenn Menschen unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit fertiggemacht würden. Generell schwinde gesellschaftlich „das Verständnis für die Notwendigkeit freier Berichterstattung“.

Die Spiegel-Redakteurin spricht von Gewöhnungs-Effekten: „Schlimm ist, dass sich die Pressefeindlichkeit nach meiner Beobachtung weiter ausgebreitet und verstärkt hat.“ Auch aus bürgerlichen Kreisen bekomme sie nun vermehrt zu hören: „Ihr müsst euch doch nicht wundern, weil ihr alle in die rechte Ecke stellt.“ Was sie vehement bestreitet: „Wir zeigen vielmehr, welche Personen, Plakate und Parolen der extremen Rechten zuzuordnen sind.“ Wenn aber selbst Gewalt nicht mehr rigoros verurteilt werde, führe das zu einer gefährlichen Normalisierung. Als Müller in den sozialen Netzwerken ein Video veröffentlichte, das zeigt, wie ein Demonstrant mit einer Fahnenstange in ihre Richtung stößt, bekam sie Kommentare wie: Du konntest dich doch ducken, kann also nicht so schlimm gewesen sein. „Die Solidarität hat nachgelassen“, stellt die Spiegel-Redakteurin ernüchtert fest. Immerhin hat sie einen starken Arbeitgeber mit systematischen Hilfsangeboten im Rücken, auch wenn das den Hasskampagnen, denen sie ausgesetzt ist, nicht die Wucht nehmen kann.

Schneller, häufiger, härter

Ganz anders erlebt das Omid Rezaee, der als freier Journalist für verschiedene Medien über migrantische Themen sowie den Nahen Osten berichtet und immer wieder auch Krisen im Ausland dokumentiert. Dafür wird er hierzulande massiv angefeindet. Wie ihm gehe es vielen Journalist:innen mit einer Migrationsgeschichte: „Da kommt der Hass oft aus verschiedenen Richtungen.“ Zum einen aus der rechten Ecke mit rassistischen Inhalten. „Ich kriege aber auch den Hass von Anhängern des iranischen Regimes ab.“ Rezaee erkennt eine Besonderheit in der Pressefeindlichkeit gegen Journalist:innen of Color: „Bei uns geht es so gut wie nie um Inhalte, sondern es geht immer direkt gegen die Person.“ Ihnen werde nicht nur jegliche Kompetenz abgesprochen, sondern auch das Recht, sich überhaupt zu äußern. Mit Sprüchen wie: Raus aus diesem Land! „Mein Eindruck ist: Als Person of Color springt der Hass noch schneller, häufiger und härter an“, sagt Rezaee.

Der freie Journalist engagiert sich im Verein Neue Deutsche Medienmacher*innen, der migrantische Stimmen in den Medien stärken will. Bei ihren Vereinstreffen berichten Mitglieder regelmäßig von Drohungen und Hass. „Die meisten fühlen eine große Hilflosigkeit“, sagt Rezaee. Er selbst fühlt sich als freier Journalist im Stich gelassen. „Mir hat noch nie eine Redaktion angeboten, dass ich mich an einen Ansprechpartner wenden könne, wenn es Probleme mit Anfeindungen gibt. Da klafft eine Lücke.“ Attacken, zumal auch von Anhängern autokratischer Regime und deren Agenten, sollten sowohl von den Redaktionen als auch von den Sicherheitsbehörden ernster genommen werden. Rezaee kennt viele, die sich aus den sozialen Medien zurückziehen, um rassistische Anfeindungen zu vermeiden. „Wenn diese wichtigen Stimmen wegfallen, schadet das dem Diskurs, und die Gesellschaft verliert wichtige Perspektiven.“ Auch er selbst sei inzwischen seltener in sozialen Medien unterwegs, um sich zu schützen, und könne nicht von Querdenken-Demos berichten: „Mit meinem Aussehen ist die Gefahr zu groß, dass ich dort angegriffen werde.“

„Das geht von Beleidigungen bis zu offenen Gewaltdrohungen.“

Eigentlich seien Journalist:innen eine überaus resiliente Berufsgruppe, sagt die Psychologische Psychotherapeutin Friederike Engst, die seit einigen Jahren Workshops für Lokalzeitungen im deutschen Osten, überregionale Medienhäuser, Journalistenschulen und einzelne Betroffene gibt: „Aber die Hilflosigkeit, Ängste und Frustrationen, die Hass und Hetze auslösen, bleiben nicht ohne Folgen.“ Nicht selten bekämen Betroffene zu hören: So ist das eben. Da musst du durch. Auch Engst erfährt in den Workshops, dass aktuell besonders diejenigen stark unter Druck geraten, die für Lokalredaktionen arbeiten: „Der Vorteil, nah an den Menschen dran zu sein, bringt ja auch Gefahren mit sich. Jeder weiß, wo du wohnst. Man kennt sich und kennt das Privatleben des anderen.“ Die Wege zu den kleinen Redaktionsbüros sind kurz – auch für ungebetene Besucher.

Jede und jeder reagiere auf die wachsende Bedrohung anders, so Engst. In den Workshops berichten Teilnehmende von Symptomen. Von chronischer Ermüdung bis zum Wiedererleben belastender Situationen. Einige entwickeln auch körperliche Beschwerden. Im Lokalen fehlen zumeist feste Hilfsstrukturen, ganz besonders für die Freiberuflichen. Immer wieder spielen in ihren Workshops moralische Verletzungen eine Rolle. Verursacht durch die permanente Unterstellung zu lügen oder gekauft zu sein. Die Traumatherapeutin hält es für fatal, dass die Abwertung journalistischer Arbeit alltäglich geworden ist und registriert, „dass die allgemeine Wut und der Ärger neuerdings schneller bedrohlich werden. Ich erlebe eine Radikalisierung der Methoden. Hemmschwellen sind erkennbar gesunken.“

Fast normal geworden

Während das Interesse der Gesellschaft an dem Thema spürbar nachgelassen hat, müssten dennoch systematisch Hilfsangebote ausgebaut werden. „Angegriffene Journalist:innen brauchen multiprofessionelle Unterstützung“, sagt Engst. Stattdessen sind viele Betroffene auf sich allein gestellt. In ihren Workshops hilft die Psychotherapeutin ihnen dabei, kleine Handlungsspielräume zu nutzen und eigene Grenzen zu setzen. Die Psychologin hat einen Fotografen kennengelernt, der in einem kleinen Ort als einziger über die dortigen Proteste berichtet hat. Der trotz akuter Bedrohungen dachte: Du darfst nicht aufhören. Sonst macht es ja keiner. Der erst lernen musste: Ich darf auch mal aus der Distanz fotografieren oder einen Einsatz auslassen, um überhaupt arbeitsfähig zu bleiben.

„Doch obwohl ihr Dreh-Team den Angreifer gefilmt hatte und der Polizei das Material übergab, stellte die zuständige Staatsanwaltschaft das Verfahren ein.“

„Die vielen Angriffe auf die Presse sind fast schon normal geworden“, warnt RoG. „Wir haben uns daran gewöhnt. Und das ist extrem gefährlich! Denn was als normal erscheint, wird nicht mehr besprochen und behoben.“ Wenn in Sachsen eine Lokaljournalistin als „verhurte Pressefotze“, „Juden-Muschi“ und „Fickschnitzel“ herabgewürdigt und ihr mit Vergewaltigung gedroht wird, folgt darauf kein öffentlicher Aufschrei. Wenn Reporter ohne Grenzen der Berliner Polizei einen Fragenkatalog zu etwaigen Übergriffen durch die Polizei auf die Presse im Jahr 2022 schickt, erhält der Verein trotz mehrfacher Nachfragen wochenlang keine inhaltliche Antwort. So schildert es die RoG-Sprecherin. Wenn sich ein Gericht die Sicht von Pressefeinden zu eigen macht, muss das wie eine Ermutigung wirken. Im thüringischen Fretterode hatten zwei Rechtsextremisten im Jahr 2018 zwei Journalisten nach einer Verfolgungsjagd brutal angegriffen. Dabei schlug einer der Täter dem verhassten Reporter mit einem Schraubenschlüssel den Schädel ein. Pressefeindlichkeit konnte das Landgericht Mühlhausen im vergangenen Jahr in dem überfälligen Prozess aber nicht erkennen, weil die Täter ihre Opfer ja für linke „Zecken“ hielten. Für Empörung sorgte der Justiz-Skandal allenfalls im Journalismus. Eine öffentliche Debatte blieb aus.

Die Folgen all dessen sind nicht sofort spürbar. Im Geschrei auf Twitter fällt kaum auf, wenn besonnene, weibliche und migrantische Stimmen verstummen. Das Bild wird nur ein wenig unschärfer, wenn sich die letzte aufrechte Fotografin aus kleinen Orten zurückzieht, in denen es auf den Straßen rumort. Das Informationsangebot wird zwar dünn und seicht, wenn Reizthemen gemieden werden, um erwartbaren Hass zu vermeiden – aber es verebbt nicht. Die Gesellschaft ist dringend auf journalistische Graswurzelarbeit angewiesen. Weil sie eine unverzichtbare Zutat für demokratische Entscheidungen liefert: unabhängige, allgemein zugängliche Information. Diese gesellschaftliche Basis ist mittlerweile durch systematische Angriffe akut bedroht. Zu vielen in diesem Land ist das egal. Nicht wenige finden das sogar ganz in Ordnung.

Michael Kraske lebt als Journalist und Buchautor in Leipzig. Julia Bernhard ist Illustratorin in Berlin.

Hinweis: An zwei Stellen haben wir im Text Präzisierungen vorgenommen. So hat RoG wochenlang keine inhaltliche Antwort auf eine Anfrage an die Polizei Berlin erhalten. An einer anderen Stelle haben wir indirekte Rede in direkte Rede des Autors gesetzt.

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