"Die Leute brennen für Journalismus – der Konzern brennt eher aus"

"Wir haben die Rundschau geliebt": Yağmur Ekim Çay, Maximilian Arnhold und Jana Ballweber. (Foto:Felix Schmitt)

Ein Streik bei der Frankfurter Rundschau. Kurz darauf müssen drei junge Kolleg:innen gehen. Im Interview mit dem journalist sprechen sie über die mentale Belastung der Kündigung – und was sie über die Branche aussagt. Interview: Annkathrin Weis und Luca Schmitt-Walz, Fotos: Felix Schmitt

01.03.2024

Jana Ballweber, Maximilian Arnhold und Yağmur Ekim Çay waren gar nicht dabei, als die Redaktion der Frankfurter Rundschau streikte. Doch kurz danach wurden sie gekündigt. Ein Warnsignal für die streikende FR-Belegschaft, so scheint es, auch wenn der Verlag wirtschaftliche Gründe nennt. Der Fall sagt viel über Medienvielfalt, die Zukunft von Ippen und den Umgang mit jungen Journalist:innen aus.

journalist/Annkathrin Weis: Am 7. Dezember bekommt ihr von Max Rempel, dem Geschäftsführer der Frankfurter Rundschau, die Info, dass ihr gekündigt werdet. Was passiert im Kopf, wenn man das hört?

Jana Ballweber: Es war nicht überraschend, weil wir gehört hatten, dass nach dem Streik schlimme Dinge passieren werden. Wenn man in der Probezeit ist, macht man sich Gedanken. Bei dem unangenehmen Gespräch selbst versucht man die Fassung zu bewahren. Zuhause klappt das dann nicht mehr.

Maximilian Arnhold: Ich war extrem schockiert. Ich kam erst letzten Sommer zur Rundschau, um einen Klimapodcast aufzubauen. Irrwitzig war, dass die Info kam, bevor mein Gespräch mit Herrn Rempel angefangen hat: Um 15.01 Uhr habe ich mit ihm geredet – um 15.00 Uhr ging aber schon eine Mail raus, in der stand, dass mein Podcast und die FR-Plus-App eingestellt wird. Die halbe Redaktion hatte das bereits gelesen.

Yağmur Ekim Çay: Einerseits hatte ich alles ein bisschen erwartet. In der Redaktion wurde schon darüber spekuliert, dass eine Reaktion der Geschäftsführung auf den Streik kommen wird. Andererseits war es auch für mich überraschend: Es war mein vierter Tag als Redakteurin.

journalist/Luca Schmitt-Walz: Wie ging Herr Rempel in das Gespräch mit dir? Hat er das thematisiert?

Yağmur: Er ist gar nicht darauf eingegangen, dass er mir ein paar Wochen zuvor einen unbefristeten Vertrag angeboten hat. Er hatte sogar mein Volontariat verkürzt. Es hieß, dass die Kolleginnen und Kollegen unsere Stelle brauchen würden, dass wir deswegen gehen müssten. Ich habe angesprochen, wie unerwartet das für mich kommt. Selbst mein Volontariat wäre bis April gegangen. Ihm tue es leid, hat er noch gesagt. Ob das ernst gemeint war, weiß ich nicht. Das alles hat ungefähr zwei Minuten gedauert.

Maxi: Er meinte natürlich, alles habe wirtschaftliche Gründe, die neuen Formate würden sich nicht tragen. Ich habe meinen Podcast gerade mal anderthalb Monate gemacht. Absurd. Aber ich bin ein bisschen stolz, dass ich noch gesagt habe: Herr Rempel, mir ist klar, dass Sie uns über die Klinge springen lassen. Aber seien Sie sicher, wir springen mit Geschrei, Sie werden von uns hören.

Annkathrin: Habt ihr das geschafft? Wie zufrieden seid ihr mit der Aufmerksamkeit?

Jana: Wir haben nicht mit dieser Wucht gerechnet. Es ging los auf Twitter (jetzt X). Das war für uns wie ein Stellenmarkt, und wir brauchten neue Jobs. Wir haben Resonanz erwartet, weil über den Tarifstreit ja auch berichtet wurde. Aber uns hat überrascht, dass es so krass wurde. Vielleicht hat die Branche auf so etwas gewartet, weil es zeigt, was schiefläuft.

Yağmur: Ich glaube, es war auch für die Geschäftsführung ein bisschen unerwartet. Da hat man unterschätzt, was wir drei können. Wir haben unsere Arbeit gut gemacht, weil wir starke Meinungen haben, gute Texte schreiben, vernetzt sind und unseren Job ernst nehmen. Trotzdem war es mein erster Wunsch, einen Job zu finden. Mehr hatte ich von Twitter erstmal nicht erwartet.

„Wir haben die Rundschau geliebt. Wir haben sie als Arbeitsplatz geliebt.“ Jana Ballweber

Jana: Es war wichtig, dass die Rundschau selbst ausführlich berichtet hat. Das fanden viele bemerkenswert. Wir waren dem Chefreporter Pitt von Bebenburg dankbar, dass er das in dieser Deutlichkeit gemacht hat.

Maxi: Wir haben ins Wespennest gestochen. Eine Erklärung für diese riesengroße Solidarität ist vielleicht, dass wir am 7. Dezember nicht sofort an die Öffentlichkeit gegangen sind, sondern erstmal eine Nacht drüber geschlafen haben …

Jana (lacht): … nicht geschlafen haben!

Maxi: Oder; nicht geschlafen haben. Am 8. Dezember haben wir dann früh morgens in einer Whatsapp-Gruppe abgemacht, via Twitter den Schritt in die Öffentlichkeit zu gehen und zusammenzustehen.

Annkathrin: Gab es keine Unsicherheit?

Jana: Yağmur und ich wollten es direkt öffentlich machen. Maxi war der gute Geist, der gesagt hat: Wir schlafen die Nacht drüber. Ich fand das im ersten Moment schade, aber habe dann gemerkt, dass es richtig ist. Wir waren wütend, traurig, aufgebracht.

Jana: Unsicherheit war bei mir nicht da, weil wir zu dritt waren. Ich glaube, das ist ein ganz, ganz wichtiger Faktor. Wenn einem so was alleine passiert, dann ist das anders. Es gab zwar eine riesige Solidarität von Kolleginnen und Kollegen, aber wir haben ja auch einen Shitstorm kassiert. Mein Tweet hatte 300 Kommentare, viele haben gesagt: Du bist selbst schuld, du hast in der Probezeit gestreikt.

Maxi: Was wir im Übrigen alle drei nicht haben – eben weil wir in der Probezeit waren.

Luca: Da kommt einiges zusammen: Zuspruch, Shitstorms – auch Rechtsstreitigkeiten?

Yağmur: Auf jeden Fall. Ich bin immer noch sehr überfordert.

Inwiefern?

Yağmur: Für mich ist unklar, was mit meinem Aufenthaltsstatus passiert. Ich weiß nicht mehr, was ich mit meinem Leben machen soll. Aber klar, die Solidarität ist schön und hat mir viel Mut gemacht. Als wir die Kündigung öffentlich gemacht haben, habe ich bestimmt 100 Anrufe bekommen.

Jana: Ich hatte elf Stunden Bildschirmzeit am ersten Tag.

Luca: Von außen hatte man den Eindruck, als hätte der Chefredakteur Thomas Kaspar mit der ganzen Sache gar nichts zu tun. Er schreibt auf X, diese Entwicklung sei eine „Katastrophe“. Für uns passt das nicht richtig zusammen. Wie habt ihr das wahrgenommen?

(Alle schweigen)

Jana: Ich glaube, diese Pause muss man mal stehen lassen.

(Alle lächeln kurz)

Jana: Ich habe bis heute nichts gehört von der Chefredaktion. Keiner hat Kontakt aufgenommen. Zwei Tage vor unserer Kündigung wurde Kaspars Wechsel zu Ippen kommuniziert. Für mich ist es generell vom Führungspersonal eine Enttäuschung. Ich hatte diese zwei Sweethearts immer dabei, die mich aufgebaut haben (lächelt Yağmur und Maxi an). Aber es hätte mir geholfen, von bestimmten Leuten etwas zu hören. Vor allem von denen, die sich in der Rolle des Förderers gefallen haben. Das ist symptomatisch für die Branche: Dass die eigentliche Personenführung von vielen Chefs nicht als Teil ihrer Aufgabe wahrgenommen wird.

Yağmur: Ich bin menschlich enttäuscht von ein paar Leuten. Auch von der Chefredaktion. Ich habe den Eindruck, dass sie sich nicht wirklich verantwortlich fühlen wollten. Vielleicht haben sie gehofft, dass wir schnell Jobs finden und sie sich nicht so viele Sorgen machen müssten. Klar, wir sind gute Journalisten, aber so schnell geht es doch nicht. Ich hätte mal einen Anruf erwartet mit der Frage, wie es uns geht. Wir drei haben sehr viel gemacht für den Laden. Vielleicht haben sie gedacht, dass wir es wegen des Streiks verdient haben, selbst schuld sind?

Maxi: Aber wir haben ja nicht mal gestreikt.

„Wir waren alle drei gerade erst an einem Punkt, wo man richtig loslegen wollte und konnte.“ Maxi Arnhold

Yağmur: Ich war auf der Demo. Aber ich hatte an dem Tag frei, also habe ich nicht gestreikt. Bei Jana und mir war von Anfang an klar, dass wir keinen Vertrag bekommen sollten, solange gestreikt wird. Nach monatelangem Hin und Her hieß es, wir werden eingestellt, weil man davon ausging, dass die Belegschaft zum Start des Vertrags nicht mehr streiken wird. Ich glaube, manch einer in der Führungsetage dachte, dass die Belegschaft die Stellenkürzung verdient, weil sie den Tarifkonflikt mit dem Streik „eskaliert“ hat. Auch wenn ich mich frage, wieso man einen Streik als Eskalation sieht.

Jana: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Diese Tarifbewegung ist in einer Zeit entstanden, in der es seit Jahren keine Gehaltserhöhungen mehr gab. Zu Beginn meines Volos lag das Einstiegsgehalt der Redakteur:innen bei 3.000 Euro. Das ist das Gehalt von vor zehn Jahren. Heute herrscht Krieg in der Ukraine, Inflation und so weiter. Im Zuge des Tarifkonflikts wurde es ein bisschen erhöht. Aber eine Forderung nach einem Tarifvertrag ist kein Luftschloss.

Annkathrin: Verstehe ich das richtig: Es gab keine Kontaktaufnahme von jemandem aus der Führungsebene? Da war niemand, der für euch gekämpft hat, zumindest soweit ihr das wisst?

Maxi: Der stellvertretende Chefredakteur, Michael Bayer, hat sich sofort persönlich bei mir gemeldet. Ich habe auch eine nette Twitter-Nachricht vom Chefredakteur bekommen.

Jana: Ich glaube schon, dass sie für uns gekämpft haben. Es gab ja Gründe, warum die Chefredaktion Maxi geholt und sich für unsere frühzeitige Übernahme aus dem Volo eingesetzt hat. Ich weiß auch, dass es eine Initiative der Ressortleiter:innen gab, um unsere Kündigungen noch am selben Tag abzuwenden.

Yağmur: Ich hatte kurz nach meinem Kündigungsgespräch noch eine Unterhaltung. Ich war sehr schockiert, deshalb weiß ich nicht mehr genau, worüber wir geredet haben. Seitdem habe ich nichts mehr gehört. Aber ich habe ihnen gesagt, dass es wegen der Kündigung zum Ende des Dezembers mit meiner Aufenthaltserlaubnis schwierig wird. Da hätte ich in den letzten Wochen erwartet, dass man fragt, ob man mich unterstützen kann.

Luca: Das ist überraschend zu hören. Auf Twitter und Co. wirkte das anders.

Maxi: Es ist eine Sache, öffentlich eine katastrophale Entwicklung zu bemängeln. Als leitende Führungskraft im Ippen-Kosmos bist du aber Teil dieser Entwicklung und kannst Einfluss nehmen.

Annkathrin: Ihr seid drei junge Expert:innen: Jana ist Netzjournalistin, Maxi hat Expertise im Klimajournalismus und Yağmur in investigativer und anti-rassistischer Berichterstattung. Eigentlich starke, zukunftsträchtige Themengebiete, die euch trotzdem nicht vor der Kündigung schützen konnten. Habt ihr noch Lust, in der Branche zu arbeiten?

Jana: Wir sind traurig über die verlorene Gelegenheit. Wir haben an die Rundschau geglaubt. Bei der Übernahme nach dem verkürzten Volontariat hat man mir gesagt, Netzpolitik wird das dritte große Standbein, das wir mit dir aufziehen, du koordinierst das. Damit haben sie mich überzeugt zu bleiben. Ich dachte mir: Geil, das ist der Traum, und das schon an so einem frühen Punkt in der Karriere.

Yağmur: Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich noch Journalismus machen will. Natürlich brenne ich dafür. Aber ich bin jetzt fast 30 Jahre alt, ich versuche es seit zehn Jahren und es klappt nicht. Vor dem FR-Volontariat wollte ich schonmal aufgeben. Als Migrantin habe ich oft Absagen bekommen, weil Deutsch nicht meine Muttersprache ist. Die FR war eine Chance, für die ich dankbar war. Ich habe mich in der Redaktion immer unterstützt gefühlt. Ich dachte, jetzt muss ich zeigen, was ich kann, deswegen habe ich sehr, sehr viel gearbeitet. Jana hat mir oft gesagt …

Jana: … geh nicht samstags in die Redaktion und schreib Texte.

„Nur vier Tage diese Stelle auszuüben, für die ich in den letzten zehn Jahren sehr hart gearbeitet habe, das hat was mit mir gemacht.“ Yağmur Ekim Çay

Yağmur: Es war für mich so eine Art letzte Möglichkeit, zu zeigen, dass ich es kann. Ich wollte auch andere davon überzeugen, dass Journalismus als Migrantin klappt. Nur vier Tage diese Stelle auszuüben, für die ich in den letzten zehn Jahren sehr hart gearbeitet habe, das hat was mit mir gemacht. Ich habe viele Nachrichten bekommen: Du warst unser Vorbild, du hast wichtige Themen gemacht und es „geschafft“. Fälle wie dieser sind der Grund, warum migrantisierte Menschen keinen Journalismus machen wollen. Die FR war stolz darauf, stolz auf die Chefredaktion, dass sie mich geholt hat. Ich konnte meine Perspektiven einbringen. Davon hat die Zeitung profitiert. Das Problem ist: Man kann Journalismus nicht divers machen, in dem man ein, zwei migrantische Menschen holt. Man muss sich auch darum kümmern, welche Bedürfnisse, welche finanzielle Basis oder Staatsangehörigkeit sie haben. Ich glaube, das war ihnen egal. Mir wurde bei der Kündigung keine Zeit gegeben, um rechtliche Fragen mit der Ausländerbehörde zu klären. Es war egal, was mit mir passiert.

(Maxi nimmt Yağmurs Hand, drückt sie.)

Yağmur: Ich frage mich langsam, ob ich einen anderen Job machen soll, in dem ich diese Sorgen nicht habe. Ich bin kurz davor, aufzugeben. Auch wenn mir Leute sagen, ich soll nicht.

Maxi: Wir beide sagen das. Aber wenn du immer wieder auf die Klappe fliegst, hast du halt keine Lust mehr. Bei mir ist es etwas anders, meine Bindung zur Stadt Frankfurt und zur Rundschau war nicht so stark, weil ich erst im Sommer kam. Ich bin jetzt wieder in Hannover, meiner Heimat. Dort habe ich mein Umfeld. Ich habe jetzt schon zweimal die Erfahrung gemacht, dass Klimaformate abgesetzt werden. Bei meinem früheren Arbeitgeber wurde ein Instagramformat gelöscht, das kann ich nicht mal mehr vorweisen. Ich bin voller Hoffnung hierhergekommen, weil die Leute hier für den Journalismus brennen. Aber Ippen, der Mutterkonzern in München, brennt dich eher aus. Meine kurze Antwort ist: Ja, ich will Journalismus weitermachen. Auch Klimajournalismus. Ich weiß, dass es gebraucht wird. Aber es ist ermüdend.

Yağmur: Ohja.

Luca: Hattet ihr Hoffnung, dass ihr etwas bewegen könnt?

Maxi: Ich hatte die Hoffnung, dass wir Missstände in der Branche aufzeigen können: niedrige Gehälter, Stellenabbau, dass immer mehr Verlage zusammengelegt werden. Und die Bedingungen für die jungen Leute, die an Zukunftsthemen arbeiten.

Luca: Ihr habt erlebt, was viele junge Kolleg:innen in der Branche erfahren. Wie hat die Redaktion darauf reagiert?

Maxi: Wir haben viele Nachrichten von anderen aus dem Verlag bekommen. Die haben gesagt: Ja, wir fühlen euch, wir hören euch, wir leiden auch darunter.

Jana: In der Redaktion gab es große Solidarität. Aber auch Ratlosigkeit. Viele haben gesagt: Das ist der schlimmste Tag der Rundschau seit der Insolvenz. Leute haben uns unter Tränen Sprachnachrichten geschickt oder angerufen. Der Kontakt ist immer noch relativ eng mit vielen Menschen.

Maxi: Die taz hat treffend getitelt: „Drei treffen, alle meinen”.

Jana: Für mich ist klar, dass das eine Reaktion auf den Streik war, auch wenn die Führungsetage wohl aus rechtlichen Gründen etwas anderes sagt. Ein Versuch, die Redaktion einzuschüchtern. Die Leute haben das von Anfang an so empfunden.

Yağmur: Das war auch ein Zeichen dafür, dass diese Geschäftsführung für die FR als Printprodukt keine Zukunft sieht. Das ist für viele ziemlich krass.

Jana: Natürlich sind viel mehr Leute betroffen: Mit FR-Plus wurde ein Ressort aufgelöst, eine App faktisch gekillt, Werkstudis und eine freie Mitarbeiterin haben plötzlich keinen Job mehr.

Maxi: Dieser Laden hat keine Zukunft. Das schmerzt brutal. Wir gehen davon aus, dass viele Leute längst am Suchen sind.

Annkathrin: Das wäre verständlich. Das Signal ist: Es ist egal, wie alt man ist, egal, wie relevant die Themen sind, es ist sogar egal, ob der Aufenthaltsstatus an den Job geknüpft ist. Nichts schützt vor einer Kündigung.

Jana: Das zeigt doch, wie Ippen sich die Frankfurter Rundschau vorstellt. Die Rundschau ist dort die einzige überregionale Zeitung, die deutschlandweit erscheint. Sie haben sonst nur Regionalzeitungen. Die Rundschau passt nicht ins Portfolio. Jetzt wird an Qualität und Personal gespart, dass gerade noch so eine Zeitung gemacht werden kann. Meine Erwartung ist: Wenn die kein Geld mehr bringt, wird die Rundschau eingestampft. Das ist bei anderen Ippen-Zeitungen schon vor Jahren passiert. Da wurde mit eisernen Besen durchgekehrt. Wie viele Regionen keine Lokalzeitungen mehr hätten, wenn das so weitergeht. Der Markt bricht gerade zusammen und es gibt keine Strategie, das Ganze mit Qualität in Online zu überführen.

Maxi: Wenn man bedenkt, dass die Rundschau von den Achtundsechzigern kommt, deren Leitmedium war.

Annkathrin: Ihr alter Ruf als linke, progressive Zeitung.

Maxi: Der ist zerstört. Natürlich gab es schon vorher Schwierigkeiten, die Insolvenz und so weiter. Der Haupteigentümer ist Multimillionär, er hätte doch wohl das Geld, um seinen Medienschaffenden gerechte Gehälter zu zahlen. Stattdessen sägt er eine Zeitung ab, die stark recherchiert, die weltoffen und tolerant ist. Das passiert in einer Zeit, in der hunderttausende Menschen nach einer Correctiv-Recherche gegen Rassismus auf die Straßen gehen. Wenn du das tust, hast du doch etwas fundamental nicht verstanden.

Yağmur: Ja, das macht mir auch Sorgen. Im Oktober wurde die AfD zweitstärkste Partei in Hessen und Ippen baut seit Jahren im Rhein-Main-Ressort Stellen ab. Es ist ein großer Verlust für Hessen, auch, weil die Kolleginnen und Kollegen dort sich sehr intensiv mit Themen wie Migration, Rassismus und Rechtsextremismus beschäftigen. Ich habe selbst immer wieder über den Anschlag in Hanau geschrieben.

Jana: Ich glaube, man merkt diese Einschnitte der Zeitung noch nicht an. Einfach weil die Leute sich krass selbst ausbeuten. Wir haben die Rundschau geliebt. Wir haben sie als Arbeitsplatz geliebt. Wir haben uns damit identifiziert und so geht es wahnsinnig vielen Leuten. Sie opfern sich weiter auf – aber irgendwann wird man es merken.

Annkathrin: Auch wenn noch vieles in Bewegung ist: Wo steht ihr gerade mit der FR? Ihr habt erwähnt, dass der Verdacht auf rechtliche relevante Vorgänge im Raum steht.

Jana: Ich habe mich genau wie Yağmur außergerichtlich geeinigt. Das ist noch sehr frisch, aber es geht um drei Monatsgehälter, die wir bekommen. Ich bin damit zufrieden, es verschafft mir einen Puffer, bis neue Jobs losgehen und wir haben so noch eine Krankenversicherung. Dass sie sich auf den Vergleich eingelassen haben, zeigt für mich, dass die Kündigung juristisch nicht haltbar gewesen wäre. Wir waren schon länger als sechs Monate da, hatten eine Kündigungsfrist und so weiter. Es liegt nah, dass es einen Zusammenhang zum Streik gibt, aber es ist schwer zu belegen. Ich habe mich deshalb entschieden, dass sich der Kampf vor Gericht nicht lohnt. Mir war es wichtiger, in die Zukunft zu schauen und das Kapitel abzuschließen.

Yağmur: Bei mir war es genauso. Eigentlich wollte ich die Klage durchziehen, wenn auch nur aus „politischen“ Gründen. Ich komme aus der Türkei, meine Eltern sind beide Gewerkschaftler. Sogar für die war es unfassbar, dass in Deutschland so etwas passieren kann. Aber manchmal muss man aufgeben. Ich hatte kurz nach meiner Kündigung einen schweren Unfall, auch deswegen wollte ich mit der Geschichte abschließen und mich auf meine Gesundheit konzentrieren.

Maxi: Ich habe mich noch früher außergerichtlich geeinigt. Für mich war es die richtige Entscheidung. Ich empfinde es auch nicht als ein Aufgeben. Im Gegenteil: Wir haben klar aufgezeigt, wo die Grenze dessen liegt, was man mit uns machen kann.

Annkathrin: Wie geht es euch emotional?

Jana: Die Zeit hat Spuren hinterlassen: Bewerbungen für neue Jobs, die Klage, dann der Behördenkram, das Arbeitsamt und die Krankenkasse. Ich habe immer noch nicht alles realisiert. Aber ich bin auf dem aufsteigenden Ast.

Maxi: Das unterschreibe ich. Nach der extremen Stressphase bin ich gerade recht zuversichtlich. Ich kann mir aber nicht vorstellen, in nächster Zeit in eine Redaktion zu gehen. Da habe ich keinen Nerv für. Ich mache mich selbstständig.

Yağmur: Für mich ist es anders. Ich bin dankbar, dass viele Menschen mich unterstützen und dafür kämpfen, dass ich im Journalismus bleibe. Aber im Moment sind noch zu viele Fragen offen, zum Beispiel mein Aufenthaltsstatus. Solange der nicht geklärt ist, kann ich nicht sagen, dass es mir gut geht.

Annkathrin: Manche denken, jetzt habt ihr Reichweite und seid begehrt. Um Christian Lindner zu zitieren: War die Kündigung eine dornige Chance?

Yağmur: Klar, viele haben unsere Namen gehört. Ich habe meinen Job aber nicht gemacht, um berühmt zu werden, sondern weil mir bestimmte Perspektiven wichtig sind. Bisher hab ich noch kein krasses Jobangebot bekommen. Jemand hat mir ein Praktikum angeboten, was mir nochmal gezeigt hat, dass unsere Branche kaputt ist. Ich hätte lieber meinen alten Job behalten.

Jana: Für uns alle waren das Traumjobs. Wir hatten viele Freiheiten, uns wurde was zugetraut und es gab wahnsinnig tolle Kolleginnen und Kollegen. Mit unseren Berichten wollten wir etwas bewirken. Die Rundschau wäre ein guter Ort dafür gewesen.

Maxi: Ich stimme Christian Lindner selten zu. Auch in dieser Frage nicht. Als ich kurz nach der Kündigung auf dem Klimagipfel in Dubai war, stand auf meinem Namensschild natürlich „Frankfurter Rundschau“. Und ungefähr jeder zweite hat gefragt: Oh, hast du mitbekommen, was bei denen passiert ist? Ja, danke. Das bin ich.

(Alle lachen)

Natürlich kenne ich jetzt einige Leute mehr und vielleicht habe ich ein paar mehr Follower auf Instagram. Aber es war auch die intensivste und anstrengendste Zeit, die ich im Journalismus je hatte. In der Rückbetrachtung fällt mir auf: Wir waren alle drei gerade erst an einem Punkt, wo man richtig loslegen wollte und konnte.

Yağmur: Wir wurden einfach ausgebremst. Ich hatte mir viele Recherchen vorgenommen. Jetzt mache ich seit zwei Monaten gar nichts mehr. Ich weiß nicht, wann ich wieder arbeiten kann, wann ich wieder Energie dafür habe. Es fühlt sich im Journalismus öfter so an, als wird man vergessen.

Maxi: Genau. Wir haben viel Aufmerksamkeit, es gab Berichte und jetzt dieses Interview. Aber wenn ich ein halbes Jahr lang nichts veröffentliche, weil mich Versagens- oder Existenzängste umtreiben, erinnert sich niemand daran, dass wir die drei von der Rundschau waren.

Yağmur: Ich wäre lieber durch meine Texte bekannt als durch meine Kündigung. Sie sagt nichts über mich oder meine Arbeit aus.

Die FR und der Streik

1. Dezember 2023
Nach monatelangem Tarifkonflikt streiken große Teile der Belegschaft bei der Frankfurt Rundschau. Jana Ballweber, Maxi Arnhold und Yağmur Ekim Çay sind nicht darunter.

4. Dezember 2023
Çay beginnt als letzte der drei ihren Job als Redakteurin bei der FR. Ihr Volo wurde dafür verkürzt. Ballweber trat einen Monat früher ihre Stelle an, ebenfalls nach Verkürzung des Volontariats. Arnhold kam schon im Sommer.

7. Dezember 2023
Ballweber, Arnhold und Çay werden von Geschäftsführer Max Rempel jeweils zu kurzen Gesprächen gebeten. Alle drei sind noch in der Probezeit und erhalten ihre Kündigung zum Monatsende.

8. Dezember 2023
Am Vormittag machen sie ihre Kündigung auf ihren jeweiligen Social-Media-Kanälen bekannt. Eine Welle der Berichterstattung bricht los.

9. Dezember 2023
Die Frankfurter Rundschau berichtet in eigener Sache über die „Einschnitte bei der FR“. Darin weist Geschäftsführer Rempel einen Zusammenhang mit dem Streik zurück und erklärt die Kündigungen stattdessen mit „betriebswirtschaftlichen Gründen“.

Annkathrin Weis und Luca Schmitt-Walz arbeiten als freie Journalisten und sind Hosts des journalist-Podcast Druckausgleich. In der neuen Folge gibt es noch mehr von Yağmur, Jana und Maxi -> hier hören. Felix Schmitt ist Fotograf in Frankfurt.