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Der Geschichtenerzähler
Sein Berufswunsch seit der Grundschule: Schriftsteller werden. Jetzt ist Manuel Stark Journalist. (Foto: Rafael Heygster)
Manuel Stark macht nichts lieber, als Storys aus der echten Welt zu erzählen. Dennoch fühlt sich der Zeit-Redakteur und freie Journalist oft fehl am Platz – da helfen auch Auszeichnungen und Journalistenpreise nichts. Seine gelegentliche Verunsicherung speist sich aus seinem Hintergrund als Arbeiterkind und der irrationalen Angst davor, "entlarvt" zu werden. Von Celine Schäfer.
26.04.2022
Eigentlich wollte Manuel Stark gar nicht Journalist werden. Aufgewachsen in einem fränkischen Dorf, kannte er nur die dortige Lokalzeitung – und darin fand er meist nur kurze, sterile Berichte über das Geschehen in der Provinz. "Total wichtig, aber eben nicht das, was ich machen wollte", sagt Stark heute. Schreiben wollte er, aber ganz anders als die Lokaljournalisten: Seine Geschichten sollten sich über viele Seiten erstrecken, von Personen und Orten handeln, die ihn faszinieren, und damals am liebsten noch mit pathosgeladenen Phrasen und Metaphern erzählt werden. Kurzum: Stark wollte Schriftsteller werden, das stand für ihn schon in der Grundschule fest.
Es kam anders für den heute 29-Jährigen. Für sein Studium der Kommunikationswissenschaften und Philosophie an der Universität Bamberg musste er ein journalistisches Praktikum absolvieren, und das machte er ausgerechnet beim Fränkischen Tag, der Lokalzeitung, in der er sich als Kind so gar nicht gesehen hatte. So ist Stark dann doch in den Journalismus hineingestolpert. Beim Obermain-Tagblatt, für das er neben dem Studium geschrieben hat, fand er einen Förderer in Till Mayer. Der war nicht nur Lokaljournalist, sondern schrieb auch als freier Kriegsreporter für überregionale Medien genau die Geschichten, die Stark schon damals reizten: lange Reportagen, die den Leser abholen und mit den Protagonisten der Texte zusammenführen.
Impostor-Syndrom
Heute ist Manuel Stark in diesem Genre einer der erfolgreichsten Jungjournalisten in Deutschland. Nach seiner Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München, die er 2018 abgeschlossen und für die er sein Studium abgebrochen hat, vertiefte er an der Reportageschule Reutlingen seine Fähigkeiten im erzählenden Journalismus. Seine Themen haben es in sich: Erst schrieb er über Palliativmedizin, Sterbebegleitung und Hospizarbeit, dann spezialisierte er sich auf Biodiversität und nachhaltige Agrar-, Forst- und Aquaindustrie. Stark fing an, für alle möglichen großen Zeitungen zu schreiben, zum Beispiel für die Zeit, das Süddeutsche Zeitung Magazin, den Spiegel – und erhielt für seine Arbeiten unter anderem den Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wissenschaftsjournalismus, den Helmut-Stegmann-Preis und den Coburger Medienpreis ein. Stark gehört zum Gründungsteam des neuen Zeit-Ressorts Green und ist dort Teilzeit-Redakteur, er arbeitet aber auch weiterhin als freier Journalist.
Es gibt also genügend Nachweise für seine Leistungen. Nicht, dass danach überhaupt jemand suchen würde – außer er selbst. Im Februar setzte er folgenden Tweet ab: "Warum seid ihr auf #Twitter? Geständnis: Weil mir das Vertrauen fehlt, meine Arbeit zu machen, ohne für sie zu brüllen. Habe die @DJSde besucht, #Journalismus-Preise gewonnen. Und habe noch immer Angst, entlarvt zu werden – als der Hochstapler-Trottel, der eigentlich gar nix kann." Diese Angst, die man dem Impostor-Syndrom zuschreiben kann, zieht sich durch Starks gesamte journalistische Laufbahn. "In den ersten Monaten während meiner Ausbildung an der DJS habe ich ständig geträumt, dass mir entweder mein Abitur aberkannt wird oder es im Bewerbungsverfahren einen Fehler gab", sagt Stark. "Beide Träume endeten damit, dass ich die Schule sofort verlassen musste."
Rational weiß er, dass das alles nicht passieren wird – die Journalistenpreise und das Feedback der Redaktionen, mit denen er zusammenarbeitet, geben seinem Erfolg recht. Aber die Angst, doch nicht gut genug zu sein oder etwas falsch zu machen, sitzt tief und wurzelt unter anderem in seiner Herkunft aus einer Arbeiterfamilie. Wie vielen anderen Arbeiterkindern fällt es ihm oft immer noch schwer, sich in einer akademischen Blase wie dem Journalismus zu akklimatisieren. "Wir wissen ja aus Studien, dass man beim Gegenüber am besten ankommt, wenn man dieselben Codes benutzt – also sich ähnlich ausdrückt, dieselben Bücher gelesen hat, dieselben Filme kennt", sagt er. Das sei auch seine Erfahrung im journalistischen System: "Ein Themenpitch, bei dem man sich an den Kunden sprachlich anpasst, kommt besser an als der, in dem man das nicht tut", sagt er. "Und das, obwohl beide Pitches dieselben Informationen enthalten."
"Ich habe noch immer Angst, entlarvt zu werden – als der Hochstapler-Trottel, der eigentlich gar nix kann."
Eigentlich findet Stark dieses System katastrophal. Aber er hat gelernt, sich anzupassen – vor allem, weil er es musste. "Ich kann mittlerweile laut und selbstbewusst sein", sagt er. Der junge Journalist will seine Position deshalb nutzen und diejenigen bestärken, die noch nicht dort stehen. Er unterstützt als Mentor junge Autorinnen in ihrer journalistischen Entwicklung. "Ich möchte Leuten Brücken bauen und Türen öffnen", sagt er. "Denn es gibt so viele junge Journalistinnen und Journalisten, die nicht ständig laut schreien, aber hervorragende Arbeit machen."
Sich mit Kollegen, Kommilitonen und Mitschülern vernetzen, einander unterstützen und so seine Stärken, aber auch die der anderen fördern und einfach zusammen Freude an der Arbeit zu haben – das ist für Stark ein Mittel, mit dem Druck von außen und von sich selbst umzugehen. Es gab Zeiten, besonders vor seinem Jahr an der Reutlinger Reportageschule, da ging es ihm nicht gut. Er bekam keine Zeile mehr zu Papier und starrte stundenlang den blinkenden Cursor auf der leeren Word-Seite an. Der Spaß am und die Leidenschaft für das Geschichtenerzählen waren ihm fast verlorengegangen. Die Reportageschule, die Stark unter der Leitung von Zeitenspiegel liebevoll als "Waldorfschule unter den Journalistenschulen" bezeichnet und auf der er in den ersten Wochen mit seiner Klasse wandern und Äpfel pflücken ging, war für ihn genau die Auszeit, die er brauchte – quasi das journalistische Pendant zum Australientrip nach dem Abi, nur eben in der schwäbischen Provinz und mit jeder Menge Schreibkurse.
Ausgerechnet im Jahr 2018, als Stark die Reportageschule besuchte, um den Druck rauszunehmen und an seinem Erzählstil zu feilen, erschütterte der Skandal um Claas Relotius die Branche. Erzähljournalismus, wie er Stark schon immer begeistert hatte, stand auf dem Prüfstand. "Mich hat das erst mal total schockiert", erinnert er sich. Stark war durchaus Fan von Relotius’ Schreibstil, er mochte die großen Bilder, die übertragene Stimmung. "Gleichzeitig hat mich der Fall dazu gezwungen, mich intensiv mit dem Erzählen auseinanderzusetzen und mich zu fragen, wie ich so auf Relotius reinfallen konnte", sagt Stark. Dadurch habe er sich auch entwickelt – und für sich beschlossen, immer den Protagonisten die Bühne zu überlassen und die Fakten sprechen zu lassen, statt sich etwa bei einem Vor-Ort-Termin nur die eigene These bestätigen zu lassen.
Uns gegenseitig besser machen
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf ließ sich Stark an der Reportageschule ausbilden. Dort lernte er Gabriel Proedl kennen. Und Alexander Rupflin, der sich zu Anfang seiner journalistischen Laufbahn ähnlich unsicher fühlte wie Stark. "Irgendwann hat mich Alexander gefragt, ob wir nicht gemeinsam etwas gründen wollen", erinnert er sich. "Ich hatte schon während meiner Zeit an der DJS mit einem Kommilitonen darüber gesprochen, den wir ins Boot holten." Es kamen zwei weitere Jungjournalisten hinzu, und gemeinsam gründeten sie Hermes Baby, zunächst ein Kollektiv für Erzähljournalismus, benannt nach einer tragbaren Schreibmaschine. Heute sind sie zu siebt, verstreut in ganz Deutschland, und finden sich mindestens einmal pro Woche digital zusammen, um ihre Texte oder Podcasts durchzusprechen. Manchmal geht es auch um Projekte von anderen Journalisten, die die Sparte des Erzähljournalismus bedienen.
"Wir wollen miteinander handwerklich besser werden und uns gegenseitig helfen, möglichst unabhängig von einzelnen Redaktionen zu sein", sagt Stark. Oft entwickeln sie dabei gemeinsam Themen, die sie dann ihren Kunden pitchen. "Die Erfolgsquote bei den Pitches ist durch Hermes Baby bei jedem von uns wahnsinnig gestiegen – einfach, weil jeder meiner Kollegen eine andere Sicht auf Themen mitbringt und man so neue Horizonte entdeckt", erklärt Stark. Das bringt nicht nur Spaß und mehr Vertrauen in die eigene Arbeit, sondern auch finanzielle Vorteile: Weil viele Redaktionen das Kollektiv so schätzen, können Stark und seine Kollegen oft wesentlich höhere Honorare verlangen, als es im krisengeplagten freien Journalismus üblich ist.
Stark wäre wohl nicht er selbst, wenn ihm nicht auch dieser eigentlich glückliche Umstand zu denken geben würde. "Unser Ziel ist es natürlich, als Gruppe selbstbewusster aufzutreten und einander zu empowern", sagt er. "Aber wer sagt, dass er selbst exzellente Arbeit macht, sagt ja mindestens implizit auch, dass er besser ist als die anderen."
"Es gibt so viele junge Journalistinnen und Journalisten, die nicht ständig laut schreien, aber hervorragende Arbeit machen."
Aus Starks Sicht befeuert er damit auch die "Fressen und gefressen werden"-Dynamik, die ihm eigentlich missfällt und die an seinem Selbstbewusstsein kratzt. "Ich weiß noch nicht, wie ich diese Ambivalenz brechen kann", sagt er. Ein Lösungsansatz: Hermes Baby vergibt Fortbildungsstipendien an junge Autoren, die ein Jahr lang bei den Text-Kritiken und Themen-Runden dabei sein dürfen, außerdem bekommen sie eines der Mitglieder als Mentor zur Seite gestellt. Voraussetzung: Leidenschaft fürs Erzählen, Zeit für freies Arbeiten und ein paar Arbeitsproben, ob publiziert oder unveröffentlicht spielt erst mal keine Rolle.
Nah an den Menschen
Für Stark selbst steht nun das nächste Projekt an: das Zeit-Green-Ressort. Green erscheint seit September 2021 alle vier Wochen in der gedruckten Wochenzeitung und dauerhaft als Ressort bei Zeit Online. Es will Lösungen aufzeigen, wie die Klimawende zu schaffen sein kann. Es sollen Erfinder und Gründer, Selbstversorger und Aktivisten vorgestellt werden, die Texte tragen Titel wie "Die heimlichen Energiefresser" oder "Retten meine Coins das Klima?" Stark ist Teil des Gründungsteams, er wurde von der stellvertretenden Zeit-Online-Chefredakteurin Leonie Seifert eingekauft, um die Rubrik von Anfang an mitzugestalten.
Was Stark dort nun genau tun, wie er sich einbringen soll, dürfte klar sein: Er soll erzählen. Nah am Menschen, um die Ecke gedacht, kreativ. Ein Beispiel: der Text "Wie grüne Gentechnik dem Getreideanbau helfen könnte". Darin versucht Stark, durch einen Szenario-Text – eine echte Reportage, gegengeschnitten mit Studien und Fakten – dem Leser näherzubringen, was passieren könnte, wenn ein mutierendes Virus einen Großteil des Getreides zerstört und wie die Genschere Crispr dem entgegenwirken könnte.
In einem anderen Text, den er betreut hat, geht es um ein Repair-Café und dessen Betreiber, der sich gegen Wegwerf-Konsum einsetzt. Dieser Text stammt aus der Feder von Anna Scheld. Sie hat genau wie Manuel Stark in Bamberg studiert, besucht jetzt auch die Reportageschule – und ist Starks Mentee. "Party macht nur gemeinsam Spaß", heißt es bei Hermes Baby.
Celine Schäfer ist Redakteurin in der Kölner Wirtschaftsredaktion Wortwert.