"Als Wissenschaftlerin komme ich mit Hass gut klar"

Mai Thi Nguyen-Kim: "Bevor ich mich ins Rampenlicht stelle, sorge ich dafür, das Vorzutragende bestmöglich zu beherrschen." (Foto: ZDF / Ben Knabe)

Mai Thi Nguyen-Kim ist Deutschlands bekannteste Wissenschaftsjournalistin. Im journalist-Interview erklärt sie, wie man das Publikum für Wissenschaft begeistert – und warum sie Lottozahlen in der tagesschau falsch findet. Interview: Jan Freitag

03.04.2024

Das Format maiLab machte Mai Thi Nguyen-Kim 2016 bekannt, das Video „Corona ist noch lange nicht vorbei“ vier Jahre später berühmt. Beim ZDF moderiert sie Terra-X und Maithink X. Kürzlich täuschte sie vor, in die Politik gehen zu wollen – ein Experiment, wie sie später erklärte. Im Interview spricht sie darüber, warum eine Wissenschaftsjournalistin manchmal laut sein muss, damit das Publikum zuhört.

journalist: Mai Thi Nguyen-Kim, Sie haben bei Instagram erklärt, wie man Milch und Cornflakes mischt, damit sie knusprig bleiben.

Mai Thi Nguyen-Kim: Erst die Milch, dann die Cornflakes. Nicht umgekehrt, wie es die meisten wohl machen.

Das ist also das Spektrum, in dem sich die Wissenschaftsjournalistin Nguyen-Kim bewegt!

(lacht) Das ist meine Range, genau.

Und damit das Gegenteil dessen, was Wissenschaftsjournalismus ausgemacht hat, als ältere Herren im Cord-Sakko Wissen nüchtern verabreicht haben.

Von welcher Zeit genau sprechen Sie denn da?

Anfang der 90er. Dann kamen die Privatsender und Popkultur wurde wichtiger. Das strahlte auch auf den Wissenschaftsjournalismus aus. War das ein evolutionärer Prozess?

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind auch nur Menschen. Ich habe schon vor zehn Jahren mit den ersten Youtube-Videos versucht, ich selbst zu sein, bei aller wissenschaftlichen Sachlichkeit. Mir fällt kein rationaler Grund ein, warum ich mich als Wissenschaftlerin von Spaß oder Humor fernhalten sollte.

Im Elfenbeinturm früherer Tage gab es den Anspruch, wissenschaftliche Expertise nicht unter zu viel Leichtigkeit zu begraben.

Womöglich. Wobei ich diesen Drang zur akademischen Ernsthaftigkeit schon deshalb schade finde, weil er schnell etwas Dogmatisches ausstrahlt. Das Missverständnis, Naturwissenschaft sei etwas unfassbar Kompliziertes, das nur weltfremde Freaks verstehen, trägt Mitverantwortung dafür, dass die Allgemeinbildung in Deutschland diesbezüglich nicht groß ist. Natürlich ist ein naturwissenschaftliches Studium extrem anspruchsvoll. Aber die Basics kann man ohne Master ganz gut verstehen, sofern sie verständlich vermittelt werden. Naturwissenschaften haben ein Vermittlungs-, und kein Verständnisproblem.

Darf Wissenschaftsjournalismus dennoch didaktisch sein?

Wissenschaftsjournalismus muss sogar didaktisch sein – sofern er Forschungsergebnisse vermittelt. Ich finde es aber spannender, die Methoden deutlich zu machen, also woher die Fachleute ihre Ergebnisse haben. Mir ist es wichtig, wissenschaftliches Arbeiten und Denken zu vermitteln. Wer sich Google Scholar anschaut, merkt, dass sich Studienergebnisse widersprechen können. Wenn man nicht nachvollziehen kann, woher die Widersprüche kommen, ist Wissenschaft nicht Verstehens-, sondern Vertrauenssache.

Dann muss man an die Expertise der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern glauben.

Eher an deren Bereitschaft, Unsicherheiten transparent zu machen. Unsicherheiten sind fester Bestandteil wissenschaftlichen Arbeitens. Manchmal sind sie größer, manchmal kleiner, wie bei der Schuld des Menschen am Klimawandel zum Beispiel. Da gibt es einen derart großen Berg an wissenschaftlichen Belegen, dass man von einem Fakt spricht. Wer das anzweifelt, muss ebenso viele Belege auf den Tisch legen. Ansonsten darf man nicht erwarten, ernstgenommen zu werden. Fakt ist Fakt.

Wie hat der Wissenschaftsapparat reagiert, als die junge Mai Thi 2014 mit HipHop und Hotpants Chemie erklärt hat?

Als ich angefangen habe, war der Begriff „Wissenschaftskommunikation“ ebenso neu in der Öffentlichkeit wie ich. Umso überraschter war ich, dass meine Art dieser Kommunikation gut aufgenommen wurde. Da hat ein Umdenken stattgefunden. Als Person mit meinem Habitus wird man woanders weniger ernst genommen.

Ich ahne, wo …

In den Medien. Wer nicht aussieht wie Harald Lesch, hat es in Ihrer Branche deutlich schwerer (lacht).

„Beim Klimawandel gibt es einen derart großen Berg an wissenschaftlichen Belegen, dass man von einem Fakt spricht.“

Wie wird man dann ernstgenommen?

Am Ende geht es immer um Inhalte. Ich achte sehr darauf, nicht nur Moderatorin zu sein. Ich moderiere zwar meine eigenen Inhalte. Der redaktionelle Teil macht dabei aber den weitaus größeren Teil meiner Arbeit aus.

Ist redaktionelles und wissenschaftliches Arbeiten bei Ihnen dasselbe?

Quasi. Ich meine den Teil meiner Arbeit, der am Schreibtisch stattfindet: Recherchieren, Lesen, Verstehen, Aufschreiben. Das hat tatsächlich viel mit wissenschaftlichem Arbeiten gemeinsam. Bevor ich mich ins Rampenlicht stelle, sorge ich dafür, das Vorzutragende bestmöglich zu beherrschen. Und das vermittelt sich auch dem Publikum.

Wie wichtig ist Ihr Doktortitel?

Ohne die Authentizität meiner Person bliebe er reine Dekoration. Wenn Menschen aus der Wissenschaft in die Medien gehen, liegt das in ihrer Natur, Inhalte in die Öffentlichkeit bringen zu wollen. Am Anfang bin ich durch mein Äußeres aufgefallen, eine Oberflächlichkeit, aber ich habe versucht, die Aufmerksamkeit mitzunehmen.

Wie man einen Inhalt präsentiert, ist leider oft wichtiger als der Inhalt selbst.

Dass es umgekehrt läuft, halte ich gerade auch für utopisch. Aber für mich bleiben Inhalte maßgeblich, weil nur sie am Ende nachhaltigen Erfolg bringen. Dennoch darf man sich nichts vormachen: In unserer Zeit ist die Verpackung superwichtig.

Kürzlich haben Sie angekündigt, in die Politik zu gehen. Das war aber nur vorgetäuscht, ein psychologisches Experiment. Wie wahrhaftig muss, wie aktivistisch darf eine Wissenschaftsjournalistin sein?

Für uns als Redaktion war das ja weder Aktionismus noch Wahrheitssuche, sondern schlicht und einfach ein Experiment. In der Psychologie kann es notwendig sein, die Teilnehmenden – in diesem Fall das Publikum – unter einer falschen Prämisse einzubeziehen, um echte Reaktionen hervorzurufen.

Worin bestand denn der Lerneffekt?

Letztlich ging es darum, nachzuweisen, dass jeder anfällig für Populismus ist. Die Prämisse war, dass selbst kritische, vor allem selbstkritische Leute unserer eigenen Community auf Falschmeldungen hereinfallen, obwohl man denen nur schwer etwas vormachen kann. Sich das einzugestehen, fällt den meisten ungeheuer schwer.

Wie hat die Community reagiert?

Von allen Seiten gab es große Aufmerksamkeit. Das war erwartbar. Ich wäre auch exited, wenn jemand so eine Ankündigung macht, die wie ich in der Öffentlichkeit steht. Andererseits finde ich es interessant, wie wenig danach gefragt wurde, mit welchen Inhalten ich politisch hätte aktiv werden wollen.

In der repräsentativen Demokratie geht es nicht nur um Inhalte, sondern auch um Personen.

Ich frage mich, wieso die Presse meine Aussage nicht in den Kontext der Sendung gestellt hat. Mein Management und das ZDF haben jede Anfrage mit derselben Antwort abgelehnt: Ich stünde für einen Kommentar nicht zur Verfügung, aber schauen Sie doch Maithink X am Sonntag, da geht es um Rechtspopulismus. Das ist doch Hinweis genug.

Könnte die Politik nicht wirklich mehr wissenschaftliche Expertise vertragen?

Schon. Wobei ich nicht aus einer empiriebasierten Sozialwissenschaft komme, sondern aus der evidenzbasierten Naturwissenschaft. Ein Fachbereich, über den man nur schwer diskutieren kann und vielfach nicht mehr diskutieren muss.

Stichwort Klimawandel.

Genau. Solange es keine neue Evidenz gibt, dass er nicht menschengemacht ist, ist er es eben. Oder nehmen wir das Beispiel Technologie-Offenheit.

Ein wirtschaftsliberaler Fetisch, mit dem das Ende des Verbrennungsmotors hinausgezögert werden soll.

Ja, Technologieoffenheit ist natürlich ein super Framing. Warum sollte man den Verbrennungsmotor verbieten, wenn es doch sein könnte, dass er irgendwann mit nachhaltigem Kraftstoff betankt wird? Klingt fortschrittlich, aber ist es auch klug? Man kann sich den schönsten Ponyhof künftiger Mobilität basteln. Das geht aber nur, wenn man die Grenzen der E-Fuels außer Acht lässt, sie sind unglaublich ineffizient.

Autofahren hat in Deutschland nicht nur mit Effizienz zu tun.

Im Gegenteil. Aber so wichtig Freiheit und Fahrspaß hierzulande sind, so wichtig wird die Verteilung knapper Ressourcen, volkswirtschaftlich und ökologisch. Strom aus erneuerbaren Energien wird im Vergleich zum enormen Bedarf künftig begrenzt sein; da fehlt mir dann schlicht die Ehrlichkeit bei der Technologieoffenheit. Träume und Politik passen selten zusammen.

„Man darf Technologieoffenheit zugunsten individueller Mobilität fordern, aber nicht unterm Deckmantel von Wissenschaft. Da herrscht Konsens, dass E-Fuels in Pkw Unsinn sind.“

Dennoch muss Politik auch träumen dürfen. Das nennt man Utopie.

Deshalb darf man auch gerne Technologieoffenheit zugunsten individueller Mobilität fordern, aber bitte nicht unterm Deckmantel von Wissenschaft. Denn da herrscht einhelliger Konsens, dass E-Fuels in Pkw Unsinn sind. Eigentlich müssten sich alle Parteien auf eine physikalisch-chemische Kernrealität einigen, um auf dieser Basis in jede Richtung zu streiten, anstatt kleinste Wahrscheinlichkeiten zur Grundlage politischer Konzepte zu machen.

Sie sind also Verfechterin einer Arbeitsteilung zwischen Politik und Wissenschaft, vermittelt durch Enquete-Kommissionen und Journalistinnen wie Ihnen?

Das klingt mir zu einfach. Es gibt schlicht zu wenig Wissenschaft, die unumstößliche Fakten schafft. Beispiel Ernährungsforschung. Ein naturwissenschaftliches Gebiet, dessen Ergebnisse fast schon automatisch widersprüchlich sind. Das hat methodische Gründe. Menschen sind für Ernährungsstudien sehr unzuverlässige Versuchstiere, schlecht vergleichbar, schlecht kontrollierbar. Es ist spannende Grundlagenforschung, aber für konkrete Diättipps und Handlungsanweisungen methodisch zu schwammig. Ähnlich ist das mit Geistes- und Sozialwissenschaften. Für Politik ist beides hochrelevant, aber wegen methodischer Unsicherheiten schwer verwertbar.

Gerade im Zeitalter des Populismus.

Genau, da gibt es Verzerrungen, da gibt es Cherry Picking, da gibt es False Balance. Mir wäre es daher manchmal lieber, man würde die Wissenschaft komplett aus der Debatte herauslassen (lacht). Aber ernsthaft: Politischer Ge- und Missbrauch von Forschungsergebnissen tut dem Vertrauen in die
Wissenschaft nicht gut.

Haben Sie als Wissenschaftsjournalistin dennoch den Anspruch, politisch gehört zu werden?

Wenn man publizistisch wahrgenommen wird, hat das immer politische Relevanz. Die beste Möglichkeit, Wissenschaft in die Politik zu bringen, besteht darin, Menschen so gut aufzuklären, dass ihr Wünsche möglichst rational sind. Es gibt zum Beispiel keinen logischen Grund dafür, warum grüne Gentechnik gefährlicher sein soll als die gute alte Züchtung. Wenn man Konsens darüber herstellt, dass sie sogar ein Gamechanger beim Kampf gegen den Klimawandel sein kann, könnte das grüne Politik mehr beeinflussen als Ernährungswissenschaftler im Parteipräsidium.

Welcher Weg ist denn der beste, um Menschen wissenschaftlich aufzuklären?

Die Vermittlung funktioniert nach dem Zwiebelprinzip. Im Innern steckt der Kern wissenschaftlicher, valider Erkenntnisse. Der ist nur sehr wenigen Menschen zugänglich. Ganz außen, die Schale, das ist mein Cornflakes-Video: oberflächlich, aber reichweitenstark. Man arbeitet sich Schicht für Schicht, Medium für Medium von innen nach außen vor, um immer mehr Wissen immer klarer zu machen.

Und Maithink X?

Eine halbe monothematische Stunde? Steckt ungefähr in der Mitte. Da ist schon viel drin. Morgen ist die nächste Aufzeichnung, und wir sind immer noch am Kürzen (lacht). Für mehr als 30 Minuten reicht die Aufmerksamkeitsspanne in der Regel nicht aus. Anders wäre es bei einem Podcast, da hätte ich mehr Zeit, das würde ich gerne mal machen.

Wie wichtig ist Ihnen Humor als Stilmittel, wenn Sie Wissen vermitteln?

Immer wichtiger. Manche Leute hält man mit Humor eher bei so einem trockenen Fach wie Wissenschaft.

„Naturwissenschaften haben ein Vermittlungs-, kein Verständnisproblem.“

Wie kriegen Sie die Balance hin zwischen Youtube-Bubble und wissenschaftsinteressiertem Zeit-Publikum?

Indem man diesen Grundkonflikt immer wieder aushandelt. Das gilt für alle, die das Bedürfnis haben, möglichst viele Menschen zu erreichen – ob Medienschaffende oder Parteien. Zu dem Thema haben wir vor unserer Populismus-Sendung viel mit Paula Diehl geredet.

Politikwissenschaftlerin an der Uni Kiel.

Die meinte, ein bisschen Populismus sei gar nicht schlimm, sondern das Salz in der Suppe der Aufmerksamkeitsökonomie. Die kann man aber auch schnell überwürzen. Ähnliches gilt für Clickbaiting. Um Inhalte zu verbreiten, ist Reichweitenorientierung okay, solange sie nicht selber zum Inhalt wird. Deshalb betreibe ich bei Youtube seit jeher Clickbaiting.

Oha.

Man könnte fragen, ob eine knallige Verpackung wissenschaftlicher Fakten Erkenntnisgewinn bringt. Man könnte aber auch fragen, ob es nicht kontraproduktiv ist, wenn man sie nüchtern aufbereitet und hinter Bezahlschranken versteckt. Es gibt keine pauschalen Rezepte.

Gibt es ein Regelbuch, das Ihnen sagt, wie Sie die Balance halten?

Die wichtigste Regel: Entscheidungen nicht alleine treffen. In der Redaktion diskutieren wir gerne gemeinsam aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Unterhaltungsabteilung achtet auf mediale Außenwirkung, eine Nerd-Abteilung aus promovierten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen achtet auf Evidenz (lacht). Eine Möglichkeit, das Publikum bei der Stange zu halten, ist zum Beispiel, Kapitel in die Videos einzufügen, damit man sich vorklicken kann.

Eines dieser Videos hat Sie während der Pandemie berühmt gemacht. Welchen Einfluss hatte die auf Sie?

Die hatte großen Einfluss auf mich und meine Arbeit. Bis dahin war ich ein Stückweit naiver, was die Akzeptanz wissenschaftlicher Evidenz betrifft. Zuvor hätte ich wohl gedacht, wenn ein genbasierter mRNA-Impfstoff kommt, wird es zwar Skepsis geben. Aber mit Protest hätte ich nicht gerechnet. Wenn ein Impfstoff schon von unserer – wie ich finde übervorsichtigen – Stiko empfohlen wird …

Für alle, die Corona komplett verdrängt haben: Die Ständige Impfkommission.

… dann stehen die Risiken in keinem Verhältnis zum riesigen Nutzen. Trotz der Erfolgsstatistik gab es Widerstand, das hat mir einen ordentlichen Reality Check verpasst. Weil Statistik für mich so aussagekräftig ist, spiele ich ja auch nie Lotto. Mein Mann füllt einmal im Monat aus Spaß so einen Schein aus, weil angeblich ja immer jemand gewinne. Das regt mich so auf!

Weil die Erfolgswahrscheinlichkeit praktisch bei null liegt.

Trotzdem werden die Zahlen Woche für Woche sogar in der Tagesschau verlesen! Da muss man sich ja nicht wundern, dass wir statistische Unwahrscheinlichkeiten so ernstnehmen. Was mir vor der Corona-Pandemie ebenfalls nicht bewusst war: Wie schnell Wissenschaft Gegenstand politischer Diskussionen wird. Meine Vorstellung, sie könne neutral sein, hat sich als Trugschluss erwiesen.

Wie sind Sie damit umgegangen, als wissenschaftliche Objektivität zum Ziel von Hass und Hetze wurde?

Das gab es vorher auch. In weitaus geringerem Maßstab zwar, aber wo immer Erkenntnisse auf vorgefertigte Weltbilder treffen, gibt es eine heftige Kollision. Wobei die Intensität von Hass und Hetze mit der Reichweite wissenschaftlicher Fakten korreliert. Es betraf mich mehr als andere. Das hat gezeigt, dass mein Impact größer geworden ist.

Macht es das besser?

Besser nicht. Aber als Wissenschaftlerin komme ich mit Hass gut klar, weil ich ihn von mir als Person trennen kann. Die hassen mich irgendwie, aber ja vor allem das, was ich zum Impfen sage. Wenn man die Hater mit mir in einen Raum sperren würde, könnten wir wahrscheinlich miteinander reden. Weil sie objektiv ist, stellt die Naturwissenschaft eine große Bedrohung für geschlossene Weltbilder dar. Vielen ist ihre Täter-Opfer-Umkehr gar nicht bewusst.

Wie meinen Sie das?

Dass sie sich von wissenschaftlicher Objektivität bedroht fühlen und daraufhin Wissenschaftlerinnen wie mich teils physisch bedrohen. Dank meines Teams kriege ich davon jedoch relativ wenig mit. Und dank meiner Ressourcen geht es mir auch darüberhinaus vergleichsweise gut. Ich habe das ZDF im Rücken, meine Redaktion, den Droemer-Verlag, ein stabiles Umfeld. Daher kann ich meine Arbeit sehr frei machen. Aber dass es dieser Ressourcen bedarf, ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft und die Demokratie.

„Durch ihre Objektivität stellt die Naturwissenschaft eine so große Bedrohung für geschlossene Weltbilder dar, dass vielen ihre Täter-Opfer-Umkehr gar nicht bewusst ist.“

Es überrascht ein wenig, dass Sie sich bei dem gesellschaftlichen Klima so sicher fühlen. Sie sind eine junge Frau mit vietnamesischer Familiengeschichte, sind also Diskriminierung gleich mehrfach ausgesetzt.

Was Frauen in der Politik abkriegen, ist viel, viel, viel schlimmer. Der Hass auf Wissenschaftlerinnen, so zynisch es klingt, ist immer noch sachlicher als der Hass gegen Politikerinnen. Wenn jemand sagt, meine Impf-Empfehlungen töten Kinder, ist das schlimm, aber irgendwie … themenimmanent.

Dennoch sind Sie während der Pandemie teilweise nur mit Bodyguard vor die Tür gegangen. Haben Sie für Menschen im Shitstorm ein Resilienz-Rezept?

Nein, gerade wegen meiner gesicherten Position möchte ich mich ungern in die Rolle der schlauen Ratgeberin begeben. Während der Corona-Pandemie durfte ich einige Preise annehmen. Aber ich hatte manchmal das Gefühl, meine Auszeichnung soll als Beweis herhalten, dass man als Frau und Wissenschaftlerin alles schaffen kann. Damit hatte ich so meine Probleme, denn ich bin einfach nur sehr privilegiert.

Sie wollen kein Role-Model sein?

Ach, warum nicht. Ich will nur keines dafür sein, angstfrei Wissenschaft zu betreiben und zu kommunizieren. Wir sind nämlich noch sehr, sehr weit weg von ansatzweise geeigneten Rahmenbedingungen, als Frau unbehelligt in der Öffentlichkeit zu stehen und zu arbeiten, geschweige denn seine Meinung kundzutun. Besonders letzteres erfordert immer noch gehörigen Mut. Dass ich als Wissenschaftlerin mit meiner Außenwirkung automatisch ein Role-Model bin, sollte mir darüber hinaus aber schon bewusst sein. Das finde ich auch okay oder sogar schön.

Aber?

Eine Einschränkung: Wenn Frauen – oder auch Männer – sagen, sie möchten Chemie studieren. Das sollte man sich sehr genau überlegen (lacht)! Chemie ist ein extrem hartes Studium. Das sollte man aus innerer Überzeugung und nicht wegen irgendwelcher Vorbilder machen. Ansonsten finde ich es super, andere Frauen zu motivieren.

Welches Medium wird sich bei der Verbreitung wissenschaftlicher Fakten durchsetzen?

Hmmm.

Die Generationen Z und Alpha lesen wieder mehr Bücher und verabschieden sich aus Messenger-Diensten.

Ich bin optimistischer als andere, dass die Zukunft vielfältig bleibt. Wenn Netflix zum Beispiel lineares Fernsehen anbietet, scheint ja auch das öffentlich-rechtliche Programm eine Zukunft zu haben. Wenn ich sehe, wie groß die Nachfrage nach langen, informativen Podcasts ist, wie inhaltsreich selbst TikTok sein kann, dann bin ich ganz guter Dinge.

Was können neuere Medien von Presse, Funk und Fernsehen lernen?

Der größte Unterschied ist das Gatekeeping. Das ist gut und schlecht. Ich wäre wohl nicht langfristig in die Medien gewechselt, wenn ich nicht bei maiLab die Freiheit bekommen hätte, meine eigene Arbeits- und Herangehensweise zu entwickeln. Andererseits wird redaktionelles Gatekeeping, Abnahmen und Faktenchecks ja immer relevanter. Aber im Kampf um Aufmerksamkeit rutschen viele der „alten Medien“ zumindest auf ihren Online-Plattformen weiter nach außen in der Kommunikationszwiebel. Hauptsache schnell, Hauptsache Reichweite.

Wie werden Sie künftig kommunizieren?

Ich liebe Audioformate – sehr fokussiert, vor allem aber entspannt. So sehr ich Publikum mag, fühle ich mich ohne noch immer ein bisschen wohler. Kopfhörer auf und sich reizminimiert wirklich auf etwas konzentrieren. Das gefällt mir am besten. Im März bringe ich erstmal zusammen mit Marie Meimberg die Kinderbuchreihe BiBiBiber hat da mal ‘ne Frage raus.

Geben Sie mal eine Prognose ab: Wird die sachliche Wissenschaft über das Raunen, Raten, Brüllen in der Aufmerksamkeitsindustrie siegen?

Ich muss da für mein eigenes Seelenheil irrational optimistisch bleiben, also: Ja.

Jan Freitag arbeitet als freier Journalist in Hamburg.