Meinung

Zur Stärkung der Pressefreiheit

Georg Mascolo: "Die inoffiziellen drei goldenen Regeln der Computersicherheit der NSA heißen: Besitze keinen Computer. Hänge ihn nicht ans Stromnetz. Schalte ihn nicht an." (Foto: Frank Sonnenberg)

Ohne Quellenschutz sind wir nichts, meint Georg Mascolo, Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. In einer Rede beim DJV-Verbandstag in Berlin machte er deutlich, dass der Quellenschutz im Zeitalter der elektronischen Kommunikation wichtiger denn je ist. Und dass der gesetzliche Rahmen verbessert werden muss. Der journalist dokumentiert die Rede. Von Georg Mascolo

 

16.01.2020


Erinnern Sie sich, als vor kurzem am anderen Ende der Welt, in Australien, auf einmal die Titelseiten von fast zwanzig Zeitungen erschreckend ähnlich aussahen? Keine Aufmacher, keine Nachrichten, keine Analysen, keine Bilder. Sondern nur dicke schwarze Balken, die sich quer über die Blätter zogen.

Es war ein Akt des Protestes, der sogenannten Your-Right-to-Know-Koalition, in der sich Medien zusammenfinden, die sonst Konkurrenten sind. Sie protestieren gegen eine bedrohliche Einschränkung der Pressefreiheit, die übelste davon war die Durchsuchung des Senders ABC im vergangenen Juni. ABC hatte – gestützt auf interne und geheime Dokumente – berichtet, dass australische Spezialeinheiten in Afghanistan Verbrechen begangen haben sollen. Es ging um die Tötung von Unschuldigen. „AUSTEO“ stand auf den Papieren, und das heißt: Australian Eyes Only. Niemand sollte sehen und erfahren dürfen, was geschehen war. Neun Stunden lang durchsuchten Ermittler den Sender, sie hockten im Konferenzraum und luden 9.214 Dokumente aus dem Bestand von ABC herunter. Darunter Mails und Manuskripte.

Der Aufstand der australischen Kollegen diente dazu, auf eine gefährliche Entwicklung hinzuweisen. Alle Medien hier bei uns haben darüber berichtet, ausführlich, mit Sympathie. Mit Haltung und viele auch mit Ahnung. Bleibt die Frage, ob so etwas auch hier bei uns einmal nötig und fällig wäre. Ein Morgen, an dem FAZ und taz, Bild, Süddeutsche, Welt, ja auch die vielen Regional- und Lokalblätter schwarz tragen. Unterstützt von allen, die in diesem Land senden und dabei auch etwas zu sagen haben. Nein, das ist es nicht: Solche Zustände wie in Australien kennen wir bei uns ja aktuell nicht.

So richtig dieser Befund auch ist. Gilt er uneingeschränkt?

Er galt jedenfalls nicht uneingeschränkt – und damit meine ich nicht die Jugendjahre der Republik, ich meine auch nicht die Spiegel-Affäre, als Rudolf Augstein für eine Titelgeschichte, die er nicht einmal für eine ganz besonders gelungene hielt, 103 Tage in Untersuchungshaft saß.

Oft, zu oft, haben wir in den vergangenen Jahren gefährliche Grenzüberschreitungen von Staat und Teilen der Justiz oder auch und gerade von den Geheimdiensten erlebt. Da wären die Ermittlungen gegen die beiden Blogger von Netzpolitik.org im Jahr 2015. Netzpolitik.org hatte im Original die Planungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz für eine stärkere Überwachung des Internets veröffentlicht – keine Sensation, darüber war bereits zuvor berichtet worden.

"Oft, zu oft, haben wir in den vergangenen Jahren gefährliche Grenzüberschreitungen von Staat und Teilen der Justiz oder auch und gerade von den Geheimdiensten erlebt."


Losgetreten wurden die Ermittlungen vom Verfassungsschutz und seinem damaligen Präsidenten Hans-Georg Maaßen, dankbar übernommen wurden sie vom Landeskriminalamt, Abteilung Staatsschutz, in Berlin und von Bundesanwälten in Karlsruhe, die auf dem Aktendeckel gleich dann auch noch die denkbar schwerste Straftat vermerkten: Landesverrat – so wie damals bei den Ermittlungen gegen Rudolf Augstein.

Dabei setzt eben diese Tat Vorsatz voraus – man muss dem Land einen Schaden zufügen wollen. Oder eine fremde Macht begünstigen wollen. Im Justizministerium hier in Berlin saß damals Heiko Maas, und offenbar hatte man kein Geschichtsbuch zur Hand und deshalb auch keine Bedenken. Publizistischer Landesverrat. Auf diese Idee muss man erst einmal kommen. Carl von Ossietzky gehörte einmal zu den Beschuldigten und Verurteilten in diesem Land – weil er die verbotene Aufrüstung der Reichswehr öffentlich machte. Später bekam von Ossietzky genau für diese Arbeit den Friedensnobelpreis.

Es ist ein so gravierender, so schwerwiegender Vorwurf, dass man mit ihm sehr vorsichtig umgehen muss. Aber in Berlin sah dies niemand so. Die Bedenken kamen erst, als die Sache bekannt wurde – und die Kritik einsetzte. Vorher war die Pressefreiheit eine Waise. Und das im Jahr 2015.

Der Fall Koelbl

Da wäre der Fall meiner damaligen Spiegel-Kollegin Susanne Koelbl, sie hatte mit einem afghanischen Minister gemailt und eben dem hatte der Bundesnachrichtendienst einen Trojaner aufgespielt, um seine Kommunikation mitlesen zu können. Ihre zwischen Sommer und November 2006 ausgetauschten Mails wurden von der sogenannten Technischen Aufklärung des BND gelesen – obwohl das Grundgesetz in Artikel 10 jeder Deutschen und jedem Deutschen die Unverletzlichkeit der Kommunikation garantiert. Die vorgesehenen Einschränkungen, unter denen es dies zulässt, passten jedenfalls allesamt nicht auf Susanne Koelbl. Beim BND wurde diskutiert – und dann mitgelesen. Ein Irrtum war ausgeschossen. Denn die Endung der Mails war stets gleich: spiegel.de.

Ich erinnere mich, damals war ich Chefredakteur des Spiegels, gut an die damaligen harten Auseinandersetzungen mit dem BND und deren ebenso abenteuerliche wie rechtswidrige Begründungen: Es handele sich ja gar nicht um Kommunikation im Sinne des Artikel 10 des Grundgesetzes. Sondern – weil die Mails sich in einem Speicher, der Inbox, auf dem Rechner des afghanischen Ministers befanden – um eine Art ruhende Kommunikation. Davon hatte ich noch nie gehört.

Da wären die späten 90er Jahre, als Kollegen wie Heribert Prantl oder Oliver Schröm Post von der Staatsanwaltschaft bekamen. Ihr Vergehen: Sie hatten über vertrauliche Dokumente berichtet oder vertrauliche Informationen erhalten – und das reichte für die Einleitung von Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zum Verrat von Dienstgeheimnissen.

Die Logik, mit der das Pressen der Presse gelingen sollte, ging so: Weil ein Staatsdiener zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet ist – was auch die Medien wissen –, macht sich die hartnäckig recherchierende Journalistin oder der Journalist bereits strafbar, wenn er sich interne Papiere verschafft und diese veröffentlicht. Nach dieser Logik wären bald nur noch Theaterrezensionen und Sportberichterstattung strafrechtlich unverfänglich geblieben.

Die Tür aus den Angeln heben

Solche Verfahren gab es damals viele. Der Staat war nicht nur dabei, die Tür zu unseren Redaktionen ein Stück aufzuschieben. Er war dabei, sie aus den Angeln zu heben. Das Zentrum dieser Bewegung übrigens lag in Bayern. Aber nicht nur. Der Deutsche Journalisten-Verband, dessen Gast ich heute bin, zählt allein in dieser Zeit mehr als 100 solche und ähnliche Verfahren.

Man muss also kein Geschichtsbuch in die Hand nehmen, um zu sehen, dass entscheidende Freiheitsrechte, das Fundament unserer Arbeit, auch in einem Land wie diesem unter die Räder kommen kann. So wie auch andernorts: Demokratie gibt es in Australien jedenfalls länger als bei uns.

Vermutlich wurden bei uns die Titelseiten auch deshalb nicht schwarz, weil wir all diese Auseinandersetzungen fast alle nicht nur bestanden, sondern überwiegend auch gewonnen haben.

Das Verfahren gegen Netzpolitik org wurde eingestellt. Sie brauchten keine Anwälte, sondern eher einen neuen Buchhalter, angesichts all der Spenden, die bei ihnen eingingen. Es war eine Welle der Solidarität.

Der damalige BND-Präsident Ernst Uhrlau verlor über die Affäre Koelbl beinahe seinen Job – die Kanzlerin erklärte ihr Vertrauensverhältnis als „gestört.“

Und das Ergebnis der damaligen Ermittlungswelle gegen Kolleginnen und Kollegen – und übrigens auch der Durchsuchung der Redaktion von Cicero – war ein Gesetz. Es trägt den schönen Namen „Gesetz zur Stärkung der Pressefreiheit“. Es ist seit 2012 in Kraft, und es verdient diesen Namen sogar. Beihilfe zum Geheimnisverrat gibt es nicht mehr. Man kann und darf vertrauliche Informationen veröffentlichen, ohne dafür vor Gericht zu landen. Man darf Amtsträger nur nicht zum Verrat anstiften und – aber das verstand und versteht sich ohnehin von selbst – sie nicht bestechen.

In Sachen Netzpolitik.org schuldet uns der Staat dagegen noch etwas. Ich komme darauf zurück.

Aber schauen wir doch zunächst auf die heutige Situation: Wie steht es um den Quellenschutz? Quellenschutz, das ist ein ziemlich sperriges Wort, aber es beschreibt nichts anderes als unser unbedingtes Versprechen gegenüber all jenen, die sich an uns wenden: Ihr seid in guten Händen, so wie ihr euch eurem Arzt oder Anwalt anvertrauen könnt, so könnt ihr euch auch uns anvertrauen. Wir schützen eure Identität. Absolut und unbedingt.

Stellvertretend für die Bürger

Ohne dieses Versprechen sind wir nichts. Es ist übrigens auch kein Sonderrecht für uns, eigentlich ist es eine Garantie, die allen Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes gehört. Sie dient dem Zweck, diejenigen, die in einer Demokratie Macht und Einfluss haben, zu kontrollieren, sie dazu zwingen, Rechenschaft abzulegen. Wir nehmen dieses Recht nur stellvertretend wahr für die Menschen in diesem Land. Wir sind nicht wichtiger oder gleicher als alle anderen im diesem Land - aber wir verkörpern diesen allen gehörenden Anspruch auf Auskunft und Transparenz.

Brechen wir das Versprechen auf Vertraulichkeit- oder wird es gebrochen, sind wir alle die Leidtragenden. Wir alle profitieren bis heute vom „Deep Throat“-Mythos, dem Watergate-Informanten, der sich angeblich nur an Stellplatz 32 D einer Tiefgarage in Arlington von Bob Woodward treffen ließ. Dass es sich bei ihm um den damaligen stellvertretenden FBI-Chef Mark Felt handelte, wurde erst nach seinem Tod bekannt. Wäre er vorher aufgeflogen, verhaftet und verurteilt worden – wir alle würden bis heute darunter leiden. Die Watergate-Erzählung wäre eine ganz andere.

Aber wofür noch Tiefgaragen? Heute ist es einfacher denn je, uns Informationen zukommen zu lassen. Man kann telefonieren, skypen, mailen, eine Dropbox verwenden, man kann verschlüsseln oder gleich auf einen der als sicher geltenden Messenger-Dienste ausweichen. Man muss Informanten nicht mehr treffen – alles kann ganz schnell gehen. Wenn die Quelle will, redet man auch nicht nur über ein paar Blatt Papier, mühsam kopiert, sondern von riesigen Datenbeständen.

Nur gibt es wie bei jeder technischen Entwicklung auch eine dunkle Seite. Was elektronisch übermittelt wird, kann man auch nachverfolgen. Man kann Verschlüsseltes entschlüsseln, man kann die elektronische Spur verfolgen, an jeder Ecke und Biegung – und das auf die Millisekunde genau.

Wir machen es denen, die dies tun wollen und technisch können, auch so leicht wie nie, ein Handy, vielleicht auch zwei und ein Laptop in der Tasche. Man kann diese Geräte manipulieren, dann sind sie eine Wanze oder auch gleich eine Kamera, die eingeschalteten Ortungsdienste, damit man den Weg findet oder an jeder Ecke ein Taxi bekommt, vergessen nichts. Und abends kommt das Gerät in die Steckdose. Früher mussten sich die Lauscher noch Sorgen darüber machen, wie lange die Batterie ihrer Wanzen wohl halten wird.

Die goldenen Zeiten der Überwachung

Das ist der Grund, warum der amerikanische Abhördienst NSA in einer seiner Präsentationen einmal ein Bild des Apple-Gründers Steve Jobs zeigte, der stolz ein iPhone in die Luft reckte. Die Bildunterschrift aber stammte von der NSA. Sie hieß: „Wer hätte 1984 gedacht, dass der große Bruder einmal so aussehen würde.“

"Das goldene Zeitalter der Überwachung“, nennen es die Geheimdienste. Die inoffiziellen drei goldenen Regeln der Computersicherheit der NSA heißen übrigens: Besitze keinen Computer. Häng ihn nicht ans Stromnetz. Schalte ihn nicht an.

Absolute Sicherheit in diesem Bereich – egal was Hersteller und Betreiber versprechen - existiert nicht. Deshalb gehört bis heute auch eine sehr alte Technik zu den größten revolutionären Fortschritten unseres Berufsstandes: Es ist die Schuhsohle.

"Die inoffiziellen drei goldenen Regeln der Computersicherheit der NSA heißen: Besitze keinen Computer. Häng ihn nicht ans Stromnetz. Schalte ihn nicht an."



Daniel Ellsberg, einer der frühen Whistleblower, der mit Hilfe der sogenannten Pentagon Papers die Lügen der US-Regierung über den Krieg im Vietnam enthüllte, sagt es so: In gewisser Weise sei es heute einfacher, die Wahrheit ans Licht zu bringen, man müsse nicht mehr, so wie er, Nacht für Nacht am Kopierer verbringen. Aber dafür sei das Risiko, erwischt zu werden, heute sicher größer.

Die wahre Bedrohung ist also heute nicht mehr die Polizei, die vorfährt und in die Redaktion stürmt. Es sind die elektronischen Spuren, die man verfolgen kann – und deshalb muss effektiver Quellenschutz heute zwingend und unbedingt zwei Komponenten besitzen.

Die eine ist der Schutz unserer Kommunikation. Das ist hier in Deutschland nicht schlecht, aber leider auch nicht gut genug. Wann immer es in der Vergangenheit um den Schutz der sogenannten Berufsgeheimnisträger gegangen ist, hat der Bundestag uns schon mal vergessen – Geistliche und vor allem sich selbst, die Abgeordneten, vergisst er dagegen nie. So war es schon im 2008 verabschiedeten BKA-Gesetz – es kam dann passend zum 60. Jahrestag des Grundgesetzes.

Leider hat das Bundesverfassungsgericht – eigentlich unserer treuester Verbündeter – diese Linie in zwei Entscheidungen mitgetragen. Ermutigende Signale kommen aber aus Straßburg, dem Sitz des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes. Seine Rechtsprechung verlangt, dass bei jeder Maßnahme gegen uns, sei es eine Überwachung oder eine Beschlagnahme, zunächst ein Richter das Material sichten muss. Bevor es von Polizei und Staatsanwaltschaft verwendet werden darf.

Diesen Richtervorbehalt wollen wir prinzipiell, sei es eine Maßnahme der Polizei oder des Verfassungsschutzes. Wir brauchen den Richtervorbehalt, er ist die rechtsstaatliche Garantie, dass unsere Daten – etwa die Kommunikation mit einer Quelle – nur dann für ein Verfahren verwendet werden dürfen, wenn es überragende, zwingende Gründe gibt. Wir müssen uns darauf verlassen können, dass der Staat aus Respekt vor der Pressefreiheit nicht alles tut, was er technisch kann. Und diese bedeutsame Frage darf immer und nur in den Händen von Richtern liegen.

Mehr Europa ist übrigens auch nicht in jedem Fall eine gute Idee. Es gibt da derzeit die Diskussion über europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen. Sie bedeuten grob gesagt, dass künftig auch eine Staatsanwaltschaft in einem der noch 28 Mitgliedsländer sich um unsere Verbindungsdaten bemühen kann. In Rumänien. In Bulgarien. Oder Malta, Polen oder Ungarn. Bei allem Respekt, aber ohne eine rechtsstaatliche Kontrolle hier im Land ist dies bedenklich.

Ebenso brauchen wir einen Schutz für diejenigen, die sich trauen und sich uns anvertrauen: einen Schutz für Whistleblower. Denn was hilft es ihnen, wenn sie zwar von uns hier gefeiert, aber am Ende doch gefeuert werden.

Nicht jede und jeder verdient diese Bezeichnung, manche teilen Informationen auch aus nicht sonderlich edlen Motiven. Bei manchen ist es ein Bündel unterschiedlicher Gründe. Aber diejenigen, die aus Überzeugung handeln oder einem eindeutigen Missstand abhelfen, verdienen den bestmöglichen Schutz davor, den Arbeitsplatz zu verlieren, ins Exil zu müssen oder sogar ins Gefängnis zu kommen.

Ungefähr der falscheste Ort

Einer der bekanntesten Whistleblower ist Edward Snowden. Und es sagt viel über die Lücken, die wir in diesem Bereich bis heute haben, dass jemand wie er ausgerechnet in Russland leben muss – so ungefähr der falscheste Ort, an dem man sich aufhalten kann, wenn man für Demokratie und Meinungsfreiheit streiten will. Fragt man Edward Snowden danach, dann sagt er: Ja, aber in Europa wollte mich niemand haben. Ich wäre sehr gern in Berlin.

Auch in diesen Tagen erleben wir die herausragende Rolle des Whisteblowers. Dass in den USA über Impeachment, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Donald Trump diskutiert wird, verdanken wir dem Mann oder der Frau, die Trumps unmöglichen Anruf beim ukrainischen Präsidenten öffentlich machte.

Maaßen verlor vor einem Jahr endlich und endgültig das Vertrauen von Horst Seehofer, nachdem ein Whistleblower einen Ausdruck jener Rede an den Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz schickte, die Maaßen vor seinen europäischen Amtskollegen vom „Berner Club“ gehalten hatte. Oder wie er heute sagt: nicht gehalten hat – aber trotzdem ins Intranet des Verfassungsschutzes einstellen ließ.

Im Oktober dieses Jahres haben sich Unterhändler der EU-Mitgliedsstaaten und des Europaparlaments auf eine Richtlinie geeinigt. Es war eine lange Debatte, ja ein Streit zwischen zwei unterschiedlichen Philosophien. Die Richtlinie ist eine Verbesserung: Die Regeln, wann man intern (also im Unternehmen oder in der Behörde) vorstellig werden muss und wann extern (also sich an Polizei und Staatsanwaltschaft wenden darf), sind nun eindeutig. Und erfreulicherweise dürfen Whistleblower wählen, ob sie sich direkt an Polizei oder Staatsanwaltschaft wenden. Nur unter welchen Umständen Whistleblower sich an uns, die Medien, wenden dürfen, bleibt etwas unklar und ist vor allem eng gefasst.

Es ist nur ein Schutz vorgesehen, wenn der Whistleblower die anderen Wege ausgeschöpft hat und innerhalb eines gewissen Zeitrahmens nach der Meldung keine Maßnahmen ergriffen wurden; wenn der Whistleblower Repressalien durch die externe Stelle befürchtet; wenn zwischen der externen Stelle, zum Beispiel der Staatsanwaltschaft, und dem Urheber des Verstoßes Absprachen bestehen könnten; oder wenn das „öffentliche Interesse“ bedroht ist. Doch was das „öffentliche Interesse“ genau ist, wird angedeutet, aber nicht genauer definiert.

Alles, was von einer staatlichen Stelle als „geheim“ eingestuft ist, ist übrigens ausdrücklich ausgenommen, ohne jede Ausnahme. Ein europäischer Edward Snowden ginge also auch bei uns ins Gefängnis.

Was wäre, wenn die Maaßen-Rede als geheim eingestuft gewesen wäre? Würde der Hinweisgeber aus dem Verfassungsschutz dann von der Staatsanwaltschaft gesucht und bestraft? Übrigens: Auch der Fall Koelbl flog nur auf, weil ein Anonymus sich an zwei Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages gewandt hatte. Er vergaß den Brief zu frankieren. Norbert Röttgen zahlte Nachporto – las den Brief und informierte das Kanzleramt.

Aus der EU-Richtlinie muss nun innerhalb von zwei Jahren nationales Recht werden. Achten wir also aufmerksam darauf, was die Bundesregierung und der Bundestag daraus machen. Wie immer kann man diese Einigung großzügig auslegen oder die Grenzen eng ziehen. Deutschland neigte bisher eher zur zweiten Variante – was nicht gut wäre.

"Fragt man Edward Snowden danach, dann sagt er: Ja, aber in Europa wollte mich niemand haben. Ich wäre sehr gern in Berlin."



Der Bundestag diskutiert schon lange, aber ohne echtes Ergebnis, über ein Whistleblower-Gesetz. Die Fragen der Abgrenzung und Abwägung sind zugegeben schwer. Man muss auch dafür sorgen, dass diejenigen, die dieses wichtige Instrument missbrauchen - etwa durch falsche Anzeigen, oder die nur Rache üben wollen - sanktioniert werden können. Aber wenn die Fragen schwer sind, darf es sich der Gesetzgeber nicht leicht machen.

Und wie immer gilt, dass das Prinzip nur so gut ist wie die Praxis. Wir haben die Pflicht, in diesem Bereich genau hinzuschauen. Oder besser noch: sehr genau.

Eigentlich sollte dieses Land wissen, wie sehr man von Whistleblowern profitieren kann. Henry Morgenthau hatte kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs bekanntlich die Vision eines Deutschlands, in dem es kaum noch Industrie geben sollte und stattdessen eine Landwirtschaft, die nur der Selbstversorgung dient. Es war der politische Plan, ein Land niederzuhalten, weil man ihm nie wieder trauen dürfe.

Aber der Plan wurde „geleakt“. Statt des Morgenthau- kam es zum Marshall-Plan. Wie sähe dieses Land, diese Stadt heute aus, wenn es anders gekommen wäre?

Das bringt mich zu meinem abschließenden Punkt. Ein Land mit dieser Geschichte hat zwei Pflichten. Die erste besteht darin, die demokratischen Pflichten und Tugenden hier bei uns zu Hause besonders ernst zu nehmen – es sind Zeiten, in denen es leider notwendig ist, daran zu erinnern und es einzufordern. Und dabei denken wir alle auch – aber auch nicht nur – an die Pressefreiheit. Höcke und Kalbitz sind nicht die neue Mitte, auch wenn sie sich dazu erklären. Sie sind eine Gefahr für dieses Land.

Die zweite Pflicht aber reicht noch weit darüber hinaus. Sie besteht darin, Meinungsfreiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in aller Welt einzufordern und zu verteidigen. Bei allen Macken und Fehlern waren es in der Vergangenheit oft die USA, die Meinungs- und Pressefreiheit in aller Welt anmahnten. Unter ihrem jetzigen Präsidenten ist dieser Job frei geworden und Deutschland täte gut daran, diese Position zu übernehmen.

Wir reden oft darüber, woran uns unsere Geschichte hindert. Wir sollten häufiger darüber reden, wozu uns unsere Geschichte verpflichtet.

Es gibt übrigens einen einfachen Gradmesser: In einem nicht wirklich demokratischen Land gibt es weder eine unabhängige Justiz noch eine freie Presse. In jedem demokratischen Land, das demokratische Rechte rückabwickelt und mit den Abbrucharbeiten beginnt, geht es zuerst gegen freie Medien und eine unabhängige Justiz.

Schaue ich mir an, wie die Bundesregierung auf die Hinrichtung unseres Kollegen Jamal Khashoggi reagiert – oder besser: nicht reagiert hat, dann schäme ich mich. Es ist ein schmaler Grat zwischen manchmal notwendiger Realpolitik und Zynismus. Im Fall Khashoggi waren weder Kanzleramt noch Auswärtiges Amt trittsicher.

Im Fall des Landesverrats, der Ermittlungen gegen Netzpolitik.org, waren sie es übrigens auch nicht. Der Protest damals war so stark, dass Heiko Maas im September 2015 einen Auftritt vor den Zeitungsverlegern in Regensburg dazu nutzte, eine gesetzliche Veränderung anzukündigen. Sein Ministerium werde nun prüfen, ob man die Beihilfe zum Landesverrat nicht straffrei stellen müsse – so wie es das Gesetz zur Stärkung der Pressefreiheit schon beim einfachen Geheimnisverrat vorsieht.
Das war eine starke Ankündigung. Aber dabei blieb es dann auch. Kurze Prüfung, zwei Gutachten, keine Initiative. Ebenso übrigens in der Großen Koalition – die gestern noch Empörten hatten kein Interesse an einer gesetzlichen Änderung zu unserem Schutz.

Dass dies von uns bestenfalls halblaut eingefordert wird, dass darüber nicht geschrieben wird, daran erinnert wird, dass es ein halbes Versprechen gab, gehört übrigens zu unseren Versäumnissen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Unsere Bereitschaft, etwas gestern zur wichtigsten Sache der Welt zu erklären, um uns morgen selbst nicht mehr daran zu erinnern, ist ein Ärgernis. Nicht nur, wenn es um unsere eigenen Interessen geht.

Lange bevor Rudolf Augstein ins Gefängnis musste, im Jahr 1953, hielt er einen Vortrag vor dem Rhein-Ruhr-Klub. „Der moderne Staat“, so sagte er damals, „neigt dazu, die Pressefreiheit nach außen zu deklarieren und nach innen auszuhöhlen.“

Ganz so schlimm ist es nun nicht gekommen. Aber es ist auch nicht gut genug.

Eben dafür zu sorgen, dass es gut genug wird, dies ist unsere gemeinsame Verpflichtung.

Autor
Georg Mascolo war von 2008 bis 2013 Chefredakteur beim Spiegel, seit 2014 leitet er die damals neu geschaffene Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung.



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