„Wir haben höhere Ansprüche als die Generation vor uns“

„Ich bin ehrgeizig“, sagt Carlott Bru – und bei vielen in ihrer Generation sei das ähnlich. (Foto: Amelie Niederbuchner)

Carlott Bru arbeitet für Medien wie Süddeutsche Zeitung und Spiegel. Auf Social Media erklärt sie Stilphänomene und gibt der Gen Z Einblicke in die Medienbranche. Im Gespräch mit dem journalist spricht sie über die schwierige Rollentrennung und über die Arbeitsmoral ihrer Generation.

Interview: Annkathrin Weis, Fotos: Amelie Niederbuchner

02.03.2025

Carlott Bru bezeichnet sich als Gen Z-Journalistin. Sie weiß, wie es jungen Menschen in der Medienbranche ergeht. Ihre Generation sei ehrgeizig, obwohl die Arbeitsbedingungen schwieriger seien als früher. Im Gespräch mit dem journalist erklärt sie, warum.


journalist: Carlott, du bist Journalistin und zugleich Influencerin – wie passt das zusammen?

Carlott Bru: Alle zeigen ihr Leben auf Social Media: Anwälte, Pflegekräfte, aber kaum Journalisten. Warum? Das ist doch so naheliegend. Es ist die richtige Zeit dafür. Ich selbst hätte mir beim Berufsstart jemanden gewünscht, an dem ich mich hätte orientieren können.

Du gehst an die Deutsche Journalistenschule, hast eine Spiegel-Kolumne, gehörst zu den „Top 30 unter 30“. Es sieht so aus, als ob du es bereits geschafft hast.

Ach, ich habe so viel Scheiße geschluckt. Formate gemacht, die nicht veröffentlicht oder schnell wieder abgesetzt wurden. Ein Jahr meiner Lebenszeit steckt in Praktika, die entweder unbezahlt oder unterbezahlt waren. Dass ich so früh Erfolg habe, liegt nur daran, dass ich früh wusste, dass Journalismus mein Traumberuf ist. Ich konnte früh die Weichen stellen. Das heißt nicht, dass ich keine Selbstzweifel habe. Die thematisiere ich. Mich langweilt nichts mehr, als Menschen, die nur erzählen, wie gut es läuft. Bei mir kann man miterleben, wie schwierig der Weg ist.

Wofür brauchst du dann überhaupt noch eine Journalistenschule?

Ich habe viele negative Erfahrungen machen müssen. Einmal wurde mir ein Dreh nicht zugetraut und kurzfristig einer anderen Autorin übergeben. Ich habe meinen Job verloren, Arbeitslosengeld beantragt. Oder ich musste feststellen, dass drei Artikel im Monat nicht zum Leben reichen. Ich besuche die Schule also aus einem tiefen Sicherheitsbedürfnis heraus. Ich hoffe, dass meine Arbeit noch besser wird. Es gibt immer noch einen Haufen Sachen, die ich nicht gut kann. Und die Schule macht mich auf dem Arbeitsmarkt attraktiver.

Sehen Leute in dir ein Vorbild?

Mir folgen viele junge Mädels, die Lust haben, in der Medienbranche zu arbeiten. Und ich kriege regelmäßig Nachrichten, in denen mich Follower nach Karrieretipps fragen.

Sind soziale Medien für eine Karriere im Journalismus wichtig?

Für mich war es der richtige Weg – ich suche die Öffentlichkeit. Für andere? Es kommt darauf an, was man möchte. Es gibt die Journalistinnen und Journalisten, die eine feste Redakteursstelle wollen, sich extrem tief in Themen einarbeiten und nicht noch nebenbei einen TikTok-Kanal betreiben möchten. Das ist ok. Man sollte sich gut überlegen, ob man die Präsenz für den eigenen Karriereweg braucht.

In einem Video zeigst du deinen Eltern deinen ersten großen Süddeutsche-Artikel – und die wirken erst einmal gar nicht beeindruckt. Entzauberst du mit solchen Einblicken auch den Job?

Viele glauben, Journalismus wäre einfach, und der Erfolg kommt direkt. Auch ich dachte das, als ich angefangen habe. Ich konnte schon immer gut schreiben …

Und deswegen haben alle erwartet, du kriegst die Festanstellung beim Spiegel, wirst Chefredakteurin.

Ja! Ich warte immer noch auf meine Stelle als Tagesschau-Sprecherin [lacht]. Ich habe ein Praktikum nach dem nächsten gemacht und niemand hat mir eine Stelle angeboten. Ich musste erstmal verstehen, wie viele Steine da im Weg liegen. Freie werden nicht gut bezahlt. Dazu spüre ich eine Art ethische Anspruchshaltung mir gegenüber. Muss ich als Journalistin der moralischste Mensch der Welt sein? Früher haben mir Leute nie geschrieben, warum ich so oft fliege. Auch innerhalb der journalistischen Bubble nehme ich eine Debatte darüber wahr, was man im Privatleben überhaupt machen darf. Das finde ich grenzüberschreitend.

Der Unterschied zu anderen Journalisten ist: Als Influencerin trägst du Privates bewusst nach außen.

Das stimmt. Die Rollentrennung ist immer eine Herausforderung. Wenn ich journalistisch schreibe, bin ich unabhängig. Das ist das Gegenteil von dem, was Influencer machen. Da finanziert man sich darüber, etwas zu bewerben. Ich stecke viel mehr Zeit in den Journalismus, aber gleichzeitig verdiene ich mehr Geld mit Content Creation. Mir ist die Trennung wichtig. Aber am Ende bin ich als Person des öffentlichen Lebens auch nicht die Einzige, die darüber bestimmt.

Wie reagiert die Community auf Werbepartnerschaften?

Ich muss meine journalistische Arbeit querfinanzieren, deswegen habe ich auch kein schlechtes Gewissen. Ich würde niemals etwas bewerben, hinter dem ich nicht stehe. Und als Journalistin ist es für mich wichtig, dass es thematisch keine Überschneidungen gibt. Ich bin immer transparent mit Werbepartnerschaften umgegangen, habe meine Community mitbestimmen lassen und auch offen darüber geredet, dass ich Probleme mit diesen Entscheidungen habe. Es ist für mich nicht immer easy, dass diese Debatte an mir ausgetragen wird. Ich denke, es gibt Leute mit viel größerer Reichweite oder sichereren Einkommen, die das auch machen.

Du hast es ja auch nicht erfunden. Viele Freie schreiben für Unternehmen, moderieren Veranstaltungen oder arbeiten für NGOs.

Eben. Ich glaube, die Diskussion über diese Art Querfinanzierung tut dem Journalismus gut. Vielleicht verbessert sich dadurch sogar etwas für Freie. Oder mehr Personen sehen meinen Weg als Möglichkeit? Auf jeden Fall sollten wir darüber transparent sprechen.

Hattest du schon mal Sorge, dass Social Media potenzielle Auftraggeber abschreckt?

Manchmal habe ich Nachteile. Letztes Jahr war ich in mehreren finalen Runden für Volontariate. Keins habe ich bekommen. Ich denke, einige Medienhäuser und Rundfunkanstalten wollen lieber eine stumme Arbeitsbiene. Die sehen es nicht so gerne, wenn man sich nebenbei eine personal brand aufbaut. Das ist zumindest meine These, vielleicht auch Ausrede, um diesen Misserfolg leichter zu verkraften [lacht]. Auf Social Media betreibe ich eine Auseinandersetzung mit mir selbst, ein bisschen „Coming of Age“. Es ehrt ein Medienhaus, verschiedene starke Charaktere und Meinungen zu einen. Das ist, denke ich, auch die Zukunft des Journalismus. Und in meiner Erfahrung war es immer die richtige Entscheidung, ehrlich und ich selbst zu sein. Wenn das irgendwer nicht mag, dann ist es kein Match.

Betrachten manche ältere Kolleginnen und Kollegen das skeptisch?

Frühere Generationen sind davon geprägt, dass sie immer alles machen mussten, was anfiel. Vor allem die Boomer-Generation erlebte einen hart umkämpften Arbeitsmarkt und musste sich anpassen. Das ist bei meiner Generation nicht mehr so, wir können selbstbewusst auftreten. Vielleicht triggert das ältere Kolleginnen und Kollegen. Aber das ist jetzt Küchenpsychologie. Mir ist nur aufgefallen, dass Ältere in Entscheiderpositionen sich ungern von den jungen Leuten etwas erzählen lassen. Klar, sie haben eben auch mehr Arbeitserfahrung.

Glaubst du, sie sollten sich mehr mit sozialen Medien auseinandersetzen?

Es gibt viele wichtige Debatten im Internet, von denen Ältere gar nichts mitbekommen. Beispielsweise die Frage: „Lieber mit einem Mann oder einem Bär im Wald alleine sein?“ Es ist wichtig, ein Auge auf diese Welt zu haben.
 

„Ich habe Lust, Karriere zu machen und bin auch ein bisschen getrieben.“

Du nennst dich Gen Z-Journalistin. Wie definiert deine Generation Erfolg im Job?

Ja, ich spreche immer gerne für die Gen Z, aber eigentlich bin ich dazu nicht berechtigt. Dafür ist sie zu heterogen. Liest man Studien und Umfragen, dann ist es meiner Generation schon wichtig, gut entlohnt zu werden und keine Geldsorgen zu haben. Noch wichtiger ist es aber, fleißig und ehrgeizig zu sein und damit erfolgreich zu sein. Ich persönlich will mit meiner Arbeit viele Menschen erreichen. Es gibt Leute, die vielleicht keine Wirtschaftsreportage lesen, weil das ihnen zu trocken ist und sie von Journalismus unterhalten werden wollen. Wenn ich solche Menschen berühre, dann ist das für mich Erfolg.

Klingt idealistisch.

Meine beste Freundin ist Krankenpflegerin, ich komme aus der Kleinstadt, sie wohnt heute noch da. Ich habe mich als Teenager nicht für Politik interessiert und wusste nicht mal, was die FDP ist. Oder wer Frank-Walter Steinmeier ist. Bei ihr ist das immer noch so. Irgendwann habe ich festgestellt, wie wichtig es ist, eine mündige Bürgerin zu sein. Jetzt will ich mich dafür einsetzen, dass es anderen Menschen genauso geht – und vor allem Menschen wie meine beste Freundin. Ja, da bin ich idealistisch. Aber nicht so idealistisch wie andere Menschen in dieser Branche, die sich dadurch vielleicht leichter ausbeuten lassen. Auf mich trifft das nicht so sehr zu, weil ich richtig viel Antrieb und meine eigenen Ziele habe. Ich hab schon Lust, Karriere zu machen und bin auch ein bisschen getrieben. Das merkt man bestimmt auch auf Social Media.

„Mich langweilt nichts mehr, als Menschen, die nur erzählen, wie gut es läuft. Bei mir kann man miterleben, wie schwierig der Weg ist.“


Dort gibst du Einblick in deinen Berufsalltag. Warum hältst du das für wichtig?

Journalismus ist so wichtig für unsere Gesellschaft. Aber wenn man mit Herrn Otto Normalbevölkerung redet, ist der gar nicht immer so begeistert. Das liegt daran, dass Journalismus lange ein bisschen von oben herab stattfand. Nach dem Motto: Wir sagen euch, wie die Realität aussieht, was ihr zu denken habt. Durch Social Media können wir anders kommunizieren, auf Augenhöhe. Ich finde, so müssen wir das jetzt auch machen.

Social Media bedeutet zusätzlichen Arbeitsaufwand. Hast du das gut im Griff?

Lange habe ich Social Media wie ein Hobby gesehen. Ich schneide meine Videos nur am Handy – am Laptop fühlt es sich nach Arbeit an. Freie Texte, Podcast, Kolumne, Social Media, jetzt Journalistenschule: Es gab öfter Momente, in denen all die Projekte zu viel wurden. Ich merke dann, dass ich nicht mehr runterkomme. Meine Haare sind dann dauernd fettig. Ich lerne immer noch, wie ich das gut balanciere. Im vergangenen Jahr war ich in Indien, seitdem mache ich jeden Tag Yoga. Ich versuche mir einen festen Feierabend zu setzen und mache To-Do-Listen. Das muss aber noch professioneller werden.

Umfragen zeigen, dass eine gesunde Work-Life-Balance und ein bewusster Feierabend gerade der Gen Z wichtig sind – wichtiger als in den meisten anderen Altersgruppen.

Eigentlich finde ich Work-Life-Balance auch total wichtig – aber dann halte ich mich selbst nicht dran. Ich hatte mal ein Anstellungsverhältnis, in dem ich nur vier Tage in der Woche arbeiten musste. Den fünften und sechsten Tag habe ich dann genutzt, um frei zu arbeiten. Ich bin ehrgeizig und glaube, dass es bei vielen meiner Generation ähnlich ist. Obwohl es total unlogisch erscheint. Wir haben ja gar nichts, worauf wir hinarbeiten können. Eine Immobilie werden wir uns nicht leisten können. Die Weltlage ist schlecht. Trotzdem arbeiten einige so viel. Deshalb widerspreche ich immer, wenn uns jemand pauschalisierend faul nennt.

Wenn sich der Job trotzdem wie eine Belastung anfühlt: Sind wir dann manchmal selbst daran schuld?

Der Job ist einfach total belastend. Die Grenzen zwischen privat und beruflich verschwimmen oft. Vor allem, wenn man auch noch ein Umfeld oder – wie ich – einen Partner hat, der selbst Journalist ist. Um 22 Uhr im Bett zu liegen und über Pitches nachzudenken, ist eigentlich Arbeitszeit. Auch das will ich auf Social Media rüberbringen: Schaut mal, darauf lasst ihr euch ein, wenn ihr Journalismus macht. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal länger als vier Tage frei hatte.

Sowas sagst du schon so früh in der Karriere?

[lacht] Ja, aber ich versuche trotzdem, Hoffnung zu haben. Man kann ja trainieren, Grenzen zu setzen. Das macht meiner Meinung nach auch gute Chefs aus: Gut und fair zu anderen sein. Auch zu sich selbst. Aber ja. Das Grundproblem bleibt: Der Job ist unterbezahlt und man muss zu viel Arbeit investieren.

Wenn du deinem achtjährigen Ich sagen könntest, wo du heute stehst, wie würde die kleine Carlott reagieren?

Ich finde es selbst immer noch voll unrealistisch. Ich komme aus keiner Großstadt, mein Vater ist Hausmeister und auch sonst macht in meiner Familie niemand was mit Medien. Ich lebe schon ein bisschen meinen Traum. Vermutlich würde die achtjährige Carlott aber fragen, warum ich nicht für die Bravo Girl schreibe, denn das war damals mein Nonplusultra.

Annkathrin Weis arbeitet als freie Autorin, Moderatorin und Sicherheitstrainerin. Zusammen mit Luca Schmitt-Walz produziert sie den journalist-Podcast Druckausgleich.
Amelie Niederbuchner ist freiberufliche Fotografin aus München.

Carlott Bru ist in diesem Monat auch Gast im journalist-Podcast „Druckausgleich“. Kostenlos zu hören auf allen Plattformen und unter: journalist.de/podcast.