Meinung
Wir brauchen Teams - und zwar generationsübergreifende
Henriette Löwisch sagt: Vielfalt fängt bei der gegenseitigen Wertschätzung der Generationen im Redaktionsalltag an. (Foto: Shane McMillan)
Auf die Vielfalt, die wir uns wünschen, müssen wir den Journalismus erst vorbereiten, sagt Henriette Löwisch in unserer Serie "Mein Blick auf den Journalismus". Löwisch ist Leiterin der Deutschen Journalistenschule in München.
15.12.2023
Wann immer ich mich dabei ertappe, über die sogenannte Generation Z zu mosern, lenke ich meine Gedanken bewusst zurück zu meinem eigenen Berufseinstieg. Damals kam ich von der Journalistenschule in eine gerade im Aufbau begriffene Redaktion. Wir waren alle um die 30 und in ähnlichen Verhältnissen aufgewachsen. Nach Dienstschluss gingen wir zusammen in die Kneipe und sprachen darüber, wie wir unsere Arbeit noch verbessern könnten. Wir hatten ja keine anderen Verpflichtungen und brannten für unseren Beruf.
Genau so ein erfüllendes Arbeitsleben wünscht sich der Nachwuchs heute. Stattdessen herrscht in vielen Redaktionen eine Disharmonie, die effektiven Journalismus sehr schwierig macht. Mal abgesehen vom Leistungsdruck, der getrieben wird von wachsenden Anforderungen und schwindenden Ressourcen, hat dies auch mit verschiedenen Haltungen und Sensibilitäten zu tun, an denen sich die Generationen scheiden.
Um Missverständnissen gleich vorzubeugen: Klischees über Boomer und Gen Z werden in diesem Text nicht besprochen. Das Lamentieren über die angebliche Faulheit der Jungen, die für wenig Arbeit gutes Geld und viel Ruhm ernten wollen, ist ebenso kontraproduktiv wie das Klagen über die vermeintlich unbelehrbaren Älteren, die sich sämtlich ohne Rücksicht auf ihre Umwelt kaputt arbeiten. Worüber aber gesprochen werden muss, ist die gegenseitige Geringschätzung, die von solchen Erzählungen genährt wird. Denn: Um die Zukunft zu gewinnen, müssen sich Boomer und Gen Z besser verstehen lernen.
Kennzeichnend ist aktuell indes etwas anders. Da sind auf der einen Seite die gestandenen Redakteurinnen und Redakteure, deren journalistisches Selbstverständnis vor allem anderen auf ihrem Sachverstand aufbaut. Sie kennen sich aus in ihrer inhaltlichen Domäne, ihnen „gehört” ihr Ressort. Ihr Wissen gießen sie grammatikfest in traditionelle journalistische Formen. Diese Kompetenzen, so scheint es ihnen, werden allerdings immer weniger geschätzt. Die Digitalisierung verlangt und belohnt andere Fähigkeiten, für die man am besten schon mit dem Smartphone aufgewachsen ist.
Auf der anderen Seite steht der Nachwuchs, der sich oft auf seine digitale Vermittlungskompetenz reduziert sieht. Statt tief in ein Thema einzutauchen, statt eine Sache wirklich erkunden zu dürfen, sollen junge Redakteurinnen und Redakteure die sozialen Medien bespielen und „junge Themen” beackern, um ihre eigene Altersgruppe für die Zeitung oder den Sender zu gewinnen. Innerredaktionelle Wertschätzung bekommen sie dafür selten: In den Konferenzen geht es meist nur um die großen Fragen, für deren Bearbeitung dann wieder die etablierten Redaktionsmitglieder zuständig sind.
Gegenseitige Wertschätzung
Das Resultat sind auf beiden Seiten verbreitete Kränkungsgefühle, die für den Journalismus sehr gefährlich sind. Steht und fällt doch die Zukunft unseres Berufs damit, dass wir effektiv in Teams zusammenarbeiten können. Das hängt mit den komplexen Recherchen zusammen, die gebraucht werden, um in einer Welt der internationalen Verflechtungen die Mächtigen zu kontrollieren. Mit der Fehleranfälligkeit, die durch die Beschleunigung und die digitalen Manipulationsmöglichkeiten bedingt ist. Und mit der Notwendigkeit, das Publikum über verschiedene und sich ständig verändernde Kanäle und Formate zu erreichen.
Wie können wir also die gegenseitige Wertschätzung wiederherstellen, die für ein gelungenes Zusammenspiel zwischen Alt und Jung in den Redaktionen unabdingbar ist? Und, vorausgesetzt natürlich, dass wir uns durchaus mit einer Sache gemein machen wollen, nämlich der Demokratie: Wie verständigen wir uns auf eine gemeinsame Wertebasis, auf deren Grundlage wir unsere Aufgabe in einer freien Gesellschaft erfüllen?
Die erste Antwort liegt eigentlich auf der Hand: Wir müssen uns die Zeit nehmen, miteinander zu sprechen. Das ist allerdings schwieriger als es klingt, fehlt uns doch oftmals eine gemeinsame Sprache beziehungsweise eine gemeinsame Art zu sprechen. Kulturwissenschaftliche Begriffe, die heute wie selbstverständlich zum Diskurs an Unis gehören, klingen für ältere Ohren künstlich und arrogant.
Oder nehmen wir die Ängste, die wir mit unserer Arbeit verbinden, sowohl was das Heute als auch was die Zukunft betrifft. Viele Jüngere sind darin geübt, ihre Gefühle in Gruppen zu äußern, während Ältere vor Stuhlkreisen und Post-it-Zetteln zurückschrecken. Dennoch müssen wir Räume finden, Kränkungen und Befürchtungen ebenso zu artikulieren wie Wünsche und Hoffnungen. Vielleicht geht das ja ohne Fachvokabular.
An der DJS komplettieren die neuen Journalistenschülerinnen und Journalistenschüler am ersten Schultag reihum einige Lückensätze, laut und spontan. Diese Übung hat nichts mit Gruppentherapie zu tun. Sie fördert einfach die Bereitschaft zum offenen Austausch und das Nachdenken über sich selbst und die anderen. Der letzte Lückensatz, der vervollständigt werden muss, besteht aus einem Wort, er beginnt mit „eigentlich”. Probieren Sie’s aus!
„In Zeiten des Fachkräftemangels könnte eine zukunftsgewandte Personalentwicklung beinhalten, jeweils eine Nachwuchskraft und ein älteres Redaktionsmitglied zusammenzuspannen, so dass sie sich eine Stelle teilen.“
Gegenseitige Wertschätzung entspringt auch dann, wenn Einzelnen etwas zugetraut wird. Den Älteren, die Bedürfnisse jüngerer Zielgruppen einzuschätzen. Wann hat ein junges Ensemble zuletzt aktiv einen Boomer oder eine Boomerin rekrutiert? Den Jüngeren, ein Sachthema anzupacken, das eigentlich zum „Beritt” einer verdienten Kollegin gehört. Oder eine Persönlichkeit zu interviewen, die ein verdienter Kollege für sich gepachtet hat.
Solches Zutrauen muss allerdings einhergehen mit einer hohen Leistungsbereitschaft: Wer etwas Neues unternehmen möchte, muss sich gewahr sein, dass er oder sie dafür erst einmal länger brauchen wird als in der Arbeitszeit vorgesehen. Auf die Gefahr hin, dass ich mich jetzt sehr unbeliebt mache: Lebenslange Weiterbildung liegt nicht nur in der Verantwortung des Betriebs, sondern auch des Einzelnen.
In Zeiten des Fachkräftemangels könnte eine zukunftsgewandte Personalentwicklung beinhalten, jeweils eine Nachwuchskraft und ein älteres Redaktionsmitglied zusammenzuspannen, so dass sie sich eine Stelle teilen. Damit solch ein generationenüberschreitendes und dynamisches Doppel funktioniert, müssten beide Teile natürlich bereit sein, ihre Komfortzone zu verlassen. Sie müssten die Gelegenheit bekommen, Probleme und Erfolge regelmäßig zu reflektieren. Entsprechende Anreize, auch finanzielle, würden auf Wissenstransfer, Produktivität und gegenseitiges Verständnis sicher einzahlen.
Die Arbeit in diversen Teams, ob zu zweit oder in größeren Gruppen, funktioniert immer dann, wenn sich die Beteiligten gegenseitig und gleichermaßen mit Toleranz, Vertrauen, Fairness und Solidarität begegnen. Toleranz, die die Freiheit der anderen achtet und auch manche Frustration erträgt. Vertrauen, dass die anderen ihr Bestes tun, dabei ihre Möglichkeiten ausschöpfen und das Eingestehen von Irrtümern nicht abstrafen. Fairness, damit die eigenen Bedürfnisse nicht über die der anderen gestellt, sondern unterschiedliche Interessen ausgeglichen werden. Solidarität, um allen zu ermöglichen, ihren Teil zum Ergebnis beizutragen und sich daran zu erfreuen.
Ob über Generationsgrenzen hinweg oder in anderen Konstellationen: Divers zusammengesetzte Teams bergen das Potenzial, Eintönigkeit in der Berichterstattung zu überwinden. Zugleich bieten sie die Chance, den gesellschaftlichen Diskurs weniger schrill zu machen, und das ist in der heutigen Zeit von durch die sozialen Medien amplifizierten Extremmeinungen bitter notwendig.
Aus vielen Instrumenten ein harmonisches Orchester zu formen, bedarf jedoch einer handfesten Investition an Zeit, Kreativität und Engagement. Mehr Repräsentanz aller gesellschaftlichen Gruppen in den Medien zu fordern, ob von Frauen oder Menschen mit Migrationsgeschichte, war da vergleichsweise einfach, und nur ein erster Schritt.
Schon schwieriger ist es, Menschen mit vielfältigen Erfahrungen und Perspektiven zu ermutigen, sich auf den Weg in den Journalismus zu machen. Denn dieser Weg ist für Leute aus Nicht-Akademikerfamilien schlecht ausgeschildert und für Menschen mit Diskriminierungserfahrung ziemlich abschreckend. Die DJS will mit der Workshopserie #DuKannstJournalismus hier mehr Chancengleichheit herstellen, indem sie Redaktionsarbeit greifbar und Bewerbungsverfahren transparent macht.
#DuKannstJournalismus
Vielfalt – das ist für uns ein sehr breiter Begriff. Er schließt alle Erfahrungen und Perspektiven ein, die in unseren Jahrgängen zu wenig vertreten sind. Menschen, die Diskriminierung erlebt haben, ob aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer Religion, ihrer Geschlechteridentität oder einer körperlichen Beeinträchtigung. Leute, die in Ostdeutschland aufgewachsen sind. Menschen mit Migrationsgeschichte. Erstakademikerinnen und Erstakademiker. Um nur einige Beispiele zu nennen.
Wir sind uns bewusst, dass es viele Gründe gibt, warum solche Menschen im Journalismus fehlen. Stichwort unbezahlte Praktika oder die Lebenshaltungskosten während der Ausbildung. Auch hieran arbeiten wir. Mit #DuKannstJournalismus setzen wir erstmal an einer anderen Stelle an: Wir wollen die Blackbox Aufnahmeprüfung an Journalistenschulen für all jene ausleuchten, die von sich aus niemanden kennen, den sie fragen können. Denen der Vorsprung fehlt, den andere haben.
Die Einsteiger-Workshops wurden von Alumni der DJS entwickelt, die selbst diverse Perspektiven und Erfahrungen mitbringen. Sie finden seit Oktober in zehn Städten statt, in Kooperation mit örtlichen Medienhäusern. Die ersten Erfahrungswerte zeigen, dass wir so mehr Menschen ermutigen, eine journalistische Ausbildung zu wagen – bei uns, an anderen Journalistenschulen oder über ein Volontariat.
„Wir wollen die Blackbox Aufnahmeprüfung an Journalistenschulen für all jene ausleuchten, die von sich aus niemanden kennen, den sie fragen können. Denen der Vorsprung fehlt, den andere haben.“
Gelingt uns das, fängt die eigentliche Arbeit erst an. Denn wir müssen die unterschiedlichen Erfahrungen, Lebensumstände, Perspektiven und Weltanschauungen dann fruchtbar machen. Dies passiert im Journalismus nicht automatisch. Es kann in einer Welt voller hochkomplexer Herausforderungen nur erfolgreich sein, wenn wir Teams dazu befähigen, einander zuzuhören und vertrauensvoll und effektiv miteinander zu arbeiten.
Dabei müssen alle einiges an Zeit investieren, um sich jenseits von Videoschalten miteinander vertraut zu machen. Die Stärken Einzelner müssen sinnvoll eingesetzt, Aufgaben aber immer gerecht verteilt werden. Sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen, kann keine Standardlösung sein. Es muss eingeübt werden, in der Sache konsequent und auch hart Kritik zu üben, ohne dabei andere persönlich zu verletzen. Das kostet Gedanken und Energie.
Solche Investitionen sind aber notwendig, damit die Generationen in den Redaktionen von heute effektiv zusammenarbeiten. Sie zahlen sich langfristig garantiert auch in anderer Hinsicht aus. Denn wer hier anpackt, macht sein Haus schon jetzt für die Diversität bereit, für die wir streiten. Der wird die besten Köpfe aus allen Sphären gewinnen, die fleißigsten Rechercheure, die versiertesten Erzählerinnen. Der stellt die Teams der Zukunft auf.
Henriette Löwisch ist Schulleiterin und Geschäftsführerin der Deutschen Journalistenschule, die sie selbst absolviert hat (25. Lehrredaktion). Danach arbeitete sie als Nachrichtenredakteurin, Auslandskorrespondentin und Chefredakteurin beim deutschen Dienst der AFP.
Bisher erschienen:
Teil 1: Daniel Drepper, Chefredakteur von BuzzFeed Deutschland
Teil 2: Carline Mohr, Social-Media-Expertin
Teil 3: Georg Mascolo, Leiter des WDR/NDR/SZ-Rechercheverbunds
Teil 4: Hannah Suppa, Chefredakteurin Märkische Allgemeine
Teil 5: Florian Harms, Chefredakteur von t-online.de
Teil 6: Georg Löwisch, taz-Chefredakteur
Teil 7: Stephan Weichert, Medienwissenschaftler
Teil 8: Julia Bönisch, Chefredakteurin von sz.de
Teil 9: Ellen Ehni, WDR-Chefredakteurin
Teil 10: Barbara Hans, Spiegel-Chefredakteurin
Teil 11: Sascha Borowski, Digitalleiter Augsburger Allgemeine
Teil 12: Richard Gutjahr, freier Journalist, Start-up-Gründer und -Berater
Teil 13: Benjamin Piel, Chefredakteur Mindener Tageblatt
Teil 14: Josef Zens, Deutsches GeoForschungsZentrum
Teil 15: Christian Lindner, Berater "für Medien und öffentliches Wirken"
Teil 16: Nicole Diekmann, ZDF-Hauptstadtjournalistin
Teil 17: Carsten Fiedler, Chefredakteur Kölner Stadt-Anzeiger
Teil 18: Stella Männer, freie Journalistin
Teil 19: Ingrid Brodnig, Journalistin und Buchautorin
Teil 20: Sophie Burkhardt, Funk-Programmgeschäftsführerin
Teil 21: Ronja von Wurmb-Seibel, Autorin, Filmemacherin, Journalistin
Teil 22: Tanja Krämer, Wissenschaftsjournalistin
Teil 23: Marianna Deinyan, freie Journalistin und Radiomoderatorin
Teil 24: Alexandra Borchardt, Journalistin und Dozentin
Teil 25: Stephan Anpalagan, Diplom-Theologe, Journalist, Unternehmensberater
Teil 26: Jamila (KI) und Jakob Vicari (Journalist)
Teil 27: Peter Turi: Verleger und Clubchef
Teil 28: Verena Lammert, Erfinderin von @maedelsabende
Teil 29: Anna Paarmann, Digital-Koordinatorin bei der Landeszeitung für die Lüneburger Heide
Teil 30: Wolfgang Blau, Reuters Institute for the Study of Journalism der Universitäte Oxford
Teil 31: Stephan Anpalagan, Diplom-Theologe, Journalist, Unternehmensberater
Teil 32: Simone Jost-Westendorf, Leiterin Journalismus Lab/Landesanstalt für Medien NRW
Teil 33: Sebastian Dalkowski, freier Journalist in Mönchengladbach
Teil 34: Justus von Daniels und Olaya Argüeso, Correctiv-Chefredaktion
Teil 35: Benjamin Piel, Mindener Tageblatt
Teil 36: Joachim Braun, Ostfriesen-Zeitung
Teil 37: Ellen Heinrichs, Bonn Institute
Teil 38: Stephan Weichert, Vocer
Teil 39: Io Görz, Chefredakteur*in InFranken.de
Teil 40: Daniel Drepper, Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung
Teil 41: Björn Staschen, Programmdirektion NDR, Bereich Technologie und Transformation
Teil 42: Malte Herwig, Journalist, Buchautor, Podcast-Host
Teil 43: Sebastian Turner, Herausgeber Table.Media
Teil 44: Alexander von Streit, Vocer Institut für Digitale Resilienz
Teil 45: Ellen Heinrichs, Bonn Institute
Teil 46: Patrick Breitenbach, Blogger, Podcaster, Unternehmensberater
Teil 47: Caroline Lindekamp, Project Lead "noFake" beim Recherchezentrum Correctiv
Teil 48: Henriette Löwisch, Leiterin Deutsche Journalistenschule
Teil 49: Sebastian Esser, Medienmacher und Gründer
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