Warum wir falsch über Demenz berichten

Peggy Elfmann betreibt den Blog „Alzheimer und wir". Illustration: Francesco Ciccolella für journalist

Menschen mit Demenz leiden, verlieren ihre Persönlichkeit und sitzen im Heim. Oft vermitteln Journalistinnen und Journalisten dieses falsche Bild, kritisiert unsere Autorin Peggy Elfmann. Seit Jahren ist sie pflegende Angehörige und achtet deshalb auf Sprache und Themenwahl. Was wir besser machen können, wenn wir über Demenz berichten.

Text: Peggy Elfmann, Illustration: Francesco Ciccolella

15.04.2025

Es gibt Sätze, die mich sofort triggern: „Sie leidet seit fünf Jahren an Demenz“ oder „Demenz: Wenn das Ich verschwindet“. Wenn ich das in einem Text lese oder in einem Beitrag höre, will ich den Autor oder die Autorin anrufen und sagen: Das stimmt nicht. Jahrelang habe ich meine Mutter gepflegt, sie war an Alzheimer erkrankt – und hat nicht gelitten.

Ihr „Ich“ war immer da, selbst als sie vieles nicht mehr konnte. Derart falsch oder plakativ zu berichten, kann Ängste bei Erkrankten und Angehörigen schüren. Ich erinnere mich an den Schock, als mein Vater vor vielen Jahren anrief: „Deine Mutti hat Alzheimer.“ In meinem Kopf sah ich sie schon einsam in einem Pflegeheim sitzen, dabei war sie erst 55 Jahre alt, körperlich fit und stand mitten im Berufsleben. Ich recherchierte, las Artikel und schaute Reportagen. Ich hörte von schnellen Verläufen bei jungen Dementen, vom Verlust der Persönlichkeit, von der Hilflosigkeit der Angehörigen und von Missständen in Pflegeheimen. Das machte mir Angst. Angst um meine Mutter, dass ich sie schnell verliere und Angst um mich. Müsste ich mich aufopfern, weil Pflege daheim die einzige Option ist? Ich, Anfang 30, hatte eine kleine Tochter, einen Job, der mir Freude machte und in dem ich ehrgeizig war. Würde ich das alles aufgeben müssen?
 

Berichte voller Pathos und Klischees
 

Dass ich mit solchen Gedanken nicht alleine bin, erklärt mir Dr. Sarah Straub. Sie ist Neuropsychologin und begleitet an der Gedächtnissprechstunde am Universitätsklinikum Ulm Menschen mit Demenz und deren Familien. Sie sagt: „Ich führe sehr viele Gespräche mit Angehörigen und versuche, diese Ängste zu adressieren. Aber es ist häufig kaum möglich, ein gutes Gefühl zu geben.“ Straub ist überzeugt, diese Gedanken sind stark durch die mediale Berichterstattung beeinflusst. „Die Berichte über Demenz sind von Pathos und Klischees geprägt. Besonders die Geschichten über prominente Betroffene schockieren die Menschen. Sie sind meist mit einer dramatischen Erzählweise verbunden, die den vollständigen Identitätsverlust in den Mittelpunkt stellt“, erklärt Straub.

Susanna Saxl-Reisen bewertet es ähnlich. Seit über 20 Jahren arbeitet sie für die Deutsche Alzheimer Gesellschaft in Berlin, mittlerweile als stellvertretende Geschäftsführerin. „Wir haben einen sehr defizitorientierten Blick auf das Thema Demenz und der wird auch in den Medien transportiert. Dass Menschen mit Demenz viele Ressourcen haben, davon lese ich fast nie.“

Journalisten stellen Menschen mit Demenz häufig im Pflegeheim dar, dabei werden vier von fünf Erkrankte zu Hause betreut und gepflegt. Das Leben mit der Krankheit zu schildern und ihren Verlauf, kommt in der Berichterstattung oft zu kurz. Meistens differenzieren Medien auch nicht ordentlich zwischen den verschiedenen Demenzformen, ein paar Fachmagazine ausgenommen. Dabei gibt es mehr als 50 verschiedene Formen mit unterschiedlichen Symptomen und Verläufen.

Grundsätzlich bewertet Saxl-Reisen es positiv, dass Medien das Thema in den vergangenen Jahren deutlich häufiger aufgegriffen haben. Lang seien Demenzerkrankungen nicht ernst genommen und nur als Nischenthema behandelt worden – und das, obwohl viele Menschen betroffen sind. In Deutschland leben 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenz-Diagnose, dazu gehören mehr als 5,3 Millionen Angehörige.
 

Vielfältiges Leben trotz Demenz möglich
 

Schaut man sich Umfragen an, vor welcher Krankheit die Menschen hierzulande Angst haben, dann landet Demenz verlässlich unter den Top Drei. Gleichzeitig herrscht große Unwissenheit: Nur ein Drittel der Befragten gab im letzten Deutschen Alterssurvey an, dass sie mit dem Thema Demenz vertraut seien. Unter Demenz verstehen viele das grausame Vergessen. Eine Krankheit, die sich bis heute nicht heilen lässt. Aber da ist eben auch noch mehr.

„Neben Abschied und Verlust bedeutet das Leben mit Alzheimer auch Freude, Dankbarkeit und Miteinander. Darüber berichte ich in meinem Blog“

Nach den ersten Monaten voller Panik und Sorge habe ich gemerkt, dass es meiner Mutter gut geht. Sie musste zwar ihren Beruf aufgeben, aber sie trainierte wieder regelmäßig und nahm sogar an kleinen Lauf-Wettkämpfen teil. In den Jahren darauf verlor sie viele Fähigkeiten. Dafür teilte sie ihre Emotionen offener und lachte so laut, wie ich es zuvor nie gehört hatte. Sie tanzte mit meiner kleinen Tochter und schäkerte mit meinem Baby. Da entstand eine neue Nähe. Ich hatte so wenig über diese mutmachenden Momente gelesen. Deshalb entschied ich, einen Blog zu starten namens „Alzheimer und wir“. Neben Abschied und Verlust bedeutet das Leben mit Alzheimer auch Freude, Dankbarkeit und Miteinander. Darüber berichte ich in meinem Blog.
 

Mut machen
 

Auch Volkmar Schwabe kritisiert, wie Medien Demenz darstellen. Er engagiert sich im Beirat der Deutschen Alzheimer Gesellschaft – und hat vor drei Jahren die Diagnose Alzheimer erhalten. „Ich hatte damals furchtbare Angst. Für mich war Demenz perspektivisch Siechtum im Heim. Ich kannte nur dieses Bild aus den Medien“, erzählt der 76-Jährige. In den Wochen nach der Diagnose fiel er in ein „tiefes Loch bis zum Erdmittelpunk“, sagt er. Er habe sich herausgekämpft, alleine, erzählt er: „Ich kann heute gut mit der Krankheit leben und meistere meinen Alltag selbstständig. Darüber sollte man berichten.“ Sein größter Kritikpunkt an der Berichterstattung: „Es wird nicht mit den Menschen mit Demenz geredet.“
 

Begriffe stigmatisieren
 

Es geht auch darum, welche Worte wir in Texten und Beiträgen verwenden, sagt Susanna Saxl-Reisen. Für die Deutsche Alzheimer Gesellschaft hat sie daher den Sprachleitfaden „Demenz“ erarbeitet. Auch international gibt es Guidelines, etwa von Alzheimer Europe oder den österreichischen Leitfaden zu „Demenz in Sprache und Bild“.

Wenn Lieselotte Klotz Wörter wie „die Demente“ liest, „geht mir die Hutschnur hoch“, sagt sie. „Ich empfinde es als abwertend und sprachliche Stigmatisierung.“ Die 63-Jährige erhielt vor sechs Jahren die Diagnose Lewy-Body-Demenz. „Wenn du eine Erkrankung hast, ist es so, als würdest du eine Demenz-Mütze aufgesetzt bekommen und nur die wird beachtet“, sagt Klotz. Sie engagiert sich als Vice-Chair von Alzheimer Europe, spricht viel in der Öffentlichkeit und möchte ein vielfältiges Bild von Demenz zeigen. Aber wenn sie mit Journalisten spricht, hat sie das Gefühl, sie werde immer in ein Klischee gepresst: das Leiden, die Probleme, die Überforderung, der Verlust, das Pflegeheim.

Was aber nicht ins Bild zu passen scheint: Dass sie mithilfe von künstlicher Intelligenz Texte schreibt, zum Beispiel über Geschlechterunterschiede in der Medizin, dafür interessiert sie sich sehr. Demenz und Pflege sind Themen, die so gut wie jeden Menschen in der Gesellschaft früher oder später treffen. Die Gesellschaft altert, das Pflegesystem ist marode. Daher werden Fürsorge und Begleitung zunehmend Aufgabe der Angehörigen. Als Journalisten und Journalistinnen haben wir eine gesellschaftliche Aufgabe, Wissen zu vermitteln, Wege aufzuzeigen und Mut zu machen.

Wir schaffen das, indem wir Betroffenen zuhören und unseren Blick und unsere Sprache reflektieren.

Peggy Elfmann arbeitet als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit und Gesellschaft, Pflege und Familie.
Francesco Ciccolella ist Grafiker und Illustrator in Wien.