Noch ein Podcast? Ja, unbedingt!

Nadine Wojcik (l.) und Tina Hüttl fiel auf, dass Podcasts ganz anders funktionieren als Radio-Beiträge. Also fingen sie an, sie zu sezieren.

Mehr als 50 Prozent junger Mediennutzer*innen aus der Generation Z hören Podcasts. Warum funktioniert das Format so gut? In unserer Serie „Mein Blick auf den Journalismus“ unternehmen zwei Audio-Dozentinnen einen Erklärungsversuch.

Text: Tina Hüttl und Nadine Wojcik

11.03.2025

Niemand meldet sich. Es ist das Jahr 2016 und auf die Frage an den Volontärskurs, wer schon mal einen Podcast gehört hat, bleibt es still. Wir als Dozentinnen waren nur minimal besser aufgestellt, haben mal hier, mal dort einen US-amerikanischen Podcast gehört. Vor allem natürlich kennen wir Serial, den Doku-Podcast über einen verurteilten, aber möglicherweise unschuldigen Teenage-Mörder aus Baltimore. Er hat den Podcast-Hype eingeleitet. Wir waren also begeistert – und zugleich unsicher: Was sollten wir, die doch selbst noch nicht so recht mit der Materie vertraut waren, den Nachwuchsjournalist*innen eigentlich erzählen? Vor allem: Wie sollten wir Podcaster*innen aus ihnen machen?

Heute haben wir viele Podcast-Seminare an diversen Journalistenschulen hinter uns, von Axel Springer Academy bis Henri-Nannen-Schule. Wir fragen die Nachwuchsjournalist*innen zu Beginn des Seminars natürlich nicht mehr, ob sie Podcasts hören, sondern welche und wie oft. 45 Prozent der Deutschen konsumieren laut dem Branchenverband Bitkom Podcasts. 2016 lag die Quote noch bei 13 Prozent. In nur zehn Jahren haben Podcaster rund 40 Millionen Deutsche angezogen – und gehalten!

Podcasts sind gekommen, um zu bleiben. Die Nutzerzahlen stagnieren zwar, halten sich aber auf hohem Niveau. Wie hat der Podcast als hintergründiges, nachdenkliches Format das geschafft? Schließlich ist die Medienlandschaft sonst geprägt von krawalligen Talkshows, von kurzen News-Snippets und reißerischen Nachrichtenbildern.

Unsere These lautet: Podcasts sind so erfolgreich, weil sie instinktiv viele Kriterien des konstruktiven Journalismus berücksichtigen. Transparenz in der Recherche, ein lösungsorientierter Ansatz, eine empathische, nahbare Ansprache und vor allem: eine neue Art der Meinungsbildung – diskursiv und nicht von oben herab. Podcasts hören nicht bei den sieben W-Fragen auf, sie fügen noch eine hinzu: Wie weiter? Dabei kann man den Hosts praktisch beim Denken zuhören.

Das kommt vor allem bei den jungen Mediennutzenden von 16 bis 29 Jahren an: Mehr als 50 Prozent dieser Altersgruppe hören Podcasts. Auch unsere Nachwuchsjournalist*innen geben an, Stammhörer*innen von Langformaten wie Alles Gesagt, Lage der Nation, Ronzheimer oder Cui Bono-Staffeln zu sein. Und das, obwohl sie sonst ihre Infos nach eigenen Angaben über TikTok, Instagram oder anderen Newsfeeds am Handy beziehen.

Es geht sogar so weit, dass Medienhäuser wie Die Zeit oder die New York Times mittlerweile Werbung für ihre Printausgaben schalten – weil manche jungen Hörer*innen nur den Audio- Output kennen. Laut Statista führte 2024 „True Crime“ die Genre-Rankliste an, gefolgt von „Nachrichten und Politik“, an dritter Stelle steht „Comedy“. Verlässliche Zahlen gibt es aufgrund der verschiedenen Anbieter bisher zwar nicht, allerdings machen journalistische Podcasts schätzungsweise die Hälfte der täglichen Top Ten Podcast-Folgen aus. Man stelle sich nur mal ähnliche Zahlen im TV-Programm oder in den sozialen Medien vor!

Wir selbst kommen vom Hörfunk und hatten in zwei Jahrzehnten Radio unsere Sprachfärbung und Eigenheiten austrainiert. Podcasts klangen für uns wie ein Fehler in der Audio-Matrix: diese Erzählhaltung, diese Recherche-Transparenz, dieses packendeStorytelling! Da kamen wir mit unserem gewohnten Unterrichtsmaterial („Gebauter Beitrag“, „Kollegengespräch“) nicht weiter.

„Es gilt, Haltung und Meinung zu trennen. Der Unterschied ist gewaltig. Und entscheidend, wenn es um Objektivität geht.“

Anfangs hantierten wir mit den 11 rules der BBC, ein Regelwerk aus den 2010ern, das dazu diente, Podcasts von Radio zu unterscheiden. Es hing als Merkblatt in den Podcast-Studios der BBC. Die erste Regel: Ein Podcast ist kein Radio-Beitrag, auch wenn Radio-Formate als Podcasts verfügbar sind. Eine andere besagt: Podcasts sind für die Generation Headphone gedacht, das heißt, sie sind respektvoll, warm und sanft im Kopf des Hörers. Die letzte Regel: Podcasts sind agil. Sie können alle genannten Regeln über Bord werfen – mit Ausnahme von Regel Nummer 1. Alles ist möglich. Das war erfrischend in einer Zeit, in der wir und vermutlich auch die Hörer*innen vom einengenden Schema Radio-Reportage ermüdet waren: Eine prägnante Atmo zieht ins Thema und eine Stimme aus den Wolken – eigentlich Reporter*in vor Ort – schildert eine starke Szene und stellt vermeintlich neutral den Protagonisten im Dreiklang vor („Jens, 30 Jahre, lockiges Haar und Bomberjacke“ oder „Kerstin, neonpink lackierte Fingernägel und verschmitztes Lächeln“).

Fachliteratur fehlte zu dem Zeitpunkt noch. So begannen wir jeden Podcast zu sezieren, der veröffentlicht wurde. Zunächst beschränkten wir uns auf journalistische Podcasts, die zwar nicht zwingend von Journalist*innen gemacht wurden, aber journalistischen Kriterien entsprachen. Wir sammelten Beispiele: Wie fangen Podcasts an? Wie entwickelt sich die Story im Doku- oder das Gespräch im Interview-Podcast? Warum hört man so verdammt gerne zu? Dabei verabschiedeten wir uns von bekanntem Vokabular wie „Jingle“, „Anmoderation“ und Regeln wie „maximale Länge eines O-Tons ist 20 Sekunden“. Oder maximaler Länge überhaupt.

„Wenn der Inhalt fertig ist, ist der Podcast fertig. Der Inhalt gibt die Länge vor“, sagt Philip Banse, Host des Politikpodcasts Lage der Nation. Dass Podcasts keine vorgegebene Länge haben, war uns klar. Was uns daran mehr reizte: Eine Podcast-Dramaturgie trägt so lange, wie der Stoff sie trägt. Dann braucht es nicht mehr, und nicht weniger. Noch etwas schien anders, unerhört neu und so wirkmächtig. Wir dachten an Hosts wie Sarah Koenig von Serial. Wie hatte sie es geschafft, uns so in den Bann zu ziehen? Oder an Bastian Berbner vom NDR-Podcast 180 Grad - Geschichten gegen den Hass, den wir oft mit unseren Teilnehmern besprachen?

Jahr für Jahr, Volo-Jahrgang für Volo-Jahrgang warfen wir unser Konzept über den Haufen, bis wir die-Essenz fanden: Sarah Koenig ebenso wie Bastian Berbner hatten sich zum Teil der Geschichte gemacht, ihren Rechercheweg zur Story und uns als Hörerinnen an ihrer Lösungssuche teilhaben lassen. Sie waren als Hosts weiterhin Journalist*innen, aber gaben keine Allwissend- Haltung und Objektivität vor, sondern waren fehlbare, verletzliche, zweifelnde Menschen geworden – herabgestiegen aus den Wolken. Sie sind Storyteller, Geschichtenerzähler, eine Kulturtechnik so alt wie die Menschheit. Von Journalist*innen zu oft zitiert und zu selten begriffen.

„Ein guter Podcast urteilt nicht. Er hilft, die Welt zu verstehen.“

Wir merkten, wie sich eine gewisse Erleichterung einstellte, nicht die Rolle des unfehlbaren, allwissenden, (vermeintlich) objektiven Journalisten einnehmen zu müssen. Zu Recht kommt immer wieder die Frage: Was ist mit der journalistischen Objektivität? Es gilt, Haltung und Meinung zu trennen. Der Unterschied ist gewaltig. Und entscheidend, wenn es um die Frage der Objektivität geht. Eine Meinung kann ich zu einzelnen Themen haben, zu Entscheidungen, zu Situationen. Eine Meinung kann sich ändern, gerade über mehrere Folgen eines Podcasts hinweg. Eine Haltung liegt hingegen tiefer. Sie ist die grundsätzliche Sicht auf die Welt. „Mein Geländer“, wie Hans Leyendecker es mal so treffend gesagt hat. Eine Haltung gründet in der eigenen Biografie, jeder hat sie, auch wenn er sich noch so sehr um Objektivität bemüht. Im Umkehrschluss bedeutet das: Absolute Objektivität gibt es nicht, insbesondere nicht im Journalismus. Weil Haltung immer die Sicht auf die Welt und damit den Ausschnitt des Berichtens definiert.

Beim Podcasten ist genau diese Haltung gefragt. Sie fördert die Glaubwürdigkeit. Vermeintliche Objektivität schafft das nicht. Natürlich entbindet das Podcaster nicht von der „Objektivität der Methodik“, also mit Transparenz, Sorgfalt, Fairness, einer Konfrontation aller Beteiligten, sowie Demut das herauszufinden, was Watergate-Enthüller Carl Bernstein mal als „the best obtainable version of truth“ genannt hat.

Podcaster*innen können also authentischer, ehrlicher, menschlicher sein. Diese neue Rolle fällt uns langjährigen Radiomacher*innen schwer. Auch Anne Will gab beim „AllEars“ von Spotify 2024 zum Start ihres Podcasts zu: „Podcasts sind eine kooperative Welt. Ich muss eine andere Art der Gesprächsführung lernen, nicht konfrontativ, sondern zugewandt.“ Der neuen Medienmacher-Generation fällt das leicht: Authentizität, die man nicht erlernen kann, bringen sie mit, als wäre es selbstverständlich. Wenn es in unseren Seminaren darum geht, ein Podcast-Format zu konzipieren, ist es etwas Besonders für die Teilnehmer*innen. Erster Schritt bei der Entwicklung ist es, sich zu hinterfragen: Welcher Teil von mir spricht hier? Was interessiert mich daran wirklich? Warum bin ich der richtige Host für diesen Sto? Auch wir Dozentinnen lernen dabei jedes Mal viel über die Haltung unserer Teilnehmer*innen, wenn wir am Ende der Woche das Ergebnis anhören.

Die Podcast-Welt ist vielfältig, voll mit Themen, die sonst in Redaktionskonferenzen vielleicht als zu nischig, nicht reichweitenstark, nicht aktuell genug oder auch zu sensibel erachtet werden. So schaffte es Justitias Wille – Leben in der Wagschale, ein zutiefst erschütternder Podcast zum Thema assistierte Sterbehilfe, unter die Top Serien-Podcasts 2024 – zehn Folgen mit durchschnittlich 40 Minuten, eine Gesamtlänge von 7 Stunden. „In welchem anderen Medium kann man über das Thema Sterbehilfe so ausführlich sprechen und das Thema ver- und behandeln?“, sagte Co-Produzent Jon Handschin von Studio Bummens. Ein Thema verhandeln, genau das passiert in Justitias Wille. Die Journalistinnen Paulina Krasa und Laura Wohlers ringen mit assistiertem Suizid, sie zweifeln und zeigen in jeder Folge andere Perspektiven auf.

Oder der stellvertretender Bild-Chefredakteur Paul Ronzheimer: Für Artikel wird er oft in Kommentarspalten beleidigt. Nicht so für seinen Podcast Ronzheimer. „Die Leute bedanken sich, das kannte ich gar nicht”, sagt er. Und: „Mir hat Journalismus noch nie so viel Spaß gemacht. Ich wünschte, ich hätte früher damit angefangen.“ Angefangen hat er tatsächlich erst 2023, zunächst lief der Podcast Ronzheimer wöchentlich. Jetzt so oft, wie er und sein Team es für richtig halten – und wenn die aktuelle Lage es verlangt, dann eben auch täglich. „Ich finde Podcasting tief, ich finde es reflektiv.“ Als Heavy-User schätzt er vor allem lange Formate. „In dieser Tiefe gibt es wirklich die Möglichkeit, Dinge noch besser zu verstehen und auch aus ganz anderen Blickwinkeln zu betrachten.“

Podcasts orientieren sich also am Bedarf, oder an dem Bedürfnis, Kontext und Handlungsmöglichkeiten zu verstehen. Sie schaffen eine intensive Bindung zwischen Host und Hörer in einer Zeit, in der ein „Kult der Kurzfristigkeit“ (Bernhard Pörksen) die Berichterstattung prägt. Für uns sind sie die charmanteste Antwort auf die Vertrauenskrise der Medien. Ein guter Podcast urteilt nicht. Er hilft, die Welt zu verstehen.

Tina Hüttl und Nadine Wojcik sind freiberuliche Autorinnen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Seit 2016 unterrichten sie Podcasting und Audio-Storytelling. Als Audio-Dramaturginnen beraten sie Podcaster*innen und entwickeln Formate.