Mein Platz im Journalismus
Ein Hauptschulabsolvent, ein 62-Jähriger und eine dreifache Mutter erzählen von ihrem Platz im Journalismus.
Vielfalt ist mehr als Herkunft oder Gender. Auch Bildung, Alter, Elternschaft und viele weitere Dimensionen machen eine divers aufgestellte Redaktion aus. Der journalist hat mit drei Menschen gesprochen, die solche Aspekte der Vielfalt einbringen. Text: Mia Pankoke, Kathi Preppner und Jeanne Wellnitz
06.12.2024
„Ein Kevin aus Gelsenkirchen-Ückendorf ist genauso schlecht repräsentiert wie ein Mustafa.“
Bei Vielfalt kann es nicht nur darum gehen, Quoten zu erfüllen. Zwei Ausländer und zwei Frauen, und dann ist alles abgebildet. So funktioniert das nicht. Wenn Journalismus die gesamte Bandbreite der Gesellschaft abbilden will, müssen die Medien über den akademischen Tellerrand hinausblicken, also verschiedene Bildungshintergründe einbringen. Ich glaube, dass Medien oft den Fehler machen, explizit nach Menschen mit Migrationshintergrund zu suchen – und dann denken, damit sei es getan. Dabei stoßen sie natürlich nur auf diejenigen, die schon eine gewisse Reichweite haben, zum Beispiel Influencer:innen und Aktivist:innen, die sich auf ein Thema festgelegt haben. In den Redaktionen gibt es trotzdem den Fehlschluss, dass sie eine gewisse Gruppe repräsentieren und für diese sprechen können.
Das ist aber nicht so. Wäre ich zum Beispiel als Sohn eines Zahnarztes und mit perfekter Bildungsgeschichte aufgewachsen, hätte ich auch als Deutsch-Türke einen ganz anderen Blick auf alles um mich herum. Deshalb sollten wir Zugehörigkeit lieber auch entlang von Bildung und Vermögen denken, nicht allein nach Herkunft. Ein Kevin aus Gelsenkirchen-Ückendorf mit einer alleinerziehenden Mama ist genauso schlecht repräsentiert wie ein Mustafa. Und hat genauso wenig eine Chance selbst Journalist zu werden. Auch mir ist das gewissermaßen passiert. Ich hatte das Glück, dass David Schraven, Gründer des Recherchezentrums Correctiv, auch aus Bottrop kommt und auf mich aufmerksam wurde. Ich habe damals aus einer Shisha-Bar hinaus die Wählergemeinschaft „Verfassungsschüler“ gestartet, und er war auf der Suche nach einem Deutsch-Türken, der das Leben als Mensch mit türkischen Wurzeln hier in Deutschland kennt. Dann war ich mehrere Jahre bei Correctiv und habe dort auch die Jugendredaktion Salon5 mitgegründet.
Mittlerweile arbeite ich in der funk-Zentrale. Dort begleite und verantworte ich sechs Formate, darunter zum Beispiel den Geschichtskanal Türkei100. Trotzdem begleitet mich das Gefühl, nicht immer qualifiziert zu sein. Ich glaube, als Nichtakademiker im Journalismus gehört das leider dazu. Manchmal bin ich bei bestimmten Formulierungen oder Inhalten unsicher. Und wenn ich Menschen begegne, die schon seit zwanzig Jahren im Journalismus arbeiten und davor auch noch 20 Jahre studiert haben, schüchtert mich das ein. Auch wenn das Kameramänner oder Redakteurinnen aus anderen Gebieten sind und ich eigentlich weiß, was ich will, fällt es mir dann manchmal schwer, auf Augenhöhe zu diskutieren. Etwa, wenn ich Texte abnehme und wir in eine inhaltliche oder grundlegende journalistische Diskussion abschweifen. Viele dieser Unsicherheiten sind Teil des Komplexes, den ich in mir trage.
Aber es tut sich was, und das motiviert mich gleich wieder, mich weiter für einen leichteren Einstieg und auch Quereinstiege im Journalismus einzusetzen. Beim ZDF arbeitet jetzt zum Beispiel eine Kollegin, die ich noch aus ihren Anfängen bei Salon5 kenne. Sie hat nicht studiert, sondern „nur“ Abitur und macht jetzt ein Volontariat. Für die Branche ungewöhnlich. Einer meiner größten Träume ist eine öffentlich-rechtliche Journalistenfabrik, die Menschen aus allen Bildungshintergründen ausbildet und fördert.
Hüdaverdi Güngör ist Formatentwickler bei Funk und hat zuvor lange beim Recherchekollektiv Correctiv gearbeitet. Er hat einen Hauptschulabschluss und setzt sich für mehr Bildungsvielfalt im Journalismus ein.
„Bewerben mit 62 ist wie Lotto spielen.“
Journalist zu sein ist für mich auch nach vielen Jahren noch ein Traumberuf. Es ist so wichtig, den Menschen zu erklären, was in ihrem Viertel, in ihrer Stadt, in ihrem Land geschieht. Jahrzehntelang gelang mir das: bei der Deutschen Welle, dem Deutschlandradio, als Chef vom Dienst bei stern TV. Ich coachte Redaktionen, plante Programme, lehrte an der Uni und verantwortete zuletzt zwei Jahre lang die strategische Programmplanung bei n-tv. Doch mein Vertrag war befristet und endete im März dieses Jahres. Voller Tatendrang schrieb ich Bewerbungen, um mir einen neuen Job zu suchen. Mit 62 Jahren, gesund und voller Energie, frage ich mich allerdings so langsam: Habe ich überhaupt noch einen Platz im Journalismus? In der Branche, die in Zeiten von Fake News und Rechtsruck doch aktuell mehr denn je fähige Leute braucht? Kürzlich erhielt ich die 34. Absage: „Liebe Bewerberin/lieber Bewerber, nach sorgfältiger Überprüfung Ihrer Unterlagen müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass …“. Mittlerweile bin ich schon dankbar, wenn überhaupt eine Absage kommt.
Bewerben mit 62 ist wie Lotto spielen. Oft höre ich gar nichts von den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern. Ich habe mich auf mehr als drei Dutzend Stellen beworben, mit digitaler Mappe oder über Kontakte. Ich rufe Recruiter an, spreche mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, führe Vorgespräche, frage nach Interesse. Auch Headhunter haben sich für mich ins Zeug gelegt. Acht Vorstellungsgespräche hatte ich dadurch, das waren gute Gespräche, meist für Medienmanagementpositionen. Doch am Ende klappte es bei keinem. Oft stellte man mir die Frage: Wie lange wollen Sie noch arbeiten? Ich antworte inzwischen gern ironisch: Zumindest werde ich nicht mehr schwanger. Denn diese Frage ist so wenig statthaft wie jene, die sich meine Kolleginnen oft anhören müssen: „Frollein, wollen Sie nicht bald Kinder bekommen?“ Ich wünsche mir, dass Recruiter verstehen: Wenn ich mich bewerbe, gebe ich alles und bleibe so lange wie möglich!
Mittlerweile bewerbe ich mich auf Redakteurspositionen und im Corporate-Content-Bereich. Ich habe Lust zu arbeiten, mich einzubringen. Es muss keine Chefposition sein. Ich würde Köln verlassen oder ins Ausland gehen. Ich verhandle mein Gehalt so, dass es der Position angemessen ist. Doch bisher bot man mir höchstens eine freie Mitarbeit an. Die Medien scheinen zu denken: Der will doch nur Chef sein und kostet viel Geld. Zu alt, zu teuer. Mein Wunsch an Recruiter: Sprecht doch erst einmal mit uns Älteren. Gebt uns die Chance, uns vorzustellen. Ihr könnt euch auf unsere Loyalität und Erfahrung verlassen. Wenn wir gelassener auf Breaking-News-Situationen reagieren, muss das journalistisch nicht immer falsch sein. Harald Schmidt hat mal zu mir gesagt: „Ja, ja, ich weiß schon. Wenn ein Auto in der zweiten Reihe falsch parkt, ist das für euch schon Breaking News und die Push-Meldung geht raus.“ So ganz unrecht hat er damit nicht. Es geht um den Überblick und auch darum, was wir früher im Nachrichtenjournalismus die Funktion des Gatekeepers nannten. Da hilft Erfahrung. Den Karriereposten brauchen wir nicht mehr.
Dass es vielen ohne Job so geht wie mir, sehe ich täglich in Kommentaren und Nachrichten auf LinkedIn. Dort habe ich im Sommer meiner Community mitgeteilt, wie ich mit sehr viel Elan trotzdem ständig gegen Mauern renne. Über 6.000 Likes und fast 600 Kommentare haben mir gezeigt: Ich bin nicht allein. Also, liebe Personaler, ladet doch bitte auch mal Menschen mit Lachfalten zu einem Jobinterview ein. Wir können noch arbeiten und wollen das auch, versprochen!
Marko Langer hat als politischer Nachrichtenjournalist für Deutsche Welle und Deutschlandradio gearbeitet, war Chef vom Dienst bei stern TV und hat zuletzt die strategische Programmplanung bei n-tv geleitet. Der 62-Jährige sucht seit März einen Job.
„Das Wort Doppelbelastung mag ich eigentlich nicht.“
Vor der Geburt meiner ersten Tochter habe ich bei der taz aufgehört. Danach war ich sieben Jahre lang zu Hause und habe als freie Journalistin für verschiedene Medien geschrieben, vor allem für Süddeutsche und Welt. Ich finde es toll, mit Kindern zusammen zu sein. Doch immer nur auf Spielplätze zu gehen, das war nichts für mich. Ich hatte Glück, dass Thomas Schmid mich 2003 zur Leiterin des Meinungsressorts der Welt gemacht hat. Das war großartig für mich.
Aber natürlich bedeutet eine Vollzeitstelle für Eltern immer, dass sie beides nicht ganz richtig machen – oder jedenfalls das Gefühl haben. Das Wort Doppelbelastung mag ich nicht, weder Kinder noch Arbeit sind eine Belastung. Drei Kinder großzuziehen und gleichzeitig beruflich erfolgreich zu sein, macht ja auch glücklich. Das gibt einem ein Gefühl von Selbstwirksamkeit. Trotzdem war es mit kleinen Kindern nicht immer leicht. 2005 war ich mit der Kanzlerin ein paar Tage in China und Japan. Als ich, ganz erfüllt von der Erfahrung, nach Hause kam, war meine Jüngste mir gegenüber plötzlich distanziert höflich, das war schrecklich. Während der ersten Monate im neuen Job hatte ich eine Zeit lang Herzrhythmusstörungen. Das habe ich meinen Kollegen nicht gesagt, sie sollten nicht denken, ich käme nicht klar. Ich habe mir Medikamente geben lassen, irgendwann hat es sich gelegt. Bald kam ich in eine Routine, hatte für die Kinderbetreuung ein Netzwerk aus Nachbarinnen, Freundinnen und Kinderfrauen aufgebaut. Als ich in die Parlamentsredaktion gewechselt bin und keine Ressortleiterin mehr war, wurde es noch leichter.
Ich glaube, heute ist die Atmosphäre anders. Bei der Zeit arbeiten viele Mütter, da ist es klar, dass man Rücksicht nimmt. Es macht den Frauen nicht mehr so viel Angst, eine Zeit lang draußen zu sein und nicht wieder in den Beruf reinzufinden.
Mariam Lau ist seit 2010 Redakteurin im Politikressort der Zeit. Sie hat drei erwachsene Töchter. Als sie 2003 die Leitung des Meinungsressorts bei der Welt übernahm, war die Älteste gerade fünf Jahre alt.