Meinung
"Ich will da lebendig rauskommen"
Sophie von der Tann: "Einer Rakete ist es schließlich auch egal, ob sie eine Frau oder einen Mann trifft. Muss man erst ein fünfzigjähriger Mann sein, um in meinem Beruf nicht aufzufallen?" (Foto: Dominik Butzmann)
Sophie von der Tann (32) ist Korrespondentin im ARD-Studio Tel Aviv. In den Tagen nach dem 7. Oktober, als Hamas-Terroristen in Israel einfielen, ist sie quasi rund um die Uhr auf Sendung. Sie berichtet für alle ARD-Sender – von Morgenmagazin bis Tagesthemen. Interview: Jan Freitag
04.12.2023
Obwohl noch vergleichsweise jung, ist Sophie von der Tann eine erfahrene Auslandskorrespondentin, die seit zwei Jahren aus Tel Aviv berichtet. Sie sagt: „Wenn man als Korrespondentin nach Israel und in die palästinensischen Gebiete geht, muss man sich darüber klar werden, dass es zur Eskalation kommen kann, die potenziell gefährlich wird.“
journalist: So von Zivildienstleistendem zu Zivilistin: Wie fühlt es sich bei der Arbeit mit Helm und Schutzweste in Tarnfarben an?
Sophie von der Tann: Darüber mache ich mir in dem Moment, wo ich das trage, eigentlich kaum Gedanken, weil es einfach das ist, was ich eben tragen muss in Situationen wie aktuell in Israel und den palästinensischen Gebieten. Wenn das Sicherheitskonzept vorsieht, das anzuziehen, ziehe ich es an.
Und mit welchem Gefühl also?
In so einer exponierten Lage fühlt es sich vor allem geschützter an als ohne. Die Ausstattung ist ganz schön schwer, und ich glaube, dass die Sicherheitsfirmen noch viel zu tun haben, damit sie am Ende auch Frauen gut passt.
Hat sich das Sicherheitsbedürfnis an einem konfliktträchtigen Einsatzort wie Israel seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober spürbar verschärft oder war es auch vorher schon groß?
Wenn man als Korrespondentin nach Israel und in die palästinensischen Gebiete geht, muss man sich darüber klar werden, dass es zur Eskalation kommen kann, die potenziell gefährlich wird. Ich jedenfalls war mir dessen sehr bewusst. Wir versuchen natürlich, alles zu tun, nicht in solche Situationen zu kommen und arbeiten auch mit erfahrenen Leuten zusammen. Aber dass es zu diesem Zeitpunkt in dieser Dimension eskaliert – damit hat, glaube ich, niemand gerechnet.
Sie eingeschlossen?
Mich eingeschlossen. Mir war immer klar, dass hier ein gewisses Risiko für Eskalationen besteht, aber wirklich unsicher gefühlt habe ich mich deshalb eigentlich selten – auch wenn latent immer eine gewisse Spannung herrscht. Wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen wäre, hätte man auch schon vorher in Terrorangriffe geraten können.
Sie waren auch in Gaza und im Westjordanland?
Natürlich. An beiden Orten war ich in den zwei Jahren hier schon mehrfach. In unserem Berichtsgebiet Israel und den Palästinensergebieten sind wir fast überall unterwegs.
Legt man sich da automatisch eine Art virtuellen Panzer der Abgebrühtheit an, der über den materiellen hinausgeht, den Sie gerade häufig in der Tagesschau tragen?
Ich hoffe nicht, weil er mich daran hindern würde, mich auf die Geschichten dort einzulassen, den Menschen wirklich zuzuhören und zu sehen, was wirklich los ist, anstatt es teilnahmslos an sich vorbeiziehen zu lassen.
Gilt das für Sie oder alle Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten vor Ort?
Ich erinnere mich an eine Situation im Mai, als ich während einer Eskalation eine Woche lang zusammen mit einem Kollegen im Gaza-Streifen festsaß. Als wir dann mitten in der Nacht mit UN-Fahrzeugen evakuiert wurden, war es ein merkwürdiges Gefühl, an Bewohnern vorbeizufahren, die vor Beschuss oder Luftangriffen nicht wie wir evakuiert werden. Andere im Fahrzeug haben sich dagegen so ein bisschen locker über Anekdoten von ihrer Evakuierung aus Kabul unterhalten, als wäre das normal. Da dachte ich: Hoffentlich werden wir nie so abgebrüht. Man gewöhnt sich an einiges, aber mir ist wichtig, noch alles wirklich wahrzunehmen – auch, wenn das manchmal wehtut.
Zumal der 7. Oktober gezeigt hat, dass man gar nicht abgebrüht genug sein kann, um von der Weltgeschichte nicht doch überrollt zu werden.
Genau.
„Man gewöhnt sich an einiges, aber mir ist wichtig, noch alles wirklich wahrzunehmen – auch, wenn das manchmal wehtut.“
Was hat dieser Tag mit Ihnen als Journalistin, aber auch als Mensch gemacht?
Es hat mich wie alle anderen vollkommen entsetzt. Wie sehr, das kann ich im Nachhinein gut an Chatverläufen nachverfolgen. Ich habe mir meinen bei WhatsApp – interessanterweise mit jenem Kollegen, mit dem ich im Mai im Gaza-Streifen festsaß – gestern zufällig noch mal angesehen. Am Morgen des 7. Oktobers habe ich zum ersten Mal überhaupt Raketenalarm in Tel Aviv gehört. Bei den vorigen Malen war ich zufällig nie im Land. Wir waren beide total fassungslos über die Videos, die Hamas-Terroristen in israelischen Ortschaften zeigten. „Das hat eine andere Dimension“, habe ich ihm früh am Morgen geschrieben, das war uns schnell klar.
Damals noch reine Intuition?
Nicht nur. Wenn man wie ich schon mehrfach die Grenze überquert hat und sehen konnte, wie hoch diese Mauern sind und wie stark bewacht sämtliche Sicherheitsanlagen, war es umso unvorstellbarer, dass Terrorkommandos da einfach durchkommen. Das war ein echter Schock.
Schalten Sie als Journalistin dann in eine Art Notfallmodus und lassen persönliche Befindlichkeiten nicht an sich heran, um beruflich funktionieren zu können?
Das ist in dem Moment schon deshalb wichtig, weil ich von da an fünf Tage am Stück eigentlich durchgearbeitet habe. Und da mein TV-Kollege nach einer langen Dokumentation gerade in Deutschland war und nicht einfliegen konnte, weil alle Flüge gecancelt wurden, waren wir im TV-Studio ein kleines Team. Er hat von München aus versucht, alles Mögliche beizusteuern, was für die Berichterstattung nötig ist. Aber vom Morgenmagazin um 7 Uhr bis zu den Tagesthemen israelischer Ortszeit nach Mitternacht war ich konstant on air und musste zwischendurch auch noch die Termine draußen koordinieren. Wenn man da nicht im Funktionsmodus bleibt, ist das unmöglich.
Geht das so weit, seine Körperfunktionen herunterzuregeln und weniger Schlaf- oder Essbedarf zu haben?
Nein, Hunger hatte ich zum Glück schon verspürt und konnte ihn bei Gelegenheit auch stillen (lacht). Und Zeit, um zwischendurch mal mit jemandem auch persönlich zu telefonieren, blieb ebenfalls. Ich hatte sogar ein kleines Ritual, nach der 20-Uhr-Tagesschau auf dem Rückweg nach Tel Aviv kurz meine Eltern anzurufen und auf den neuesten Stand zu bringen – womit ich gewissermaßen sogar die nächste Schalte üben konnte. Ich bin kein Roboter, aber es war faszinierend, zu sehen, was Körper und Geist mit ausreichend Adrenalin in Extremsituationen wie dieser zu leisten in der Lage sind, dass vier, fünf Nächte in Folge mit vier, fünf Stunden Schlaf machbar sind, wenn’s drauf ankommt. Aber auch das geht natürlich nur …
… mit Teamwork.
Und unser Team hat nicht nur viel Erfahrung, sondern wenn’s drauf ankommt dieselbe Einsatzbereitschaft. Alle. Die Kameraleute natürlich, die Producer mit den nötigen Kontakten, den Sprachkenntnissen, die Techniker. Und wir arbeiten auch eng mit unseren Radiokollegen zusammen, mit denen wir einen sehr konstruktiven Austausch haben, um Situationen besser einschätzen zu können.
Entscheidet dieses Team am Ende auch gemeinsam, was von Ihnen am Bildschirm zu sehen und hören ist?
Nein, was ich in einer Live-Schalte sage, sage ich. Das ist mir auch wichtig – obwohl ich natürlich ständig auf der Suche nach Input vom Team in Tel Aviv oder Ortskräften im Westjordanland und Gaza bin, die unter ganz anderen Bedingungen als wir arbeiten, zurzeit aber oft schlecht erreichbar sind. Ich finde es unerlässlich, anderen zuzuhören. Aber über das, was ich sage, entscheide ich allein. Wenn es um TV-Beiträge geht, entscheiden die Redaktionen letztlich, welche Geschichten gesendet werden, und zum Teil auch, wie sie aufgebaut werden. Da wir aber die Gesichter auf den Bildschirmen sind, wird Resonanz auf die gesamte Berichterstattung oft auf uns projiziert.
„Es geht nicht darum, sich zu gefährden, sondern: Risiken sorgsam abzuwägen, durch gute Vorbereitung zu minimieren.“
Angesichts von Krieg und Terror im Zeitalter digitaler Netzwerke ist dabei wichtiger denn je, welche Bilder verbreitet werden und welche nicht. Wer kuratiert abgesehen von ihren Wortbeiträgen letztlich, was zu sehen ist?
Das geschieht immer in enger Absprache mit den Redaktionen, um gemeinsam – auch mithilfe technischer Tools wie visual fact tracking – zu entscheiden, was aus unterschiedlichen Gründen gesendet wird oder eben nicht. Zum Beispiel wenn etwas zu viel Gewalt zeigt, zu propagandistisch ist, nicht authentisch oder nachverfolgbar ist. In jedem Fall müssen wir die Quellen angeben, wenn Videomaterial nicht selbst gedreht wurde oder von Nachrichtenagenturen kommt, sondern aus Social Media stammt oder zum Beispiel vom israelischen Militär veröffentlicht wird. Bilder von Menschen in einer entwürdigenden Situation, etwa aufgrund von Misshandlungen oder während Verhören, verpixeln wir.
Dient all dies auch dem journalistischen Neutralitätsgebot insbesondere als Teil einer öffentlich-rechtlichen Nachrichtenredaktion, die trotz der vielzitierten Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson keine Partei für eine der Konfliktseiten ergreifen darf?
Ich finde Neutralität einen schwierigen Begriff und würde ihn lieber durch Objektivität ersetzen. Das bedeutet, dass wir uns mehrere Positionen anschauen, Quellen prüfen und alles einordnen, ohne zu bewerten. Unser Job besteht darin, aus unterschiedlichen Blickwinkeln gut informiert bestmöglich zu berichten, was vor Ort passiert. Das ist für mich Objektivität, die gerade in einer solchen Situation wie in Israel und den palästinensischen Gebieten ungeheuer wichtig ist. Eine der großen Herausforderungen ist, dass wir uns aktuell kein eigenes Bild von der Lage machen können.
Weil der Gaza-Streifen gesperrt ist.
Und unser lokales Team, das dort unter großen Gefahren arbeitet, kann auch nicht überall hin. Außerdem können wir sie, wenn das Netz zusammenbricht, oft länger nicht erreichen.
Was fühlt sich in dieser Situation gerade lauter an: der physische Gefechtslärm gegenseitiger Angriffe oder der virtuelle Gefechtslärm in den sozialen Netzwerken?
Dieser Krieg wird auf unterschiedlichen Schlachtfeldern ausgetragen. On the ground, also im Gaza-Streifen, entlang mehrerer Grenzgebiete, aber auch im israelischen Kernland, wohin Raketen abgefeuert und abgefangen werden. Parallel zur militärischen Auseinandersetzung gibt es aber auch diejenige auf Social Media oder in verschiedenen Ländern in der Welt, wo sie auch wieder – teilweise gewalttätig – vor Ort ausgetragen werden. Da wiederum gibt es Konfliktschauplätze, die zwischen Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit kreisen. Es ist digital und real alles sehr aufgeheizt. Ich persönlich versuche, mich auf den physischen Konflikt vor Ort zu fokussieren.
Haben die Debatten in den Netzwerken und Messenger-Diensten darauf dennoch Einfluss, oder blenden sie die völlig aus?
(überlegt lange) Unser Ziel ist es natürlich, darüber zu berichten, was vor Ort passiert. Ebenso klar ist aber, dass man Social Media sehr genau beobachtet. Ich agiere ja nicht in einer Blase, wo ich einfach mein Handy ausmache und dann nicht mehr nach rechts oder links gucke. Digitale Informationen auf Wahrheitsgehalt und Relevanz zu überprüfen, ist allerdings eine enorme Herausforderung. Es ist auch nicht so, dass ich dort etwas lese und dann denke, ich müsste an meiner Berichterstattung etwas grundlegend ändern, weil die Debatte im Netz eine völlig andere Richtung einschlägt.
„Eine der großen Herausforderungen ist, dass wir uns aktuell kein eigenes Bild von der Lage machen können.“
Wo sich die Kolleg*innen vom heute journal gerade mit Vorwürfen auseinandergesetzt haben, sie würden einseitig vom Krieg berichten – gibt es so was wie Stimmungen, wenn nicht gar Direktiven aus der Heimatredaktion, die zumindest mittelbar Vorgaben machen?
Nein. Wir sind vor Ort. Wir schlagen die Themen vor, die wir wichtig finden. Wir berichten davon, was wir vor Ort mitkriegen.
Trotzdem könnte es doch gerade in diesem Fall so sein, dass ARD-aktuell oder der Bayerische Rundfunk als Basis aller Auslandskorrespondent*innen eine antisemitische oder antiislamische Stimmung in Deutschland feststellt und möchte, dass die Berichterstattung dem entgegenwirkt oder die Balance herstellt.
Natürlich diskutieren wir auch mit den zuständigen Redaktionen darüber, was in welchem Zusammenhang berichtenswert wäre oder nicht. Aber mir persönlich hat von dort noch nie jemand reinredigiert oder eine Meinung vorgegeben.
Sie befinden sich als junge Journalistin gerade in einem Konflikt, auf dem die eine Seite ein extrem misogynes Frauenbild vertritt, die andere hingegen ein vergleichsweise modernes. Welchen Einfluss hat das auf Sie, Ihr Selbstvertrauen, die Arbeit?
Da so ein Schwarzweiß-Szenario zwischen verschiedenen Gesellschaften und Kulturen aufzumachen, finde ich nicht richtig. Das wird der Situation vor Ort nicht gerecht. Und Einfluss – sollte es denn Einfluss auf mich haben?
Die Frage ist nicht, ob es das sollte, sondern hat?
Also für mich macht es wirklich keinen Unterschied, von dort als Frau oder Mann zu berichten. Dass sich viele so für den Umstand interessieren, wenn jung und weiblich aus Krisengebieten berichten, wirft bei mir die Frage auf, warum es in der deutschen Medienlandschaft immer noch als Ausnahme wahrgenommen wird, also der Rede wert zu sein scheint. Wenn ich mich gerade unter internationalen Kolleginnen und Kollegen, besonders den britischen oder amerikanischen Korrespondenten in Israel und den palästinensischen Gebieten so umschaue, liege ich altersmäßig eher im Schnitt.
Mit 32 Jahren?
Nur mal als Beispiel: der Büroleiter der New York Times, Patrick Kingsley, ist 34 Jahre alt. In Deutschland scheint das allerdings noch immer als zu jung angesehen zu werden. Zum anderen gibt es auch viele Frauen vor Ort. Bei CNN Hadas Gold, beim niederländischen Rundfunk NOS Nasrah Habiballah oder um mal ein deutsches Beispiel zu nennen: Katharina Willinger, Leiterin des ARD-Büros in Istanbul. Wenn Sie trotzdem Fragen nach meiner Position hier als vermeintlich junge Frau stellen, wirft das für mich solche danach auf, wo wir in der deutschen Medienlandschaft eigentlich stehen in Sachen Diversity.
Wenn man Ihnen jetzt folgt, befinden wir uns jedenfalls schon in einer Zaubertraumwelt vollendeter Gleichberechtigung, in der es allenfalls ein Wahrnehmungsproblem, aber kein Darstellungsproblem gibt.
Ich kann nur sagen, dass wir uns, als wir am 7. Oktober die Schutzwesten angezogen haben und losgefahren sind, überhaupt keine Gedanken über solche Sachen gemacht haben, weil es in unserem Team einfach keine Rolle spielt. Bei uns vor Ort wirklich nicht. Und da mir auch meine Vorgesetzten nie dieses Gefühl geben, dass ich als Frau da eine andere Rolle hätte, ist das keine Zaubertraumwelt, sondern zumindest für mich hier die Realität. Einer Rakete ist es schließlich auch egal, ob sie eine Frau oder einen Mann trifft. Muss man erst ein fünfzigjähriger Mann sein, um in meinem Beruf nicht aufzufallen?
Das war halt mehr als 70 Jahre der Fall, und wenn Sie heute bei ProQuote oder der MaLisa-Stiftung nachfragen, werden Sie vermutlich hören, dass diese Zeiten keineswegs vorüber sind. Deshalb existiert das Bild maskuliner Haudegen, die sich in jedes Krisengetümmel werfen, ja fort.
Klar laufen hier auch noch solche Haudegen rum, die gibt’s immer. Insgesamt habe ich aber den Eindruck, dass es mittlerweile besonders bei den englischsprachigen Medien viele junge und weibliche Kolleginnen und Kollegen gibt.
Es gab also, als sie vor zwei Jahren mit knapp 30 nach Israel gegangen sind, keine Platzhirsche und Danger Seeker, die ihren Standesdünkel pflegen und bezweifeln, dass die junge Deutsche das packt?
In unserem Team gibt’s das nicht. Klar, trifft man hier und da so richtige Veteranen. Vielleicht habe ich mich dann auch intuitiv eher an die gehalten, die ihren Erfahrungsschatz mit mir teilen, und die gemieden, die einen bevormunden wollen.
Zumal Sie eher Ihren Erfahrungsschatz mit anderen teilen könnten. Wer Ihren Werdegang betrachtet, sieht eine akademisch hervorragend ausgebildete Nahost-Expertin, die sich seit vielen Jahren mit Israel befasst und neben Französisch und Englisch auch Hebräisch und Arabisch spricht. War der Weg zur Israel-Korrespondentin da vorgegeben?
Es war auf jeden Fall eine gezielte Entscheidung. Schon während meines Volontariats durfte ich einen Monat beim Studio in Israel verbringen. Später war ich mal zur Vertretung da, habe fürs Radio und für die News-WG auf Instagram von hier berichtet, kenne also auch verschiedene Verbreitungsmöglichkeiten und bin ohnehin beim BR crossmedial ausgebildet worden. Ich fand die Region schon immer spannend. Dass es hier mal so spannungsgeladen werden würde, hatte ich zu dem Zeitpunkt nicht erwartet.
"Wir sind keine Einzelkämpfer."
Wäre trotzdem ein anderer Einsatzort als Israel vorstellbar gewesen?
Ich hätte mir auch andere Orte vorstellen können, mein Studium habe ich komplett in England und den USA verbracht. Und ich hatte dank meiner Kontakte und Beziehungen auch die Idee, dort zu bleiben und arbeiten. Dass ich nach Deutschland zurückgekehrt bin, lag auch am Brexit. Und ich wollte den Bezug zu meiner Heimat nicht vollständig verlieren. Der Wunsch, wieder ins Ausland zu gehen, war allerdings immer da. Deswegen ist für mich hier zu sein nicht nur eine Chance, sondern ein Traum.
Gehört denn, wo Sie gerade angesprochen haben, wie unerwartet spannend es in Israel nun geworden ist, eine gewisse Risikobereitschaft, wenn nicht sogar Risikoleidenschaft dazu, in Krisenregionen wie diese zu gehen?
Was ich suche, ist gute Berichterstattung, und für diese Berichterstattung muss man eben auch vor Ort sein. Dabei geht es allerdings überhaupt nicht darum, sich zu gefährden, sondern im Gegenteil: Risiken sorgsam abzuwägen, durch gute Vorbereitung zu minimieren und im Fall, dass die Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist, zu gehen und nicht um den Preis guter Bilder unbedingt dort zu stehen, wo es knallt. Denn das hat für mich nichts mit gutem Journalismus zu tun.
Sicherheit geht immer vor Information?
Mein Ziel ist definitiv: Ich will da lebendig rauskommen! Das wollen wir alle für uns und unsere Mitarbeiter. Das ist ein ständiger Abwägungsprozess mit dem Berichtsinteresse. Deshalb darf ich mich in diesem Konflikt aber auch nicht nur aufs Studiodach in Tel Aviv stellen, sondern muss dahin, wo sich der Konflikt abspielt, im Zweifel also auch zum Gaza-Streifen, wo ich mit eigenen Augen sehen kann, wie israelische Panzerverbände auffahren, aus der Luft angegriffen wird, Raketen aus dem Gaza-Streifen fliegen. Und ich will natürlich mit den Menschen sprechen, die vor Ort sind.
Kommen dabei subjektive Abwägungsprozesse mit eigenen Ängsten hinzu oder sind die generell keine Entscheidungshilfen?
Genau dafür ist es ja so wichtig, mit Profis und Locals zu arbeiten wie unserem palästinensischen Kameramann, der sehr erfahren ist und viel gesehen hat. Wenn er sagt, das wird hier gleich unangenehm, wir gehen jetzt, dann vertraue ich ihm und wir gehen. Wenn er sagt, hier ist es ok, dann vertraue ich ihm ebenso und wir bleiben. Ich bin zwar am Ende diejenige, die das Wirrwarr an Informationen für das deutsche Publikum bestmöglich aufbereitet, kann und muss mich als Profi dieses Bereichs aber auf Profis anderer Bereiche verlassen, die einfach mehr Ahnung von Krisensituationen haben als ich. Das nimmt mir definitiv die Ängste.
Und falls die doch mal überhandnehmen, gibt es dann Kriseninterventionen – psychologische Hilfsangebote seitens der Sender, kollegiale Stuhlkreise oder wie Hollywood gern vermittelt, Gesprächstherapien an der Hotelbar?
Es gibt in der Tat Angebote vom Bayerischen Rundfunk, auf die wir auch aktiv hingewiesen wurden. Ich finde, dass Möglichkeiten zur psychologischen Betreuung oder Supervision im modernen Medienbetrieb dazugehören. Gespräche unter Kollegen sind ebenso wichtig. Man sollte seine Zweifel, Gedanken, Ängste und Sorgen in diesem Beruf unbedingt teilen können und vor allem: das nicht als Schwäche, sondern Stärke betrachten. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir das im Team praktizieren, weil es uns als Gesamtgefüge stärker macht. Statt als Einzelkämpfer aus Teflon durch solche Krisensituationen durchzumarschieren, sprechen wir miteinander und suchen gemeinsam nach Lösungen – sei es bei einer Zigarette und einem Bier.
Haben Sie die psychologische Hilfe des BR schon mal in Anspruch genommen?
Tut mir leid, aber die Frage zielt in einen sehr persönlichen Bereich. Ich habe es tatsächlich bislang nicht in Anspruch genommen. Wenn Sie sie aber jemandem stellen würden, bei dem das der Fall war, käme er in die Verlegenheit einer womöglich unangenehmen Antwort.
Dann bitte ich für die Frage um Entschuldigung und stelle eine, die vielleicht noch unangemessener ist, weil sie zynisch klingt: Sind Ausnahmesituationen wie die aktuelle das Salz in der Suppe alltäglicher Berichterstattungen, so etwas wie die Quintessenz einer konfliktgeladenen Zeit?
Die traurige Wahrheit ist, dass die Nachrichten von schlechten Nachrichten dominiert werden und wir besonders dann gefragt sind, wenn schlimme Dinge passieren. Beruflich gesehen sind solche Momente also besonders herausfordernd und lassen uns irgendwie wachsen. Gleichzeitig ist das ein, wie soll ich es sagen: bittersüßes Gefühl, besonders dann viel Aufmerksamkeit zu erzeugen. In den zwei Jahren seit meiner Ankunft im Sommer 2021 gab es Zeiten, in denen das Interesse an unserer Arbeit eher gering war.
Weil es im Schatten des Ukraine-Krieges stand?
Das hat natürlich stark die Berichterstattung dominiert und dann ist für „noch einen Konflikt“ erstmal weniger Platz. Mittlerweile ist es umgekehrt und ich frage mich manchmal – was ist denn jetzt eigentlich mit der Ukraine?
Plus zwei Dutzend weiterer Krisen inklusive Klimawandel.
Der Fokus bewegt sich immer um Aktualitäten herum, die andere Krisen dann oft in den Schatten stellen.
Rührt ihr journalistisches Interesse an diesen und allen anderen Themen eigentlich auch daher, dass Sie mit dem ARD-Korrespondenten und Sportreporter Hartmann von der Tann verwandt sind?
Er ist ein entfernter Onkel, den ich sehr schätze. Aber er war nicht der Grund, warum ich in den Journalismus gegangen bin. Meine Eltern machen beruflich übrigens etwas komplett anderes, haben mich auf dem Weg aber immer sehr unterstützt.
War dieser Weg zuerst da oder Ihr Interesse für jüdische und israelische Geschichte, das ja auch weite Teile Ihres Studiums bestimmt hat?
Journalismus hat mich schon früh interessiert, inklusive erster kleiner Berichte für die Lokalzeitung. Als Jugendliche begann ich mich auch für die jüdische Geschichte in Deutschland zu interessieren und wollte mehr darüber herausfinden, was in meiner Heimat während des Nationalsozialismus passiert ist. Deswegen hat es mich extrem gefreut, eine Familie in Israel kennengelernt zu haben, für deren Vorfahren in unserem Ort Stolpersteine verlegt wurden.
Kleine Messingplatten im Asphalt, die an Opfer des Nationalsozialismus erinnern.
Und einer ihrer Verwandten hat den Terror-Angriff der Hamas in einem Kibbuz überlebt – da schließt sich schon wieder der Kreis meines historischen Interesses mit dem journalistischen. Studiert habe ich Theologie und Orientalistik und danach Geschichte und habe mich letztlich über mein geschichts- und religionswissenschaftliches Interesse, begleitet von meiner Leidenschaft für Sprachen und Reisen, an die Gegenwart herangetastet.
Sie und Israel klingt nach Perfect Match. Gibt es Grundregeln, wie lange Auslandskorrespondent*innen am selben Ort bleiben sollten, weil sie dort Erfahrung haben, beziehungsweise wann sie spätestens wechseln sollten, um keinen Tunnelblick zu kriegen?
Das variiert etwas, aber an einem Ort wie Israel ist es sicherlich besser, regelmäßig zu wechseln. Persönlich, weil diese Region sehr an einem zehren kann. Und publizistisch, weil es unbedingt eines frischen Blickes für neue Geschichten, neue Perspektiven, neue Zielgruppen mit neuem Elan bedarf. Sonst passiert es vermutlich schnell, dass man die Situation hier für zu verfahren für irgendwelche Lösungen hält. Nicht, dass es unser Job wäre, welche zu finden. Wir berichten nur darüber.
Das heißt aber, die Exit-Option ist nach zwei Jahren bereits Teil Ihrer Lebensplanung?
Ich würde es nicht Exit-Option nennen, weil es einfach Teil des Systems ist. Es gibt Ausnahmen, aber die Regel lautet: maximal fünf Jahre an einem Ort.
Für Sie also noch ungefähr drei. Wohin könnte es Sie denn danach ziehen?
Ach, wenn ich mir darüber jetzt schon Gedanken machen würde, würde mein Kopf endgültig rauchen. I cross that bridge when I get there.
Dürfte die Brücke denn zu einem etwas entspannteren Ort, sagen wir innerhalb der EU, führen oder zieht es Sie dann erneut dorthin, wo es weltpolitisch spannungsreich ist, also gefährlich werden könnte?
Gefahr suchen oder meiden ist nichts, was mich antreibt. Ich möchte eine spannende Berichtsform in einem spannenden Berichtsgebiet. Momentan mache ich zwar viel Nachrichten, wir haben aber auch einen Podcast namens Lost in Nahost gestartet. Podcasts zu entwickeln oder eigene Dokumentationen zu machen, würde mir auch Spaß machen. Beides ist nicht so leicht, wenn man in dieser Korrespondentinnenmühle steckt. Mein Kollege Christian Limpert hat es geschafft mit zwei tollen Dokus. Ich könnte mir daher alles Mögliche vorstellen. Ausland finde ich grundsätzlich spannend, aber – let’s see.
Vielleicht sprechen wir uns, wenn Sie direkt an der Brücke stehen.
Gern.
Geboren 1991 in Kassel, macht Sophie von der Tann bereits mit 16 Jahren ein Praktikum beim ZDF in Washington. Nach dem Studium in München, Oxford, New York, London volontiert sie 2016 beim Bayerischen Rundfunk, gründet einen Instagram-Newskanal und wechselt 2021 als ARD-Korrespondentin nach Tel Aviv.
Jan Freitag ist freier Journalist in Hamburg.