Meinung
"Ich möchte, dass der DJV eine lernende Organisation ist"
Neuer DJV-Vorsitzender: Mika Beuster (Foto: Karsten Socher)
Mika Beuster ist neuer Bundesvorsitzender des DJV. Beim Verbandstag in Magdeburg stellte sich der Lokaljournalist zur Wahl. In seinem Antrittsinterview mit dem journalist spricht der 45-Jährige über neue Formen der Tarifarbeit, die Lage des Lokaljournalismus und die Veränderungsfähigkeit des Verbands. Interview: Kathi Preppner
12.12.2023
Mehr „Wumms“ für den Journalismus – das hat Mika Beuster auf dem DJV-Verbandstag angekündigt. Die Delegierten wählten Beuster, einziger Kandidat, mit 94 Prozent Zustimmung zum neuen Vorsitzenden.
journalist: Herr Beuster, gerade wurden Sie zum Bundesvorsitzenden des DJV gewählt. Warum haben Sie sich zur Wahl gestellt?
Mika Beuster: Der bisherige Bundesvorsitzende Frank Überall hatte bei seiner vierten Kandidatur angekündigt, sich nicht noch ein weiteres Mal zur Wahl zu stellen. Als man dann auf mich zugekommen ist und mich gefragt hat, ob ich mir vorstellen kann, den Bundesvorsitz zu übernehmen, habe ich erst mal geschluckt. Denn das ist ein Amt, das eine wichtige Funktion für die Journalistinnen und Journalisten in Deutschland hat und mit dem man eine große Verantwortung übernimmt. Da habe ich mich gefragt: Kann ich das? Will ich das? Ich habe mich schon einige Jahre im Vorstand des DJV-Landesverbands in Hessen engagiert. Und immer, wenn wir dort Menschen in ihrer Arbeitssituation wirklich helfen konnten, waren das Augenblicke, in denen ich gemerkt habe: Das macht mir Freude. Deswegen will ich mich weiter für den DJV einsetzen.
In Magdeburg haben Sie gesagt, dass Sie den Markenkern des Verbands stärken wollen. Worin besteht der?
Der DJV ist die glaubwürdige Stimme, wenn es um Journalismus geht. Wir sind verlässlicher Partner der Journalistinnen und Journalisten, wir stehen an ihrer Seite – wenn es um den Schutz ihrer Arbeit, um Arbeitsrecht oder um Tarifverhandlungen geht. Wir setzen uns auch gegenüber der Politik für ihre Interessen ein. Wir sind die Journalistengewerkschaft, auf die man sich verlassen kann.
Ein Seitenhieb auf die Journalistengewerkschaft von Verdi?
Ich bin dafür, dass wir miteinander reden und nicht öffentlich übereinander. Und ich plädiere für die Einsicht, dass man gemeinsam mehr erreichen kann und schon wissen sollte, was die gemeinsamen Ziele sind. Dafür werbe ich. Und deswegen beteilige ich mich nicht daran, sich öffentlich gegenseitig irgendwelche Haltungsnoten zu geben, sondern lade jeden, der für Journalismus eintritt, ein, gemeinsam mit uns zu arbeiten.
„Wir sind die Journalistengewerkschaft, auf die man sich verlassen kann.“
Die Tarifverhandlungen sind immer schwieriger geworden. Die Ergebnisse bei den Tageszeitungen sind zuletzt von Verdi heftig kritisiert und später doch unterzeichnet worden. Auch innerhalb des DJV gab es Kritik. Sie wünschen sich nun Tarifarbeit „mit mehr Wumms“. Wie soll das gehen?
Tariftreue ist selten geworden in der Branche. Wir müssen dafür sorgen, dass wieder mehr Medienhäuser in den Tarif gehen. Ich finde, dass wir gute Argumente haben. Und wir werden als Tarifpartner wertgeschätzt. Gleichzeitig müssen wir mehr Lobbyarbeit bei der Politik machen, damit der Weg in die Tariftreue auch durch gesetzliche Rahmenbedingungen unterstützt wird. Es geht uns darum, dass die Kolleginnen und Kollegen am Ende wirklich davon profitieren, dass sie wirklich mehr Geld in der Tasche haben und nicht nur auf dem Papier, dass sie bessere Arbeitsbedingungen haben. Dafür müssen wir uns auch überlegen, wie wir die Journalistinnen und Journalisten mobilisieren können, sodass sie sich mit neuen Formen des Arbeitskampfs für ihre Rechte einsetzen.
Welche Formen könnten das sein?
Für diese Themen haben wir im DJV kompetente Experten, zum Beispiel in unserem Fachausschuss Betriebsratsarbeit und Tageszeitungen. Die machen sich schon seit langem darüber Gedanken, wie man die angeblich angestaubte Gewerkschaftsarbeit wieder attraktiver macht.
Was werden Ihre Aufgaben in der Lobbyarbeit sein?
Wir sind ja in der spannenden Situation, dass wir Gewerkschaft und Berufsverband in Einem sind. Unsere Lobbyarbeit bezieht sich also auch darauf, dass wir für Tariftreue werben. Deutschland darf kein Land sein, in dem Tariftreue als Fremdwort in den Duden aufgenommen wird. Der andere Teil unserer Lobbyarbeit besteht darin, dass wir als Berufsverband natürlich für die Interessen der Journalistinnen und Journalisten und der Pressefreiheit eintreten.
„Deutschland darf kein Land sein, in dem Tariftreue als Fremdwort in den Duden aufgenommen wird.“
Sie sind ausgebildeter Lokaljournalist und dem Lokaljournalismus fast durchgängig treu geblieben. Macht Sie das, zum Beispiel bei Tarifdebatten, besonders glaubwürdig?
Natürlich kenne ich die Arbeitsbedingungen der Kolleginnen und Kollegen im Lokalen. Ich denke schon, dass ich eine Glaubwürdigkeit habe, weil ich weiter an der Basis arbeite. Nirgendwo ist man näher dran an den Menschen und ihrem Alltag als im Lokaljournalismus. Ich bin gerne Lokaljournalist, das ist mein Traumjob.
Wie beurteilen Sie die derzeitige Lage des Lokaljournalismus?
In der täglichen Arbeit erlebe ich, dass die Menschen, die Lokaljournalismus nutzen, ihn sehr schätzen. Das merkt man daran, dass man viele direkte Rückmeldungen bekommt für Artikel – im Positiven genauso wie im Negativen. Gleichzeitig sehe ich aber, dass es viele Regionen in Deutschland gibt, wo es immer dünner wird, wo Redaktionen immer schwächer besetzt sind, wo weniger über den Alltag der Menschen berichtet wird. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Da gilt es, wachsam zu sein und alles dafür zu tun, dass es in Deutschland weiter guten Lokaljournalismus gibt. Gleichwohl gibt es auch viele Chancen durch neue Projekte, durch neue Formen des Lokaljournalismus.
Der Verbandstag fordert Bund und Länder auf, eine staatsfern organisierte Journalismusförderung einzurichten, auch für den ländlichen Raum. Wird das eines der ersten Themen sein, die Sie vorantreiben?
Ich will da jetzt keine Medaillen der Wertigkeit draufsetzen, dafür gibt es zu viele Themen, die wir vorantreiben wollen. Aber ich setze mich für eine Journalismusförderung ein, die alle Formen journalistischer Arbeit unterstützt. Ich lese zwar noch gerne eine gedruckte Zeitung, aber das macht längst nicht jeder. Deswegen brauchen wir eine Journalismus- und keine Presseförderung.
„Ich will, dass der DJV Heimat ist für jede und jeden, der Journalismus betreibt, unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung oder Herkunft.“
Sie werden künftig öfter in Berlin sein, bleiben aber Ihrem Job in Hessen treu? Sie sind ja gerade Chef-Themenreporter bei der VRM Wetzlar geworden.
Das muss und will ich, denn der Vorsitz des DJV ist ein Ehrenamt. Und das ist auch gut so, denn ich fände es sehr komisch, wenn die größte Journalistenorganisation und -gewerkschaft in Europa von jemandem geführt würde, der selbst nicht mit mindestens einem Bein in der Praxis steht.
Der DJV muss schlagkräftig bleiben, sagen Sie. Aber die Mitgliederzahlen sinken. Und beim Verbandstag lag die U40-Quote bei gerade einmal 14 Prozent. Wie kann der DJV jünger werden?
Wir haben jetzt den bisher jüngsten Bundesvorstand, das ist ja auch ein Zeichen. Natürlich reicht das nicht. Ich will, dass wir junge Kolleginnen und Kollegen gewinnen. Und das können wir meiner Meinung nach, wenn wir der jungen Generation zuhören und auf ihre Bedürfnisse achten. Da ist es oftmals so, dass viele junge Menschen an Projektarbeit interessiert sind und sich nicht sofort auf ewig binden wollen. Das haben wir im vergangenen Jahr bei der Zukunftswerkstatt in Herne gesehen. Da haben wir tolle Talente gehabt, die intensiv an Zukunftsthemen mitgearbeitet haben. Und wir müssen auch die Themen aufnehmen, die junge Menschen beschäftigen. Das sind oftmals Themen, bei denen wir noch nicht so gut aufgestellt sind, zum Beispiel Diversität. Als Verband müssen wir breiter aufgestellt sein, was Geschlechtergerechtigkeit angeht, aber auch sozioökonomischen Hintergrund, Journalistinnen und Journalisten mit Behinderung, Migrationserfahrung oder anderer sexueller Identität. Diversität ist auch für den Journalismus wichtig: Wenn wir die Gesellschaft abbilden wollen, so wie sie ist, brauchen wir diese verschiedenen Perspektiven im Beruf.
Was kann der Deutsche Journalisten-Verband tun, um sich diverser aufzustellen?
Da müssen wir die Fühler ausstrecken und auf verschiedene Akteure zugehen. In Teilen tun wir das schon, zum Beispiel in unserem Fachausschuss Chancengleichheit und Diversity. Dort versteht man den Begriff Diversität nicht nur auf eine Dimension beschränkt. Wir müssen also auf diese Gruppen zugehen und schauen: Wo sind die Probleme, wie können wir uns mit unseren Kompetenzen einbringen? Ich will, dass der DJV Heimat ist für jede und jeden, der Journalismus betreibt, unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung oder Herkunft. Da will ich natürlich mit gutem Beispiel vorangehen und immer ein offenes Ohr für alle Gruppen und ihre Anliegen haben. Und ich möchte, dass der DJV insgesamt eine lernende Organisation ist. Wir müssen nicht immer vorgeben, schon alles zu wissen. Manchmal ist es auch sehr hilfreich, auf die Menschen zu hören. Sie wissen am besten, wo der Schuh drückt. Und deswegen will ich auch da signalisieren: Ich habe immer ein offenes Ohr für Probleme.
Wie schwer fällt dem Verband Veränderung?
Ich glaube, dass uns allen Veränderung schwerfällt. Das liegt in der menschlichen Natur. Für große Organisationen wie den DJV gilt das insbesondere. Ein großer Tanker auf See, den kann ich auch nicht einfach wenden. Aber ich finde, der DJV zeigt schon, dass er sich um mehr Beweglichkeit bemüht – zum Beispiel beim Thema Künstliche Intelligenz, wo wir uns frühzeitig aufgestellt und ein hervorragendes Positionspapier vorgestellt haben, in dem wir sagen: KI muss ein Werkzeug sein. Wir haben die KI nicht in Bausch und Bogen verteufelt, sondern wir haben das getan, was Journalistinnen und Journalisten am besten können, nämlich die richtigen Fragen stellen. Und dann gesehen: Es gibt Chancen und es gibt Risiken. Wir sind dafür, dass man die Chancen nutzt und bei den Risiken Stoppschilder aufstellt.
Unter den knapp 30.000 Mitgliedern des DJV gibt es aber vielleicht auch welche, die KI doch komplett verteufeln. Da gibt es natürlich widerstreitende Interessen. Wie nimmt man da alle mit?
Natürlich würde ich gerne alle überzeugen, aber das werde ich sicherlich nicht schaffen. Und es ist auch gut so. Wir verteidigen als DJV ja nicht nur die Demokratie, wir praktizieren sie auch. Demokratie heißt, dass unterschiedliche Meinungen aufeinandertreffen. Wir haben das beim Verbandstag in Magdeburg auf wunderbare Art und Weise gesehen, wie man sehr sachorientiert miteinander diskutiert, streitet, um die richtigen Lösungen ringt und am Ende auch findet. Das heißt nicht, dass jeder zustimmt. Demokratie heißt, dass man Dinge aus möglichst vielen Perspektiven beleuchtet und am Ende zu einer Lösung kommt, die für eine Mehrheit tragfähig ist. Und ich werde alles dafür tun, um jene, die damit fremdeln, auf dem Prozess zu begleiten. Wir leben ja von Glaubwürdigkeit. Und da gehört es auch dazu, zu erklären und Fragen zu beantworten, so gut es eben geht.
Mika Beuster (45) ist seit Oktober Chef-Themenreporter bei der VRM Wetzlar. Vorher hat er als Digitalchef von Nassauischer Neuer Presse und Weilburger Tageblatt gearbeitet, davor war er Reporterchef von Weilburger Tageblatt und Usinger Anzeiger. Sein Volontariat hat Beuster auch im hessischen Lokaljournalismus gemacht: bei der Zeitungsgruppe Lahn-Dill. An der Universität Gießen lehrt Beuster zu den Themen Lokaljournalismus und Pressefreiheit. Er ist seit 2019 im DJV-Bundesvorstand, zunächst als Beisitzer, dann als stellvertretender Vorsitzender.
Kathi Preppner ist Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion Wortwert.