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Die Sache mit der Hautfarbe

Anne Chebu: "Es ist noch lange nicht gang und gäbe, schwarze Menschen als Moderatoren einzustellen." (Foto: Tanja Kibogo)

Der Begriff Diversity ist zwar in aller Munde - von einer Normalität in Alltag und Berufsleben sind wir aber noch weit entfernt. Der journalist sprach mit TV-Moderatorin Anne Chebu: Was bedeutet es für Sie, eine schwarze Deutsche zu sein? Interview: Monika Lungmus

11.03.2020

journalist: Frau Chebu, wie oft mussten Sie Ihrem Gegenüber schon erklären, dass Sie in Deutschland geboren sind und nicht aus Afrika stammen?
Anne Chebu: Das muss ich fast täglich (lacht). Es gibt natürlich auch Leute, die nicht gleich fragen: Wo bist du ursprünglich geboren? Aber es passiert schon sehr, sehr häufig. Ich dachte, dass schwarze Menschen inzwischen eine Normalität in Deutschland sind.
Nein, leider nicht. Viele fragen zwar nicht mehr: Woher kommst du? Sondern es heißt jetzt: Wo sind denn deine Wurzeln? Aber daran merkt man, dass sie es eigentlich nicht verstanden haben. Denn es ist ja schon ein Trugschluss anzunehmen, ich hätte eine Einwanderungsgeschichte. Eine weit verbreitete Formulierung lautet: „Menschen mit Migrationshintergrund“.
Im Alltag sind damit eigentlich nur Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe gemeint. Wenn beispielsweise eine Person einen Vater hat, der weißer Engländer ist, dann wird das eben meistens nicht extra thematisiert. Deswegen sage ich immer: Menschen mit MigrationsVORdergrund. Die Leute sprechen nicht das aus, was sie wirklich meinen. Für mich wäre es nicht schlimm, wenn sie sagen: eine nicht-weiße Person. Das ist ja viel klarer. Was bedeutet es für Sie, eine deutsche Schwarze zu sein?
Erst einmal bin ich ein ganz normaler Mensch. Im Alltag gibt es aber immer wieder Situationen, in denen ich mir Gedanken machen muss. Es gibt Orte in Deutschland, da würde ich beispielsweise nicht unbedingt alleine hinfahren. Obwohl ich hier sicher Klischees bediene, wenn ich von No-Go-Areas im Osten spreche. Aber egal, ob es nun eingebildet ist oder nicht. Ich verbinde mit einer Reise in bestimmte Gegenden kein schönes Gefühl. Das Schwarzsein beginnt also mit der genauen Auswahl des Reiseziels?
Ja, und es geht noch weiter. Ich habe es zwar noch nicht erlebt, weiß es aber von einer Freundin. Sie hat mir erzählt, dass bei schwarzen Menschen am Frankfurter Flughafen auch die Haare kontrolliert werden. Grund ist offenbar ein Fehler in der Software dieser Scanner bei der Sicherheitskontrolle. Anscheinend ist der Scanner so eingestellt, dass er nur glattes Haar als Norm sieht und deshalb Abweichungen als Störung einstuft. Wieviel Diskriminierung erfahren Sie? Und wieviel Normalität erleben Sie?
Diskriminierung gehört ja zu meiner Normalität. Sie beginnt mit dem Tag der Geburt – wenn schon im Kreißsaal die Hautfarbe des Kindes kommentiert wird. Und das zieht sich durchs ganze Leben. Sobald ich meinen Schutzraum, meine Wohnung, verlasse, kann es mir passieren, dass ich Opfer von Rassismus werde – sei es verbal oder auch handgreiflich. Ein Bespiel: Ich hatte mich neulich mit einer schwarzen Freundin auf einen Kaffee verabredet. Sie musste nur fünf Minuten von der U-Bahn-Haltstelle bis zum Café gehen. Und in diesen fünf Minuten ist ihr ein Mann gefolgt, der sie rassistisch beschimpft hat. Sie musste die Polizei rufen. Das ist doch absurd.

"'Schwarz' ist genauso wie der Begriff 'weiß' eine soziokulturelle Realität. Es hat nichts mit der genauen Schattierung der Haut zu tun. Bei dem Begriff 'farbig' bezieht man sich auf biologische Merkmale."

Wie würden Sie Rassismus definieren?
Rassismus beginnt, wenn man einen angeborenen biologischen Unterschied zwischen schwarzen und weißen Menschen behauptet. Dazu kommen dann bestimmte Zuschreibungen: Schwarze seien faul, seien immer zu spät, könnten schneller rennen, hätten ein gutes Rhythmusgefühl. Alles Klischeebilder. Und das geht weiter, dass man vielleicht einen Job oder eine Wohnung nicht bekommt aufgrund der Hautfarbe, und es reicht bis zum Mord. Wann werden Sie richtig wütend?
Ich werde traurig. Es ist ein Gefühl der Ohnmacht. Wütend werde ich eher, wenn ich selbst nicht direkt betroffen bin. Ich rege mich zum Beispiel auf, wenn in den Medien falsche Begrifflichkeiten verwendet werden. Barack Obama wurde häufig als „farbiger Präsident“ bezeichnet. Warum soll man dunkelhäutige Menschen nicht als „farbig“ bezeichnen? Was ist an dem Begriff „schwarz“ besser?
„Schwarz“ ist genauso wie der Begriff „weiß“ eine soziokulturelle Realität. Es hat nichts mit der genauen Schattierung der Haut zu tun. Bei dem Begriff „farbig“ bezieht man sich auf biologische Merkmale. Zu Zeiten der Apartheid in Südafrika wurde zwischen „farbig“ und schwarz“ unterschieden. Damals wurden Tests gemacht – da wurde einer Person beispielsweise ein Stift in die Haare gesteckt, und wenn sie den Kopf geschüttelt hat und der Stift fiel raus, dann waren die Haare glatt genug und man galt als „farbig“. Wenn der Stift stecken blieb, dann war man „schwarz“. Das waren also Rassenmerkmale. Heute ist es so, dass die Menschen es auch noch nett meinen, wenn sie die Farbnuance der Haut betonen und sagen: Ja, so „schwarz“ bist du ja gar nicht. Mit „schwarz“ wird also eher auch noch was Schlechtes assoziiert. Welche Rolle spielen die Medien bei der Verbreitung von Stereotypen und Vorurteilen?
Die Medien spielen eine riesengroße Rolle. Bei Straftaten wird in den Nachrichten oft die Hautfarbe und Nationalität des Täters genannt beziehungsweise die Nationalität seiner Eltern. In der Fiktion, ich rede jetzt von deutschen Produktionen, läuft es so, dass schwarze Schauspieler sehr oft nur für ganz bestimmte Rollen gecastet werden. Sie spielen jemanden, der gebrochenes Deutsch spricht, oder jemanden, der in einer prekären Lage ist. Ganz selten sieht man eine schwarze Lehrerin oder einen schwarzen Arzt. Hier wird die Vielfalt der Gesellschaft nicht widergespiegelt. Welche Rolle hat Ihr Äußeres in Ihrem Berufsleben gespielt? Haben Sie Ihre Hautfarbe als Nachteil erlebt? Oder war Ihre Hautfarbe sogar von Vorteil, weil Diversität gerade ziemlich hip ist?
Dass meine Hautfarbe vorteilhaft gewesen wäre, habe ich noch nicht gemerkt. Vielleicht kommt das ja noch (lacht). Was meinen Beruf betrifft: Es ist ein sehr hartes Business mit vielen Hürden. Wenn ich eine Absage bekomme, sagt man nicht: Wir können keine Schwarze einstellen. Aber ich erinnere mich an ein Casting, bei dem ich wegen meiner Haare nicht genommen wurde. Tatsächlich ist es mit Locken vor einem Greenscreen schwierig. Allerdings hätte ich mir die Haare zurückbinden können. Doch dann es hieß, meine Person sei insgesamt zu präsent, die Zuschauer könnten sich nicht auf das konzentrieren, was ich sage. Ich finde, hier ist ziemlich klar, um was es ging: Oft zeigt sich ja Rassismus über die Haare.

"Sobald ich meinen Schutzraum, meine Wohnung, verlasse, kann es mir passieren, dass ich Opfer von Rassismus werde."

Ist Diversität in den Redaktionen nicht längst angesagt?
Aus meiner langjährigen Erfahrung beim Fernsehen kann ich Ihnen sagen: Es ist noch lange nicht gang und gäbe, schwarze Menschen als Moderatoren einzustellen. Dazu braucht es auch heute noch Mut. Vielleicht fängt man jetzt langsam an, mehr auf Diversität zu achten. Aber wenn es zu einer Entscheidung kommt, geht es bei der Auswahl der Bewerber oft noch immer nach dem Ähnlichkeitsprinzip. Wir haben also noch viel Nachholbedarf.
Ja, und die Frage ist ja, ob man sich auch nach innen verändert, sich als Redaktion selbstkritisch überprüft, für bestimmte Beiträge auch mal Expertinnen einkauft, sich auch für neue Themen öffnet. Oft heißt es ganz schnell: Das interessiert doch keinen. Ich wollte mal ein Porträt machen über eine Mutter, die mit ihrer Tochter einen Friseurladen eröffnet hat. Aber sie ist schwarz und hat sich auf Locken spezialisiert. Das Thema wurde abgebügelt, es sei zu speziell. Wir haben derzeit eine paradoxe Entwicklung in der Gesellschaft. Auf der einen Seite fordert sie mehr Diversity ein. Auf der anderen Seite beobachten wir Anfeindungen gegenüber Menschen anderer Hautfarbe, anderer Herkunft, anderer Religion. Haben Sie eine Erklärung?
Sobald es auf der einen Seite besser wird, wächst der Widerstand auf der anderen Seite. So lange die Muslima mit Kopftuch in der Schule die Putzfrau war, gab es kein Problem. Die Eltern sind an ihr vorbeigelaufen, manche haben sie vielleicht gegrüßt. Wenn eine Muslima mit Kopftuch plötzlich Lehrerin wird, dann sieht es ganz anders aus. Ich denke, es hat viel damit zu tun, dass Menschen mit Einwanderungsgeschichte gesellschaftlich immer sichtbarer werden. Es führt dazu, dass viele Menschen sagen: Das geht zu weit. Was würde besser, wenn der Journalismus diverser würde?
Er könnte in der Gesellschaft Brücken bauen. Man würde seine Mitmenschen besser kennenlernen, das Publikum würde einen anderen Blick auf vieles bekommen. Das könnte viele Missverständnisse beheben.
Anne Chebu, 1987 in Nürnberg geboren, hat beim NDR volontiert und arbeitet als TV-Moderatorin für den BR und den HR; sie ist in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V. und bei den Neuen Deutschen Medienmacher*innen aktiv; 2014 erschien ihr Buch „Anleitung zum Schwarz sein“.

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