„Die Pressefreiheit gerät weltweit unter Druck“
Mika Beuster ist Chef-Themenreporter bei der VRM Mittelhessen in Wetzlar. Seit November 2023 ist er Bundesvorsitzender des DJV. (Foto: Frank Sonnenberg)
Der Deutsche Journalisten-Verband besteht seit einem Dreiviertel-jahrhundert. Im Interview zum Jubiläum berichtet Bundesvorsitzender Mika Beuster vom andauernden Kampf um die Pressefreiheit – und warum er sich in den vergangenen Jahren verschärft hat.
29.01.2025
Mika Beuster macht deutlich, was er von einer kommenden Regierung erwartet und kritisiert das Nichtstun der Politik, wenn es um die Förderung des Journalismus in Deutschland geht. Außerdem blickt er über den Atlantik: Was kann der Deutsche Journalisten-Verband tun, um hierzulande Verhältnisse wie in den USA zu verhindern?
journalist: Herr Beuster, der Deutsche Journalisten-Verband begeht gerade sein 75-jähriges Jubiläum. Was gibt es zu feiern?
Mika Beuster: Ein unendliches Engagement der Kolleginnen und Kollegen im DJV. Sie zeigen sich jeden Tag solidarisch, seit 75 Jahren. Journalismus ist kein Beruf wie jeder andere. Er ist eine gesellschaftlich wichtige Aufgabe. Die Kolleginnen und Kollegen gehen ihm mit großer Leidenschaft nach – und mit der gleichen Leidenschaft setzen sie sich im DJV für ihren Beruf und füreinander ein. Ich ziehe meinen Hut davor, was in den vergangenen 75 Jahren geleistet wurde.
Welches Thema beschäftigt den Verband am meisten?
Der Kampf für die Pressefreiheit, den wir immer wieder neu führen müssen. Auch in freien, demokratischen Gesellschaften wie hier gibt es täglich Versuche, freie Recherche und unabhängige Berichterstattung zu unterdrücken.
Zum Beispiel?
Die Bürgerinnen und Bürger in einigen Bundesländern haben entschieden, eine rechtsextreme Partei zu stärken, die gerade wieder gezeigt hat, wie sie mit der Presse umgeht. Zu der AfD-Wahlparty in Thüringen waren viele Journalistinnen und Journalisten nicht eingeladen. Als ein Gericht anders entschieden hat, wurde die Party abgesagt. Das zeigt, was diese Partei sowohl von der freien Presse als auch von Gerichtsentscheidungen hält.
Neulich hat Elon Musk für die AfD geworben, als reichster Mensch der Welt und neuer Einflüsterer des US-Präsidenten – und zwar in der Tageszeitung Welt. Daran gab es nicht zuletzt vom DJV Kritik. Wie beurteilen Sie das?
Elon Musk in einem Gastkommentar Wahlwerbung für eine in Teilen rechtsextreme Partei machen zu lassen, hat mit Journalismus nichts zu tun – und auch nicht mit Meinungsfreiheit. Musk posaunt seine Meinung ständig hinaus, dazu braucht er keine Gastbeiträge in Tageszeitungen. Tageszeitungen aber brauchen journalistische Standards, mit der Erregungsspirale sozialer Netzwerke können und sollten sie nicht mithalten. Wenn es wirklich darum gegangen wäre, Musks Meinung zur AfD zu erkunden, warum hat man ihm in einem Interview nicht einfach kritische Fragen gestellt und seine Aussagen einem Faktencheck unterzogen? Das wäre journalistisch sauber gewesen. Im vergangenen Jahr haben wir gesehen, was Journalismus zu leisten vermag, als die Correctiv-Recherche die üblen Pläne der AfD und ihrer Helfershelfer entlarvt hat. Das hat Millionen Menschen auf die Straße getrieben, um für Demokratie und Pressefreiheit einzutreten. Diese unverzichtbare Arbeit gilt es zu verteidigen. Wir müssen aktiv dafür einstehen, damit hier nicht bald ähnliche Verhältnisse herrschen wie in den USA.
Was kann der DJV dazu beitragen?
Ein Symbol ist, dass wir von der Plattform X, ehemals Twitter ausgestiegen sind. 15 Jahre lang waren wir dort aktiv, ich persönlich war begeisterter Twitterer und bis zum Schluss überzeugt, dass die Plattform gewinnbringend sein kann. Aber mit der Wiederwahl Trumps und einer möglichen Regierungsrolle Elon Musks ist eine Grenze erreicht. Musk unterdrückt kritische Stimmen weltweit auf seiner Plattform, die nun mehr oder weniger Schnittstelle zur US-Regierung ist. Wir kämpfen als Lobbyisten für die Pressefreiheit, das ist eine tagtägliche Aufgabe.
Wie genau kämpfen Sie dafür?
Da können wir ganz unten bei der Bezahlung anfangen. Die muss fair sein, denn wir brauchen ja Menschen, die diesen Beruf machen. Viele Medienhäuser zahlen keine Tarife mehr. Wir kämpfen dafür, dass die Tarifbindung wieder zunimmt. Zudem sorgen wir dafür, dass die Freien von Vergütungsregeln profitieren. Ein Beispiel: Für einige freie Kolleginnen und Kollegen führten wir im vergangenen Jahr ein Verfahren gegen die Kieler Nachrichten, es ging um neue Vergütungsregeln, bei denen die Freien schlechter weggekommen wären als zuvor. Das haben wir gewonnen und so ganz konkret etwas erreicht. Wir haben auch die Sicherheit von Kolleginnen und Kollegen auf dem Schirm, die auf Demonstrationen angegriffen werden. In letzter Zeit passiert das vor allem bei pro-palästinensischen Demonstrationen, wo Protestierende sie teils körperlich angehen.
Welche Anliegen tragen die DJV-Mitglieder an den Vorstand heran?
Das reicht von Entlassungen bis zu persönlichen Krankheiten, die die Arbeit unmöglich machen. Für uns gilt es dann zu sortieren: An welcher Stelle können wir helfen? Wir haben viele Möglichkeiten. Unsere Landesverbände kennen etwa die Gegebenheiten vor Ort, sie kennen die Betriebe. So versuchen wir, in allen Fällen zu helfen.
Wie zum Beispiel?
Die Betriebs- und Personalräte in den Medienhäusern und -anstalten leisten wichtige Arbeit vor Ort. Und auch beim KI-Stammtisch und anderen Veranstaltungen helfen wir, indem wir Austausch ermöglichen: Welches Tool nutzt du? Wo lauern Datenschutzprobleme? Ich glaube, diese verschiedenen Angebote machen den DJV so wertvoll.
Welche Herausforderungen sind in den vergangenen Jahren hinzugekommen?
Natürlich Künstliche Intelligenz. Wir haben zum Glück schon vor fast zwei Jahren den Code of Conduct erstellt, mit Tipps und Vorschlägen zum Umgang mit dieser Technologie. Wir sehen, dass KI die Arbeitswelt vollkommen umkrempelt. Dem müssen wir uns stellen. Da wird gerade Rechtsgeschichte geschrieben und auf lange Zeit bestimmt, wie es für diesen Beruf weitergeht.
Woran liegt es, dass Desinformation und Propaganda mittlerweile so gut funktionieren?
An mangelnder Medienbildung zum Beispiel. Wir müssen aber auch selbstkritisch sein. Einige Menschen haben das Gefühl, dass Journalisten ihnen besserwisserisch die Welt erklären – das ist fatal. Dabei sind wir schon viel besser geworden. Ich lese zunehmend Berichte, in denen Medien Quellen angeben, Dinge erklären und einordnen, Faktenchecks machen. Ich glaube, wenn wir offenlegen, wie wir arbeiten, ist das ein großer Vorteil im Wettbewerb auf dem Markt der Meinungen. Wir müssen Kritik aber auch annehmen und nicht sofort wegklicken, wenn jemand sagt: Ihr Journalisten dürft ja gar nicht alles sagen. Da müssen wir hinhorchen und fragen: Wie genau meinst du das? Welche Meinung fehlt dir im Angebot? Dann geht die Debatte meistens interessant weiter.
Was vermissen die Menschen im Journalismus?
Sie erwarten von uns, dass wir über das berichten, was in ihrem Alltag stattfindet. Und das, was die Menschen erleben, ist eine bröselnde Infrastruktur, unpünktliche Züge, sie sorgen sich um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes, um Kinder und Wohnkosten. Auf all das muss Journalismus eingehen. Und eben nicht nur auf diejenigen, die schreiend am Rande des Spielfelds stehen. Sie dürfen uns nicht taub für das machen, was wirklich auf dem Feld passiert. Wenn wir uns nur noch um die Ränder kümmern, geht uns die Mitte verloren.
Sie sprechen auch aus Ihrer Erfahrung als Lokalreporter bei der VRM Mittelhessen. Wie entscheiden Sie in Ihrer Arbeit als Journalist, wann Sie zum Beispiel ein Thema der AfD aufgreifen und wann nicht?
Das entscheide ich nie allein. Ich tausche mich immer mit Kolleginnen und Kollegen aus – möglichst mit denen, die anderer Meinung sind. Da gibt es hitzige Debatten in der Redaktion. Das hilft aber sehr, denn Aufgabe von Journalismus ist es auch, gesellschaftliche Debatten zu strukturieren. In der Praxis heißt das: Wie kann ich einen Sachverhalt so aufbereiten, dass der Leser sagt: „Jetzt habe ich Lust, darüber zu diskutieren“? Als Journalist präsentiere ich nicht nur die Wahrheit, sondern ich ordne ein: Das ist das, was geschieht – jetzt müsst ihr euch eine Meinung bilden. Eine gesellschaftliche Debatte anzustoßen, ist eine gewaltige Aufgabe. Und sie wird immer wichtiger, weil andere Akteure das nicht mehr machen.
Ist die Politik als Akteur von diesem Feld verschwunden?
Die Politik meint, sich über soziale Netzwerke direkt ans Publikum wenden zu müssen, um dann quasi ungefiltert ihre Botschaft ans Volk zu bringen. Aber ich habe den Eindruck, das funktioniert nicht – jedenfalls nicht so, wie sich das viele wünschen. Diese Form der Kommunikation trägt zu einer Atomisierung der Gesellschaft bei. Jeder dreht sich nur noch um sein kleines Thema, am Ende sprechen wir gar nicht mehr über dieselben Dinge. In einer Welt, in der wir quasi überschüttet werden mit Nachrichten, ist es sinnvoll, jemanden zu haben, der sagt: Das sind die wichtigen Debatten, darum geht es eigentlich. Das ist der Mehrwert, den Journalismus bietet.
All das muss auch finanziert werden, immer mal wieder ist eine staatliche Förderung im Gespräch. Was fordert der DJV in diesem Zusammenhang?
Als DJV wünschen wir uns eine staatsfern organisierte Förderung von journalistischen Inhalten. Wir haben uns bemüht, Politiker und Politikerinnen zu überzeugen. Auch der Verlegerverband hat sich für eine Presseförderung, wie sie es genannt haben, stark gemacht. Leider muss ich zur Kenntnis nehmen: Bislang gibt es überhaupt nichts dergleichen. Auch nicht die Vertriebsförderung, die vom Verlegerverband gefordert wurde.
Kann eine solche Journalismusförderung unabhängig sein?
Sie muss natürlich staatsfern sein. Es darf nicht dazu kommen, dass Politiker am Ende entscheiden, wie das Programm aussieht. Dieser Eindruck darf gar nicht erst entstehen. Es gibt Modelle wie zum Beispiel in Luxemburg, die ermöglichen, dass öffentliche Mittel nach einem vorher definierten Kriterienkatalog verteilt werden. Das hätten wir uns gut vorstellen können. Auch in die Gemeinnützigkeit haben wir große Hoffnungen gesetzt. Leider müssen wir auch hier zur Kenntnis nehmen, dass es erst Rückenwind von der Politik gab – aber nichts passiert ist.
Werden eine Förderung und die Gemeinnützigkeit Ihre wichtigsten Forderungen an die neue Regierung sein?
Unsere Forderungen sind ganz klar: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss zukunftsfähig finanziert sein. Er hat immer noch die höchste Glaubwürdigkeit in Deutschland. Auch die privaten Medienhäuser brauchen eine vernünftige ökonomische Grundlage. Die Geschäftsmodelle dürfen nicht durch eine Unterhöhlung des Urheberrechts und durch Plattformkonzerne unterminiert werden. Sie brauchen auch eine Förderung, um journalistische Arbeitsplätze in die Zukunft zu transformieren. Und wir brauchen endlich eine schlagkräftige Regulierung von Plattformkonzernen wie Google und Facebook sowie von KI-Anbietern. Niemand darf sich unsere Arbeit kostenlos nehmen, um sie weiterzuverarbeiten. Journalistinnen und Journalisten müssen an dieser Wertschöpfungskette beteiligt werden.
Der DJV hat aktuell 27.000 Mitglieder. Das waren einmal deutlich mehr. Weniger Mitglieder heißt weniger Beiträge. Wie sehr muss der Verband sparen?
Wir müssen sparen – auch, wenn die Mitgliederzahl stabil bleibt, denn ich glaube, jede Organisation ist verpflichtet zu schauen, welche Aufgaben sie effizienter erledigen kann. Im Mittelpunkt stand und steht die Interessenvertretung für unsere Mitglieder. Sie effizienter und noch wirkungsvoller zu machen, ist ein lohnendes Ziel, das wir nicht aus dem Auge verlieren. Am Ende müssen die Mitglieder sagen: Was ihr macht, ist wichtig.
Wo sind denn Sparpotenziale?
Beschlossen ist bereits, dass der Verbandstag nur noch alle zwei Jahre stattfindet. Da geht es nicht nur darum, Geld zu sparen, sondern auch Aufwände im Haupt- und Ehrenamt. Die meisten, die sich im DJV engagieren, tun das in ihrer Freizeit. Für viele ist es eine enorme Herausforderung, sich so viel Zeit rauszunehmen. Gleichzeitig schauen wir, dass wir Partizipationsformen schaffen, damit Begegnungen und der Austausch von Ideen weiterhin stattfinden.
Der DJV hat die Deutsche Stiftung Qualitätsjournalismus gegründet, die Ende 2024 ihre Arbeit aufgenommen hat. Was kann diese Stiftung bewirken?
Sie ist ein wichtiger Beitrag, die Zukunft des Verbands finanziell zu sichern. Sie wird einen wichtigen Beitrag leisten, Qualitätsjournalismus zu fördern und vielleicht den DJV finanziell zu entlasten. Wir müssen Dinge anders finanzieren, zum Beispiel durch solche Förderanträge. Auch da haben wir schon erste Schritte unternommen, müssen aber noch kreativer werden. Wir wollen den DJV finanziell nachhaltig aufstellen – sodass wir in zehn Jahren immer noch eine wichtige Rolle spielen. Unsere Mitglieder sollen wissen: Wir sind eine Interessenvertretung, auf die sie zählen können. Wir sind kein Pop-up-Store, sondern auch die nächsten 75 Jahre noch der DJV.
Kathi Preppner ist Senior-Redakteurin bei der Finanz- und Wirtschaftsredaktion wortwert.