Die große Einsamkeit
Kira Brück liebt es, frei zu arbeiten. Doch der Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen fehlt ihr manchmal. (Foto: Lisa Marie Schmidt)
Unsere Autorin Kira Brück hatte Existenzängste, als sie den Schritt in die Freiberuflichkeit wagte. Doch bald merkte sie, dass da noch etwas Bedrohlicheres lauerte: Einsamkeit. Bis heute wünscht sie sich von den Redaktionen ab und zu mal einen Anruf. Text: Kira Brück
16.12.2024
Es gibt da ein großes Missverständnis: Angestellte Journalist:innen denken, dass die Freien nicht von ihrer Arbeit leben können. Wenn ich jemandem erzähle, dass ich seit zwölf Jahren in keiner Redaktion mehr festangestellt war, kommt wirklich jedes Mal zurück: „Ach krass, und davon kannst du leben?!“ Ich habe mir fest vorgenommen, beim nächsten Mal zu antworten: „Ach krass, und mit so einer Festanstellung kannst du glücklich werden?!“
Es ist nämlich so: An Aufträgen hat es seit Tag eins nicht gemangelt, meist bin ich sogar über Monate hinweg ausgebucht. Allen guten und zuverlässigen Freien, die ich kenne, geht es ebenso. Sicherlich musste ich in den ersten Jahren lernen, meine Honorare zu verhandeln. Rückblickend war ich oft zu preiswert und habe mich nicht getraut, in die Verhandlung zu gehen. Über Geld zu reden und welches zu fordern, musste ich üben, es brauchte Überwindung und fühlte sich anfangs falsch an. Ein Seminar bei Michael Obert brachte mir das Ankern bei: Seitdem werfe ich den Anker mit meiner Honorarvorstellung aus – und stehe finanziell viel besser da, was mich sehr zufrieden macht. Mit der Zeit habe ich einen eleganten Weg gefunden, den Preis zu nennen, für den ich arbeite.
Die Befürchtungen, die ich vor dem Schritt in die Freiberuflichkeit monatelang mit mir herumtrug, haben sich nicht bewahrheitet. Ich musste nie meine Eltern anpumpen. Ich musste kein einziges Mal Spaghetti mit Ketchup essen. Ich konnte meine Steuern immer fristgerecht bezahlen. Mein Fazit: Der freie Journalismus katapultiert einen nicht zwangsläufig in die Armut.
Es mangelte aber an ganz anderer Stelle. Nicht sofort – das war ein schleichender Prozess. Vielleicht geht es nicht allen Freien so, aber fast alle, mit denen ich offen darüber spreche, bestätigen meinen Schmerzpunkt. Er hätte mich zwischendurch fast zum Aufgeben gebracht (und mit Aufgeben meine ich, dass ich mir eine Festanstellung gesucht hätte).
Es geht um Einsamkeit. Mir fällt es nicht leicht, zuzugeben, dass ich einsam war oder mich zumindest so gefühlt habe. Aber die Wahrheit ist: Niemand, wirklich niemand hat die Einsamkeit bei Freiberufler:innen auf dem Zettel. Auch ich habe sie lange Zeit nicht erkannt. Bis ich nach eineinhalb Jahren Freisein plötzlich anfing, im Homeoffice Selbstgespräche zu führen: „So, jetzt drucke ich noch schnell den Vertrag aus und dann frage ich die Professorin für das Interview an.“ Als ich mir selbst dabei zuhörte, wie ich meine eigene Arbeit kommentierte, wusste ich, dass etwas nicht stimmte.
Ein Büro hatte ich mir zu dem Zeitpunkt noch nicht gesucht. Im Vorfeld hatte ich einfach zu häufig die Rückmeldung gehört, dass ich „in freier Wildbahn“ nicht von meinem Beruf würde leben können, also sparte ich konsequent. Warum in München 300 Euro im Monat für einen Büroplatz ausgeben, wenn ich zu Hause einen Schreibtisch, Internet und einen Drucker habe?
Dieser selbst auferlegte Sparzwang hätte mich fast mein großes Glück gekostet, denn ich rutschte dadurch tiefer in die Einsamkeit und zweifelte am Beruf. Dabei finde ich es fantastisch, freie Journalistin zu sein! Ich bin nicht mehr diejenige, die neun Stunden am Tag in der Redaktion hockt und von Freien Texte einkauft, um sich am Ende nur noch ein paar griffige Bildunterschriften auszudenken. Nein, ich bin die, die mit ihren Kindern durch Südtirol wandert und hinterher eine Reisegeschichte darüber schreibt. Ich interviewe Hollywood-Schauspieler Hugh Jackman im Berliner Soho House oder hänge drei Tage im Schwarzwald mit dem Sänger Max Mutzke ab, um dann ein Buch mit ihm zu schreiben. Ich liebe diese Vielfalt. Sie treibt mich an, motiviert mich. Ich liebe es, mir meine Themen selbst auspicken zu dürfen und Aufträge, die unterirdisch bezahlt sind oder schlichtweg keinen Spaß machen, höflich abzusagen. Ich liebe es, mir die Menschen, mit denen ich arbeite, aussuchen zu können. Das fühlt sich an wie die ganz große Freiheit.
„Keine Weihnachtsfeier, keine Themenkonferenz, keine Geburtstagspartys auf dem Flur. Meine Arbeit ist sehr themengetrieben, was großartig ist. Aber mir fehlen die Menschen, der kollegiale Austausch, den es in Redaktionen mit dazu gibt.“
Wenn da nur nicht die große Einsamkeit wäre. Teil des Jobs als Journalist:in ist ja häufig der Diskurs. In der Konferenz sitzen und hitzig über ein Thema diskutieren. Auf dem Flur dem Kollegen schnell eine Idee zurufen, mit der Kollegin an einer Zeile schrauben. Was ich bis heute am meisten vermisse: bei Textchef:innen vorbeischauen und sie fragen, wie ich den Übergang besser formuliere.
Von all dem habe ich nichts. Keine Weihnachtsfeier, keine Themenkonferenz, keine Geburtstagspartys auf dem Flur. Mir fehlen die Menschen, der kollegiale Austausch, den es in Redaktionen automatisch mit dazu gibt.
Die Rettung: Ein Büro für Freie
Irgendwann kam die Rettung in Form eines Facebook-Posts eines ehemaligen Kommilitonen, mit dem ich bei der Studierenden-Zeitung der Uni Bamberg war. Er schrieb, dass in seinem Journalistenbüro im Glockenbachviertel ein Platz frei würde. Jackpot! Da saßen tolle, junge, freie Journalist:innen, viele kamen von der Deutschen Journalistenschule. Sie schrieben für die Süddeutsche Zeitung oder arbeiteten für den Bayerischen Rundfunk. Als ausgebildete Magazin-Journalistin – mit Volontariat an der Burda Journalistenschule – war ich eine prima Ergänzung. Wir trafen uns abends zu Themenrunden. Jede:r erzählte, woran sie oder er gerade arbeitete. So grübelten wir gemeinsam über die Struktur für mein erstes Sachbuch „Der Tod kann mich mal!“, das 2016 erschien. Unser Hinterhof-Büro war spartanisch, es gab nur kaltes Wasser, aber dieser Meister-Eder-Charme machte mich froh. Ich brauchte kein fancy Office mit Designermöbeln, sondern Gleichgesinnte und Austausch.
2016 zog ich nach Berlin und bekam zwei Kinder. In der Hauptstadt gibt es ja alles, also auch Co-Workingspaces mit Babybetreuung. Da saßen zwar keine Journalist:innen um mich herum, aber andere müde Mütter und Väter, die dankbar waren, wenn sie mal zwei Stunden konzentriert arbeiten durften. Das Baby-Business schweißte uns zusammen. Doch als mein zweites Kind in der Kita eingewöhnt war, schlich sie sich wieder an, tat sich vor mir auf: die große Einsamkeit. Ich arbeitete von zu Hause aus und fühlte mich wie eine schreibende Hausfrau. Puh!
Wieder kam ich dank der Sozialen Medien zu einem Journalistenbüro, diesmal auf der Torstraße. Mehr Berlin-Mitte geht nicht. Hilmar Poganatz, der doch tatsächlich mein Dozent an der Journalistenschule gewesen war, hatte einen Platz in seinem Blockfrei-Büro frei. Ich war ultraglücklich, dass ich dort andocken konnte. Denn ich profitiere auch von der Strahlkraft meiner tollen Kolleg:innen.
Wir organisieren uns selbst eine Weihnachtsfeier. Wir gehen Mittagessen oder trinken um die Ecke einen Kaffee zusammen. Meine letzten vier Buchprojekte hat mir meine Blockfrei-Kollegin Astrid Herbold vermittelt. Ich kann hier einfach mal eine Idee für einen Text rüberrufen, der zwei Monate später in einem namhaften Magazin gedruckt wird.
Ich habe meinen eigenen Weg zu mehr Gemeinschaft gefunden. Und doch lauert mir die Einsamkeit immer wieder auf. Zum Beispiel, wenn meine Kinder oder ich länger als eine Woche krank sind und ich wieder nur zu Hause arbeite. Wenn ich seit Wochen nicht mehr mit Redakteur:innen telefoniert habe. Dann muss ich schleunigst zurück in mein Journalistenbüro.
„Was ich mir wirklich sehr von festangestellten Journalist:innen wünsche? Dass sie anbieten, den Text auch mal am Telefon zusammen durchzugehen.“
Und ich wünsche mir etwas von festangestellten Journalist:innen. Nämlich, dass sie ab und zu mal anrufen. Dass sie uns Freien anbieten, den Text am Telefon durchzugehen. Oder gemeinsam ein Thema durchzudenken, die These zu schärfen. Ich wünsche mir, dass sie nicht immer alles per E-Mail klären. Natürlich sollte man Zeichenangabe, Honorar und Abgabetermin schriftlich festhalten. Aber alles rund um den Text kann man doch 1:1 besprechen. In den meisten Fällen helfen mir solche Briefing-Telefonate, hinterher einen besseren Text zu schreiben. Ich fände es auch ganz famos, wenn ich hier und da zu einer Themenkonferenz oder einer Blattkritik dazukommen dürfte. „Besuch uns doch mal in der Redaktion!“, wie gerne würde ich das öfter hören. Es passiert manchmal, und ich finde das eine grandiose Geste.
Sparzwang oder Scheinselbstständigkeit: Dass es nicht so einfach ist, die Freien zur Weihnachtsfeier einzuladen, habe ich schon mitbekommen. Aber es muss ja nicht immer der große Empfang sein. Ich bin auch mit einer Verabredung zum Mittagessen in der Kantine happy. Das, was Festangestellte vielleicht zu viel haben, haben ihre freien Kolleg:innen zu wenig. Nämlich Austausch. Uns ruft niemand an, wenn wir uns drei Tage nirgends blicken lassen. Es fällt niemandem auf. Wir sind in den meisten Fällen Einzelkämpfer:innen. Das ist nicht immer schlecht, manchmal tut es aber weh.
Alle zwei Monate bin ich beim Wirtschaftsmagazin Strive als Textchefin gebucht, die Texte werden allesamt von Freien geschrieben. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, mit all diesen freien Mitarbeitenden wenigstens ein Mal zu telefonieren. Ich knalle ihnen mein Redigat nicht per E-Mail um die Ohren, ich rufe sie an und gehe mit ihnen den Text durch. Die Autor:innen, die wie ich in Berlin leben, treffe ich zu Kaffee oder Mittagessen oder lade sie zu mir ins Journalistenbüro ein. So sind schon die schönsten Gespräche entstanden!
Gemeinsames Arbeiten am Küchentisch
Meine freie Kollegin Susanne Pahler und ich haben alle vierzehn Tage ein Jour fixe. Im Grunde genommen könnte man sagen, dass wir Konkurrentinnen sind: Wir schreiben für dieselben Magazine und bedienen ähnliche Themen. Aber wisst ihr was? Der ehrliche Austausch, auch in Bezug auf Honorare, ist so viel größer und wertvoller als jeder Gedanke daran, dass wir uns irgendetwas wegnehmen könnten. Ganz im Gegenteil: Susanne liest für mich mal einen Text gegen, dafür schiebe ich ihr ein Buchprojekt rüber.
Allen Freien, die sich (noch) kein Büro leisten wollen oder die im ländlichen Raum leben, kann ich einen telefonischen Jour fixe empfehlen. Oder man sucht sich jemanden in der Nähe, der oder die auch im Homeoffice arbeitet – und besucht sich einmal wöchentlich zum gemeinsamen Arbeiten am Küchentisch. Das hilft enorm: mal rauskommen, die Mittagspause mit jemandem verbringen, brainstormen. Gerade habe ich mit meiner Kollegin Julia Hackober ein Offsite auf die Beine gestellt. Zehn freie Journalistinnen fahren kommenden März für ein paar Tage auf „Klassenfahrt“, eine Coachin wird dazukommen. Es geht um Vernetzung, Austausch und das Gefühl, irgendwie doch Teil einer Gemeinschaft zu sein – und eben nicht einsam.
Ich bin eine bessere und glücklichere Journalistin, wenn ich unter Gleichgesinnten arbeite. So ein Büro ist eine verdammt gute Investition. Nicht nur für den Austausch, auch für neue Aufträge. Rückblickend hätte ich das viel früher machen sollen, denn die Isolation war mein größtes Berufsrisiko. Aber das hat mir damals niemand gesagt. Vielleicht musste ich mich einsam fühlen, um selbst zu dieser Erkenntnis zu kommen.
Kira Brück lebt als freie Journalistin in Berlin. Sie schreibt für Spiegel.de, Welt und Freundin. Im Oktober erschien das Buch „So viel mehr“, das sie gemeinsam mit dem Sänger Max Mutzke über dessen Leben schrieb.