Der schleichende Weg nach rechts?

Wie sollten Medien mit der Diskursverschiebung nach rechts umgehen? Fotos: Deutschlandfunk, Katarina Ivanisevic, Roman Pawlowski/Zeit Online

Die AfD ist nach den Bundestagswahlen stark wie nie. Auch die Medien haben im Wahlkampf ihre Themen und zum Teil ihre Rhetorik aufgegriffen. So ging es am Ende vor allem um das Thema Migration. Wir haben bei Journalist*innen nachgefragt: Wie sollten Medien mit dieser Diskursverschiebung umgehen?

Umfrage: Sarah Neu

10.04.2025

 

„Nicht provozieren lassen“

Nadine Lindner, Korrespondentin im Hauptstadtstudio des Deutschlandradios
 

Manchmal gibt es die Gelegenheit, eine Diskursverschiebung live mitzuerleben. So wie beim Parteitag der AfD, Anfang Januar im sächsischen Riesa. Die AfD-Co-Vorsitzende, die längst auch die erste Kanzlerkandidatin ihrer Partei ist, will ganz sichergehen, dass es auch jeder mitbekommt, und betont in einer entscheidenden Passage ihrer Rede jede Silbe einzeln: „Und wenn das dann Remigration heißt, dann heißt das eben Re-mi-gra-tion!“

Alice Weidels Ton ist scharf, fast schneidend, ihre Gestik ausladend, so als wollte sie diesen zentralen Begriff der Neuen Rechten umarmen. Er kommt dann auch gleich dreimal im Bundestagswahlprogramm der AfD vor. Ähnlich verhält es sich mit Weidels Aussage am Wahlabend, dass die AfD „die anderen jagen“ werde. Es ist eine bewusst gesetzte Referenz auf das Zitat von Alexander Gauland aus dem Jahr 2017. Wie können Journalist*innen mit diesen Verschiebungen, mit dieser rhetorischen Drift umgehen? Es wird nicht helfen, sich von der Erregung der Debatte im politischen Raum anstecken zu lassen.

Stattdessen geht es darum, die Strategien der AfD offenzulegen und die Begriffe in ihren Kontext einzubetten. Das Zusammenspiel zwischen den programmatischen Vorstößen und den langfristigen Zielen der Partei muss deutlich werden. Wenn also, wie kürzlich, ein Eklat im Brandenburger Landtag inklusive vulgärer Sprache und Ordnungsrufen provoziert wird, dann dient das im Sinne der AfD dazu, die Stabilität der Landesregierung zu schwächen und das Parlament als Ort der Debatte zu diskreditieren.

Im Bundestag beginnt die neue Legislaturperiode gerade erst. Die AfD-Fraktion ist dort so groß wie nie. Das politische wie mediale Umfeld sollte sich nicht provozieren lassen, sondern muss Grenzüberschreitungen kühl und entschlossen begegnen.

Eigene Arbeit mit Misstrauen reflektieren“

Hannes Soltau, freier Journalist beim Tagesspiegel
 

Der Bundestagswahlkampf hat gezeigt, dass rechtspopulistische Akteure es geschafft haben, mit ihren Themen den Diskurs zu bestimmen. Obwohl die Zahlen bei Asylanträgen und unerlaubten Grenzübertritten in Deutschland sinken, erschien Migration als zentrale Krise des Landes. Themen wie Klimapolitik, soziale Gerechtigkeit oder die autoritäre Bedrohung durch Großmächte, die viele Menschen unmittelbar betreffen, traten dagegen in den Hintergrund.

Um der rechtspopulistischen Agenda auf journalistischer Ebene zu begegnen, sollten Medienschaffende zunächst Selbstreflexion üben. Dazu gehört es, die eigene Arbeit mit einem gesunden Misstrauen und mit Bescheidenheit zu reflektieren. Journalistinnen und Journalisten berichten oft reflexhaft über Provokationen rechter Akteure, statt deren strategische Absichten zu hinterfragen. Mediale Empörung ist ein zentrales Marketinginstrument der Antidemokraten.

Ebenso wichtig ist es, aufzuzeigen, warum der Rechtspopulismus Millionen Menschen anspricht: Wie wird der Migrationsdiskurs instrumentalisiert, um soziale Probleme wie Wohnungsnot oder wirtschaftliche Unsicherheit zu verschleiern?

Dafür reicht es nicht, verschiedene Positionen nebeneinanderzustellen. Medien müssen sich fragen, ob man populistische Standpunkte als legitime „andere Meinung“ behandelt, selbst wenn sie wissenschaftlich widerlegt sind oder demokratische Prinzipien infrage stellen. Wie die besorgniserregende Entwicklung unter US-Präsident Donald Trump zeigt, ist die Pressefreiheit durch den Rechtspopulismus massiv bedroht.

Dem gilt es, mit Selbstbewusstsein entgegenzutreten. Der öffentliche Diskurs ist kein Naturereignis. Er wird gemacht. Und Journalistinnen und Journalisten haben das Privileg, mitzuentscheiden, welche Themen Gewicht bekommen – und was als dreiste Lüge enttarnt werden muss.

„Wieder aufs Handwerkszeug besinnen“

Axel Hemmerling, leitet die Redaktion „Recherche und Hintergrund“ im Thüringer Landesfunkhaus des MDR
 

Die mediale Diskursverschiebung beginnt im Kleinen schon damit, dass bei einer gewalttätigen Auseinandersetzung die Frage nach der Nationalität der Beteiligten an erster Stelle steht. Das mag profan klingen, zeigt aber, wie sich die Wahrnehmung vermeintlicher Probleme bereits verschoben hat. Vor wenigen Jahren war diese Frage völlig irrelevant und war sogar vom Pressekodex ausdrücklich so markiert.

Die Diskursverschiebung ist durch den verkürzten, heftig geführten Bundestagswahlkampf noch einmal verstärkt worden. So spitzte sich nahezu alles auf das Thema Migration zu, wobei eine negative Ausrichtung deutlich wurde: Es ging im Allgemeinen weniger um eine Problemlösung als vielmehr um eine Problemdarstellung. Beschimpfung statt Diskussion. Damit reagierten nicht nur die meisten Parteien, sondern auch die Medien auf die Logiken der Algorithmen sozialer Netzwerke.

Umfragen vor den Wahlen haben deutlich gezeigt, dass die Menschen auch andere Probleme umtreiben: Bildung, Arbeit und so weiter. Allerdings fordern komplexe Probleme auch komplexe Lösungen, die wiederum nur sehr schwer in den Sozialen Medien oder Kurzmeldungen zu transportieren sind.

Journalisten sind gut beraten, wenn sie sich wieder auf ihr Handwerkszeug besinnen: das kritische Nachfragen, das Erklären und das Aufzeigen von Folgen politischen Handelns und politischer Forderungen, die dem Wähler als scheinbar einfache Lösung präsentiert werden. Es geht dabei nicht darum, die Mediennutzer zu belehren. Sie müssen aber (wieder) in die Lage versetzt werden, sich ein eigenes, fundiertes Bild einer Problematik zu bilden. Und das kann nicht funktionieren, wenn Journalisten denen nachdem Mund reden, die den öffentlichen Diskurs weiter nach rechts oder rechtsaußen verschieben.

„Faktenchecks sollten live stattfinden“

Hadija Haruna-Oelker, freie Journalistin, unter anderem für den hr und die Frankfurter Rundschau
 

Journalismus ist in populistischen Zeiten eine Herausforderung. Denn Fakten sind immer weniger wert. Stattdessen gewinnen einfache Antworten. Unsere Aufgabe als Journalist*innen ist es, das wahrnehmbar zu machen. Dafür müssen wir unsere Formate weiterentwickeln. Wenn wir zum Beispiel Politiker*innen in einer Sendung miteinander diskutieren lassen, braucht es Live- Faktenchecks.

Nachgelagerte Checks wie in den vergangenen Duellen schauen sich die wenigsten wirklich an. In Zeiten, in denen populistische und rechte Narrative normalisiert werden und sich über kurze Clips in den sozialen Medien schnell verbreiten, sollten Falschaussagen so schnell wie möglich benannt werden. Heißt konkret: In einer Live-Fernsehdebatte könnte eine Redaktion im Hintergrund den Moderator*innen aufs Ohr geschaltet sein. Alternativ könnten die Sender die Aussagenprüfungen auch einblenden.

„Recherche, Recherche, Recherche“

Mohamed Amjahid, freier Investigativ-Journalist und Reporter für Medien wie Spiegel und taz

Deutsche Medien haben ein Problem mit False Balance. Sie lassen sich vom identitätspolitischen Druck von rechts einlullen. Dabei ist Journalismus eben keine inhaltslose Anbiederung an jeden Akteur auf dem politischen Parkett.

Die AfD ist keine Partei wie jede andere. Falsch verstandene Pluralität hat längst dazu geführt, dass Menschenfeindlichkeit, Geschichtsklitterung und Hassrede normalisiert wurden – als Aufmacher, auf Titelseiten der Magazine und Zeitungen, zur besten Sendezeit im Fernsehen.

Das musste ich im vergangenen Wahlkampf sowohl in den Verlagen als auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wieder feststellen. Dabei sollte Journalismus nicht seine Ressourcen reihum aushändigen und dabei zusehen, wie gelogen und agitiert wird. Auch der Trend zum Stuhlkreis ist gefährlich. Diskurs-Formate und digitale Foren sprießen wie giftige Pilze aus dem Boden. „Das Volk“ posaunt darin seine manchmal ziemlich problematische, oft wenig informierte Meinung heraus – ohne journalistischen Mehrwert. Was müssen wir stattdessen tun? Darauf gibt es drei simple Antworten: Recherche, Recherche, Recherche.

„Klimageschichten kreativer erzählen“

Samira El Hattab, arbeitet freiberuflich für den WDR und ist Host des Podcasts Climate Gossip
 

Von dem Hype um Klimathemen, wie wir ihn in den Jahren 2018 und 2019 erlebt haben, ist aktuell nicht mehr viel zu spüren. Im Bundestagswahlkampf war Klima quasi überhaupt kein Thema mehr und auch in der Berichterstattung darüber tauchte es nur selten auf. Überraschend ist das nicht, denn so, wie die Nachrichtenlogiken der großen Medienhäuser aktuell funktionieren (nämlich nach dem Motto: Was wird geklickt und was nicht?), fällt das Thema nun einmal immer hinten runter – ob im Wahlkampf oder im täglichen Nachrichtengeschehen.

Ich sehe aber vor allem öffentlich-rechtliche Medienhäuser in der Verantwortung, das Klima-Thema trotzdem zu setzen.

Gerade in Zeiten, in denen Politiker*innen es nicht tun. Dazu müssen wir anfangen, Klimageschichten kreativer und besser zu erzählen. Heißt konkret: Näher an Menschen und deren Alltag, weniger am vermeintlich konstruktiven einzelnen Erfolgsbeispiel von Start-up XY.

„Journalisten können nicht bestimmen, welche Themen die Menschen umtreiben“

Jan Schäfer ist Mitglied der Bild-Chefredaktion und verantwortet dort das Politikressort
 

Nach drei Jahren war im Herbst 2024 eine am Ende äußerst unbeliebte Ampel-Koalition zerbrochen. Das Bündnis von SPD, Grünen und FDP hatte sich bei fast allen wichtigen Themen (Finanzen, Wirtschaft, Migration, Soziales, Klimaschutz) völlig überworfen. In dieser Situation fehlte vielen Bundesbürgern das Vertrauen in die Ampel-Parteien, die Probleme lösen zu können.

Dieses Vertrauensdefizit und eine wachsende allgemeine Unzufriedenheit mit der Politik nutzte vor allem die AfD für sich. Mit Zuspitzungen in der Migrations-, Wirtschafts-, Energie- und Ukrainepolitik traf sie offensichtlich „einen Nerv“ bei vielen Wählern.

Vor allem SPD und Grüne gelang es nicht, sich auf die neue Situation einzustellen. In den Parteispitzen wurde vielmehr darüber diskutiert, bestimmte Probleme möglichst wenig öffentlich zu thematisieren, beispielsweise die Asylkrise. Ein Fehler – wie auch das Ergebnis der Bundestagswahl zeigt.

Daraus folgt: Politiker entscheiden nicht, was die Menschen umtreibt – und was nicht. Das gleiche gilt für die Medien. Journalisten bestimmen nicht, wie und worüber sich die Bürger Gedanken machen (sollen). Es ist auch gar nicht ihre Aufgabe, das festzulegen. In einer Demokratie sind die Bürger der Souverän. Sie entscheiden, welche Themen wichtig sind und von Politikern gelöst werden müssen. Die Aufgabe von Journalisten ist es, umfassend, hintergründig, faktenreich darüber zu berichten.

Wichtig für Journalisten ist dabei ein enger Kontakt zur Bevölkerung. Bei BILD erhalten wir täglich hunderte Leserzuschriften. Sie sind für uns wie ein Seismograph über die Stimmung im Land. Die E-Mails und Briefe zeigen uns, was die Menschen bewegt.

Journalisten erfüllen dann ihren Job, wenn sie schreiben, was ist – so wie es Spiegel-Gründer Rudolf Augstein als Auftrag formuliert hat. Wer glaubt, Journalisten könnten in einer Demokratie mit einem breit gefächerten Medienmarkt „Themen bewusst setzen“ und damit die Bevölkerung beeinflussen, irrt sich. Und das ist auch gut so.

„Rechte Narrative immer wieder enttarnen“

Johannes Schneider, Redakteur im Politischen Feuilleton von Zeit und Zeit Online

Rechtspopulistische Lautsprecher und Lügenschleudern bestimmen auch meinen beruflichen Alltag inzwischen traurig oft – und das Schlimme ist: Es gibt kaum ein Entrinnen. Natürlich kann man der Sau, die durchs Dorf getrieben wird, einfach den

Rücken zukehren. Aber man hält damit weder die Treibjagd auf, noch bekommt man mehr Aufmerksamkeit für die anderen, wichtigen Themen, die man ihr gern entgegensetzen würde. Und zumindest im Fall der US-Administration liefern die Lügenschleudern (leider) eindeutig wichtige Gesprächsanlässe. Man muss nicht über jedes Stöckchen springen, aber oft sind es heute dicke Baumstämme.

Was dagegen noch am besten hilft: kluge, ruhige Texte, die eher analysieren, als dass sie kommentieren. Erstens. Zweitens sollte man niemals aufgeben, auch für andere Themen – etwa die Klimakatastrophe – um Aufmerksamkeit zu werben. Dabei hilft meiner Erfahrung nach Klarheit in der Analyse, aber auch in der emotionalen Konsequenz – Trauer, Schmerz, Wut, Hoffnungslosigkeit (die ja eben gerade beim Klima auch analytisch begründbar sind). Drittens, und das lerne ich gerade noch, dürfen wir im aktuellen Diskurs keine Angst davor haben, uns zu wiederholen: Inzwischen stapeln sich nicht zuletzt durch Trumps zweite Präsidentschaft Themen von hoher Aktualität und Relevanz, bei denen die Handlungsmuster und Strategien tausendfach beschrieben sind. Wer sie aber deshalb nicht mehr beschreibt, trägt auch zur Diskursverschiebung bei.