Chefin zu zweit

Lydia Leipert und Rebecca Zöller teilen sich eine Abteilungsleitung beim BR. Wie funktioniertso ein Jobsharing – und welche Herausforderungen gibt es?

Die Journalistinnen Lydia Leipert und Rebecca Zöller teilen sich ihre Führungsposition im Bayerischen Rundfunk. Das Jobsharing bekommt als Modell immer mehr Aufmerksamkeit – wie sinnvoll ist so eine Tandem-Konstruktion im Journalismus? Interview: Catalina Schröder, Illustration: Joni Marriott

09.12.2024

Lydia Leipert und Rebecca Zöller sind ein perfekt eingespieltes Team: Sie springen füreinander ein, wenn das Kind krank ist. Sie wissen, dass Freitage heilig sind, dass sie Mitarbeitergespräche lieber zu zweit führen und dass es Termine gibt, die nie ausfallen dürfen. Als eines der ersten Jobsharing-Paare beim BR haben sie sich dieses Wissen selbst erarbeitet – und dann in einem Buch niedergeschrieben.

journalist: Frau Leipert, Frau Zöller, welche Frage wird Ihnen zu Ihrem Arbeitsmodell am häufigsten gestellt?

Lydia Leipert: Die Frage: „Muss man da befreundet sein?“

Und, muss man?

Rebecca Zöller: Lydia und ich sind befreundet. Aber das muss man nicht sein, um im Tandem zu arbeiten. Man sollte sich ein bisschen mögen und sich vorher kennengelernt haben – und zumindest einen ähnlichen Arbeitsethos haben. Wenn man befreundet ist, hat man vielleicht Hemmungen, dem anderen Arbeit rüberzuschieben oder anzusprechen, wenn etwas nicht gut läuft. Das ist bei uns aber nicht der Fall.

Müssen Sie Ihr Arbeitsmodell, das Jobsharing, anderen Leuten erklären oder kennen es die meisten schon?

Leipert: Wir machen das seit 2017, damals mussten wir es häufiger erklären als heute…

Zöller: …aber wir müssen es immer noch oft erklären.

Haben Sie eine Standarderklärung?

Leipert: Ja, die geht ganz schnell: Wir teilen uns eine Stelle, nämlich die Teamleitung Film Digital beim Bayerischen Rundfunk. Anfangs hat jede von uns etwa 50 Prozent gearbeitet, mittlerweile sind es jeweils 70 Prozent. Vormittags arbeiten wir immer beide. Nachmittags häufig auch, da sind wir dann abwechselnd für unser Team ansprechbar. Freitags haben wir abwechselnd frei – sofern alles nach Plan läuft.

Zöller: Ich erwähne gegenüber Müttern oft, dass ich die Stelle mit einer anderen Mutter teile. Die stellen dann schnell die Verknüpfung her: Ah, okay, zwei Mütter, die haben sicher viel Verständnis für die jeweils andere.

Leipert: Unser Slogan lautet: ein Job, zwei Frauen, vier Kinder.

Wie kam es dazu, dass Sie im Tandem arbeiten?

Zöller: Lydia und ich sind schon lange beim BR. Anfang 2017 wurde unsere heutige Stelle frei. Mein damaliger Chef fragte, ob ich sie übernehmen will. Ich fand das toll, aber mein Sohn war nicht mal ein Jahr alt und ich konnte mir nicht vorstellen, in Vollzeit zu arbeiten. Lydia war damals in Elternzeit und wollte bald in den Job zurück. Da kam mir die Idee, uns den Job zu teilen.

War es schwer, Ihre Chefs davon überzeugen?

Zöller: Wir mussten mit der Idee zur Programmbereichsleitung. Dort hieß es: Probiert das mal! Da wir feste freie Mitarbeiterinnen waren – und immer noch sind – mussten wir keine komplizierten Verträge aushandeln, sondern konnten einfach anfangen.

Leipert: Damals kannten wir den Begriff Jobsharing noch nicht.

Wie haben Sie Ihre geteilte Stelle dann organisiert?

Leipert: Wir haben anfangs viel über Strukturen gesprochen: Was ist dein Bereich, was meiner? Wie grenzen wir uns ab? Wie können wir effizient sein? Wie kommunizieren wir miteinander und im Team? Vieles hat sich im Laufe der Zeit eingespielt, aber einige Dinge mussten wir erstmal festlegen.

Zöller: Wir hatten das Glück, dass ein Coach uns von Beginn an begleitet hat. Er hat uns geholfen, uns zu organisieren. Es gab damals kein Buch über andere Tandems. So ist später unsere Idee entstanden, selbst ein Buch zu schreiben.

Heißt Jobsharing für Sie: Sie arbeiten nicht gemeinsam an einem Projekt, sondern teilen die verschiedenen Projekte auf?

Zöller: Genau. Aber in dringenden Fällen, wenn eine krank oder im Urlaub ist, vertreten wir uns gegenseitig. Inzwischen kennen wir uns so gut, dass wir meistens wissen, wie die andere entscheiden würde. Gerade als unsere Kinder noch klein waren, hat mir das Jobsharing enorm viel Druck genommen. Dieses Gefühl, wenn ich abends dachte: „Mist, mein Kind fiebert und mein Partner hat morgen wichtige Termine!“ – dann konnte ich Lydia anrufen und mir den Tag damit freischaufeln.

Leipert: Für viele klingt Jobsharing kompliziert. Aber wenn es sich eingespielt hat, ist es eine totale Entlastung. Auch, wenn man keine kleinen Kinder hat. Es gibt immer jemanden, mit dem man sich besprechen und Entscheidungen überdenken kann.

Teilen Sie sich die Zuständigkeit für Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Leipert: Grundsätzlich ja. Bei Konfliktgesprächen haben wir allerdings wechselnde Modelle ausprobiert: Früher ist nur eine von uns in solche Gespräche gegangen. Inzwischen machen wir das zu zweit, weil es besser funktioniert. Auf den ersten Blick wirkt es vielleicht ungerecht, weil wir in der Überzahl sind, aber wir haben gute Erfahrungen mit der Good-Cop-Bad-Cop-Strategie gemacht.

Zöller: Und wir sind zu zweit einfach besser. Unser Kürzel lautet Lydecca. Wir sind quasi eine Person … kleiner Scherz. Aber im Ernst: Wir haben zwei Gehirne, und die produzieren mehr Ideen als eines.

Und wie ist das mit der Kommunikation im Team, teilen Sie sich die auch?

Leipert: Unser Tandem bringt es mit sich, dass wir über viele Dinge sprechen und unserem Team oft erklären, warum wir etwas machen oder wie wir uns aufteilen. Kommunikation ist bei uns durch das Jobsharing stark ausgeprägt.

Zöller: Genau. Konflikte entstehen ja generell nicht, weil der Drucker nicht funktioniert, sondern weil das Zwischenmenschliche nicht passt. Weil Menschen sich nicht gesehen oder wertgeschätzt fühlen. Das ist es, was alles zum Erliegen bringen kann.

Was schätzen Sie an der jeweils anderen?

Zöller: Unser Coach lacht uns immer aus, wenn wir uns Liebesgeständnisse machen.

Erzählen Sie mal!

Leipert: Ich schätze ganz, ganz viel an Rebecca. Besonders die Grundloyalität, die wir füreinander haben. Wir können uns immer aufeinander verlassen. Ich schätze ihre Kreativität und ihren Freigeist. Ich erlaube mir oft nicht so frei zu denken wie sie. Deshalb ist es für mich immer toll, wenn sie mit einer ungewöhnlichen Idee um die Ecke kommt, auf die ich selbst nicht gekommen wäre.

Und wie ist es bei Ihnen, Frau Zöller?

Zöller: Lydia arbeitet strukturierter als ich und ist besser darin, Forderungen zu stellen. Ich neige dazu, obrigkeitshörig zu sein. Vielleicht liegt es daran, dass wir zu den geburtenstarken Jahrgängen gehören, die froh sein konnten, wenn sie ein unbezahltes Praktikum machen durften. Ich bin immer wahnsinnig dankbar, wenn ich irgendwo arbeiten darf. Durch Lydia habe ich gelernt, dass meine Arbeit etwas wert ist. Und ich habe von ihr gelernt, mich besser abzugrenzen, auch mal nein zu sagen oder auf den Tisch zu hauen. Sie hat viel mehr Mut zur Veränderung als ich.

Waren Sie das erste Jobsharing-Team im Bayerischen Rundfunk oder gab es dafür ein Vorbild?

Leipert: Es gab schon zwei andere Tandems. Das waren auch Frauen, die sich eine Stelle geteilt haben. Beide Tandems waren fürs BR-Radio zuständig, das eine Tandem hat schon ganz lange so gearbeitet. Das wussten nur sehr wenige.

„Unser Slogan lautet: ein Job, zwei Frauen, vier Kinder.“ Lydia Leipert, Teamleitung Film Digital beim BR

Zöller: Wir haben es deshalb zu unserer Mission gemacht, das Thema Jobsharing im BR und darüber hinaus nach vorne zu bringen. Auf uns kommen jetzt Leute zu und fragen nach unseren Erfahrungen.

Jetzt sind Sie also selbst das Vorbild.

Leipert: Ja, uns ist es wichtig zu zeigen: Ihr könnt als Mütter (und als Väter) eine Führungsposition übernehmen, ohne euch kaputt zu arbeiten.

Zöller: Mittlerweile gibt es im BR viele Tandems, zum Teil auch gemischt, Mann und Frau. Ein Kollege und eine Kollegin zum Beispiel haben beide eine 100-Prozent-Stelle, aber sie haben zwei Stellen ineinander verschachtelt: Die Idee ist, dass sie sowohl Management-Aufgaben übernehmen, als auch weiterhin im Operativen tätig sind.

Leipert: Dass die ersten Männer in Tandems arbeiten, hat auch mit dem Generationenwechsel zu tun, denke ich. Die Leute wollen nicht mehr zu allen Bedingungen arbeiten. Durch den Fachkräftemangel müssen Arbeitgeber sich auf neue Modelle einlassen.

Gibt es Dinge, von denen Sie anfangs dachten: Das müssen wir so und so organisieren – und dann hat es sich im Alltag als Quatsch herausgestellt?

Leipert: Wir setzen uns heute bei Mails weniger in CC, als wir das früher gemacht haben. Einfach, weil wir besser aufeinander eingespielt sind. Dabei fällt mir aber auch ein Tipp ein, den ich allen neuen Tandems mitgeben möchte: Gebt euch mindestens ein halbes Jahr Zeit, um euch aufeinander einzuspielen. In dieser Zeit wird es ruckeln, aber das ist ganz normal.

Wie viel Zeit planen Sie für Übergaben ein?

Leipert: Vormittags arbeiten wir in der Regel parallel und sind für die andere ansprechbar. Jeden Dienstag haben wir einen Jour Fixe, der ursprünglich mal auf eine Stunde angesetzt war.

Und, halten Sie die ein?

Leipert: Wir bemühen uns. Da halten wir uns gegenseitig auf dem Laufenden über alles, was in Sitzungen besprochen wurde, in denen nur eine von uns war. Außerdem protokollieren wir beide wichtige Dinge in einem gemeinsamen Teams-Dokument.

Zöller: Das ist auch so eine Sache, die unser Coach uns eingebläut hat: Wir dürfen alles absagen, außer unseren Jour Fixe.

Ich habe gelesen, dass Sie sich in diesem Jour Fixe auch fragen, wie es Ihnen miteinander geht.

Zöller: Ja, tatsächlich bemühen wir uns sehr darum, dass wir uns einen regelmäßigen Einblick in die Seele der anderen erlauben. So versuchen wir potenzielle Konflikte gar nicht erst aufkommen zu lassen.

„Wir dürfen alles absagen, außer unseren Jour Fixe.“ Rebecca Zöller, Teamleitung Film Digital beim BR

Leipert: Es kostet aber etwas Überwindung, offen anzusprechen, wenn etwas nicht gut läuft. Gerade am Anfang, als wir das noch nicht gewohnt waren, fand ich es nicht so leicht. Denn diese Frage geht ja viel tiefer als die rein operative Ebene, wenn wir also nur darüber sprechen, was wir erledigen müssen.

Zöller: Wobei das manchmal auch ineinander übergeht. Ich erledige Dinge gerne mal sehr viel später als Lydia. In unseren Coachings war es oft Thema, ab wann Lydia mich fragen darf, ob ich eine Aufgabe schon erledigt habe. Was wir da schon alles ausprobiert haben! Bis hin zum Ampelsystem, einer Methode zum Managen von Aufgaben. Geholfen hat es bislang leider noch nicht.

Und an Ihrem freien Freitag – haben Sie da wirklich frei?

Zöller: Der freie Freitag ist uns heilig. Da versuchen wir schon, die andere nicht anzurufen. Das gleiche gilt für Urlaube: Da rufen wir die andere nur an, wenn die Hütte brennt.

Können Sie sich an Momente erinnern, von denen Sie sagen würden: Das hätte ich ohne die andere nicht – oder nicht so gut – geschafft?

Zöller: Davon gibt es viele. Oft rufe ich Lydia an, bespreche kurz etwas mit ihr und sehe danach viel klarer, denke mir: Krass, diese zehn Minuten Austausch haben mir jetzt zwei Stunden erspart, in denen ich alleine vor mich hingearbeitet hätte.

Leipert: Ich glaube, wir hätten diese Karriere nicht allein machen können. Wir konnten den Job nur antreten, weil wir ihn zusammen machen. 

Was würde passieren, wenn eine von Ihnen plötzlich keine Lust mehr auf den Job hätte?

Zöller: So ein Job-Tandem ist eine eheartige Beziehung, die man nicht einfach auflöst. In der Jobsharing-Bubble reden wir von der Work-Wife. Wir fühlen uns einander sehr verpflichtet. Aber natürlich würden wir die andere niemals behindern, wenn sie ein tolles Angebot bekäme. 

Haben Sie gemeinsam festgelegt, wo Sie in drei Jahren stehen wollen?

Leipert: Also, das habe ich Rebecca noch nicht gesagt …

Zöller: Das ist jetzt im journalist-Interview ganz schwierig …

Wir sind da total offen.

Leipert: Wir sind ein eingespieltes Team und freuen uns über spannende Angebote im journalistischen Bereich (lacht). Nein, im Ernst: Wir sind hier happy, weil wir viele Freiheiten haben. Trotzdem müssen wir permanent im engen Gespräch bleiben: Was will ich, was will die andere? Damit wir nicht Gefahr laufen, dass eine von uns irgendwann frustriert sein könnte.

Zöller: Und wir können uns gegenseitig wieder aufbauen, wenn eine mal zweifelt. Ich glaube: Wenn wir eines Tages gehen sollten, dann gehen wir zu zweit!

Catalina Schröder ist Wirtschaftsjournalistin in Hamburg.