"Bleiben Sie optimistisch"
"Es gibt so viele Erfolgsgeschichten, die erzählt werden können und sollten" (Foto: Moritz Jansen)
Die Klimakrise ist komplex, frustrierend und dramatisch – wie erreicht man damit Zuschauer? Indem man das Thema konstruktiv angeht, sagt RTL-Anchor Maik Meuser in unserer Serie "Mein Blick auf den Journalismus". Text: Maik Meuser
09.09.2024
Im April 2020 hänge ich hoch oben in einem Baum. Gut gesichert zwar in elf Metern Höhe, trotzdem kralle ich mich am Stamm fest. Der Baum bewegt sich im Wind, alles schwankt. Als dann die Leiter weggeräumt wird, über die ich hochgeklettert bin, bin ich hier oben ganz allein und frage mich: Musste das sein? Mein Team steht unten, der Kameramann ruft: Hey Maik, so können wir die Moderation aber nicht aufzeichnen. Die anderen lachen. Ich versuche mich zu entspannen. Durchatmen. Ja, das musste sein. Warum – dazu später mehr. Jetzt nur soviel: Manchmal muss man seine Komfortzone verlassen, um neue Perspektiven zu gewinnen. Gerade als Journalist. Etwas neu machen, anders. Das gilt für jede Journalistin und jeden Journalisten, genauso wie für den Journalismus als Ganzes. Etwas anders machen – darüber möchte ich hier schreiben.
Ich bin Journalist, und das gefühlt schon immer. Zuerst habe ich eine Schülerzeitung gegründet, während Abi und Studium dann für Lokalzeitungen geschrieben, Praktika bei Fernseh- und Radiosendern gemacht. Später arbeitete ich als freier Mitarbeiter für die Nachrichten von Arte in Straßburg. Von dort ging es in die Redakteursausbildung bei der Deutschen Welle, wo ich die Chance bekam, die Weltnachrichten von DW-TV zu moderieren. Nach gut sieben Jahren kam ein Anruf aus Köln von RTL: erst Nachtjournal, dann RTL Aktuell. Nachrichten. Täglich relevante Themen sortieren und verständlich machen. Ich war und bin Journalist aus Leidenschaft. Irgendwann ließ mich ein Thema nicht mehr los: Der Klimawandel und seine Folgen.
Er ist hochkomplex und wir können ihn nur in Teilen in einer Nachrichtensendung bearbeiten. Trotzdem sehe ich es als journalistische Pflicht, über ihn zu berichten – denn seine Auswirkungen betreffen uns alle. Der Schriftsteller Jonathan Safran Foer hat einmal geschrieben: „Die Klimakrise ist keine gute Geschichte, weil sie so abstrakt und so vielschichtig ist.“ So wie es dem Schriftsteller schwer fällt, einen Klimaroman zu schreiben, der nicht Science-Fiction-artig oder apokalyptisch wirkt, so fällt es auch uns Journalistinnen und Journalisten schwer, die Klimakrise gut aufzubereiten. Die Zuschauerinnen, Leser, Hörerinnen sind sowohl Teil des Problems als auch Teil der Lösung. Sie dafür zu interessieren braucht besonderes Fingerspitzengefühl und am besten keinen erhobenen Zeigefinger. Und gleichzeitig schonungslose Ehrlichkeit. Die Fakten sind zum Schreien. Die meisten Menschen wollen aber nicht angeschrien werden. Dieser widersprüchlichen Herausforderung stelle ich mich seit fünf Jahren.
Dabei hilft mir ein Gedanke, den Reporterlegende Egon Erwin Kisch 1924, also vor genau einhundert Jahren, im Vorwort zum Rasenden Reporter aufgeschrieben hat: „Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit. Und nichts Sensationelleres gibt es in der Welt als die Zeit, in der man lebt.“ Es ist diese Neugier auf die Widersprüche unserer Zeit, die mich schon mein ganzes Journalistenleben lang begleitet. Sie erinnert mich daran, auch die Klimakrise genau so zu betrachten, wie sie jetzt gerade um uns herum passiert. Mit ihren negativen Auswirkungen und der lauernden Gefahr der Kipppunkte. Aber eben auch mit den positiven Geschichten des Gelingens, den Lösungen, an denen zehntausende, wahrscheinlich hunderttausende Menschen täglich arbeiten und die schon jetzt umsetzbar sind. Die Mut machen. Mut zum Handeln und zum Nachdenken über die eigene Verantwortung, das eigene Handeln und dessen Konsequenzen.
„Die Fakten sind zum Schreien. Die meisten Menschen wollen aber nicht angeschrien werden.“
Aber ich muss zugeben: Meine Arbeit ist in den vergangenen Jahren schwieriger geworden – in einer Zeit, in der Medien zunehmend in die Kritik geraten und sich diese Kritik immer radikaler ausdrückt. Sei es bei Corona, der Migrationspolitik, dem Ukraine-Krieg oder eben der Klimakrise. Wenn man als Journalist zeigt, wie Individuen, Unternehmen oder Politikerinnen und Politiker Lösungsmöglichkeiten erarbeiten, von denen wir alle profitieren können, dann kommt immer wieder der Vorwurf: Aktivismus. Man sei kein Journalist, der objektiv beschreibe, heißt es, sondern mache sich gemein mit Ideen anderer. Deshalb finde ich es besonders wichtig, zwar interessiert zu schauen und zu verstehen, gleichzeitig aber nicht die professionelle Distanz zu verlieren. Wenn diese Balance gelingt, kann man den Vorwurf entspannt an sich vorbeiziehen lassen.
Fehlinformationen untergraben das Vertrauen
Wer sich als Journalist oder Journalistin mit der Klimakrise beschäftigt, kommt zwangsläufig mit gezielten Desinformationskampagnen in Kontakt. Auch mit ihnen ist der Umgang sehr herausfordernd. Cathleen Berger, Expertin für Digitalpolitik und Desinformation bei der Bertelsmann Stiftung, hat es 2022 einmal so auf den Punkt gebracht: „In der Vergangenheit kam die Fehlinformation über den Klimawandel oft in Form von offener Leugnung. Im Laufe der Zeit hat sich dies auf verschiedene Verzögerungstaktiken verlagert, wie z.B. ‚Klimamaßnahmen sind eine Bedrohung für unsere Wirtschaft und nationale Sicherheit‘ oder ‚ein wärmeres Klima bedeutet längere landwirtschaftliche Perioden‘ usw. Die Komplexität der Herausforderung wird genutzt, um mit dem Finger auf ein anderes Teil des Puzzles zu zeigen, bevor man die Verantwortung für den eigenen Beitrag übernimmt.“ Die Folgen dieser Fehlinformationen seien weitreichend, so Berger. Denn verzögertes oder unzureichendes Handeln verschlimmere Naturkatastrophen und verschärfte sozioökonomische Ungleichheiten. Sie schreibt noch: „Fehlinformationen untergraben das Vertrauen der Öffentlichkeit in die wissenschaftliche Expertise, behindern die politische Entscheidungsfindung und die Umsetzung effektiver Lösungen für die Klimakrise.”
Wenn Menschen Nachrichten vermeiden
Wir Journalistinnen und Journalisten müssen zeigen, was wirklich hinter groß angelegten Kampagnen wie der Oregon-Petition steckt, in der angeblich mehr als 30.000 Wissenschaftler den Erkenntnissen des Weltklimarats widersprechen. Ach, der Klimawandel ist doch nicht vom Menschen gemacht? Und das unterschreiben so viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler? Eine große Zahl, die Eindruck machen soll und Zweifel sät. Schaut man aber genauer darauf, waren gerade einmal 39 der Unterschreibenden wirklich in der Klimaforschung aktiv, also nur 0,1 Prozent. Das ist fast schon ein homöopathischer Anteil. Und obwohl die Petition 1998 gestartet wurde, ihre Anfänge also schon Jahrzehnte zurückliegen, wirkt sie noch heute und geistert durch die Sozialen Netzwerke. Dies ist nur ein Beispiel von vielen. Es soll zeigen, wie wichtig die Rolle von Journalisten ist – nicht als Aktivisten, sondern als Aufklärer.
Und es gibt noch einen weiteren mächtigen Gegner, dem sich Journalisten beim Thema Klima stellen müssen: die zunehmende Nachrichtenmüdigkeit. Mehrere Studien haben zuletzt gezeigt, dass das Interesse an Nachrichten insgesamt gesunken ist. Das Leibniz-Institut für Medienforschung etwa hat im vergangenen Sommer festgestellt, dass nur noch 52 Prozent der erwachsenen Internetnutzer in Deutschland sagen, sie seien äußerst oder sehr an Nachrichten interessiert. Im Vorjahr waren es noch 57 Prozent. Jeder zehnte versuche oft aktiv, Nachrichten zu vermeiden, 65 Prozent versuchen es gelegentlich. Warum ist das so – und was können wir Medienschaffenden dagegen tun?
Eine gute Möglichkeit, die hier im journalist schon vorgestellt wurde, ist der konstruktive Journalismus. Für mich selbst ist er in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden. Das Bonn Institute beispielsweise versucht ihn zu stärken. Ellen Heinrichs, die Gründerin, hat das einmal so formuliert: Menschen reagieren auf negative Ereignisse evolutionsbedingt fünfmal stärker als auf neutrale oder positive Nachrichten. Da werden Nachrichtensendungen wie RTL Aktuell, heute oder die Tagesschau schon manchmal schwer verdaulich, gerade in Zeiten von Kriegen und Krisen. Gleichzeitig gibt mehr als die Hälfte der Befragten im Reuters Institute Digital News Report von 2023 an, sehr an positiven und lösungsorientierten Nachrichten interessiert zu sein. Daraus schließe ich: Konstruktive, journalistische Erzählungen sind es, die wir brauchen. Geschichten, die vom Gelingen erzählen, nah dran am täglichen Leben und dem direkten Umfeld der Zuschauerinnen und Zuschauer.
Und es gibt viele Erfolgsgeschichten. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist sicher eine, das zeigen gerade wieder die Zahlen der Bundesnetzagentur: Von Januar bis zum 18. Juli 2024 hat die neu installierte Photovoltaikleistung in Deutschland um 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugenommen. Oder die tolle Nachricht aus Kolumbien, wo die Entwaldung auf dem niedrigsten Stand seit 23 Jahren angekommen ist. Und nicht nur das – statt dem angepeilten Rückgang der Entwaldung von 20 Prozent konnte eine Reduktion von 36 Prozent erreicht werden. Bei uns im Klima Update Spezial könnten diese Meldungen im Kurznachrichtenblock stattfinden, den wir anfangs Klima kompakt genannt haben und der seit 2 Jahren Klima konstruktiv heißt, weil wir dort nur noch für positive Meldungen Platz machen.
„Manchmal muss man seine Komfortzone verlassen, um neue Perspektiven zu gewinnen – gerade als Journalist.“
Dazu noch ein Tipp: Die Psychologists for Future beschäftigen sich mit den psychologischen Effekten von Klimaberichterstattung. In einem Leitfaden für Medienschaffende unterstreichen sie die Möglichkeiten, Mut und Zuversicht zu stärken und Handlungsfähigkeit, Selbstwirksamkeit, Kontrollerleben und Zusammenhalt zu fördern. Den Leitfaden kann ich nur jeder Kollegin und jedem Kollegen ans Herz legen.
Nimmt man all das zusammen, landet man vielleicht nicht in der Krone eines Baums, so wie ich. Aber vielleicht wächst die Erkenntnis, dass wir mehr konstruktiven Klimajournalismus brauchen. Natürlich heißt das nicht, dass wir auf kritischen, investigativen Journalismus gerade im Bereich der Klimakrise verzichten können.
Und damit zurück zum Moderator im schwankenden Baum: Ich setze mich auf eine Astgabelung, mein Puls beruhigt sich und ich kann das tun, wofür wir hergekommen sind: Eine Reportage zum Earth Day anmoderieren, die bei verschiedenen Sendungen von RTL und n-tv laufen soll. Ich habe sie mit einer Gruppe von Journalistinnen und Journalisten von Geo, Stern, RTL und n-tv gemeinsam konzipiert. Die Anmoderation spreche ich in die Kamera einer Drohne, die nach oben wegzieht und den Moderator in der Baumkrone langsam im Wald verschwinden lässt. Währenddessen erkläre ich, dass wir in dieser Sendung über Pflanzen und ihren Nutzen im Kampf gegen den Klimawandel berichten wollen.
Eigentlich sollte es nur ein einziger Beitrag werden. Aber wir haben uns bei diesem Projekt gefunden und wollen unbedingt weitermachen. Damals ahnen wir noch nicht, dass das die Geburtsstunde unseres Klima Update Spezials ist, dass wir in den nächsten viereinhalb Jahren jede Woche zusammenkommen und darüber diskutieren werden, welches Thema wir als nächstes beleuchten wollen. Zuerst entsteht jeden Monat eine neue Reportage, und sie sind alle so erfolgreich, dass n-tv am Ende des Jahres sagt: Ihr habt uns überzeugt, ihr bekommt ab 2021 eine offizielle Sendung, mit monatlich festen Sendeterminen. Das RTL Nachtjournal wird später nachziehen.
Und so versuchen wir mit unserer Sendung jeden Monat einen Beitrag zu leisten, um über die Klimakrise aufzuklären. Wir zeigen Lösungen – denn nichts ist gewonnen, wenn die Menschen das Gefühl haben, man könne eh nichts mehr tun. Wir können etwas tun! Und wir müssen es. Der Wissenschaftsphilosoph Karl Popper hat es auf den Punkt gebracht: „Es gibt zum Optimismus keine vernünftige Alternative.“ Deshalb beende ich unsere Sendung jedes Mal mit den Worten: „Vielen Dank für Ihr Interesse und ganz wichtig, bleiben Sie optimistisch!“
Maik Meuser ist Journalist und Anchor beim RTL Nachtjournal und RTL Aktuell und präsentiert zusammen mit Clara Pfeffer das monatliche RTL-Format Klima Update Spezial.