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Wie arbeitet man mit Depressionen, Larena Klöckner?

Larena Klöckner: "Dadurch, dass ich meine Depressionen schon lange habe, können wir ganz gut koexistieren." (Foto: Paulina Hildesheim)

Als Larena Klöckner beschlossen hat, Journalistin zu werden, wusste sie bereits um ihre Depressionen. Dennoch entschied sie sich für den Beruf. "Das war bei mir gar nicht so ein Trotzdem", sagt sie. "Sondern eher ein gerade deswegen." Interview: Annkathrin Weis, Fotos: Paulina Hildesheim.

03.11.2022

Wer auf Social Media genauer hinsieht, nimmt immer häufiger sanftere Töne und persönliche Geschichten wahr. So auch bei Larena Klöckner, die dort bereits leise über ihre Depressionen schrieb, bevor sie sich gegenüber der eigenen Branche demonstrativ öffnete. Bilder voller Lachen im Sonnenschein gehören genauso zu ihrer Geschichte wie die fehlende Kraft manchmal, sich ein Wasserglas zu holen. Ein Gespräch über Diagnosen, unzureichende Hilfe und den Wunsch nach einer sensibleren Kultur im Journalismus.

journalist: Wie geht es dir heute?

Larena Klöckner: Das ist eine Frage, bei der ich automatisch immer "gut" als Antwort parat habe. Auch, weil sie so inflationär und in Kontexten gestellt wird, wo es nicht den Raum gibt, ehrlich zu antworten, oder wo man gar nicht ehrlich antworten möchte. Hier ist das natürlich anders. Ich glaube, mir geht‘s besser als die letzten Tage. 

Wie häufig hast du bei dieser Frage schon gelogen? 

Da habe ich schon sehr oft gelogen. Meine beste Freundin und ich schicken uns – gerade, wenn das Antworten per Whatsapp schwerfällt – einfach nur die Frage "0 bis 10?". Das reicht, damit wir wissen, wie es uns geht. Im Arbeitskontext habe ich die Frage sehr selten ehrlich beantwortet. Ich bin gut darin, mich nach außen darzustellen. In diese Außenwirkung passt kein "Mir geht es furchtbar" oder "Ich habe den Morgen über geweint, bevor ich in die Redaktion gekommen bin."

Trotzdem hast du bei Übermedien einen Artikel geschrieben, in dem du dich sozusagen geoutet hast: Ja, ich bin eine junge Journalistin, und ich habe Depressionen. Warum hast du dich für diese sehr persönliche Botschaft entschieden? 

Das Gute war, dass ich mir den Moment selbst aussuchen konnte. Ich hatte im Vorfeld viel Zeit, um darüber nachzudenken. Im persönlichen Umfeld spreche ich offen über meine Krankheit. Im beruflichen Kontext jedoch nicht. Mir ist klar geworden: Es kann nicht sein, dass ich nach außen hin immer leistungsfähig und gut drauf wirke. Und ich dann nach der Arbeit weinen muss, wenn sich die Wohnungstür hinter mir schließt. Das wollte ich zurechtrücken, auch weil ich weiß, wie vielen anderen es ebenso geht. In meinem persönlichen Umfeld werden meine Depressionen zum Glück gut aufgenommen. Mit meinen Freund*innen habe ich einen Raum, wo ich weiß, ich werde nicht verurteilt. Etwa, wenn ich Treffen absage, weil ich keine Kraft mehr habe, das Haus zu verlassen. Daher habe ich mich gefragt: Wieso kann ich nicht auch mit Kolleg*innen über meine Krankheit sprechen?

"In die Außenwirkung passt kein ‚Mir geht es furchtbar‘ oder ‚Ich habe den Morgen über geweint, bevor ich in die Redaktion gekommen bin‘." 

Wie ging es dir nach der Veröffentlichung? 

Ich bin froh, dass ich den Text geschrieben habe, weil das Thema und ich gesehen wurden. Die Betreuung war supersensibel. Als der Text veröffentlicht wurde, hat mich die Redaktion beispielsweise gefragt, wie es mir geht. Sie hat mir auch zugesichert, auf meiner Seite zu sein. Das war für mich wichtig und auch nicht selbstverständlich, damit mich die Reaktionen auf den Text nicht unvorbereitet übermannen.

Du wusstest früh von deinen Depressionen, bereits in der Jugend. Weshalb hast du dich trotzdem für diesen Job entschieden?

Das war bei mir gar nicht so ein Trotzdem, sondern eher ein: gerade deswegen. Meine Depressionen haben zwei Seiten. Zum einen sind da immer Zweifel und Ängste. Etwa das Gefühl von "Du kannst das nicht". Diese Seite war gerade bei der Entscheidung, was ich später machen möchte, sehr laut. Meine innere Stimme hat gesagt: Wenn du eh nichts kannst, mach etwas Sicheres. Journalismus ist nichts, was man als klassisch sicheren Job beschreiben würde. Aber meine Depression – ich kann generell nur von mir selbst sprechen, wie ich die Krankheit wahrnehme – hat auch eine zweite Seite: das Bedürfnis, aus dieser Angst heraus etwas Sinnstiftendes zu machen. Das hat mich angetrieben, in den Journalismus zu gehen. 

Das klingt so, als ob für dich die möglichen Vorteile die Angst ein bisschen ausgeglichen, vielleicht sogar überwogen haben.

Auf jeden Fall. Da war dieser Wille, etwas zu bewegen. Der hat es irgendwie geschafft, die Ängste und die Depression zurückzudrängen. Natürlich nicht immer. Aber das klappt manchmal sehr gut. 

Würdest du sagen, dass das, was du an mentalen Belastungen erwartet hast, dem entspricht, was tatsächlich passiert? 

Ich habe ganz klassisch mit einem Lokalpraktikum angefangen. Damals war mir das Ausmaß nicht bewusst. Da habe ich noch gar nicht gesehen, wie viel es im Journalismus eigentlich um Selbstvermarktung geht. Ich habe gedacht, es geht um die Geschichte, die ich schreibe. Und je mehr ich in diese journalistischen Blasen gekommen bin, habe ich gemerkt: Es scheint eher darum zu gehen, wer schreibt was, wer schreibt wo, wer schreibt wie viel. Und dass dieses Vergleichen und Konkurrieren so stark miteinfließt – und sei es nur unterbewusst – war mir nicht klar. Das ist eine Erkenntnis, die ich damals gerne schon gehabt hätte. 

Wie wirken sich deine Depressionen auf den Arbeitsalltag aus? Inwiefern sieht dein Tag anders aus als meiner?

Das ist eine schwierige Frage. Gerade, weil es so unterschiedlich ist. Dadurch, dass ich meine Depressionen schon lange habe, können wir ganz gut koexistieren. Manchmal sind sie dann nicht so präsent. Und dann gibt es die Tage, an denen ich wirklich sehr krank bin. Dann schaffe ich es kaum aus dem Bett. Selbst ein Glas Wasser aus der Küche zu holen, wird eine unüberwindbare Aufgabe. An diesen Tagen ist nicht an Arbeit zu denken. Man ist nicht unproduktiv, man ist arbeitsunfähig. So ist es aber nicht immer, denn Depressionen sind eine sehr vielfältige Krankheit. Bei mir ist es etwa so, dass ich manchmal sogar dazu neige, sehr produktiv sein zu wollen. Damit man bloß nicht merkt, dass ich Depressionen habe. 

Also gar kein so großer Unterschied? 

Am schwierigsten ist an schlechten Tagen immer der Moment, wenn ich noch nicht unter Menschen bin. Wenn ich in die Redaktion gehe, ist es zum Beispiel eine Herausforderung, das Haus zu verlassen. Doch wenn ich vor Ort bin, weiß ich: "Ich habe mein Korsett, ich muss funktionieren." Der Rest setzt häufig erst danach ein, wenn ich merke, ich bin von dem Tag müde und erschöpft. Das ist eine Art der Erschöpfung, die man nicht durch Schlaf oder Erholung ausgleichen kann. 

Und im Redaktionsalltag? 

Im Journalismus funktioniert viel über Feedback. Das ist superwichtig, und ich würde von mir selbst sagen, dass ich das gut abkann und kritikfähig bin. Aber ich glaube, meine Depression ist oft nicht kritikfähig. Wenn eine Kleinigkeit angemerkt wird, kann ich schnell sagen: okay, stimmt, ich ändere das schnell. Aber meine Depression freut sich in solchen Momenten und sagt: Siehst du, du kannst es ja gar nicht. Dann hängt sie sich an Kleinigkeiten so lange auf, bis es anstrengend wird. Und plötzlich kann ein Tag, auch wenn er gut gestartet ist, furchtbar kräftezehrend werden. Oder ich schreibe E-Mail-Anfragen, fünf davon gehen super raus und bei der sechsten kommt plötzlich die Depression und sagt: Ist das überhaupt gut? Würden andere das nicht ganz anders schreiben? 

Du redest jetzt von deiner Depression wie von einem Teil von dir, den du auch von außen betrachten kannst.

Eine spannende Beobachtung. Mit meinen engsten Freund*innen haben wir der Depression einen Namen gegeben. Es ist kein menschlicher Name, aber er hilft mir, den Begriff nicht immer nennen zu müssen. Das macht es ein bisschen abstrakter und löst es mehr von mir. Auf der anderen Seite finde ich die Frage "Ist das jetzt deine Depression oder bist du das" schwierig. Weil ich das manchmal nicht trennen kann. Vielleicht muss man das auch gar nicht. Aber dass ich das so reflektiert sehen kann, hat auch viel mit meiner Therapieerfahrung zu tun. 

Gibt es Momente, in denen du sagst, hier trifft die Spirale der Medienwelt auf eine ganz unangenehme Art und Weise auf deine Verfassung?

Ich arbeite sehr viel frei. Da ist immer eine entscheidende Frage: Was mache ich die nächsten Wochen, und wie viel mache ich. An guten Tagen neige ich dazu, mir zu viel aufzubürden. Die Depressionen erschweren es mir, meine Grenzen einschätzen zu können. Sie machen es auch schwerer, Nein zu sagen. Das kennen wir ja alle nur zu gut. Und dann kommt noch Social Media hinzu. Das ist aktuell eine der größten Herausforderungen bei mir und allgemein bei jungen Journalist*innen: das ständige Präsentsein. So schön es auch ist, seine Arbeiten zu teilen – und ich nehme mich davon nicht aus – glaube ich trotzdem, dass es einen großen Druck auslöst. Ich schaue auf Twitter und XY hat schon wieder etwas geschrieben. Dann geht es los: Wieso schaffe ich das nicht, wieso schreibe ich nicht über solche relevante Themen? Dann fällt es mir schwer, mich zu freuen. Nicht, weil ich mich nicht freuen möchte. Sondern einfach, weil das ständige Vergleichen so anstrengend sein kann. Das kennst du vermutlich auch. 

Anstrengend, aber manchmal motivierend. Bei mir kommt es darauf an, an welchem Punkt ich selbst gerade bin. Also nicht, dass ich meine Emotionen mit einer Depression vergleichen möchte, aber wenn es mich in einem guten Moment erwischt, wo ich "etwas geleistet" habe, bin ich fein und sehe das eher aus einer Wettbewerbsperspektive. In schlechten Phasen nicht. 

So ist es bei mir auch. Und bei vielen jungen und auch älteren Kolleg*innen. Das habe ich bei den Rückmeldungen gemerkt, die ich auf den Text bei Übermedien bekommen habe. Ich finde es wichtig, das als allgemeines Problem anzuerkennen. Man darf nicht denken, einige Personen hätten einen größeren Anspruch darauf, gestresst zu sein. Dafür braucht es nämlich keine Diagnose. Das kann jeden betreffen. Trotzdem ist eine Unterscheidung wichtig, weil es bei diagnostizierten Depressionen viel schwieriger ist, offen darüber zu sprechen. Denn viele Betroffene haben bereits schlechte Erfahrungen gemacht, über ihre Krankheit zu sprechen. 

"Wenn eine Kleinigkeit angemerkt wird, kann ich superschnell sagen, okay, stimmt. Aber meine Depression freut sich und sagt: Siehst du, du kannst es ja gar nicht."

Zwischen Pandemie, Krieg und Krisen entsteht immerhin der Eindruck, dass wir alle ein wenig empathischer mit psychosozialen Belastungen umgehen, dass man auch eher mal über die Belastung des Jobs redet.

Da muss man allerdings schauen: Wen fragt man nach den Eindrücken? Ich habe oft gehört, es sei gar nichts Besonderes mehr, in der Öffentlichkeit über seine Depressionen zu sprechen. Das nehme ich so nicht wahr. Denn es ist wichtig, nicht von einer subjektiven Wahrnehmung auf die Allgemeinheit zu schließen – und Betroffenen zuzuhören. Denn solange ich als Betroffene nie weiß, wie meine Chefin reagiert, kann man nicht von einer Enttabuisierung sprechen. Es gibt immer noch diese Scham und Angst, anders wahrgenommen zu werden. Angst davor, dass mir Fähigkeiten abgesprochen werden oder dass ich bei der nächsten großen Recherche einfach nicht angefragt werde, weil man im Hinterkopf hat: Ach ja, irgendwas hatte die mit der Psyche, da muss man aufpassen. Gerade ein sensibles Miteinander ist wichtig, weil uns unsere mentale Verfassung eben nicht auf der Stirn geschrieben steht. Wenn wir andere Menschen anschauen, denken wir immer, bei der Person läuft‘s besonders gut. Ich habe viel Feedback bekommen, wo Leute gesagt haben: Du hast Depressionen? Das sieht man ja gar nicht! Nur, weil ich auf Instagram ein Bild poste, heißt es nicht, dass ich heute gut aus dem Bett gekommen bin oder dass ich nicht auf Hilfe angewiesen war. 

Nun hat Netzwerk Recherche sogar eine Help-Hotline ins Leben gerufen. Man könnte also meinen, dann haben doch sicherlich alle zumindest das Signal verstanden.

Ich nehme auch eine positive Entwicklung wahr. Es wird allgemein leichter, im Arbeitskontext über Belastungen und Ängste zu sprechen, wenn man vielleicht eine Gruppe hat, der man vertrauen kann. Ich erlebe diesen Fortschritt etwa mit anderen jungen Journalist*innen. Aber auch da macht es einen Unterschied, ob man über Ängste oder eine Krankheit spricht. Und es sind eben kleine vertraute Umfelder, wo diese Themen Platz finden. Bei der Helpline ist es so, dass man mit Kolleg*innen über Belastungen sprechen kann. Es kann helfen, eine Nummer zu haben, wo mich Leute aus der Branche verstehen. Das ist genau das, was wir brauchen. Aber nehmen wir das Beispiel Krankmelden: Es gibt immer noch den Unterschied, ob es wirklich um physische oder psychische Gesundheit geht. Wenn ich in der großen Runde sage, ich habe mein Bein gebrochen und falle aus, wird das abgenickt. Aber wenn man sagt, ich bin wegen Angststörungen oder Depressionen drei Monate in einer Klinik, ist das was anderes. 

Wenn wir über die Unterstützung für Menschen mit psychischen Problemen oder Krankheiten reden, sind wir da im Journalismus weiter als andere Branchen? 

Ich glaube, da muss man aufpassen. Es darf nicht wie bei anderen Themen werden, die "plötzlich" groß und wichtig scheinen wie zum Beispiel Nachhaltigkeit oder Diversität. Wo es irgendwann einen Effekt gibt, dass gefühlt jeder mit aufspringt, einfach, um nach außen gut dazustehen. Diese wichtigen Themen – und so ist es auch mit psychischer Gesundheit – dürfen nicht nur oberflächlich thematisiert werden. Die Menschen müssen mitgenommen werden und dahinterstehen.

Hast du das Gefühl, dass wir als Nachwuchs eher nach diesem Unterstützungssystem suchen?

Ich kann auf jeden Fall sagen, dass ich gerade von jungen Journalist*innen sehr viele Nachrichten bekommen habe. "Kann ich genug, bin ich genug?" scheint eine Frage zu sein, die uns sehr wichtig ist. Weil viele schon mal an den Punkt gekommen sind, wo sie gemerkt haben, dass sie sich nicht gut fühlen oder ein Praktikum sie ausgelaugt hat. Ich finde es aber wichtig, dass man nicht nur den Fokus auf junge Kolleg*innen legt. Als mein Text rauskam, haben mir die Rückmeldungen gezeigt, dass das keine Generationenfrage ist. Es waren Journalist*innen aus unterschiedlichen Redaktionen unterschiedlichen Alters. Wenn selbst alteingesessene Journalist*innen über psychische Krankheiten und mentale Probleme berichten, zeigt das ein Problem einer ganzen Branche auf, über das noch zu wenig gesprochen wird.

"Selbst ein Glas Wasser aus der Küche zu holen, wird dann eine unüberwindbare Aufgabe."

Aber das kann man ja auch nicht immer erwarten, dass beispielsweise die Praktikant*innen das mit reinbringen. 

Absolut. Gerade wenn man in einer Redaktion neu reinkommt, möchte man ja zeigen: Das bin ich, und das ist meine Arbeit. Und nicht: Hallo, ich habe Depressionen. Das war auch ein Punkt, weshalb ich lange damit gehadert habe, wie offen ich darüber spreche. Ab jetzt ist es immer im Hinterkopf, weil die Menschen das leicht über mich herausfinden können. Und so stellt sich auch die Frage, ob ich mehr leisten muss. Weil ich zeigen will: Ich habe Depressionen, aber ich kann trotzdem schreiben. 

Gab es in deinen bisherigen Stationen einen Moment, wo du gemerkt hast: Hier könnte ich Hilfe gebrauchen und habe aber auch zwischenmenschlich keine Anlaufstelle? 

In depressiven Phasen ist das Gefühl, nicht verstanden zu werden, etwas, was ich viel mit mir rumtrage. Das ist im Arbeitskontext natürlich noch stärker ausgeprägt. Aber der Elefant im Raum ist ja, was Redaktionen dagegen machen können. Besonders wichtig ist Kommunikation. Den größten Halt geben mir ehrliche Gespräche mit Kolleg*innen. Das sind teilweise sehr kurze Gespräche zwischendurch, die einen Unterschied machen. Aber ich kenne es auch aus Redaktionen, dass es oft einen halbironischen Sprech gibt wie "Wir arbeiten hier bis zum Burnout". Da denke ich mir oft: Nein, eigentlich ist das gerade gar nicht lustig. Denn: Sprache ist wichtig. Einerseits sollten Begriffe wie Burnout nicht inflationär verwendet werden, wenn kein Burnout vorliegt. Andererseits steht eine solche Sprache nicht gerade für ein Arbeitsklima, in dem ich offen über meine Depressionen sprechen könnte. Wie also soll ich hier reingrätschen, wenn solche Sprachbilder in der Kommunikation totaler Konsens sind? 

Eine solche Kultur ist auch ein Grund, weshalb wir für den journalist-Podcast Druckausgleich von Verlagen, Medienhäusern und Journalismusschulen wissen wollten, wie es bei ihnen mit der Unterstützung aussieht. Das Ergebnis: Fast alle haben unterschiedlich stark ausgeprägte Angebote. Wie häufig die tatsächlich genutzt werden, können sie zwar nicht sagen. Der Gesamteindruck ist aber: Tendenz steigend. Wie nimmst du das wahr? 

Da ist bei mir der erste Gedanke: Warum wird das nicht nach außen kommuniziert? Als ich mich vor längerer Zeit auf den Seiten von Journalist*innenschulen informiert habe, kann ich mich nicht daran erinnern, irgendwo ein Angebot oder eine Anlaufstelle wiedergefunden zu haben. Das wäre doch die perfekte Möglichkeit, einen Tabubruch zu schaffen, indem es einfach als Info auf der Website steht. Das würde dazu führen, dass es ein niedrigschwelliges Angebot gibt und ich direkt sehen kann, wohin und an wen ich mich wenden muss. Das würde vielen jungen Menschen helfen, die sich eben nicht trauen, sich zu bewerben. Weil Journalismus so elitär und stressbehaftet ist. Das ist ein großes Problem, dass solche Angebote nicht sichtbar sind – wenn sie überhaupt vorhanden sind. 

Und wenn wir auf die bestehenden Angebote blicken? 

Man muss wissen, dass Anlaufstellen an sich noch nicht allumfassend helfen. So ein Beratungsangebot kann nur hilfreich sein, wenn man danach in ein Umfeld kommt, wo man gesehen wird. Wo ein gutes Arbeitsklima herrscht, wo Menschen sensibel sind. Die Gesundheit von Journalist*innen darf nicht als selbstverständlich erachtet werden. Prävention ist sehr wichtig. Man kann zum Beispiel interne Schulungen für Kolleg*innen anbieten. Also nicht nur Beratungsangebote für Betroffene, sondern auch Schulungen, wie man sensibel miteinander umgehen kann. Denn es ist nicht immer leicht, mit psychisch erkrankten oder sehr belasteten Kolleg*innen umzugehen. Vor allem, wenn man zuvor vielleicht noch keine Berührungspunkte hatte und die Angst groß ist, etwas Falsches zu machen. 

"Den größten Halt geben mir ehrliche Gespräche mit Kolleg*innen. Das sind teilweise sehr kurze Gespräche zwischendurch, die einen Unterschied machen." 

Was könnte getan werden? 

Ich glaube, im nächsten Schritt ist es wichtig, dass sich Führungsetagen mit dem Thema und den Lebensrealitäten vertraut machen. Zum Beispiel bei Therapiestunden: Die finden unter der Woche statt. Bei mir sind die Leute immer ganz verwundert, wenn ich sage, dass ich montags um 14 Uhr zur Therapie muss. Meiner Therapeutin kann ich schlecht sagen, dass ich vielleicht sonntagsabends um 18 Uhr mal eine Stunde Zeit hätte. 

Wir haben nach unserer Podcastfolge Zuschriften bekommen – unter anderem von einer älteren Kollegin, die sagt: Journalist*innen, die jung sind und schon mit psychischen Belastungen in den Job starten, sollten sich etwas anderes suchen, sie selbst habe sich kaputt gemacht. Sind das Dinge, über die du dir auch Gedanken machst? Etwa: Wenn das nicht bis Tag X besser wird, bin ich weg? 

Der Journalismus muss sich bewusst machen, wie wichtig es ist, sich um seine Mitarbeiter*innen zu kümmern. Weil sonst genau diese Gefahr besteht, dass qualifizierte Journalist*innen, die leidenschaftlich für den Job brennen, den Beruf verlassen. Das ist definitiv ein Appell. Bei der Zuschrift habe ich gemischte Gefühle. Einerseits finde ich wichtig, diese Erfahrung zu hören. Ich glaube aber, dieser Appell sollte eigentlich an die verantwortlichen Redakteur*innen und Entscheidungsträger*innen gehen. Als psychisch kranke Person denke ich mir erst mal: Warum sollte ich aufgrund meiner Erkrankung meinen Job wählen? Das ist etwas, was ich eigentlich nicht einsehe, zumal ich gut in meiner Arbeit bin und wir auch diverse Stimmen im Journalismus brauchen. Vielmehr muss sich hier das System ändern, um psychische Erkrankungen weiter zu enttabuisieren. 

Die Medienbranche kann skrupellos sein. 

Die Branche ist belastend, auf jeden Fall. Aber ich glaube, man darf auch nicht romantisieren, wie andere Branchen sind. Viele Probleme, die ich in meinem Arbeitsalltag kenne, etwa die Angst, nicht genug zu sein – würde ich auch in andere Branchen mitnehmen. Ich würde also immer ermutigen, in diesen Job zu gehen. Denn es ist auch wichtig, dass es Kolleg*innen gibt, die erkrankt und sensibilisiert sind. Dass diese Perspektiven nicht verloren gehen. Im Endeffekt sind das auch Menschen, die vielleicht irgendwann mal Führungsverantwortung haben. 

Gibt es darüber hinaus Veränderungen, die dir den Job vereinfachen und Betroffene besser unterstützen würden?

Wäre es nicht schön, wenn wir die Branche wären, die einen Vorreitercharakter hat? Wovon der Journalismus wirklich profitiert sind die Leute, die diesen Job so unglaublich gern mögen. In einem Arbeitspapier der Otto-Brenner-Stiftung wurde etwa gesagt, dass rund zwei Drittel sich nicht vorstellen könnten, in einem anderen Beruf zu arbeiten als im Journalismus. Darauf sollte man aufbauen. In diesem Papier stand aber auch, dass fast 60 Prozent nach der Arbeit lange Erholungszeit brauchen, um wieder fit zu werden. Die Zahlen zeigen doch, wie belastend die Branche sein kann. Auch für Menschen ohne psychische Erkrankungen. Hinzu kommt: Der Journalismus lebt von freien Journalist*innen. Da kommt die Frage auf: Gelten Unterstützungsangebote auch für Freie? Es ist wichtig, dass sich Arbeitgeber*innen bewusst machen, dass sie ihre Leute im Haus haben, aber auch extrem viele Freie, die unter oft viel schlechteren Bedingungen arbeiten. Die Medienhäuser müssen sich also dringend eine Strategie überlegen, wie sie auch ihre freien Mitarbeiter*innen unterstützen können. 

Was hat sich für dich ganz persönlich mit der Veröffentlichung deiner Diagnose im Arbeitsalltag verändert? 

Meine größte Angst war, wie jetzt mit mir umgegangen wird. Beim Tagesspiegel, wo ich als studentische Mitarbeiterin arbeite, wurde mir signalisiert: Hey, wir wissen Bescheid. Aber gleich auch: Hier ist eine Aufgabe für dich. Das hat mich sehr erleichtert, weil ich gemerkt habe, dass ich gesehen werde, aber gleichzeitig nicht ausgeschlossen oder bevormundet. 

In deinem Artikel hast du geschrieben: "Mein persönlicher Wert hängt nicht von meiner Karriere als Journalistin ab, versuche ich mir zu sagen." Wo stehst du momentan in diesem Erkenntnisprozess? 

Je nach Tagesform kann ich mir sagen, dass mein Wert natürlich nicht mit dem Beruf zusammenhängt. Aber wie du sagst, ist es ein Prozess. Und der ist nicht gradlinig. In meiner letzten Hospitanz beispielsweise hatte ich Tage, an denen ich abends dasaß und mich gefragt habe: Habe ich genug gemacht, war das gut so? Da habe ich mich schlecht gefühlt, weil mein Zustand so stark von meiner Leistung abhing. Es ist nicht mehr mein Ziel, mich davon komplett freizumachen. Vielmehr setze ich mir kleinere Ziele. Es ist schon ein Erfolg, wenn ich nicht jeden Tag so denke.  

Hilfe: Falls du Hilfe oder auch einfach nur jemanden zum Reden brauchst, dann kannst du dich jederzeit anonym und kostenlos an diesen Kontakt wenden: Telefonseelsorge: 0800-1110111. www.telefonseelsorge.de, auch Chat möglich. 

Annkathrin Weis arbeitet als freie Journalistin in Frankfurt am Main. Sie ist Co-Gründerin des journalist-Podcasts Druckausgleich. Paulina Hildesheim ist Fotografin in Berlin. 

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