Floskel des Monats
zunächst unklar
So manch eine Floskel oder Phrase nistet sich derart inflationär, hartnäckig und regelmäßig in den Nachrichtentexten ein, dass nicht nur die Redakteur*innen, sondern oft auch die Medienkonsument*innen glauben, dass die Formulierung völlig legitim ist. Zeitgleich werden alle im Unklaren gelassen. Zunächst unklar beziehungsweise zunächst unbekannt zählt sicherlich zu den großen Missverständnissen im Journalismus.
Die Floskel verbreitet sich häufiger, wenn vorhandene, also bereits publizierte Texte aktualisiert werden. Dabei ist es so schrecklich einfach, diesen Anfängerfehler, der scheinbar nicht totzukriegen ist, zu vermeiden. Nehmen wir beispielhaft den Klassiker aus den Nachrichten, der sich gerne ganz am Ende einer Meldung versteckt hält: „Die Hintergründe waren zunächst unklar.“ Es ist ein großer Unterschied, ob etwas zunächst unklar war oder noch immer unbekannt ist. Irritierenderweise wird die Phrase fälschlich synonym verstanden.
Nun haben Sie in der Redaktion drei Möglichkeiten, um noch die sprachliche Kurve zu bekommen:
1. Wenn es schon neue Informationen zu einem Ereignis gibt, streichen Sie den Satz einfach aus dem Manuskript und benennen Sie sie. Der Hinweis, dass irgendwas zunächst unklar war, ist irrelevant geworden, denn das vermeintlich Unklare wurde mittlerweile geklärt.
2. Ist ein Aspekt eines Ereignisses weiter unbekannt, schreiben/sagen Sie es auch so, aber bleiben Sie in der Gegenwart. Die Situation der Unwissenheit besteht schließlich noch immer: „Die Hintergründe [zu der Gasexplosion] sind weiter unklar.“ (Oder: „bisher unklar“ oder „noch unbekannt“) Ebenfalls okay: „Nach der Ursache für die Gasexplosion wird noch gesucht.“
3. Muss eine Situation kausal erläutert werden, aber das Ergebnis liegt immer noch nicht vor, tilgen Sie das überflüssige Wort „zunächst“: „Weil unklar war, ob die Gasexplosion vorsätzlich herbeigeführt worden war, wurden Sprengstoffexperten des Landeskriminalamts gerufen.“
Nutzen Sie die Phrase auch niemals, um Platz zu füllen. Niemand interessiert sich für die Unkenntnis eines früheren Zeitpunkts. Sie gehen doch auch nicht in den Supermarkt und erzählen dann später: „Die Butter in unserem Kühlschrank war zunächst alle.“
Wie sich Floskeln und Phrasen im Journalismus ausbreiten, machen Sebastian Pertsch und Udo Stiehl mit der sprach- und medienkritischen Floskelwolke sichtbar. Hier stellen sie Begriffe oder Formulierungen vor, mit denen KollegInnen besonders häufig danebenliegen.