Floskel des Monats
Wetter spielt verrückt
Wer kennt sie nicht, die Bauernweisheit "Der April macht, was er will"? Dabei geht es gar nicht um den Monat selbst, sondern um das Wetter, das im Hörfunk diffus auch als "Sonne-Wolken-Mix" bekannt ist. Doch nicht nur der April macht, was er will. Auch die clickbaitgeilen Medien, die die hohe Wissenschaft der Meteorologie in die Ressorts Vermischtes, Buntes oder zumindest ans Ende der Nachrichten abgeschoben haben, machen, was sie wollen, um überhaupt noch aufzufallen. Da wird jede Windböe, jeder Sonnenstrahl oder etwas Nieselregen zum Wetterchaos hochgejazzt.
Dabei ist die Weisheit, dass gleich der ganze Monat mache, was er wolle, gar keine Weisheit. Zum einen ist dieses verdammte Wetter gottgleich völlig unbekannt. Zum anderen könnte die vermeintliche Weisheit für jeden Tag im Jahr gelten. Sobald eine Naturgewalt nicht in den Biorhythmus des Club-Mate-Biedermeiers passt, bricht eine Welt zusammen. Dass das Wetter angeblich auch noch verrückt spiele, ist großer Quark. Denn das kann nur jemand behaupten, der/die die Basics von Wetter, Witterung und Klima in der Schule verpasst hat und die Konsument*innen für blöd verkaufen will. Außerdem ist der Anthropomorphismus, also die Vermenschlichung und hier einer Naturgewalt, auch noch ableistisch konnotiert. Genauso wie das für blöd verkaufen.
Eine Tageszeitung aus Niedersachsen wagte im vergangenen Monat die freche Prognose: "April als Wetter-Wundertüte" und Ostern dürfte "kein Hitze-Hase" werden. Was? Mitte April und noch immer keine 36 Grad im Schatten? Das kann doch wohl nicht wahr sein. Für manch ein Nachrichtenmedium war dieses Wetter eine "Schockprognose für den Frühling". Ein Medium, das sich ganz und gar auf sprachlich aufgebauschte Wettermeldungen spezialisiert hat, fragte gar: "Steht der Frühling auf der Kippe?" Diese Frage können wir – wie nahezu alle geschlossenen Fragen in Schlagzeilen – verneinen. Er findet definitiv statt, begann sogar offiziell schon am 20. März.
Bitte setzen Sie sich hin und seien Sie gefasst: Zur 70. Ausgabe der "Floskel des Monats" im journalist möchten wir Sie höflich darauf hinweisen, dass auf den April – für einige völlig überraschend – der Mai folgte. Dieser aktuelle Monat ist nicht nur als "Wonnemonat" bekannt, sondern bringt – falls die Binse dann doch fehlschlägt – als Mairegen sogar Segen. Es heißt ja nicht umsonst: "Kalter, nasser Mai macht die Scheune voller Heu." Jesses, alles drin, nichts muss, irgendwas passt immer. Sprichwörter und Redensarten gibt es wie Sand am Meer.
Wie sich Floskeln und Phrasen im Journalismus ausbreiten, machen Sebastian Pertsch und Udo Stiehl mit der sprach- und medienkritischen Floskelwolke sichtbar. Hier stellen sie Begriffe oder Formulierungen vor, mit denen KollegInnen besonders häufig danebenliegen.